Im Zuge unserer Suche nach dem schönsten Fremdwort des Jahres 2009 ist eine Frage um die lautliche Form eines Wortvorschlags, twittern, aufgetaucht.
Sprachblogstammkommentator Gareth, der das Wort nominiert hat, sagt in seiner Begründung zu seinem Vorschlag:
Es klingt gut, obwohl die Lautfolge /tv/ im Deutschen sonst nicht vorkommt, und lässt sich schön ins Paradigma einfügen (twitterte, getwittert usw.) — kurzum: eine prima Ergänzung! [Gareth]
Sprachblogleser/in Umphadumpha widerspricht:
Ich habe wenig Ahnung von norddeutschen Dialekten und kenne das Wort nur durch geschriebene Texte, aber die Lautfolge in „Twete“ (= ein kleines Gässchen, schmaler Durchgang) erscheint mir ähnlich. [Umphadumpha]
Beide haben Recht. Im Hochdeutschen ist die Lautfolge /tv/ am Wortanfang (oder genauer: innerhalb einer Silbe) nicht erlaubt. Sie kommt ausschließlich in englischen Lehnwörtern vor, wie etwa Tweed, Twen, Twill, Twist und eben twittern. Im Niederdeutschen die Lautfolge dagegen völlig normal. Twiete (vermutlich vom altdänischen tvede) ist nur eins von vielen Wörtern, die das zeigen, weiter Beispiele sind folgende:
- Twang („Zwang“)
- twee („zwei“)
- Twiefel („Zweifel“)
- Twieg („Zweig“)
- Twirn („Zwirn“)
- twintig („zwanzig“)
- twuschen, twüschen, twischen („zwischen“)
- twölf („zwölf“)
Wenn man sich diese Wörter ansieht, wird schnell klar, dass wir es hier mit einem systematischen Unterschied zu tun haben: Wenn das Niederdeutsche und das Hochdeutsche verwandte Wörter haben und im Niederdeutschen /tv/ (schriftlich ‹tw›) auftritt, steht im Hochdeutschen /tsv/ (schriftlich ‹zw›).
Der Grund dafür ist, dass das Niederdeutsche die sogenannte Zweite Lautverschiebung nicht mitgemacht hat, mit der sich das Hochdeutsche lautlich von allen anderen germanischen Sprachen abgesetzt hat. Im Zuge dieser Lautverschiebung wurde aus dem /t/ ein /ts/, nicht nur vor einem /v/ sondern ganz allgemein:
- Tehn, Tähn, Tann („Zahn“)
- Tied („Zeit“)
- Toll („Zoll“)
- Tung, Tuung („Zunge“)
- Tuun („Zaun“)
In der niederdeutschen Wikipedia kann man sich deshalb heute noch eine tofällige Siet anzeigen lassen, oder nachsehen, was toletzt ännert worden ist.
Die Wörter, die heute im Hochdeutschen mit einem /t/ beginnen, begannen vor der Lautverschiebung (und beginnen im Niederdeutschen bis heute) übrigens mit /d/, z.B. dag/Tag.
Mit Wörtern wie twittern bekommt das Hochdeutsche also eine Lautfolge wieder, die es vor über tausend Jahren verloren hat — eine echte Bereicherung.
Würde man das Wort nachträglich der Lautverschiebung unterziehen, käme dabei natürlich zwitschern heraus. Im Niederdeutschen hieße twittern dann schilpen.
Pingback: uberVU - social comments
Ich möchte bei dieser Gelegenheit auf TwixT hinweisen, ein hochinteressantes abstraktes Strategiespiel. Deutsche Spieler gehörten lange Zeit zu den besten überhaupt. Ich weiß allerdings nicht, ob das an der Lautverschiebung liegt. 🙂
Nunja, Mhd. kannte noch den twërc und twërch, dwërch, quërch (=> quer, Zwerchfell); das waren nämlich wohl germanische /d/ oder /þ/ (vgl. engl. dwarf, nl. dwaars), nicht /t/ (im Gegensatz zu zît), und insofern hat da eine Lautnachverschiebung stattgefunden.
(Natürlich gab es auch mhd. schon zw-Wörter: zwei zwum Beispiel. Aber war nicht alles /t/, was zischt.)
Da möchte ich jetzt aber schon einmal fragen, ob die hier schreibenden “twitter” tatsächlich mit /tv/ aussprechen. Ich habe bisher nur Leute /tw/ sagen hören, aber das kann an meinem einseitigen Umgang liegen. In diesem Fall hätte Gareth aber wieder recht, denn das kann es im Deutschen nicht geben…
Und ich frage mich auch, weshalb dem Deutschen das Gegenstück zu “tweet” abhanden gekommen ist (oder gab es das nie, weil es wesentlich später entstanden ist…). Wir haben zwar das Gezwitscher, aber nichts mehr für den einzelnen “Zwietsch”…
Anglistin (#4), twittern spreche ich auf jeden Fall immer [tvıtɐn] aus, bei dem Eigennnamen Twitter variiere ich meinem Empfinden nach zwischen [tvıtɐ] und [twıtɐ]. Bei Google war das am Anfang auch so: das Verb habe ich [ɡuɡln] ausgesprochen (mit deutschem, nicht velarisiertem [l]), den Eigennamen [ɡuɡɫ] mit dem velarisierten („dunklen“) [ɫ]. Inzwischen ist das aber ganz verschwunden und ich sage nur noch [ɡuɡl].
Für den Tweet setzt sich auf Twitter möglicherweise, angestoßen durch den letzten Satz meines Beitrags oben, das Wort Schilp durch. Das könnte dann im nächsten Jahr das Schönste Fremdwort 2010 werden…
@anglistin: Auf Twitter selbst hab ich es noch nicht erlebt, dass die bestehenden Begriffe eingedeutscht wurden. Ich followe jemandem (obwohl ich persönlich eher dazu tnediert hätte, es “abonnieren” zu nennen, wie aufidenti.ca), rede von meiner timeline, von der @-reply und vom follower friday
Allerdings gibt es jede Menge Neuschöpfungen, wobei das wahrscheinlich das falsche Wort ist, die auf Twitter gemünzt sind. Twiteratur für “literarische” Tweets, Twilosophie für “tiefgründige” Tweets etc. Oder auch Namensgebungen wie “Twittwoch”, ein regelmäßiges Twittertreffen an einem bestimmten Mittwoch. Diese Ableitungen sind eigentlich immer “deutsch”.
Im Deutschen ja. Das o.g. Beispiel mit google trifft auf mich auch zu. Gleiches gilt z.B. auch für andere Eigennamen. Windows und Word spreche ich mit nicht mit /w/ am Anfang, bei Facebook ist die Vokalqualität anders, Excel betone ich auch auf der ersten Silbe… Wohl gemerkt alles nur wenn ich Deutsch spreche.
Pingback: Das BlaBlog.
Die Wiedereinführung einer, vor über tausend Jahren verloren gegangenen, Vokalkombination müsste doch ein tolles Argument sein, sprachkonservativen Nörglern das Wort “twittern” nahezubringen. Das liegt zumindest schonmal eine Argumentation bereit, falls die Aktionisten mal eine Alternative dazu suchen. Wobei sie dazu ja wissen müssten was twittern ist und es noch ingesamt als wertvoll genug erachten eine Bezeichnung zu bekommen. Da habe ich so meine leisen Twiefel..
Übrigens, die niederländische Sprachgemeinschaft war schneller:
http://www.demorgen.be/dm/nl/991/Multimedia/article/detail/1032350/2009/11/22/Twitteren-woord-van-het-jaar.dhtml
Übersetzung: Die Mitglieder der Gesellschaft “Onze Taal” wählten auf einem Kongress in Utrecht das Wort “twitteren” zum Wort des Jahres 2009. […] Die 1.320 anwesenden Sprachliebhaber in Utrecht konnten aus solch Wörtern aussuchen wie “kopvoddentax” (Kopftuchsteuer), “vaccinatieangst” (Impfangst), “konniginnedagdrama” (Königinnentagdrama) und “vuvuzela” (bei Fußballspielen gebrauchtes südafrikanisches Signalhorn). “Twitteren” bekam ungefähr 30 Prozent der Stimmen.
Gareth (#10), ja, und die Amerikaner auch… aber das soll uns nicht abhalten.
@carsten: Wie gesagt, die tausend Jahre sind stark übertrieben – fünfhundert Jahre wäre wohl realistischer, wie mhd. twerc, twingen etc. zeigen, die wohl erst frühneuhochdeutsch allmählich verschwinden (laut Reichmann/Wegera kommt die Tendenz tw > zw im 16. Jh. übers Schwäbische hinaus). (Außerdem sind’s Konsonanten, nicht Vokale, aber wir sind ja nicht kleinlich.)
Da das “z” aber konstitutiv fürs Deutsche ist, sodass wir also wieder einmal englische Lautkombinationen importieren (insbesondere, wenn wir das “w” im twittern nicht als Frikativ sprechen), obwohl wir einfach elektronisch zwitschern könnten, dürfte die Begeisterung über die retrophonetische Innovation auch dämpfen.
Aber vielleicht sollten wir einfach alle einen zwitschern auf die Integrationsfähigkeit der deutschen Phonotaktik?
… kleine Korrektur am Rande: Hochdeutsches /tsv/ ist im Niederdeutschen nicht immer, sondern nur meistens /tv/, manchmal aber auch /dv/. Deswegen ist Zwang (jedenfalls in allen mir bekannten Dialekten) nicht Twang, sondern Dwang (und zwingen natürlich dwingen), ein Zwerg ist auf Niederdeutsch ein Dwarg und so weiter.
@stefanowitsch Schilpen ist aber kein “Fremdwort” (wahrscheilich auch nicht im nächsten Jahr), sondern ein durch Rückbildung entstehendes/entstandenes Substantiv mit der Bais schilpen. Mein Tipp ist, dass das aus dem Niederdeutschen stammt, aber “der Grimm” schweigt sich hier aus.
Twittern ist ein Fremdwort, das sich recht gut in die deutsche Sprache einfügt. Es hätte das Zeug, ein echtes Lehnwort zu werden, wenn das heutzutage überhaupt noch möglich wäre.
Andererseits fände ich es eigentlich schade, wenn sich dieses Wort durchsetzte, denn im Deutschen geht das Bildhafte dieses englischen Ausdrucks doch verloren.
Dabei läge eine Lehnübersetzung sehr nahe: zwitschern für to twitter und pieps für tweet.
Zwitschern bewahrt nicht nur die Metapher des englischen Ausdrucks, sondern kennzeichnet die mit twittern benannte Tätigkeit auch noch sehr treffend.
Pieps, ja. Genau. Haha.
@ Nörgler: Gegen die Verwendung von zwitschern an Stelle von twittern spricht die zusätzliche Bedeutungskomponente. Was die Aussprache angeht, schließe ich mich Gareth (#7) an. Ich sag’s allerdings nicht oft, weil ich nur selten twittere. Kann meine Zeit lustiger verschwenden 😉
Außerdem geht das Verb twittern auf ein Hauptwort zurück, das Markenname ist; der Service heißt nun mal Twitter und nicht Zwitscher oder Pieper. Wenn jemand ein Papiertaschentuch will, fragt er ja auch nach einem Tempo [nicht ‘Geschwindigkeit’ oder ‘Zeit’] oder softie [sic!]. Wobei Tempo sich auch noch längst zum generischen Begriff für Papiertaschentuch entwickelt hat, was besonders die Konkurrenz bedauert.
Solange ein Wort problemlos adaptierbar ist — für Twitter ist das ja nun mehrfach festgehatlen worden -, also sowohl morphologisch wie phonetisch keine ungeschickten Verrenkungen verlangt, wo ist das Problem. Schon gar, wo to twit und twitter wahrscheinlich aus dem Deutschen/Gotischen stammen.
@Achim (#17):
Weche Bedeutungskomponente meinen sie, und warum spricht diese gegen die Verwendung von zwitschern?
Die spreche ich allesamt mit [w] aus, und der Rest zumindest meiner Generation auch. [tv] ist fast schwieriger!
Außer Twen. Das spreche ich überhaupt nicht aus, weil es um mich herum niemand sagt. Übrigens ist im Englischen mittlerweile tween aufgekommen.
Und Twill – das kenne ich nicht einmal geschrieben.
Bei Windows und Word sage ich auch [w]. Erst bei der Wikipedia wird [v] häufiger (was sich lustigerweise direkt aus dem Hawaiianischen rechtfertigen ließe).
In Deutschland.