Was haben Karton, Ballon, Battaillon, Salon, Medaillon und Million gemeinsam? Ganz zu schweigen von Minestrone, Cannelloni und Tortelloni?
Mehrere Dinge … zunächst einmal sind es ganz klar Fremdwörter. Einige davon klingen eher französisch (z.B. Salon), andere eindeutig italienisch (z.B. Tortelloni) – die französische Gruppe stammt aber ursprünglich auch aus dem Italienischen, die Wörter sind also auf indirektem Wege zu uns gelangt. (Das sind Karton, Ballon, Battaillon, Salon, Medaillon).
Dann ähneln sie sich alle strukturell: Sie enden in ihrer geschriebenen Form alle auf -on, -one oder -oni. 1 Und das ist kein Zufall: Alle diese Endungen sind nämlich auf eine einzige zurückzuführen, das italienische -one.
Dieses -one ähnelt unseren deutschen -chen/-lein-Endungen: Es verändert die “Größe” des Substantivs, an die es tritt.
-chen und -lein sind Verkleinerungsendungen, auch “Diminutivsuffixe”2 genannt. Ein Büchlein ist z.B. ein kleines oder schmales Buch.
Nun gibt es auch Sprachen, die mit einer Endung vergrößern können – darunter das Italienische.
Hängt man -one an den Stamm eines italienischen Substantivs an, so sagt man damit, dass das neu entstandene Wort eigentlich dasselbe ist wie das ursprüngliche, nur größer, dicker oder sonst irgendwie “mehr”. Das nennt man dann “Augmentativsuffix”3.
So heißt das italienische mille ‘tausend’ – mit -one wird es zu milione ‘Million’. (Ursprünglich bedeutete milione übrigens nicht exakt ‘Million’, sondern einfach nur ‘sehr große Zahl’.)
Karton ist dickes Papier (it. carta), Ballon ist ein großer Ball, ein Battaillon ist eine Ansammlung von Kompanien (it. battaglia), ein Salon ist ein großer Saal, ein Medaillon eine große Medaille. Minestrone ist eine dicke Suppe (it. minestra), Canneloni sind dicke Röhrchen (it. canello) und Tortelloni große gefüllte Pasta (it. tortelli).
Nach diesem Prinzip kann man auch heute noch neue Wörter im Italienischen bilden: casa ‘Haus’ > casone ‘großes Haus’, anello ‘Ring’ > anellone ‘großer Ring’, …
Für alle, die’s interessiert, hier die genauen Wege für meine Beispielwörter:
- it. carta ‘Papier’ + -one > cartone ‘dickes Papier, Pappe, Karton’ > frz. carton > dt. Karton
- it. palla, balla ‘Kugel’ + -one > pallone ‘großer Ball’ > frz. ballon ‘Ball, kugelförmiges Gefäß, Luftfahrzeug’ > dt. Ballon
- it. battaglia ‘Schlachttruppe’ + -one > bataglione ‘mehrere Kompanien’ > frz. bataillon > Battaillon
- it. sala ‘Saal’ + -one > salone ‘großer Saal’> frz. salon ‘repräsentativer Saal, Wohnzimmer, Aufenthaltsraum’> dt. Salon
- it. medaglia ‘Medaille’ + -one > medaglione > frz. medaillon > dt. Medaillon
- it. minestra ‘Suppe’ > minestrone ‘dicke Suppe’ > dt. Minestrone
- it. canna ‘Rohr’ > cannello ‘Röhrchen’ > cannelloni ‘dickes Röhrchen, Canneloni’ > dt. Cannelloni (-oni statt -one, weil das die Mehrzahl ist)
- it. torta ‘Torte, Kuchen’ > tortelli ‘Küchlein, gefüllte Pasta’ > tortelloni ‘große gefüllte Pasta’ > dt. Tortelloni — das Gegenstück in klein sind natürlich die Tortellini
Fußnoten:
1 Gesprochen werden sie durchaus unterschiedlich, von -ong (Karton) über teilweise noch nasaliertes -o (Salon) hin zu -ohn (Million).
2 von lateinisch deminuere ‘verkleinern, verringern’
3 von lateinisch augmentare ‘vermehren, fördern’
Danke für die Erklärung, auch wenn mir(als eine, die gerade italienisch lernt) die Entstehung schon bekannt war, aber ich lese deine Texte immer wieder gerne und staune über deine angesammelten Kenntnisse.
Die Italiener sind großartig im Worte erfinden mit ‑one und ‑ino/a, ‑etto/a und was da so alles rumwuselt an Suffixen für Größen.
Eines meiner Lieblingsworte ist Telefonino für das, was wir Handy nennen 🙂
Auch Pomodorini für Cocktailtomaten ist schön… etc. etc. … 😀
Genauso interessant finde ich die Tatsache, dass die Italiener nicht schnell englische Worte übernehmen (oder Möchtegern-Wörter erfinden), sondern lieber ihre eigenen verwenden, es gibt ja da nicht einmal “Don.ald Duc.k”. (Abgesehen davon ist das Wort Handy blöde, wenn man die englische Sprache kennt und viel verwendet wie ich..)
Herzliche Grüße!!
Monika
hallo, bin gerade auf ihren blog gestoßen; als nicht studierter sprachliebhaber habe ich genau das gesucht, worüber sie schreiben. danke.