Im Bundestagswahlkampf fällt ja auf, dass alle Spitzenkandidaten versuchen, das Web 2.0 für sich zu nutzen. Vermutlich ziehen sie ihre Inspiration dafür aus dem US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf, vergessen dabei aber, dass Barack Obama das Web deshalb so erfolgreich nutzen konnte, weil er tatsächlich weiß, wie man es bedient. Bei unseren Politikern dagegen durchschaut man schnell, dass sie nur bloggen lassen, dass Pressesprecher in ihrem Auftrag twittern und dass ihre Facebook-Seiten von PR-Agenturen betrieben werden.
Und damit sind wir schon fast beim Thema: Angela Merkels Facebook-Seite. Man erfährt dort viel Erhellendes über sie — zum Beispiel, dass ihr Lieblingsfilm „Jenseits von Afrika“ ist (für mich erklärt das einiges). Oder, dass es ihr Traum ist, „einmal mit der Transsibirischen Eisenbahn von Moskau nach Wladiwostok reisen“ (ich finde, das ist eine gute Idee, und von mir aus braucht sie keine Rückfahrkarte zu kaufen). Aber bevor in den Kommentaren wieder Vorwürfe laut werden, dass ich das Sprachblog dazu missbrauche, meine politische Meinung zu verbreiten, komme ich schnell zum eigentlichen Thema. Allerdings nicht, ohne vorher der politischen Ausgewogenheit halber darauf hinzuweisen, dass Frank-Walter Steinmeiers Facebook-Profil mich zwar eher überzeugen könnte, ihn zu frienden (sein Buch- und Filmgeschmack liegen wesentlich näher an meinem), dass ich ihn aber trotzdem nicht wählen werde.
Zum Sprachlichen: Merkels Facebook-Profil ist konsequent zweisprachig Englisch-Deutsch. Eigentlich ist das ja eine gute Sache, nur leider hat sie es nicht für nötig gehalten, für die englischen Übersetzungen jemanden zu bezahlen, der sich mit sowas auskennt.
Vor allem ihr „Lieblingszitat“ hat es mir angetan:
Favorite Quotations: In der Politik geht es nicht darum, Recht zu haben, sondern Recht zu behalten // The point of policy is not to be right but to be right after all (Konrad Adenauer)
Gut, das Zitat ist nicht gerade einfach zu übersetzen, aber viel schlechter als auf der Facebook-Seite könnte es nur Google Translate („In politics it is not a matter of law to have, but to be right“).
Das erste Problem ist die Mehrdeutigkeit des Wortes Politik. Im Englischen muss man hier zwischen politics (der Politik als Prozess oder Institution) und policy (der Politik als Inhalt) unterscheiden (Experten unterscheiden auch noch polity, Politik als Form/Institution, aber bleiben wir bei der Alltagssprache).
Dass Adenauer in seinem Zitat ausschließlich die „Politik als Inhalt“ gemeint hat, kann ich mir nicht vorstellen. Politics wäre hier die sicherere Übersetzung gewesen.
Das zweite Problem ist die Übersetzung von um etwas gehen mit to be the point of. Wenn Adenauer sagt In der Politik geht es nicht um X sondern um Y, dann drückt er damit nicht aus, dass Y Hauptziel und raison d’etre (um auch mal einen französischen Lehnausdruck zu verwenden) der Politik sei, sondern nur, dass man in der Politik nicht nach X sondern nach Y streben sollte. The point of policy/politics is not X but Y klingt aber durchaus so, als ob es in der Politik ausschließlich oder zumindest vorrangig um Y ginge. Eine bessere Übersetzung wäre hier to be about gewesen.
Fassen wir den Zwischenstand zusammen: Eine gute Übersetzung wäre The point of politics is not X, but Y. Bis hierher war die Sache noch relativ einfach, das eigentliche Problem an der Übersetzung ist damit aber noch nicht gelöst.
Denn das eigentliche Problem ist, dass überhaupt nicht klar ist, was Adenauer mit der Unterscheidung zwischen Recht haben und Recht behalten eigentlich sagen wollte. Ich sehe zwei Möglichkeiten: im einfacheren Fall meinte er, dass es nichts bringe, in einem bestimmten Moment Recht zu haben, sondern dass man auf Dauer Recht haben müsse, dass man also Positionen einnehmen müsse, die nicht nur für den Augenblick richtig sind, sondern die z.B. auch unter veränderten Umständen richtig bleiben. Dann wäre eine gute Übersetzung des Zitats die folgende:
Politics is not (just) about being right, but about being right in the long run.
Ich denke, auf so etwas wollten die Übersetzer des Zitats auf Merkels Facebook-Seite hinaus. Nur ist die Formulierung to be right after all hier nicht geeignet. After all bedeutet in solchen Verwendungen so etwas wie doch: She was right after all kann ich sagen, wenn ich vorher bezweifelt habe, dass jemand Recht hat: „Sie hatte doch Recht“.
Es ist ja denkbar, dass Adenauer etwas in der Richtung sagen wollte — dass man Positionen einehmen soll, die sich am Ende als richtig herausstellen, auch wenn diese im Moment falsch scheinen. Aber die Übersetzung auf Merkels Facebook-Seite trifft diese Bedeutung ebensowenig, wie es die deutsche Rückübersetzung „Der Sinn von Politik ist es nicht, Recht zu haben, sondern, doch Recht zu haben“ tut. Der Praktikant, der (so stelle ich es mir vor) Merkels Facebook-Seite übersetzen musste, hat die Formulierung to be right after all wohl ohne groß nachzudenken aus dem LEO-Wörterbuch übernommen. Stattdessen könnte man sich etwa folgende Übersetzung vorstellen:
Politics is not about being right now, but about being proven right in the end.
Besonders elegant klingt das nicht. Es passt also gut in den Wahlkampf.
Also jetzt bin ich doch neugierig auf *polity*. // All so now I am after all new greedy on *polity*.
Ein anderer schöner Übersetztungsfehler: http://www.bildblog.de/11580/das-metaphorische-megaphon/
Politics is not about being right but staying right.
Ich denke, der alte Indianer wollte schon etwas über stamina aussagen, den Unterschied zwischen Tagespolitik und Perspektivenpolitik klarstellen. In seine nachahmlichen Vermitztheit.
Also den Kommentar mit der Rückfahrkarte unterschreibe ich sofort.
“Politics is not about being right but getting it right.” Oder andersrum, “Politics is not about winning an argument, but about being right”!
Mawa, Ihr Politics is not about being right but about getting it right entspricht inhaltlich nicht dem Adenauer-Satz, gefällt mir aber deutlich besser. Vielleicht wäre das derzeit ein guter Slogan für die Piraten-Partei?
Ach, herrlich, diese Übersetzungs-Knobeleien.
Ich möchte mich auch noch etwas vom ollen Adenauer entfernen und trage mit
“Politics is is not always about getting it right, but setting it right eventually” zum kreativen Parteitexten bei. Auch wenn das schon etwas far off the track ist.
In politics it’s not enough to be right, you have to be seen to be right.
1.
Ich kann nicht recht glauben, daß Adenauer das so gemeint hat. Zunächst fehlt ja jeder besondere Bezug zur Politik. Diese Aussage gölte, wenn sie überhaupt Sinn macht, ja für alle Lebensbereiche. Ich bezweifle aber, daß etwas überhaupt “nur für den Augenblick” richtig sein könnte. Wenn es sich langfristig als falsch erweist, dann war es eben von Anfang an nicht richtig.
Ich verstehe die Aussage Adenauers eher wie folgt:
Dadurch unterscheidet sich die Politik eben von der reinen Wissenschaft.
Daher gefällt mir der erste Übersetzungsvorschlag von marwa noch am besten. Der zeite Vorschlag scheint mir dagegen etwas anderes zu bedeuten. Gary bekommt auch “Sympathiepunkte” von mir.
Vielleicht sollte man Angela Merkel einfach mal fragen, wie sie das Zitat versteht. Schließlich werden wir doch ausdrücklich aufgefordert upzusignen, um mit ihr zu connecten.
2.
Das Adenauer-Zitat erfüllt mich mit leichtem grammatischen Unbehagen. Ist der Satz überhaupt “wohlgeformt”? Ich würde dazu neigen, das darum zu wiederholen (wie das about im Englischen), also zu sagen:
In der Politik geht es nicht darum, recht zu haben, sondern darum, recht zu behalten.
3.
Es zeugt von wenig Feingefühl, dem alten Adenauer eine “reformierte” Schreibung unterzuschieben. So wie es jetzt auf der Facebook-Seite steht, hat oder hätte es Adenauer bestimmt nicht geschrieben.
4.
Ich finde proven hier tatsächlich nicht elegant; proved wäre besser.
Ich lese den Satz eher so, dass es laut A. in der Politik nicht darauf ankommt, eine tolle Idee zu haben, sondern sie auch durchzusetzen. Was nützt mir ein schöner Plan gegen den Klimawandel, die Finanzkrise und den ganzen anderen Mist, wenn mir keiner folgt? Positiv gelesen ist es ein Plädoyer für den Blick auf das machbare, negativ gelesen ist es ein Plädoyer für das im Winde hängende Mäntelchen. (Oder dafür, so gut es geht die Windrichtung zu beeinflussen 😉
Ich mag es zu negativ betrachten, aber:
“Recht haben” heißt für mich “den Fakten entsprechend”. “Recht behalten” könnte bedeuten a) dass die eigene Aussage letztlich bestätigt wird, oder b) dass, man nicht widerlegt wird.
Mein doch recht pessimistischer Blick auf die Politik lässt mich zu b) tendieren. Also hätte Adenauer in gesagt: “Es geht in der Politik nicht darum, faktisch korrekt zu argumentieren, sondern nicht widerlegt werden zu können”
Ist es nicht ueberhaupt herrlich, dass wir einen deutschen Satz erst verstehen, wenn wir versuchen, ihn in eine andere Sprache zu uebersetzen?
(here » translate ‘translate’ with ‘inteprete’) 😀
Time flies like an arrow. Fruit flies like a banana.