Das Jahr neigt sich dem Ende zu und wir dürfen uns neben triefenden Jahresrückblicken auch auf eine Reihe von Wörtern und Unwörtern des Jahres gefasst machen.
In den USA hat das New Oxford American Dictionary vor ein paar Tagen das Wort unfriend zum „Word of the Year“ ernannt, in Deutschland eröffnet der Verlag Langenscheidt den Reigen der Wortwahlen mit dem „Jugendwort 2009“. Die Top 5:
- hartzen
- bam
- Bankster
- Rudelgucken
- Pisaopfer
Die Langenscheidt-Jury ist von ihrer eigenen Wahl so begeistert, dass sie sich zu fast poetischen sozialkritischen Ausführungen hinreißen lässt:
Besonders interessant war für die diesjährige Jury, dass vier Begriffe aus den Top 5 eng mit aktuellen gesellschaftlichen Themen verwoben sind. So zeige sich die ständige Kreativität der Jugend, die aktuelle Geschehnisse und Problematiken beobachtet, einordnet und dann in ihre Sprache „übersetzt“. Ganz besonders beim Wort „hartzen“, das sich in der Ursprungsform „Hartz IV“ im Sprachgebrauch der Erwachsenen und der öffentlichen Diskussion festgesetzt hat und nun in abgewandelter Form und mit zusätzlichen Bedeutungen in die Jugendsprache übernommen wurde, komme dies zum Ausdruck. „Der Begriff „hartzen“ setzt sich mit einem politischen und gesellschaftlichen Sachverhalt auseinander, der inzwischen auch in der Lebenswelt der Jugendlichen angekommen ist. Hier zeigt sich, wie sehr sich Jugendliche mit dem Thema Arbeitslosigkeit konfrontiert sehen beziehungsweise auseinandersetzen. Die sprachliche Kreation des Verbs „hartzen“ aus „Hartz IV“ impliziert durch die negative Grundbesetzung des ursprünglichen Ausdrucks per se Kritik“, so die Jury. [Pressemeldung]
Ja, das mag sein. Alternativ besteht natürlich auch die nicht von der Hand zu weisende Möglichkeit, dass die Jury hier ihre Vorurteile in weitgehend erfundene Wörter hineinphantasiert. Wie Lars Fischer zum Wort hartzen lakonisch anmerkt: „Bei uns hieß das was anderes“ (wobei ich vorsorglich darauf hinweise, dass ich nie inhaliert habe).
Beeindruckender als die Wörtersuche der Langenscheidts fand ich das, was Sprachblogger diese Woche für die Beobachtung und Entwicklung des deutschen Wortschatzes getan haben.
Klaus Jarchow deckt in seinem Stilstand die Bedeutung des Wortes Partnerangebot auf.
Wortistiker Detlef Gürtler erfindet für den Vorsitzenden des VDS das Wort Spruchpanscher. Ob das Wort ebenso erfolgreich wird wie seine Wortschöpfung Sprachnörgler, bleibt abzuwarten. Letzteres hat es in nur zwei Jahren zum geflügelten Wort auf sprachkritik-kritischen Blogs entwickelt und dank meines Gastbeitrags im Hamburger Abendblatt kürzlich den Sprung in die traditionellen Printmedien geschafft.
Die meisten Wörter findet (nicht erfindet!) natürlich wieder einmal mein Kollege Lothar Lemnitzer von der Wortwarte. Allein am letzten Samstag waren das: Analogbahn, Angstsammelstelle, Autoindividualisierung, Beatteppichknüpfer, Digitalflitzer, Digitalisierungskit, Eigenmarkenstrategie, Gedankenmiliz, Holperwoche, Kompetenzadel, Molekularmeister, Morphwolf, Radklaubranche, Rollomat, Sonstwiesexuelle, Transgendermensch, Überflugvideo, Warmluftpirat, und Zivilopferkauf.
Das Wort hartzen hat er übrigens in den zehn Jahren seit Gründung der Wortwarte nicht gefunden — die Jugendlichen haben es wohl nur offline verwendet. Es taucht in seiner Sammlung aber in einem Beleg zum Wort Nocharbeitsplatzbesitzende/r vom 22. November 2005 auf, interessanterweise in einer transitiven Verwendung:
Arbeitslose und erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger werden nachhaltig gequält, um allen Nocharbeitsplatzbesitzenden zu signalisieren: Nehmt die zunehmende Deregulierung des Arbeitsmarktes gefälligst klaglos hin, oder ihr verliert eure Jobs und werdet im nächsten Jahr selber gehartzt.
Bei soviel Wörtersuche will ich nicht zurückstehen und habe schnell eine eigene Aktion ins Leben gerufen: ab sofort suche ich hier im Bremer Sprachblog das Schönste Fremdwort des Jahres 2009. Bitte weitersagen!
Kleine Info am Rande: Wenn ein Tweet (das ist eine Twitter-Nachricht) mit ‘RT @name’ beginnt, dann handelt es sich um einen Retweet, das ist eine Art Zitat, wobei @name auf den Urheber des Inhalts verweist.
Demnach hat nicht Lars Fischer angemerkt, das “har(t)zen” bei ihm andere Assoziationen hervorruft, sondern er hat lediglich eine Anmerkung des Twitter-Nutzers “ebel” (Alexander Ebel, http://twitter.com/ebel) geretweetet, d.h. zitiert und republiziert, damit auch seine Gefolgschaft (seine Follower) etwas davon hat.
Da möchte ich doch gleich “twittern” nominieren. Endlich mal eine moderne Kommunikationsmethode, die sich nach allen Regeln von Grammatik und Syntax beugen und strecken lässt, zudem lautmalerisch so fluffig und bedeutungslos wie das Medium selbst. Wobei ich es konsequenter fände, den Twitter-Nutzer “Twitterer” zu nennen und statt vom Tweet vom “Twitt” zu reden, äh, zu twittern.
Adrian (#1), der Retweet geht bis zum senkrechten Strich. Der Teil danach, den ich zitiert habe, stammt von Lars Fischer. Ich bin zwar alt, aber nicht zu alt, um Twitter-Konventionen zu durchschauen. 😉
Sonst stets mit dem Blog übereinstimmend, muss ich allerdings anmerken, dass in meinem 25–27jährigen Freundeskreis durchaus verwendet wird. Zwar wissen wir auch nicht, wo es auf einmal herkommt ob es sich (wie beim Jugendwort üblich (laut diesem Blog zumindest)) Atze Schröder ausgedacht hat, allerdings wird dieses meiner Ansicht nach durchaus Verwendung finden. Fasst einfach (ohne die reininterpretierte gesellschaftliche Auseinandersetzung) alles schön zusammen.
Wenn bam die Interjektion aus dem Englischen sein soll, dann kann ich persönlich auch deren Gebrauch im Deutschen bestätigen.
@Anatol Stefanowitsch, das stimmt. Da hätte ich wohl mal genauer hinschauen sollen… Ich bin zwar auch nicht mehr gerade jung aber verbringe doch einige Zeit mit dem bedeutungslosen Medium Twitter. Allerdings ist die “Pipe” (der senkrechte Strich) zum abgrenzen von Zitat und Kommentar nicht unbedingt verbreitet. Häufiger wird der Kommentar vor den Retweet geschrieben oder eckige Klammern und Spiegelstriche werden zur Abgrenzung genutzt, wodurch der Kommentarteil sich m.E. visuell auch besser abgrenzt und nicht so leicht übersehen lässt wie es mir passiert ist.
@Detlef Guertler, Sie sind, wenn ich das richtig sehe, in ihrer Kritik der Twitter-Technologie auf Stufe 5c angelangt (vgl. diesen sehr schönen Beitrag im Merkur von Kathrin Passig: http://www.online-merkur.de/seiten/lp200912adz.htm , auf den ich übrigens über Twitter gestoßen bin).
Gerne wüsste ich allerdings, wie sich “eine Kommunikationsmethode … nach allen Regeln von Grammatik und Syntax beugen und strecken lässt”? Soll das eine Twitter-Kritik sein? Dann hätte viellecht besser gepasst: “…gegen alle Regeln von Grammatik und Syntax…”. Oder halten sie Grammatiktreue bei gleichzeitiger Kreativität (was ja eigentlich die Funktionsweise jeder Sprache ausmacht) für kritikwürdig? Oder ist das nur ein weiteres Beispiel für den taz-üblichen laxen und unverbindlichen Umgang mit der Sprache?
Mein Tipp, wenn Sie dem Wort “twittern” für sich Bedeutung verleihen wollen. Probieren Sie es doch einfach mal aus…
Sehr schön sagt sich auch: “Heute gab es ein heftiges Getwitter.”
Will sagen, dass der Gebrauch neuer Wörter (nicht nur mich) immer gern zum kreativen Kalauern einlädt.
Twitterwesen, Twitterpartie, Twitterwochen…
Wollte nur berichten: Vorhin haben sich meine Schüler über die Jugenworte unterhalten. Die kannten die nicht.