Vor ein paar Tagen habe ich folgende E‑Mail bekommen:
Seit einigen Jahren ärgere ich mich über das alberne neudeutsche Wort „Festival“ mit dem heutzutage jedes Dorffest tituliert wird. Nun muss ich zu meinem Bedauern feststellen, dass Ihr Institut hier mit schlechtem Beispiel Schule macht: Hätten Sie Ihr „Festival der Sprachen“ nicht einfach „Sprachfest“ nennen können? Das wäre nicht nur deutscher, sondern auch kürzer gewesen.
Erstens, das Festival der Sprachen ist kein Dorffest, und ich habe auch nie erlebt, dass ein Dorffest sich als „Festival“ bezeichnet. Zweitens, mit diesem Festival oder seiner Benennung habe ich nichts zu tun, ich will mich deshalb auf die Vermutung beschränken, dass meine Kollegen bei der Benennung nicht vorrangig Sprachpurismus und Kürze im Sinn hatten.
Trotz jahrelanger Erfahrung mit Sprachpuristen wundere ich mich aber vor allem darübe, dass sich überhaupt jemand ausgerechnet über das unschuldige Wort Festival „einige Jahre“ lang ärgern kann. Selbst der „Anglizismen-Index“ des VDS betrachtet das Wort als einen „differenzierenden“ Anglizismus, also einen, der „einen neuen Sachverhalt bezeichne[t]“ (natürlich will man trotzdem eine Alternative finden).
Für mich zeigt das Wort Festival vielmehr, wie eng Sprachen miteinander verwoben sind und wie wenig sinnvoll es ist, Lehnwörter als etwas Fremdes zu betrachten — in einer weiteren E‑Mail hat sie heute jemand als „Spritzer auf der Scheibe“ der deutschen Sprache bezeichnet, die den „Durchblick verhindern“.
Sehen wir uns zunächst an, wann und wie das Wort in die deutsche Sprache gelangt ist. Das Duden-Herkunftswörterbuch behauptet, dass es „im 20. Jh. aus dem Engl. entlehnt“ worden sei, doch dank Google Books fällt es nicht schwer, Belege zu finden, die älter als das 20. Jahrhundert sind, zum Beispiel diesen (aus der Berliner Musikzeitung Echo von 1855–56):
Oder diesen (aus der Zeitschrift Deutsches Museum von 1864):
Das zweite Beispiel zeigt auch, dass nicht unbedingt das Englische die Quelle für das Wort ist: Es geht dort um Veranstaltungen in Paris. Es ist wahrscheinlich, dass sowohl das Englische als auch das Französische bei der Aufnahme des Wortes in den deutschen Wortschatz eine Rolle gespielt haben.
Die erste Verwendung des Wortes, die ich außerhalb von Fachzeitschriften gefunden habe, stammt aus dem Roman Statutendame! der Autorin Nanny Lambrecht von 1908, auch dieser Beleg legt einen französischen Einfluss nahe:
Eins der ersten Beispiele, dass sich klar nicht auf ein „Festival“ in (oder im Zusammenhang mit) England oder Frankreich bezieht ist das folgende (aus der Prager Rundschau, Band 4, von 1933):
Um 1945, als der Einfluss des Englischen auf die deutsche Sprache im 20. Jahrhundert im großen Stil begann, war das Wort bereits etabliert (hier ein Beispiel aus der Zeitschrift Aufbau (Band 11, 1945), herausgegeben vom späteren Kulturbund der DDR, den man kaum überschäumender Anglophilie bezeichnen wird:
Das Wort hat also einen Stammbaum, der etwa soweit zurückreicht, wie der von Keks oder Sport und der zeigt, dass Entlehnung kein Prozess sein muss, in dem Wörter von einer bestimmten Sprache in eine andere entlehnt werden, sondern einer, bei dem Sprecher durch unterschiedliche Nachbarsprachen angeregt werden können, ein Wort zu übernehmen.
Die E‑Mail unseres Festivalhassers hat mich auch daran erinnert, dass unser Hausnörgler „Nörgler“ im Juni eine interessante Beobachtung zur Verbreitung des Wortes Fest im Englischen gemacht hatte:
Andererseits darf man aus dem Zeitpunkt des ersten Auftretens nicht auf den Zeitpunkt der allgemeinen Verbreitung schließen. So ist das Wort fest im Englischen seit längerem belegt; dessen starke Verbreitung in Nordamerika scheint mir aber eine neuere Erscheinung zu sein. So ist erst in diesem Jahr das „Vancouver Festival“ in „MusicFest Vancouver“ umbenannt worden.
Ich habe seinerzeit nur darauf hingewiesen, dass das deutsche Lehnwort Fest im amerikanischen Englisch laut Oxford English Dictionary bereits seit 1865 belegt ist (also etwa solange, wie das Wort Festival im Deutschen). Aber Nörglers Einwand war natürlich berechtigt: nur, weil ein Wort in Einzelbelegen vorkommt, muss es in der Sprachgemeinschaft noch nicht weit genug verbreitet sein, um als Lehnwort zu gelten. Ich habe mir im englischsprachigen Google-News-Archiv deshalb die Häufigkeit für festival und fest angesehen, das Ergebnis sieht folgendermaßen aus:
Man muss natürlich berücksichtigen, dass das Archiv generell weniger Texte enthält, je weiter man in die Vergangenheit geht, dass also jedes Wort zu früheren Zeitpunkten seltener scheint als zu späteren. Man sieht deutlich, dass das Wort festival im Archiv um 1930 und dann noch einmal ab 1980 einen Häufigkeitssprung macht: Dies dürfte keine Veränderung in der Tatsächlichen Häufigkeit darstellen, sondern in der Verfügbarkeit von Texten. Für das Wort Fest sieht man jedoch, dass es zwar erstens seit den 1860er Jahren nachgewiesen ist (Bestätigung für das OED), dass es aber erst ab den 1960er Jahren in seiner Verwendungshäufigkeit ansteigt. Ähnliches kann durchaus für das englische/französische Lehnwort Festival im Deutschen gelten.
Was die Lehnwort festival und fest aber eigentlich interessant macht, ist, dass sie zu einer Familie von Wörtern gehören, die alle vom lateinischen festa („Fest“) und dem dazugehörigen Adjektiv festivus („festlich“) abstammen — wie auch das französische Lehnwort Fete, das englische Wort feast, das italienische festa und das spanische fiesta, das auch in das amerikanische Englisch eingegangen ist, und natürlich das „deutsche“ Wort Fest selbst. „Sprachfest“ wäre deshalb vielleicht kürzer als „Festival der Sprachen“ — „deutscher“ wäre es nicht.
Die folgende Karte zeigt einige der Wege, die die Wörter aus der festa/festivus-Familie bis heute zurückgelegt haben.
Wer in diesen Wanderungen sichteinschränkende „Spritzer“ auf der reinen Glasscheibe der deutschen Sprache sehen will, den werde ich wohl kaum vom Gegenteil überzeugen können. Für mich sind sie ein faszinierender Teil unserer Kulturgeschichte.
Interessante Grafik. Soll “festa” eine explizit schottische Variante sein, oder war weiter südlich einfach kein Platz mehr. Es ist räumlich ein wenig von den anderen Varianten auf der Insel getrennt. Außerdem beziehen sich die Verwendungen nach google Suche eher auf den italienischen Raum (ähnlich dem “Früh-“festival des Beitrags.
Der erste “festa”-Treffer außerhalb Italiens, den ich auf die Schnelle gefunden habe, ist übrigens das “little italy festa” in San Diego.
http://www.littleitalysd.com/festa/index.asp
Diese Wanderung über den großen Teich ging allerdings vermutlich weder über Schottland noch über England…
Müsste nicht außerdem “fiesta” eher über Mexiko als Zwischeschritt in die USA eingewandert sein?
An sich finde ich die Darstellung aber höchst spannend, da sie gerade die Dynamik von Sprachwandel sehr schön zeigt.
Zusätzlich zu dem gesagten sind nach meinem Sprachgefühl “Fest” und “Festival” überhaupt nicht synonym. Ein Fest ist für mich eine Veranstaltung wo Leute aus einem bestimmten Anlass heraus und etwas feiern und das möglicherweise auch privat. Ein Festival ist für mein Gefühl auf jeden Fall öffentlich und eine eher vielfältige Veranstaltung mit diversen Schwerpunkten bzw. Angeboten nach- oder nebeneinander und auch nicht unbedingt aus einem festlichen Anlass heraus. Rockfestival oder Kulturfestival zum Beispiel.
Wie sehen andere das?
Carsten (#1), die Verortung der Wörter innerhalb der Landesgrenzen auf der Grafik ist (fast) beliebig (in den USA war genug Platz, so dass ich hier versucht habe, die geografische Ankunft der Wörter abzubilden). Festa findet sich als Lehnwort nur vereinzelt, typischerweise in Kontexten, in denen es um Italien geht. Ob fiesta über das Gebiet, das heute Mexiko ist, eingewandert ist, weiß ich nicht. Es ist plausibel, aber Texas, Kalifornien, Neumexiko etc. gehörten ja auch alle mal zu Mexiko.
JJFlash (#2), absolut richtig.
#2: Zustimmung, wobei ich noch den Aspekt der zeitlichen Dauer ergänzen würde.
Ein Festival kann mehrere Tage oder sogar Wochen dauern (wie es das “Festival der Sprachen” ja auch tut) — meinem Empfinden nach gehört das sogar zur Definition von Festival.
Ein Fest ist dagegen ein punktuelles Ereignis, das sich auf einen Tag und/oder Abend beschränkt.
In früheren Zeiten wurde “Festival” allerdings eher deutsch ausgesprochen. Die englische Aussprachevariante des Wortes dürfte eher neuer sein. Für mich ist das Wort daher zweimal entlehnt worden.
Komisch, für mich war “Festival” immer eindeutig französisch entlehnt. Ich will zwar nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, aber ich glaube auch, dass das Wort in Österreich (zumindest im Osten) generell nicht englisch ausgesprochen wird, es sei denn, es steht in Verbindung mit einem anderen englischen Wort. “Rockfestival” wird also vermutlich englisch ausgesprochen, aber ein “Festival der Sprachen” nicht, oder nur von modern wirken wollenden Jugendradiosprechern.
@JJFlash, @amfenster:
Fest wird im Deutschen durchaus auch im Sinne von Festival benutzt. Allerdings ist Fest wohl der Oberbegriff, der sowohl punktuelle oder private Veranstaltungen (Hochzeitsfest, abendliche Festveranstaltung) als auch mehrteilige oder mehrtägige öffentliche Veranstaltungen bezeichnen kann.
Google-Suchen (deutsche Sprache, deutsche Seiten) zeigen, daß jedenfalls in bestimmten Bildungen und Zusammenhängen das Wort Fest im Deutschen noch die Oberhand hat: Gesangsfest, Sängerfest, Musikfest, Liederfest, Sprachfest sind zum Teil deutlich häufiger als die entsprechenden Zusammensetzungen mit Festival. Dagegen ist Filmfestival mehr als doppelt so häufig wie Filmfest.
Bei anderen Bildungen sieht es z.T. anders aus: Festival der Musik schlägt mit Längen Fest der Musik. Noch deutlicher liegt allerdings Fest der Sprache vor Festival der Sprache. Fest des Gesangs ist etwa doppelt so häufig wie Festival des Gesangs.
Nicht besonders überrascht, daß Songfestival mit ca. 5:1 vor Songfest siegt.
Bei einer Suche auf englischsprachigen US-Seiten liegt dagegen songfest knapp vor songfestival. Die gängigere Schreibung song festival schlägt dagegen song fest mit ca. 10:1.
(Allerdings sind die Suchmethoden von Google sehr undurchsichtig und derartige Suchergebnisse mit Vorsicht zu bewerten.)
@ JJFlash und @ amfenster gebe ich recht, was den Bedeutungsunterschied anbelangt. Ich würde sogar behaupten, dass es nur sehr wenige echte Synonyme gibt, weil Wörter gleicher Bedeutung zumindest eine andere Konstruktion im Satz erfordern oder andere Bezüge haben (z.B auf Personen statt auf Sachen). Insofern ist ein Fest häufiger eine Huldigung an eine Sache oder Person, während ein Festival sich einer Sache bedient und einen Selbstzweck darstellt.
@ Nina finde ich die Theorie der mehrfachen Entlehnung sehr interessant. Beispielsweise haben wir in den 50-er und 60-er Jahren “Image” immer französisch ausgesprochen, während es heutzutage grundsätzlich englisch ausgesprochen wird.
seit jüngster zeit (2005) vagabundiert auch wieder ein französischsprachiges festival durchs land.
ich meinte natürlich “französischstämmig”.
es war wohl deutlich zu spät.
Ist das Österreichische/Bayrische Wort “Festl” absichtlich nicht aufgezählt?
@amfenster:
Einspruch. Weihnachtsfest, Osterfest, Pfingstfest — drei Beispiele für Feste, die mehrere Tage überdauern. Hat vielleicht noch jemand ein Beispiel ohne religiösen Kontext?