Nummer 2 in der Reihe “Badische Wörter seltsamen Ursprungs”: ebber ‘jemand’.
[Nachtrag: Eben habe ich ein Verwendungsbeispiel in meinen Aufnahmen gefunden – es geht um erhaltene Burgen im Mittelrheintal:
ja, äh, wuhnd doo na no ebber drin? (ja, äh, wohnt da denn noch jemand drin?)
]
Mal wieder kein erkennbarer Bezug zum hochdeutschen Wort – aber dafür ähnelt es einem anderen Dialektwort auffällig: ebbis ‘etwas’, unbetont auch oft ebbs. Beide Wörter sind sogenannte “Indefinitpronomen”, also Pronomen, die nicht näher Bestimmtes bezeichnen.
Das dialektale ebbis ist historisch mit dem hochdeutschen etwas verwandt.
Das Grimmsche Wörterbuch gibt althochdeutsch ëddeshuaʒ und mittelhochdeutsch ët(e)swaʒ an, das schließlich zu unserem heutigen etwas wurde. Es kennt aber auch die Formen eppas, eppes, die es als von der “Volkssprache” assimiliert bezeichnet.
Das deutet darauf hin, dass das Wort nicht nur im Badischen auftaucht – und siehe da: In zahlreichen Dialektwörterbüchern findet es sich, z.B. im Pfälzischen (ębəs, ębis, abəs), Rheinischen (ębəs, mit der weiteren Bedeutung ‘sehr’), Elsässischen (eppis) und Lothringischen (èpəs, èbs, èbəs). Im Lothringischen Wörterbuch steht als Anmerkung dabei: “Kommt in fast allen ober- und mitteldeutschen Maa. [=Mundarten] vor”. Ostmitteldeutsche Wörterbücher gibt’s leider nicht online, Hinweise dazu werden dankbarst aufgenommen!
Jetzt aber zu ebber! Das Wort ähnelt ebbis nicht umsonst, es geht nämlich auf eine ähnliche Grundlage zurück:
- mhd. ëtes-was
- mhd. ëtes-wër
Im Mittelhochdeutschen (und auch schon früher) wurden die Indefinitpronomen also regelmäßig gebildet, und zwar aus etes und dem entsprechenden Fragepronomen (was für Dinge, wer für Menschen).
Außerdem konnte etes auch vor -lîch (etlich), -wâ (‘irgendwo’), -war (‘irgendwohin’), -wenne (‘manchmal’) und -wie (‘irgendwie’) stehen, immer mit der unbestimmten Bedeutung. Leider bin ich grade fern von meinem etymologischen Wörterbuch, aber wenn wir wieder glücklich vereint sind, werde ich mal nachschauen, ob für etes zu einer früheren Zeit eine konkretere Bedeutung belegt ist.
ebber ist also eine Variante von etwer, das es im Neuhochdeutschen nicht mehr gibt. Statt dessen verwenden wir jemand oder irgendwer.
Wie ebbis ist auch ebber weiter verbreitet: Im Pfälzischen (ębər, ębɒr), Elsässischen (epper) und Lothringischen (èbər). Das Elsässische kennt darüber hinaus auch noch eppe ‘etwa’ und eppen(e) ‘irgendwann, von Zeit zu Zeit’ (wahrscheinlich aus mhd. eteswenne).
Von tw zu bb
Wie konnte aber et-w… zu eb… werden? Die Grimms sprechen von einer Assimilation, aber hier wird ja nicht t zu w oder w zu t, sondern es verändern sich gleich beide Laute. Das ist eine sogenannte “reziproke Assimilation”, bei der sich die beiden Laute gegenseitig beeinflussen. Das neue [b] beinhaltet also Merkmale der beiden vorherigen Laute (grün = Stimmhaftigkeit, blau = Artikulationsort, orange = Artikulationsart):
- <t> ist ein stimmloser alveolarer Plosiv [t]
- <w>
- war früher mal ein labialisierter stimmhafter velarer Approximant (=Halbvokal) [w] – wie heute noch im Englischen –
- und ist jetzt ein stimmhafter labiodentaler Frikativ [v]
- <b> ist ein stimmhafter bilabialer Plosiv
Nun ist es etwas schwierig zu sagen, was genau wann passiert ist. Ist ebber entstanden, als wir noch ein [w] hatten, oder erst, als es schon ein [v] war? Ich tippe auf ersteres. Dann hätte das [t] seinen Artikulationsort verlagert, um dem [w] entgegenzukommen. Das [w] ist velar, das heißt der Zungenrücken ist bei der Bildung hinten am Gaumen, aber wichtiger ist hier, dass es labialisiert ist. Das bedeutet, dass man bei der Bildung beide Lippen benutzt. Wenn man zur Bildung eines Plosivs, was das [t] ja ist, die Lippen einsetzt, dann wird er bilabial und somit ein [b] oder [p]. Wir hätten also den Zwischenschritt *ebwas.
In einem zweiten Schritt hätte dann das [b] auf das [w] eingewirkt und es in seiner Artikulationsart verändert: Vom Halbvokal zum Plosiv. Et voilà, ebbas.1 Übrigens: Heute schreibt man zwar noch <bb>, aber in Wirklichkeit ist es längst auf einen b-Laut zusammengeschrumpft. (Den Vorgang nennt man “Degemination”.)
Das [a] wurde später oft abgeschwächt, sodass man dialektal meist ebbes hat. Woher das alemannische [i] stammt, kann ich leider nicht schlüssig erklären. Das Alemannische ist aber sehr i-phil, vielleicht wurde die abgeschwächte Endung einfach als ehemaliges [i] analysiert und dann wieder verstärkt. Das ist jetzt aber reine Spekulation!
Einen ganz ähnlichen Vorgang kann man übrigens zum Lateinischen hin beobachten: aus indogermanischem *dw wurde im Lateinischen b (z.B. *dwis ‘zweimal’ > bis). Im Deutschen hingegen haben wir das ursprüngliche *dw beibehalten, es wurde lediglich durch andere Lautwandelprozesse verändert (indogerm. *dw > germ. tw (1. Lautverschiebung) > ahd. zw (2. Lautverschiebung)).
Fußnote:
1 Natürlich ist es auch umgekehrt denkbar: Das [t] assimiliert zunächst [w] in der Artikulationsart an sich, sodass es etbas ergibt, in einem zweiten Schritt assimiliert das [b] das [t] im Artikulationsort und der Stimmhaftigkeit, sodass ebbas entsteht. Ich habe das andere Szenario gewählt, weil mir bw plausibler erscheint als tb, aber ich kann leicht falsch liegen.
Guitarplayer vom ZBB hier… Nur ne kleine Anmerkung. Ich ärgere mich aus typographischen Gründen immer, dass der Grimm Online ჳ für ȥ oder ʒ benutzt. Das ჳ ist eigentlich ein “Georgischer Kleinbuchstabe We”, U+10F3, nicht das (wahrscheinlich) beabsichtigte ʒ, “Lateinischer Kleinbuchstabe Ezh”, U+0292. ჳ sieht in meinem Browser immer etwas fehl am Platz aus, weil es aus einer anderen Schriftart genommen wird. Im Druck habe ich für diesen Buchstaben jedenfalls bisher nur ȥ gesehen, “Lateinischer Kleinbuchstabe Z mit Haken”, U+0225. Genug der Klugscheißerei von meiner Seite jetzt 😉
Schön, dass Du mich hier besuchen kommst! Ich bin natürlich faul und kopiere die Wörter mit Sonderzeichen aus den DWB-Einträgen. Du hast recht, es sieht seltsam aus. (Das Schwa sieht auch ganz katastrophal aus, leider.)
Da typografische Korrektheit aber auf jeden Fall unterstützenswert ist (uuuh, wie präskriptiv 😉 ), habe ich die ჳ jetzt durch ʒ ersetzt. Sieht noch immer nicht aus wie aus einem Guß, aber doch besser. Vielen Dank für den Hinweis!
In der Ostschweiz (SG) habe ich auch die Form öpper gehört. D.h. gerundeter Vokal und entstimmter Konsonant.
Auch im Schwäbischen gibt es natürlich äbber und äbbes.
Dieses Wort für “jemand” gibt es bei uns (in Tirol, oberdeutsch, in meiner Gegend südbairisch) auch: epper.
Ich habe versucht, auf die Schnelle ein, zwei Belege zu finden. Zunächst aus einem Liedtext der Gruppe Bluatschink: Link — siehe dritte Zeile des Refrains. Die Gruppe singt im Außerferner Dialekt, also eher noch Alemannisch, zumindest eine Übergangszone.
Das Wort gibt’s aber auch sonst überall in Tirol, hier ein Beleg aus dem Inntal: Link, siehe Gästebucheintrag vom 26.11.2008.
K.
PS.: “etwas” gibt es bei uns natürlich auch: eppas.
PPS.: Ähnlich auch die Wikipedia zum Bairischen allgemein, ohne daß ganz klar wäre, wo im weiten bairischen Sprachraum die Beispiele so gelten.
Vielen Dank für die Hinweise an alle! Witzig, wie manche Sachen in fast allen Dialekten vorkommen, aber im Hochdeutschen nicht …
@K: Ich habe die Links repariert — hier geht nur html.
Vielen Dank für die Reparatur der Links! Nachdem es heutzutage oft einfacher geht, hatte ich die gute, alte html-Syntax schon verdrängt …