Will sell ebber?

Von Kristin Kopf

Num­mer 2 in der Rei­he “Badis­che Wörter selt­samen Ursprungs”: ebber ‘jemand’.

[Nach­trag: Eben habe ich ein Ver­wen­dungs­beispiel in meinen Auf­nah­men gefun­den – es geht um erhal­tene Bur­gen im Mittelrheintal:

ja, äh, wuh­nd doo na no ebber drin? (ja, äh, wohnt da denn noch jemand drin?)

]

Mal wieder kein erkennbar­er Bezug zum hochdeutschen Wort – aber dafür ähnelt es einem anderen Dialek­t­wort auf­fäl­lig: ebbis ‘etwas’, unbe­tont auch oft ebbs. Bei­de Wörter sind soge­nan­nte “Indefinit­pronomen”, also Pronomen, die nicht näher Bes­timmtes bezeichnen.

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Das dialek­tale ebbis ist his­torisch mit dem hochdeutschen etwas verwandt.

Das Grimm­sche Wörter­buch gibt althochdeutsch ëddeshuaʒ und mit­tel­hochdeutsch ët(e)swaʒ an, das schließlich zu unserem heuti­gen etwas wurde. Es ken­nt aber auch die For­men eppas, eppes, die es als von der “Volkssprache” assim­i­liert bezeichnet.

Das deutet darauf hin, dass das Wort nicht nur im Badis­chen auf­taucht – und siehe da: In zahlre­ichen Dialek­twörter­büch­ern find­et es sich, z.B. im Pfälzis­chen (ębəs, ębis, abəs), Rheinis­chen (ębəs, mit der weit­eren Bedeu­tung ‘sehr’), Elsäs­sis­chen (eppis) und Lothringis­chen (èpəs, èbs, èbəs). Im Lothringis­chen Wörter­buch ste­ht als Anmerkung dabei: Kommt in fast allen ober- und mit­teldeutschen Maa. [=Mundarten] vor”. Ost­mit­teldeutsche Wörter­büch­er gibt’s lei­der nicht online, Hin­weise dazu wer­den dankbarst aufgenommen!

2009-09-14-ebber

Jet­zt aber zu ebber! Das Wort ähnelt ebbis nicht umson­st, es geht näm­lich auf eine ähn­liche Grund­lage zurück:

  1. mhd. ëtes-was
  2. mhd. ëtes-wër

Im Mit­tel­hochdeutschen (und auch schon früher) wur­den die Indefinit­pronomen also regelmäßig gebildet, und zwar aus etes und dem entsprechen­den Frage­pronomen (was für Dinge, wer für Men­schen).

Außer­dem kon­nte etes auch vor -lîch (etlich), -(‘irgend­wo’), -war (‘irgend­wohin’), -wenne (‘manch­mal’) und -wie (‘irgend­wie’) ste­hen, immer mit der unbes­timmten Bedeu­tung. Lei­der bin ich grade fern von meinem ety­mol­o­gis­chen Wörter­buch, aber wenn wir wieder glück­lich vere­int sind, werde ich mal nach­schauen, ob für etes zu ein­er früheren Zeit eine konkretere Bedeu­tung belegt ist.

ebber ist also eine Vari­ante von etwer, das es im Neuhochdeutschen nicht mehr gibt. Statt dessen ver­wen­den wir jemand oder irgendw­er.

Wie ebbis ist auch ebber weit­er ver­bre­it­et: Im Pfälzis­chen (ębər, ębɒr), Elsäs­sis­chen (epper) und Lothringis­chen (èbər). Das Elsäs­sis­che ken­nt darüber hin­aus auch noch eppe ‘etwa’ und eppen(e) ‘irgend­wann, von Zeit zu Zeit’ (wahrschein­lich aus mhd. eteswenne).

Von tw zu bb

Wie kon­nte aber et-w… zu eb… wer­den? Die Grimms sprechen von ein­er Assim­i­la­tion, aber hier wird ja nicht t zu w oder w zu t, son­dern es verän­dern sich gle­ich bei­de Laute. Das ist eine soge­nan­nte “reziproke Assim­i­la­tion”, bei der sich die bei­den Laute gegen­seit­ig bee­in­flussen. Das neue [b] bein­hal­tet also Merk­male der bei­den vorheri­gen Laute (grün = Stimmhaftigkeit, blau = Artiku­la­tion­sort, orange = Artiku­la­tion­sart):

  • <t> ist ein stimm­los­er alve­o­lar­er Plo­siv [t]
  • <w>
    • war früher mal ein labi­al­isiert­er stimmhafter velar­er Approx­i­mant (=Hal­b­vokal) [w] – wie heute noch im Englischen –
    • und ist jet­zt ein stimmhafter labio­den­taler Frika­tiv [v]
  • <b> ist ein stimmhafter bil­abi­aler Plo­siv

Nun ist es etwas schwierig zu sagen, was genau wann passiert ist. Ist ebber ent­standen, als wir noch ein [w] hat­ten, oder erst, als es schon ein [v] war? Ich tippe auf ersteres. Dann hätte das [t] seinen Artiku­la­tion­sort ver­lagert, um dem [w] ent­ge­gen­zukom­men. Das [w] ist velar, das heißt der Zun­gen­rück­en ist bei der Bil­dung hin­ten am Gau­men, aber wichtiger ist hier, dass es labi­al­isiert ist. Das bedeutet, dass man bei der Bil­dung bei­de Lip­pen benutzt. Wenn man zur Bil­dung eines Plo­sivs, was das [t] ja ist, die Lip­pen ein­set­zt, dann wird er bil­abi­al und somit ein [b] oder [p]. Wir hät­ten also den Zwis­chen­schritt *ebwas.

In einem zweit­en Schritt hätte dann das [b] auf das [w] eingewirkt und es in sein­er Artiku­la­tion­sart verän­dert: Vom Hal­b­vokal zum Plo­siv. Et voilà, ebbas.1 Übri­gens: Heute schreibt man zwar noch <bb>, aber in Wirk­lichkeit ist es längst auf einen b-Laut zusam­mengeschrumpft. (Den Vor­gang nen­nt man “Degem­i­na­tion”.)

Das [a] wurde später oft abgeschwächt, sodass man dialek­tal meist ebbes hat. Woher das ale­man­nis­che [i] stammt, kann ich lei­der nicht schlüs­sig erk­lären. Das Ale­man­nis­che ist aber sehr i-phil, vielle­icht wurde die abgeschwächte Endung ein­fach als ehe­ma­liges [i] analysiert und dann wieder ver­stärkt. Das ist jet­zt aber reine Spekulation!

Einen ganz ähn­lichen Vor­gang kann man übri­gens zum Lateinis­chen hin beobacht­en: aus indoger­man­is­chem *dw wurde im Lateinis­chen b (z.B. *dwis ‘zweimal’ > bis). Im Deutschen hinge­gen haben wir das ursprüngliche *dw beibehal­ten, es wurde lediglich durch andere Laut­wan­del­prozesse verän­dert (indogerm. *dw > germ. tw (1. Lautver­schiebung) > ahd. zw (2. Lautverschiebung)).

Fußnote:
1 Natür­lich ist es auch umgekehrt denkbar: Das [t] assim­i­liert zunächst [w] in der Artiku­la­tion­sart an sich, sodass es etbas ergibt, in einem zweit­en Schritt assim­i­liert das [b] das [t] im Artiku­la­tion­sort und der Stimmhaftigkeit, sodass ebbas entste­ht. Ich habe das andere Szenario gewählt, weil mir bw plau­si­bler erscheint als tb, aber ich kann leicht falsch liegen.

7 Gedanken zu „Will sell ebber?

  1. Carsten

    Gui­tarplay­er vom ZBB hier… Nur ne kleine Anmerkung. Ich ärg­ere mich aus typographis­chen Grün­den immer, dass der Grimm Online ჳ für ȥ oder ʒ benutzt. Das ჳ ist eigentlich ein “Geor­gis­ch­er Klein­buch­stabe We”, U+10F3, nicht das (wahrschein­lich) beab­sichtigte ʒ, “Lateinis­ch­er Klein­buch­stabe Ezh”, U+0292. ჳ sieht in meinem Brows­er immer etwas fehl am Platz aus, weil es aus ein­er anderen Schrif­tart genom­men wird. Im Druck habe ich für diesen Buch­staben jeden­falls bish­er nur ȥ gese­hen, “Lateinis­ch­er Klein­buch­stabe Z mit Hak­en”, U+0225. Genug der Klugscheißerei von mein­er Seite jetzt 😉

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    1. Kristin Beitragsautor

      Schön, dass Du mich hier besuchen kommst! Ich bin natür­lich faul und kopiere die Wörter mit Son­derze­ichen aus den DWB-Ein­trä­gen. Du hast recht, es sieht selt­sam aus. (Das Schwa sieht auch ganz katas­trophal aus, leider.)
      Da typografis­che Kor­rek­theit aber auf jeden Fall unter­stützenswert ist (uuuh, wie präskrip­tiv 😉 ), habe ich die ჳ jet­zt durch ʒ erset­zt. Sieht noch immer nicht aus wie aus einem Guß, aber doch bess­er. Vie­len Dank für den Hinweis!

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  2. K

    Dieses Wort für “jemand” gibt es bei uns (in Tirol, oberdeutsch, in mein­er Gegend süd­bairisch) auch: epper.

    Ich habe ver­sucht, auf die Schnelle ein, zwei Belege zu find­en. Zunächst aus einem Lied­text der Gruppe Blu­atschink: Link — siehe dritte Zeile des Refrains. Die Gruppe singt im Außer­fern­er Dialekt, also eher noch Ale­man­nisch, zumin­d­est eine Übergangszone.
    Das Wort gibt’s aber auch son­st über­all in Tirol, hier ein Beleg aus dem Inntal: Link, siehe Gäste­buchein­trag vom 26.11.2008.

    K.

    PS.: “etwas” gibt es bei uns natür­lich auch: eppas.
    PPS.: Ähn­lich auch die Wikipedia zum Bairischen all­ge­mein, ohne daß ganz klar wäre, wo im weit­en bairischen Sprachraum die Beispiele so gelten.

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    1. Kristin Beitragsautor

      Vie­len Dank für die Hin­weise an alle! Witzig, wie manche Sachen in fast allen Dialek­ten vorkom­men, aber im Hochdeutschen nicht …

      @K: Ich habe die Links repari­ert — hier geht nur html.

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      1. K

        Vie­len Dank für die Reparatur der Links! Nach­dem es heutzu­tage oft ein­fach­er geht, hat­te ich die gute, alte html-Syn­tax schon verdrängt …

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