Die Badische Zeitung beschäftigt sich mit dem „Neuen Wörterbuch der Szenesprachen“ des Dudenverlags, das gerade in seiner zweiten Auflage erschienen ist. Unter der Überschrift „Neuer Duden für Jugendsprache“ folgt zunächst ein für solche Artikel ja obligatorische Absatz in angeblicher Jugendsprache:
Sind Sie ein Fruppie? Vielleicht, weil Sie so gepsycht sind, dass Sie es nicht einmal mehr ins Münzmallorca schaffen? Oder weil sie, sagen wir mal, höchstens drölf Mal Casual Sex hatten, gerne ein Bobo wären, aber doch stets ein Knowbie blieben? Machen Sie sich nichts draus, sondern lieber einen Druffi aus sich. Ein paar andere MoFs werden dann schon auf Sie abflashen.
Wer das nicht versteht, so der Artikel weiter, der hat zu selten mit jungen Menschen zu tun:
Vor allem aber ziehen Sie offenbar nicht mit Jugendlichen um die Häuser. Die reden nämlich heute so, meint zumindest der Duden-Verlag. Und hat jetzt ein „Neues Wörterbuch der Szenesprachen“ herausgebracht.
Die Badische Zeitung tut dann das, was man sich in Artikeln über Wörterbücher der Jugendsprache meist vergeblich wünscht. Sie lässt einen Experten zu Worte kommen — den Hannoveraner Sprachwissenschaftler und Jugendspracheexperten Peter Schlobinski. Und der hat erhebliche Zweifel an der Authentizität der Wörter:
Ob indes wirklich irgendjemand so spricht, ist zu bezweifeln. „Fruppie oder Drölf sind Wortkreuzungen“, erklärt Peter Schlobinski, Germanistikprofessor an der Universität Hannover. „Aber solche Wörter sind in der Jugendsprache absolut bedeutungslos. Da wird eine Fiktion von Jugendsprache aufgebaut, die mit der Realität nichts zu tun hat.“ … Dass Jugendliche einander beispielsweise zuriefen, sie gingen nun ins Münzmallorca, hält Schlobinski ebenfalls für Quatsch. „Bei solchen Wörterbüchern ist der Anteil der Begriffe, die Jugendliche nicht einmal kennen, geschweige denn aktiv gebrauchen, sehr hoch ist.“ Das gelte auch für die Lexika anderer Verlage.
Wir haben hier im Sprachblog ja ähnliche Zweifel bezüglich des Konkrurrenzprodukts „Hä? Jugendssprache Unplugged“ aus dem Hause Langenscheidt diskutiert, ich stimme Schlobinski deshalb natürlich grundsätzlich zu. Allerdings unterscheidet das Duden-Projekt sich in einigen entscheidenden Punkten von den unsäglichen Jugendsprachewörterbüchern, mit denen uns andere Verlage belästigen. Ich habe ein Rezensionsexemplar bestellt und werde das Wörterbuch demnächst noch einmal ausführlicher besprechen, aber zwei Punkte möchte ich hier schon einmal erwähnen.
Der wichtigste Punkt ist der, dass das Duden-Wörterbuch sich eben nicht vorrangig als Wörterbuch der „Jugendsprache“ präsentiert, sondern, wie der Titel deutlich macht, als Wörterbuch der „Szenesprachen“. In der Presseerklärung des Verlags wird das Wort zwar verwendet, aber eher abgrenzend:
Der neue „Szenesprachen-Duden” enthält nicht nur Jugendsprache, sondern stellt in sechs alphabetisch geordneten Kapiteln Wortschöpfungen aus verschiedenen Szenen, Communitys und Lebenswelten dar. Dazu zählen Wörter und Begriffe aus den Bereichen Computertechnologie und Netzwerkkultur (z. B. pwnen, verbuggt, adden), Lifestyle (z. B. Bionadebourgeoisie, Modeopfer), Partykultur (z. B. abflaschen, aufbitchen, dönieren), Schule, Uni und Job (z. B. Crackberry, egogoogeln, Futternarkose) sowie Medien und Popkultur (z. B. epic, LOLcat, Twitteratur).
Natürlich handelt es sich bei diesen Begriffen, ebenso wie bei den in der Badischen Zeitung zitierten, nicht um „Jugendsprache“, aber es ist ein angenehm hoher Anteil an Wörtern dabei, die einem tatsächlich in freier Wildbahn begegnen.
Das dürfte etwas mit dem zweiten Unterschied des Duden-Projekts zu den Konkurrenzprodukten zu tun haben: Die Begriffe werden über ein relativ gut gepflegtes Wiki gesammelt, in dem die Nutzer dazu angeregt werden, Belege für die vorgeschlagenen Wörter zu bringen. Die sind zwar häufig etwas künstlich konstruiert, aber viele Einträge enthalten auch Weblinks oder Google-Suchen, die zu authentischen Verwendungsbeispielen führen.
Ich bin sicher, dass es am „Wörterbuch der Szenesprachen“ einiges auszusetzen geben wird, aber zumindest diese beiden Punkte stimmen mich vorsichtig hoffnungsvoll.
Frühere Sprachblogbeiträge zum Thema „Jugendsprache“
Sprachliche Erziehungsprobleme
Man kann die Wörter, die man exemplarisch nutzt, ja auch wenigstens mal nachschlagen. “Oder weil sie (…) doch stets ein Knowbie blieben?” Ein “Knowbie” — man hätte auch drauf kommen können — ist schließlich kein “Newbie”.
“knowbie” findet bei google immerhin 16200 Treffer. Zum Vergleich: Das Wort “noob” bringt’s auf 14.500.000, und selbst der “n00b” bringt’s noch auf 4.580.000. Wird man richtig seltsam, und sucht nach dem “b00n” — “n00b” rückwärtsgelesen und nicht mit einem Englischen Wort für Segen zu verwechseln — so findet man immer noch 41100 Treffer, mehr als doppelt so viel wie der “knowbie”.
Nachdenklich stimmt mich auch, wer beim “knowbie” ziemlich weit oben ist: Ein Bericht über das “Wörterbuch der Szenesprachen” auf Platz 3.
Nunja, ich sehe die Gefahr, dass Leser den Eindruck erhalten manche Begriffe werden tatsächlich öfter verwendet als dem der Fall ist.
Noch ein kleiner Nachtrag, das ganze scheint eher ein Buzzword aus Unternehmenskreisen zu sein, zumindest im Deutschen.
“knowbie ‑duden ‑szenesprache” (um Bezüge auf dieses Wörterbuch wieder herauszufiltern) bringt in Deutschland gerade einmal 167 Treffer (vergleiche “b00n”: 12200), davon durchaus ein wesentlicher Teil aus dem unternehmerischen Bereich: Ein Unternehmensberater, eine Börsenseite, die Financial Times Deutschland…
@TMP: Mir war das Wort auch neu. Da “newbie” allerdings ebenso geläufig ist wie das Wissen um den implizierten Erfahrungsunterschied zwischen “New” und “Know” hätte die Baadische eben auch drüber stolpern können.
FAZ Online hat das “Wörterbuch der Szenesprachen” vor kurzem auch vorgestellt. Dazu gab es eine Fotostrecke mit leider sehr schlecht gewählten Beispielen, nämlich typischen “Wörterbuch-Wörtern” einerseits (“Münzmallorca”) und andererseits Elementen, die lediglich in der US-amerikanischen Umgangssprache völlig geläufig sind (“chick magnet”, “page turner”).
Die Fotostrecke aus der FAZ habe ich mir eben angeschaut.
Leider kenne ich als jemand, der viel mit Jugendlichen zu tun hat ( Instrumentalpädagogin und Mutter von 3 Kindern ) keines der präsentierten Wörter…bis auf des Wort “Rentner-Bravo” (Apothekenrundschau).
Das verwendet mein Vater (83) gelegentlich.
Entweder gehört das Wort “Rentner-Bravo” also zum Jargon der Rentnerszene oder mein Vater hat es in einer Kolumne uber Jugendsprache aufgeschnappt.
Keines der Wörter? Also ich zähle mich mit 26 nicht mehr unbedingt zur Jugend, aber wie schon erwähnt handelt es sich nich um ein Jugendwörterbuch, sondern um ein Szenewörterbuch.
Aus der FAZ-Fotostrecke kenne ich zumindest Konterbier, Chick-Magnet, Druffies und drölf. Im Vergleich mit den sonstigen Wörterbüchern halte ich das für eine durchaus nennenswerte Quote 😀
Übrigens: “Bionadebourgeoisie” finde ich ehrlich gesagt ziemlich lustig und durchaus treffend. Zumindest konnte ich mir direkt was drunter vorstellen ;>
@marco
ja, tatsächlich keines der Wörter..obwohl meine Schüler sehr frei von der Leber weg mit mir sprechen und ich öfter als mir lieb ist*, ihre Wörter unbewusst in meinen Sprachgebrauch übernehme…*nicht weil ich was gegen die Wörter hätte, sondern weil es mir manchmal peinlich erscheint, in meinem Alter Jugendszenesprache zu verwenden.
“Bionadebourgeoisie” finde ich auch köstlich und ich habe auch angefangen, das Wort zu kolportieren.