Jetzt auch mal hier ans Eingemachte.
Mein Untersuchungsgegenstand, der bestimmte Artikel the, wird im irischen Englisch in bestimmten Kontexten häufiger benutzt, als im Standardenglisch. Also besonders in Verbindung mit nichtspezifischer Referenz wie in He’s at the school, wenn nicht das Gebäude, sondern die Institution an sich gemeint ist; in Konstruktionen mit Jahreszeiten (in the spring), Krankheiten (He died of the cancer), Festtagen (the Christmas, the Easter); in Phrasen, in denen the die Präpositionen per oder at oder Personalpronomen ersetzt (three pounds in the week ‘three pounds per week’, in the night, he left the wife behind); vor den Quantifikatoren both, half und most in of-Phrasen (and the both of them hungry, the one half of what you hear). Dazu kommen erhöhte Gebrauchsfrequenzen des bestimmten Artikels in Phrasen mit unzählbaren Substantiven (non-count/mass nouns), die im Standardenglisch keinen Artikel haben (the gold is plenty, the bacon is high ‘bacon is expensive’).
Einerseits haben diese Verwendungen erstaunliche Parallelen zu ihren entsprechenden Konstruktionen im irischen Gälisch. Andererseits hat auch das schottische Englisch eine nahezu identische Verwendungen des Artikels. Das schottische Gälisch hat wiederrum — surprise! — ähnliche Parallelen und fast identische Artikelkonstruktionen wie im irischen Gälisch. Es könnte also der Verdacht nahe liegen, dass es sich bei dieser Art des Artikelgebrauchs um Keltizismen handelt.
Hm ja, und dann kommen nachgewiesene Vorkommen in vielen anderen britischen Dialekten (Wales, Cornwall, Nord- und Mittelengland) hinzu, der Artikel the wird ähnlich auch in den sogenannten New Englishes in Indien, Singapur und Jamaika sowie in englischen Dialekten australischer Aborigines ähnlich “unregelmäßig” verwendet. Tatsächlich — und das spiegelt sich in der fast spärlichen Literatur zur Artikelforschung nicht wider — ist der unregelmäßige Gebrauch der Artikel (irregular use of articles, hier aber inklusive a/an, the und Nullartikel gemeint) eines der am häufigsten attestierten Phänomene in Varietäten des Englischen. Kurz: die Verbreitung des “Phänomen [17]”*, wie es von Kortmann & Szmrecsanyi (2004) klassifiziert wird, schwächt natürlich die These vom Keltizismus (Celtic Hypothesis). Fast ist man versucht, den Artikelgebrauch des Standardenglisch für die eigentlich abweichende Verwendungsweise zu halten.
Was aber auffällt ist die Tatsache, dass alle Varietäten mit abweichendem Artikelgebrauch sogenannte Kontaktvarietäten sind. Wales (Walisisch) und Cornwall (Kornisch) sind im Großen und Ganzen weniger beeinflusst und noch dazu von jeweils nur einer Sprache; dafür spielen in Singapur (u.a. Malaiisch, Chinesisch), Indien (äh, n paar mehr) und in der Karibik mehr als eine Kontaktsprache und ‑varietät eine Rolle. Interessant ist auch, dass die Kontaktsprachen in Asien und der Karibik bestimmte, unbestimmte oder auch gar keine Artikel haben. Die keltischen Sprache haben bis auf Bretonisch nur den bestimmten Artikel. Ich habe auch den Eindruck, dass die keltisch beeinflussten englischen Dialekte das “homogenere” Bild abliefern: für sie wird ausschließlich eine Überverwendung diagnostiziert, Kontaktvarietäten in Asien und der Karibik haben auch — fast gleichermaßen sogar — eine Unterverwendung, also einen Nullartikel anstelle von a/an oder the.
Ein weiterer Faktor ist die Klassifikation der jeweiligen Varietäten. Grob gesagt lassen die sich in L1 (Muttersprachen), Shift-Sprachen und L2 (Zweitsprachen) einteilen. Zu den L1-Varietäten gehören Englisch in England, Teilen Schottlands, Teilen Nordamerikas, Australien und Neuseeland. Shift-Varietäten sind die Dialekte, die aus einem Sprachwechsel von X zu Englisch entstanden sind, beispielsweise das English in Irland. L2-Varietäten werden dort gesprochen, wo Englisch besonders die Funktion einer Sprache des öffentlichen Raums ist (Bildung, Verwaltung, Wirtschaft etc.), aber andere Sprachen im Privaten gesprochen werden. Dies ist in den meisten englischsprachigen Ländern der Karibik, in Afrika und Asien der Fall, auch in Indien und Singapur. Nun ist das ja alles nicht so einfach und die Grenzen sind schwierig zu ziehen. Es gibt auch Meinungen, dass die Englischs in Indien und Singapur zu den Shift-Varietäten gehören.
Wichtig jedenfalls: in Shift- und L2-Varietäten hat es, graduell zwar unterschiedlich, Sprachkontakt gegeben. Kontakteinfluss gibt es zwar auch in L1-Varietäten (durch z.B. Migrantensprachen), die Qualität ist aber eine andere. Fürs erste reicht es hier aber zu wissen, dass Kontakt ein wichtiger Faktor für meinen Untersuchungsgegenstand ist. Darüber hinaus das Wissen, dass Feature [17] nach Kortmann und Szmrecsanyi das 12. häufigste von 76 untersuchten Phänomen in englischen Varietäten ist. Es ist immerhin in 33 von 46 der betrachteten Varietäten belegt.
Fortsetzung folgt.
*Kortmann und Szmrecsanyi klassifizieren hier nicht absteigend nach Aufkommen oder Verbreitung eines Phänomens, sondern nach Bereichen: Phänomene [1]-[13] beispielsweise beziehen sich auf Pronomen, [14]-[20] auf die Nominalphrase, [21]-[41] auf die Verbalphrase usw. usf.
Kortmann, Bernd & Benedikt Szmrecsanyi. 2004. Global synopsis: morphological and syntactic variation in English. In: Kortmann, Bernd et al [eds]. Handbook of Varieties of English, Volume 2: Morphology and Syntax. Berlin: Mouton de Gruyter. 1142–1202.
Sehr spannend, ich warte auf die Fortsetzung! 🙂