Die Ich-hänge-Substantive-an-Wortgruppen-Technik: Phrasenkomposita

Von Kristin Kopf

Ich bere­ite ger­ade ein Refer­at vor. Es kön­nte das let­zte meines Studi­ums sein. Ist das nicht gruselig?

Das Refer­at ist für ein Exa­m­en­skol­lo­qui­um in der deskrip­tiv­en Sprach­wis­senschaft, und es geht um Kom­po­si­tion. Das ist, ganz ein­fach gesagt, wenn man zwei (oder mehr) Wörter zu einem neuen zusam­men­fügt. Wie zum Beispiel Sprache+Blog=Sprach­blog:

Sprachblog

Eine ganz skur­rile Unter­art der Kom­posi­ta sind die soge­nan­nten “Phrasenkom­posi­ta”. Das sind Zusam­menset­zun­gen, bei denen das Erst­glied nicht etwa ein Sub­stan­tiv oder ein Adjek­tiv ist, son­dern eine ganze Wort­gruppe (“Phrase”). Ein paar Beispiele:

  • Schönes-Woch­enende-Tick­et
  • Trimm-dich-Pfad
  • Ste­haufmän­nchen
  • Dritte-Welt-Laden
  • 40-Stun­den-Woche

Die meis­ten Phrasenkom­posi­ta wer­den aber spon­tan gebildet und schaf­fen es nie in ein Wörter­buch – “Er ist ein Ich-will-zu-mein­er-Mami-Heuler” zum Beispiel, oder “Sie ist eine Ich-esse-nur-manch­mal-Steak-Veg­e­tari­erin”.

Bei solchen Bil­dun­gen ist also immer die Phrase eine Ein­heit, und dann wird sie mit einem Sub­stan­tiv kom­biniert: [Schönes-Woch­enende]-Tick­et.

Phrasenkompositum

Wie genau das funk­tion­iert, also was unser Gehirn tut, wenn es Phrasenkom­posi­ta bildet, wird unter Sprach­wis­senschaft­lerIn­nen erbit­tert disku­tiert. Das liegt daran, dass man kaum etwas darüber weiß, was das Gehirn so tut – die Neu­rolin­guis­tik ste­ht bei vie­len Sachen noch sehr am Anfang. Vorstel­lun­gen darüber, was das Gehirn macht, gibt es aber zuhauf.

Was an Phrasenkom­posi­ta jet­zt so span­nend ist, ist die Tat­sache, dass sie zwei Bere­iche betr­e­f­fen: die Mor­pholo­gie (also die Wor­tebene) und die Syn­tax (also die Satzebene). Die Phrase ist nach syn­tak­tis­chen Kri­te­rien struk­turi­ert, passt sich aber in ein Wort­bil­dungsmuster ein – also in Morphologie.

Mentales LexikonDie Mor­pholo­gie schöpft nor­maler­weise aus Wörtern und Wortele­menten, die wir ken­nen – in der Lin­guis­tik spricht man vom “men­tal­en Lexikon”. Das stellt man sich als eine riesige Art von Wörter­buch im Kopf vor. Jedes Mor­phem (so nen­nt man die Wörter und Wortele­mente) hat einen eige­nen Ein­trag in diesem Lexikon, und wenn man ein neues Wort braucht, nimmt man sich ein­fach die gängi­gen Regeln und baut es sich zusam­men. Natür­lich in den aller­meis­ten Fällen vol­lkom­men unbewusst.

Kom­posi­ta sind nun zunächst ein­mal zwei Wörter aus dem men­tal­en Lexikon, die man nach Kom­po­si­tion­sregeln miteinan­der kom­biniert. Wenn ich zum Beispiel so etwas sage wie “Gib mir mal das Inter­net­teil da!”, dann habe ich Inter­net­teil regelkon­form zusam­menge­baut um in der konkreten Sit­u­a­tion etwas zu beze­ich­nen – vielle­icht meine ich z.B. ein Buch, das ich im Inter­net bestellt habe, oder ein LAN-Kabel, oder etwas, das ich aus dem Inter­net aus­ge­druckt habe … irgen­dein Ding eben, das etwas mit dem Inter­net zu tun hat. Was genau, wird in der speziellen Sit­u­a­tion schnell klar sein.

Die meis­ten Kom­posi­ta, die wir so ver­wen­den, sind aber keine Neu­bil­dun­gen, son­dern welche, die schon vor langer Zeit mal jemand zusam­menge­baut hat. Wir benutzen ein­fach das fer­tige Pro­dukt und haben es auch so kom­plett in unserem men­tal­en Lexikon abge­spe­ichert. (Da gibt’s Debat­ten, wo die Gren­ze ist, aber darauf lasse ich mich jet­zt nicht ein.) Haus­frau zum Beispiel ist nicht die Besitzerin eines Haus­es (wie Haush­err), son­dern eine Frau, die den Fam­i­lien­haushalt führt. Diese spezielle Bedeu­tung lässt sich nicht aus den Bestandteilen erschließen, sie muss irgend­wo abge­spe­ichert sein. In ihrem Lexikonein­trag nämlich.

So, und jet­zt kom­men die Phrasen ins Spiel. Ste­hen die auch im Lexikon? Hat Schönes Woch­enende einen Ein­trag? Die ver­schiede­nen Erk­lärungsmod­elle konkur­ri­eren da wild miteinan­der – ein paar will ich ganz grob skizzieren:

  • Der syn­tak­tis­che Ansatz: Das men­tale Lexikon enthält gar keine Wort­bil­dungsregeln, die Regeln fol­gen im Wesentlichen den syn­tak­tis­chen Regeln (also denen zur Bil­dung von Sätzen). Im Lexikon sind nur Mor­pheme abge­spe­ichert, keine kom­plex­eren Bildungen.
  • Die Kon­ver­sion­s­analyse: Was wie Phrasen aussieht, sind gar keine – das sind Nomen. Sie wer­den durch Kon­ver­sion nom­i­nal­isiert, und dann erst, als neues Nomen, mit einem Zweit­glied kom­biniert. (Kon­ver­sion bedeutet, dass die Wor­tart gewech­selt wird, ohne bes­timmte Nach­sil­ben anzufü­gen. Z.B. das Leben aus dem Verb leben.) Da man dabei davon aus­ge­ht, dass das Erst­glied ein Nomen ist, müsste es z.B. ein Nomen wie Trimm-dich geben, das aber in Wirk­lichkeit gar nicht alleine ste­hen kann.
  • Die Zitat­analyse: Die Phrasen sind Zitate und gar keine richti­gen Wortbe­standteile. Die syn­tak­tis­che Struk­tur der Phrasen ist also für Phrasenkom­posi­ta völ­lig egal, sie ent­stand qua­si bei der Entste­hung der Aus­sage – jet­zt wird sie nur noch zitiert. Das erscheint beson­ders logisch für Phrasenkom­posi­ta mit kom­plet­ten Sätzen wie Ich-will-zu-mein­er-Mami-Heuler, wo man der entsprechen­den Per­son wirk­lich die Aus­sage “Ich will zu mein­er Mami!” in den Mund legt. Aber ob man wirk­lich alle Phrasen auf (echte oder vorgestellte) Aus­sagen zurück­führen kann?
  • Der gemis­chte Ansatz: Manche Kon­struk­tio­nen – die lexikalisierten wie Trim­mdich­p­fad – ste­hen im Lexikon, die anderen wer­den nach syn­tak­tis­chen Regeln gener­iert und dann zur Wort­bil­dung benutzt.

Ich habe mich noch nicht entsch­ieden, welchen Ansatz ich am plau­si­bel­sten finde – ich glaube ich schwanke zwis­chen Zitat und gemis­chtem Ansatz. Ich bin also ges­pan­nt, was im Kol­lo­qui­um für Mei­n­un­gen und Argu­mente auftauchen.

(Struk­tur­bäume erstellt mit php­Syn­tax­Tree.)

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