Anlässlich der Koalitionsverhandlungen wird ja dieser Tage wieder über die Frage diskutiert, ob die deutsche Sprache ins Grundgesetz aufgenommen werden soll. Dabei wird, wie immer, wenn dieses Thema auf der Tagesordnung steht, viel uninformiertes und unüberlegtes Zeug geredet. Besonders arg treibt es in dieser Hinsicht die Glosse eines gewissen Peter Bauer im Netzportal der WAZ.
Die Glosse fängt sehr merkwürdig an:
So weit sind wir jetzt also, dass die deutsche Sprache durch Aufnahme ins Grundgesetz geschützt werden soll — so wie Menschen, Meisen und Mücken.
Ich weiß ja, dass viele Journalisten Alliterationen lieben, aber Meisen und Mücken im Grundgesetz sind doch eine etwas verkrampfte Anspielung auf den Tierschutz (ich vermute, dass es um den gehen soll).
Vor allem aber fragt man sich, wie der Autor auf die Idee kommt, die deutsche Sprache solle durch die Aufnahme ins Grundgesetz geschützt werden. Sie soll in Artikel 3 als Staatssprache festgeschrieben werden (so der Vorschlag, der seit Jahren hervorgekramt wird, wenn es eigentlich Wichtigeres zu diskutieren gäbe). Dort steht bislang schon, dass unsere Hauptstadt Berlin und die Bundesflagge Schwarz-Rot-Gold sind — weder die Stadt noch die Flagge sollen dadurch geschützt, sondern lediglich festgelegt werden.
Der Autor ist aber überzeugt, dass es hier nur um Sprachschutz gehen kann:
Aber wie sonst sollen wir uns vor der Flut des Neudeutschen retten, die uns für das Mobilfunktelefon den Begriff „Handy” eintrichtert, obwohl das Wort in englischsprachigen Ländern eher Dildo meint. Oder nehmen wir Weltfirmen. die ihr Stromleitungsnetz „net” nennen, obwohl es „grid” lauten müsste. Nein, wir können dem künftigen Außenminister nur beipflichten, wenn er innerhalb der Republik nur mit deutscher Zunge (welch herrlich altmodischer Ausdruck) reden will.
Wir sollten eine Sammlung imaginärer englischer Bedeutungen für Lehnwörter anlegen, oder hat jemand schon einmal gehört, dass ein Dildo auf Englisch als „Handy“ bezeichnet wird? Und warum glaubt der Autor, dass die Festlegung einer Staatssprache ein Lehnwortverbot beinhalten oder Konzerne dazu verpflichten würde, Lehnwörter nur genauso zu verwenden, wie das in der Ursprungssprache der Fall ist? Handy bleibt mit oder ohne Grundgesetz ein deutsches Wort für das griechisch-lateinische Mobiltelefon.
Dann versucht der Autor, ein bisschen risqué und dabei auch noch lustig zu werden:
Denn wir hatten dieser Tage endgültig den Kaffee auf (was wir vorsichtshalber nicht mit „we had the coffee up” übersetzen wollen). Das war, als uns eine vermeintliche Dame des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zu später Stunde zur Teilnahme an einer „After Show Party” einlud. Völlig verschreckt zappten wir weiter — denn ganz ehrlich gesagt: Der Hintern der Dame intessierte uns überhaupt nicht.
Als Zehnjähriger Sechsjähriger Vierjähriger hätte ich über dieses Wortspiel vielleicht auch kurz gekichert (aber nur vielleicht). Etymologisch fällt der Scherz übrigens komplett in sich zusammen. Das deutsche Substantiv After („Ende des Mastdarms“) und die englische Präposition after („nach“) haben den selben Ursprung. Das altenglische aefter und das althochdeutsche aftar waren eng verwandte Präpositionen, die beide „nach, hinter“ bedeuteten. Im Englischen ist die Präposition bis heute erhalten geblieben, im Deutschen ist die Präposition verschwunden, nachdem das Substantiv daraus abgeleitet worden war.
Die althochdeutsche Präposition überlebt aber bis heute im über das Niederdeutsche in die Schifffahrtssprache eingegangene Wort achtern (den Lautwandel von [f] zu [x] (dem ‹ch›-Laut) und umgekehrt fand ich übrigens schon immer faszinierend, weil artikulatorisch nicht ganz nachvollziehbar, aftar > achtern ist ein schönes Beispiel, das mir bislang nicht aufgefallen war).
Mit dem after in After-Show-Party kommt also nur ein Wort in die deutsche Sprache zurück, das wir schon einmal besessen haben. Aber anstatt der englischen Sprachgemeinschaft dafür dankbar zu sein, dass die für uns so gut darauf aufgepasst hat, offenbart der Autor seine völlige Unkenntnis der rechtlichen Stellung des Deutschen in Deutschland:
Sollte es mit der Sprach-Flucht ins Grundgesetz klappen, müsste zumindest der Staat deutsch zu uns sprechen. Was aber auch Bedenken zeitigt, denken wir an „ordnungsbehördliche Verordnungen” wie: „Betreten des Dienstweges verboten.“
Das muss der Staat heute schon. Denn dass unsere Amtssprache Deutsch ist, regeln die Verwaltungsverfahrensgesetze. Und ich verstehe auch, dass der Autor sich hier irgendwie noch über Behördendeutsch lustig machen möchte, aber sein Beispiel ist mäßig überzeugend. Eine ordnungsbehördliche Verordnung ist eine Verordnung einer Ordnungsbehörde — wie sonst sollte man sie also nennen?
Frühere Artikel zum Thema „Deutsch im Grundgesetz“
Alle Sprachgewalt geht vom Volke aus
Deutsch ins Grundgesetz (Reloaded)
Wenn deutsch ins Grundgesetz kommt, was machen wir dann mit Baden-Württemberg?
http://twitter.com/coraxaroc/status/4843652058
MfG :—)
In der Tat nicht, da bekämen Aussagen wie He’s a handy man ja eine ganz neue Bedeutung. Aber schön, wenn die WAZ sich etwas zusammenfantasiert.
Interessant auch, dass sich der Autor im selben Satz über einen Anglizismus “After-Show-Party” lustig macht und dabei einen anderen “zappen” verwendet…
Sein Beispiel der “After-Show-Party” zeigt irgendwie auch, dass die Anglizistenjäger anscheinend auch keine in Sich geschlossene Gruppe sind (wenn ich gnädig bin — sonst würde ich sagen, sie sind inkonsequent). Einerseits mokieren sie sich permanent über Back-Shops, des “Back” im Sinne von “hinten” wegen. Jetzt haben wir mit “After-Show-Party” kein “Mischmasch” und fix, ist das auch nicht recht.
“mit deutscher Zunge” ein herrlich altmodischer Ausdruck? Da sieht man sehr schön, wie sich das Sprachgefühl unterscheidet, von mir aus auch wandelt. Ich halte das kontextabhängig für unsäglich ausgeblasenen.
Ups, mag an der Uhrzeit liegen, der Ausdruck ist natürlich aufgeblasen. (Und dass man “sich” nicht “Sich” schreibt, sollte auch mir klar sein…). Deshalb verordne ich mir noch ne Tasse Kaffee!
Eine Tastatur macht noch keinen Theo Sommer.
Ist Schiff-farts-sprache ein neues denglisches Wort? (Um im Humorverständnis des WAZ-Autors zu bleiben.)
[AS: Ist korrigiert, danke.]
Mich würde wirklich interessieren, wie der Autor auf die absurde Idee kommt, ein Dildo hieße im Englischen “handy”. Das höre bzw. lese ich hier zum ersten Mal.
Des weiteren wüsste ich gerne, woher der Begriff “Dildo” eigentlich kommt.
@Nina:
zuerst einmal gibt es offensichtlich keine gesicherte Herkunft des Wortes, siehe http://en.wikipedia.org/wiki/Dildo#Etymology
Auch ich finde die Übersetzung von “handy” — “dildo” interessant. Immerhin, es gibt tatsächlich einen Dildo, der “Handy” heißt: http://www.milando.net/preisvergleich/black-dildo-handy–232886.htm
Vielleicht war der Urheber dieser Übersetzung auf dieser Seite unterwegs.
Außerdem gibt es natürlich bereits seit Jahren eine ganze Reihe von Witzeleien und Geschichten (die Freunden und Freundinnen von Freunden passiert sind), die Verbindungen von Handys mit Vibrationsalarm zu Vibratoren herstellen. Auch das halte ich angesichts des Niveaus und der Verschraubtheit der Witzchen und Wortspiele dieser WAZ-Glosse für eine denkbare Erklärung.
Das eigentlich Lächerliche an der Debatte um die Grundgesetzänderung ist tatsächlich die Vorstellung, eine verfassungsmäßige Festlegung würde etwas am Sprachgebrauch der Deutschen Bahn, der Werbetexter, der Jugendlichen, der Wichtigtuer und Kulturbanausen (die ja bekanntlich seit vielen Jahren gemeinsam am Untergang der deutschen Sprache arbeiten) ändern. Aber der Autor dieser Glosse ist ja nicht allein. In der Online-Ausgabe der Bild-Zeitung wird Michael Glos zitiert: “Bundeswirtschaftsminister Michael Glos von der CSU (Deutschnoten „gut“ und „sehr gut“) zu BamS: „Die ständige Verhunzung der deutschen Sprache – übrigens auch in vielen Papieren hier im Wirtschaftsministerium – durch Anglizismen wie ‚upgegraded‘, Abkürzungen und Wortschöpfungen wie ‚gender mainstreaming‘ ärgert mich. Wenn Goethe und Schiller hören könnten, wie heute gesprochen und geschrieben wird, würden sie sich im Grabe umdrehen.“ (http://www.bild.de/BILD/news/politik/2008/12/07/deutsche-sprache/verankerung-im-grundgesetz.html) Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich sogar die Bild-Zeitung über Herrn Glos lustig macht (Deutschnoten “gut” und “sehr gut”!!).
Aber wenn man schon kein Gespür dafür hat, was lächerlich ist und was nicht, warum guckt man dann nicht einfach mal ganz humorlos auf die Fakten? Man könnte z.B. die sprachlichen Zustände in Ländern, in denen das Deutsche in der Verfassung verankert ist, angucken (Österreich und die Schweiz beispielsweise) und feststellen, dass auch dort Anglizismen verwendet werden. Oder man könnte überlegen, welche Dinge bereits im Grundgesetz festgeschrieben sind und wie sehr diese der Realität des Alltags entsprechen.
Trotzdem, eine Umfrage der Bild hat ergeben, dass 73 Prozent der Deutschen dafür sind, der deutschen Sprache Verfassungsrang zu geben. Und zu denen muss man noch die im Grab rotierenden Herren Goethe und Schiller dazunehmen.
ich freue mich jetzt schon darauf, wenn Deutsch2.0 endlich ins Grundgesetz kommt und der Reclam-Verlag und überhaupt alle Verlage auch unsere Klassiker (Goethe und Schiller wurden soeben genannnt) in GG-konformer Fassung erscheinen. Müssen.
Das schafft Arbeitsplätze.
Mein Job-Ticket wird dann endlich Weg-zur-Arbeit-Dauerfahrkarte heißen.
Mein Espresso (Latinismen sind doch ähnlich schändlich wie Angliszismen, oder?) wird endlich
Schnelldruck-Kaffee genannt werden müssen.
Die Autoversicherer werden endlich eine zentralen Heißleitung einrichten.
Und mein WLAN-Adapter wird kurz und bündig Drahtlos-Nahbereichsnetzwerk-Anpasser genannt werden wollen.
Und Angliszismen, jawoll (bitte mit teutscher Zunge zu betonen!), werden dann Englisch-Welt-Begriffe heißen.
Ich hoffe nur, dass die Zusammengehverhandlungen bald beendet sind, ohne dass unsere Verfassung größeren Schaden nimmt.
Schön, dass es diesen Netzwerk-Holzklotz (bevor jetzt alle suchmaschinsuchen: Blog) gibt!
Goethe und Schiller rotieren sicher schon alleine deshalb in ihren Gräbern, weil sie ständig von Sprachpuristen für ihre Zwecke missbraucht werden. Ich bin auch dafür, endlich zum Deutschen des frühen 19. Jahrhunderts zurückkehren.
* zurückzukehren. Da geht’s schon los mit dem Sprachverfall.
@Ulf Runge: “suchmaschinsuchen”, da steckt aber noch der pseudoweltmännische Gallizismus “machine” drin. “suchvorrichtungsuchen” wäre da besser, oder warum die Suchmaschine nicht einfach “Sucher” nennen, dann bekommen wir “suchersuchen”.
@Frank Oswalt: Suchersuchen, das ist klasse. Doch wenn ich’s recht bedenken, müsste es eigentlich heißen Finderfinden.
Bei dem Weg (!): Das Zeichen, mit dem ich meine Anmerkung eingeleitet habe, ist natürlich das Bei-Zeichen!
🙂 (Und das ist ein Lächlein)
Artikulatorisch nicht, aber akustisch. Unterscheidet sich in Wirklichkeit nicht von dem von [r] zu [ʀ].
Von [x] zu [f] geht übrigens auch. Das ist im Englischen (laugh, dwarf) und im Rumänischen stellenweise passiert.
<Krampf>
HUAAAAAAAAAAARRRRRRRRRRRRGGGG!!!
The goggles! They do nothing!
David Marjanović (#15),
Ja, das stimmt, aber daraus eine Motivation für den Lautwandel abzuleiten, ist nicht ganz einfach, vor allem da sich [f] und [x] auch auditorisch ja nicht ähneln. Es ist tatsächlich nur die Formantenstruktur, die eine gewisse Ähnlichkeit aufweist, aber über welchen Mechanismus sollte die auf den Lautwandel einwirken? Ich habe vor vielen Jahren mal angefangen, eine Arbeit über dieses Thema zu schreiben und dabei auch die Literatur gesichtet, in der auch nichts Kluges dazu stand. Falls jemand neuere Literatur dazu kennt oder weitere Sprachen kennt, in denen ein Wandel von [f] zu [x] oder umgekehrt stattgefunden hat, wäre ich für entsprechende Hinweise dankbar.
Wie wäre denn auditorische Ähnlichkeit im Gegensatz zu akustischer aufzufassen?
Mir fällt nur das banale “ein Kind verhört sich”, nachdem die Sprecher irgendwie angefangen haben, [f] und [x] vor Konsonanten sehr ähnlich zu artikulieren, ein.
Wenn’s um Beispiele geht, müsste man doch in Kümmels “Konsonantenwandel” fündig werden.
Herr Stefanowitsch, Sie sind unfair — immerhin bezeichnet der Autor die schlimmen Anglizismen als “Neudeutsch”. Es ist doch schon mal ein Fortschritt, wenn Wörter wie Handy als Deutsche klassifiziert werden, statt als Englisch oder Denglisch. 🙂
Ich bemerke gerade, ich habe mich oben unverständlich ausgedrückt: Ich meinte “… vor Konsonanten ähnlich klingend zu artikulieren.”
1) Doch, tun sie, wenn man den Mund ein bisschen zu weit aufmacht. Ich empfehle auch, den bidentalen Frikativ zu probieren (obwohl der nur in einer Sprache weltweit dokumentiert ist); der ist meinem Eindruck nach auditorisch ungefähr in der Mitte.
2) Wenn man nur einen dieser Laute in seiner Sprache hat, besteht keine Verwechslungsgefahr. Wenn man beide hat, aber einer selten ist (und [x] ist im Niederdeutschen und Mittelenglischen/Schottischen deutlich seltener als [f]), besteht in der Praxis auch keine. (Im Niederländischen, das diese Lautverschiebung in – mir scheint – vielen Wörtern aufweist, ist es jetzt vielleicht nicht mehr so.)
Bei seltenen Wörtern kann das natürlich passieren.
Hier sind Beispiele von [f] zu [x] und zurück. Allerdings sind da auch welche von [xʷ] zu [f] dabei; da könnte man sagen, die zählen nicht, weil sie sich artikulatorisch stärker ähneln.
Das würde jedenfalls [fʊxt͡sg] als anscheinenden Einzelfall in bairischen Dialekten erklären; obwohl das nun nicht unbedingt soo selten ist.
Aber im Grunde muss doch auch der völlige Zusammenfall auf ein sozusagen fundamentaleres Verhören zurückzuführen sein: Während das Kind seine Phonologie festlegt, befindet es /f/ und /x/, die sich vorher schon in der Sprachgemeinschaft phonetisch angenähert haben, für nicht distinktiv und denkt sich zum Beispiel bei einem gehörten [f], dass das nur ein etwas komisch klingendes [x] ist.
Wäre interessant, zu sehen, der Kontrast zwischen [x] und [f] zu denen gehört, die Kinder scheinbar angeboren perfekt beherrschen, oder zu denen, die zuerst schlecht sind und erst durch Input trainiert werden müssen, und ganz generell, ob irgendeine Korrelation zwischen sowas und der Wahrscheinlichkeit eines Übergangs zwischen den Phonemen besteht.
Anders kann ich mir aber jedenfalls diesen — aber auch überhaupt jeden — Phonemzusammenfall nicht vorstellen.
Aber vielleicht haben Leute, die sich mit sowas befassen, einen Weg erdacht, der jetzt meiner Intuition grad nicht zugänglich war.
Beim Niederländischen muss man zusätzlich bedenken, dass in einem nicht unbedeteunden Teil des Sprachgebiets gar kein [x] vorkommt, sondern stattdessen [ç] realisiert wird.
David Marjanović (#21),
danke für den Link zu Culvers Blog! In meiner abgebrochenen Arbeit hatte ich als einzig sinnmachende artikulatorische Motivation die Zwischenschritte [xʷ] und [ɸ] postuliert, also [x] > [xʷ] > [ɸ] > [f] (analog auch für [ç] zu [f]). Der umgekehrte Weg ist zumindest für [x] irgendwie weniger plausibel, aber sicher nicht unmöglich. Die kantonesischen Beispiele sind hier sehr interessant. Meiner Meinung nach muss unbedingt eine artikulatorische Motivation her, die Theorie des „Verhörens“ leuchtet mir nicht ein, vor allem, da es bei den betroffenen Wörtern häufig um häufige Wörter geht (z.B. engl. laugh, cough, enough, draught, etc.). Und wie gesagt, [x] und [f] klingen nicht wirklich ähnlich. Interessant ist der Kommentar meines ehemaligen Kommilitonen Sérgio Meira auf Culvers Blog zur Rolle der oberen Frequenzbereiche, aber ob und wie man sie in eine plausible Theorie des vorliegenden Konsonantenwandels einbauen soll, ist mir im Moment noch nicht klar, denn Sprachwandel findet ja nicht hauptsächlich am Telefon statt.
Bundeshauptstadt und Bundesflagge sind in Art. 22 GG festgelegt, nicht in Art. 3 GG (das ist der Gleichheitsgrundsatz). Dass die Sprachschuetzer “Deutsch als Amtssprache” in Art. 22 GG verankern wollen, ist im Uebrigen schon ein Anzeichen fuer die Albernheit dieser Dauerdebatte — man kann sich naemlich durchaus fragen, warum Hauptstadt und Flagge nicht einfachgesetzlich geregelt werden koennen. Anders gesagt: Art. 22 GG ist der verfassungsrechtliche Spielplatz fuer diejenigen, die meinen, dass der Schutz des “Deutschtums” durch neue Vorschriften im Grundgesetz befoerdert wuerde.
Ansonsten: spot on!
Auch mit ist übertriebenes Denglisch ein Dorn im Auge. Aber ob Telekom und Bahn dann wegen ihres Sprachgebrauches vors Verfassungsgericht gezerrt werden sollen? Da hat unser Land doch wirklich drängendere Probleme.
Es muss einfach ein Bewußtsein für den verantwortungsvollen Umgang mit der deutschen Sprache geschaffen werden. Aber für viele ist es offenbar nicht leicht, die Balance auf dem schmalen Grat zwischen sinnvollem Fremdwortgebrauch und manieristischem Newspeak zu finden.
@ Oliver:
“Es muss einfach ein Bewußtsein für den verantwortungsvollen Umgang mit der deutschen Sprache geschaffen werden.” — das glaube ich nicht. Wer sollte denn festlegen, was “verantwortungsvoll” ist? Das wäre doch total subjektiv. Ihrem Kommentar nach zu urteilen, gehört dazu dann nicht, Freude am Ausdruck in und an der deutschen Sprache an sich zu haben, wenn das nicht grammatikalisch korrekt und ohne die viel zitierten “unnötigen Anglizismen” passiert. Faxen! 😉 Jeder hat das Recht, sich auszudrücken wie er will; ob er dann verstanden wird, ist eine andere Frage. Und was verantwortungsvoll ist und was nicht, kann jeder nur für sich selbst festlegen. Davon abgesehen, dass dieses Wort auch so dramatisch klingt, und — ja, als ob die deutsche Sprache untergehen würde, wenn sich jemand ihrer unverantwortungsvoll bedient… wir wissen doch alle, dass das nie passieren wird.
Auf diesen Fall (und den identischen von “15”), bemerke ich erst jetzt, trifft vielleicht die [xʷ]-Idee zu (mein ach- und mein uch-Laut sind nicht genau identisch, allerdings beide trotzdem weit von [xʷ] entfernt). Und laugh, cough, enough, draught schreibt man alle mit u; wie gut ist die mittelenglische Aussprache bekannt?
Aber dwarf…
Ich bin kein Experte, aber mir hat man damals im Sprachwandelseminar erzählt, dass man laugh im Mittelenglischen /laʊx/ ausgesprochen habe.
> Das würde jedenfalls [fʊxt͡sg] als anscheinenden Einzelfall in bairischen Dialekten
> erklären; obwohl das nun nicht unbedingt soo selten ist.
Das halte ich eher für eine Analogiebildung zu “sechzig”/“sechzehn”. Ähnliches ist WIMRE wohl auch in anderen indoeuropäischen Sprachen passiert.
Diese Art von praktisch unmotivierter Analogie war mir schon immer ein wenig suspekt. Was heißt “WIMRE”? Ist das etwas, das kodiert, wo man konkrete Beispiele herkriegen könnte? 😉
Wenn Ich Mich Recht Erinnere. Auf die schnelle hab ich diesen Post auf der Linguist LIST gefunden:
http://linguistlist.org/issues/5/5–931.html#2
Als Beispiele werden dort engl. four/five statt regulär *whour sowie russ. dev’at’ “neun” wie des’at’ “zehn” angeführt.
Sicherlich kann man Analogie als Pseudo-Erklärung missbrauchen, aber die Frage ist halt, was es in diesen Fällen sonst sein sollte. Ein Lautwandel, der nur jeweils ein Wort betrifft, kommt wohl nicht in Frage.
Dankeschön!:)
Ich muss zugeben, der Überzeugungskraft des russischen Beispiels kann ich mich nicht entziehen.
<facepalm>
Aber natürlich. Analogiebildungen zwischen Zahlwörtern sind extrem häufig (und das nicht nur in indoeuropäischen Sprachen).
Noch besser: shaft “Schacht”. (“Schaft” heißt auch shaft, aber das ist was Anderes.)
Weitere Verfechter des Deutschen auch unter Volksmusikanten vorhanden: http://www.youtube.com/watch?v=AiNeEfkbZsU&feature=related
“als einzig sinnmachende artikulatorische Motivation die Zwischenschritte [xʷ] und [ɸ] postuliert, also [x] > [xʷ] > [ɸ] > [f] (analog auch für [ç] zu [f]). Der umgekehrte Weg ist zumindest für [x] irgendwie weniger plausibel, aber sicher nicht unmöglich.”
Das verstehe ich nicht ganz. Muß bei einem Sprachwandel denn unbedingt der Artikulationsort stabil bleiben? Wechsel des Artikualtionsortes bei stabiler Artikulationsart gibt es doch auch sonst. Ein Übergang der die Orte einander annähert scheint mir gar nicht nötig. Mir fällt jetzt spontan der Übergang von indoeuropäisch [dh-] zu lat. [f-] (z.B. felix ggüber gr. θηλύς; wohl über [bh], das sich im Lat. genauso entwickelt, vgl. ferre : got. bairan und gr. phero) oder die Realisierung von engl. stl. “th” bei Sprechern von Sprachen ohne dentalen Frikativ als [f] ein. Im Spanischen ist übrigens lat. f im Anlaut geschwunden, und die Schreibung “h” (hacer
Ich bitte um Entschuldigung, da ist etwas unter den Tisch gefallen:
und die Schreibung “h” (hacer aus facere) läßt doch wohl auf einen tektalen Frikativ als Übergang schließen (? Ich kenne mich in der Lautgeschichte des Spanischen nicht so aus). Es ist allerdings sehr auffällig, daß dieser Umsprung des Artikulationsortes, wenn ich die Diskussion richtig überblicke, nur Affrikaten und Frikative betrifft.
Herzliche Grüße
B.M.
Die folgende Lautverschiebung, leicht vereinfacht, wird für die italischen Sprachen angenommen: [bʱ dʱ gʱ] → [pʰ tʰ kʰ] → [ɸ θ x] → [f f f]. Aus der vorletzten Stufe haben die latinofaliskischen Sprachen (im Unterschied zu den oskisch-umbrischen) zwischen Vokalen [β ð ɣ] gemacht, die sich dann zu [b d g] weiterentwickelt haben.
Danke für die Präzisierung; die Reihe gilt aber nicht für den Anlaut (deshalb schrieb ich [dh-]), wo sich die idg. Aspiraten bis zum Lateinischen anders entwickeln. Z.B. entsprechen nhd. Garten und gr. khortos lat. hortus (ebenso ‑hendere und ‑ginnen; (h)anser und Gans/gr. khên) ; also ist doch idg. [gh-] zu rekonstruieren, oder nicht? Die letzte Klammer müßte also [f f h] (nicht [b d g]) heißen. [f-] ergeben allerdings auch die aspirierten Labiovelare wie in fundere/gießen und ‑fendere/gr. theino.