Verstrahlte SMS-Kürzel

Von Anatol Stefanowitsch

Seit ein paar Tagen geis­tert eine Pressemel­dung der Ärztekam­mer für Wien durch die deutschsprachige Pres­se­land­schaft, in der ein­dringlich davor gewarnt wird, Kindern die Nutzung von Mobil­tele­fo­nen zu erlauben.

Zunächst geht es der Kam­mer um Strahlenbelastung:

Rechtzeit­ig zu Schul­be­ginn mah­nt die Wiener Ärztekam­mer einen ver­ant­wor­tungsvollen Gebrauch von Handys ins­beson­dere bei Kindern und Jugendlichen ein. Noch immer werde die Gefahr der Handys­trahlung in Öster­re­ich nicht wirk­lich ernst genom­men. Ger­ade bei Kindern aber müsse man auf eine mögliche gesund­heitliche Gefährdung im Umgang mit Mobil­funk acht­en und dürfe die Risiken der Handy-Nutzung nicht unter­schätzen… [Pressemel­dung der Ärztekam­mer für Wien vom vom 6. Sep­tem­ber 2009]

Dass eine Ärztekam­mer vor Strahlen­schä­den warnt, leuchtet ein — zumin­d­est, wenn von Handys tat­säch­lich eine entsprechende Gefahr aus­ge­hen sollte. Aber der näch­ste Absatz ließ mich bei der Lek­türe stutzen:

Immer mehr Kinder in Öster­re­ich besitzen ein Handy. Dabei wird oft auf die Gefahren vergessen, die ein solch­er Umgang mit sich brin­gen kann. „Abge­se­hen von möglichen neg­a­tiv­en medi­zinis­chen Langzeit­fol­gen sind das vor allem Schulden, Sprachver­fall und Kom­mu­nika­tions­de­fizite“, betont der Präsi­dent der Ärztekam­mer für Wien, Wal­ter Dorner.

Erst vor Kurzem hat eine aus­tralis­che Studie ergeben, dass die inten­sive Handy-Nutzung das noch in Entwick­lung befind­liche Gehirn von Kindern verän­dern kann. Typ­is­che SMS-Abkürzun­gen sowie ein häu­figer Gebrauch der Tex­terken­nung ver­leit­eten dazu, zwar schneller zu denken und zu kom­mu­nizieren, aber gle­ichzeit­ig auch mehr Fehler zu machen — und sich nicht weit­er daran zu stören. Dies wiederum könne zu Verän­derun­gen von Denkmustern und Hirn­struk­turen führen, so die Autoren der Studie.

Die Behaup­tung, SMS-Kürzel und automa­tis­che Tex­terken­nung („T9“) kön­nten die Gehir­nen­twick­lung neg­a­tiv bee­in­flussen, hat mich natür­lich näher inter­essiert und so schick­te ich am Fre­ita­gnach­mit­tag eine E‑Mail an den Press­esprech­er der Wiener Ärztekam­mer und bat um genauere Angaben zu dieser Studie. Am näch­sten Mor­gen fand ich statt dieser Angaben gle­ich die Studie selb­st in meinem Post­fach vor.

Für diese schnelle und pro­fes­sionelle Reak­tion möchte ich mich hier noch ein­mal aus­drück­lich bedanken, aber trotz­dem kann ich die Wiener Ärztekam­mer nicht ungeschoren davonkom­men lassen. Denn die Studie recht­fer­tigt deren oben zitierte Behaup­tung in kein­ster Weise — nicht in Bezug auf die Gefahr der Handys­trahlung und nicht in Bezug auf die SMS-Kürzel. Nicht ein­mal annähernd.

Die Autoren der Studie (Abram­son et al. 2009) verteil­ten zunächst Frage­bö­gen an 497 aus­tralis­che Schüler in denen sie danach fragten

  1. wieviele Mobil­tele­fonate die Schüler pro Woche führen,
  2. wieviele SMS sie pro Woche schreiben und emp­fan­gen, und
  3. seit wievie­len Jahren sie über­haupt ein Mobil­tele­fon nutzen.

Fast zwei Drit­tel der befragten Schüler (näm­lich 317) beant­worteten diese Fra­gen voll­ständig (ein guter Rück­lauf für einen Frage­bo­gen). Diese Schüler mussten dann acht Auf­gaben lösen, die unter­schiedliche kog­ni­tive (geistige) Fähigkeit­en abtesten soll­ten. Dabei wurde jew­eils die Reak­tion­s­geschwindigkeit und die Zahl der richti­gen Lösun­gen gemessen. Ich beschreibe diese Auf­gaben hier so aus­führlich, wie die Studie es zulässt (wen das lang­weilt, der kann die Liste über­sprin­gen, der Rest des Beitrags ist im Prinzip auch ohne sie verständlich):

  1. Ein­fache Reak­tion auf einen Stim­u­lus. Auf einem Bild­schirm erschien ein Stim­u­lus — ver­mut­lich eine abstrak­te Form, die Studie sagt dazu nichts Genaueres –, auf den die Schüler mit einem Tas­ten­druck reagieren sollten.
  2. Reak­tion auf zwei unter­schiedliche Stim­uli. Auf einem Bild­schirm erschienen zwei unter­schiedliche Stim­uli, auf die die Schüler jew­eils reagieren soll­ten, in dem sie eine passende Taste drückten.
  3. Arbeits­gedächt­nis, ein­fache Auf­gabe. Die Schüler soll­ten sich eine „Infor­ma­tion­sein­heit“ merken, sie mit ein­er anderen Ein­heit ver­gle­ichen, dann die erste Ein­heit vergessen und sich die zweite merken. Die Studie sagt nichts dazu, worum es sich bei diesen Ein­heit­en han­delte: Es dürfte sich um Wörter, Zahlen oder möglicher­weise Spielka­rten (siehe unten) gehan­delt haben.
  4. Arbeits­gedächt­nis, zweifache Auf­gabe. Die Schüler soll­ten sich erst eine Infor­ma­tion­sein­heit merken, dann eine zweite, dann die erste mit ein­er drit­ten ver­gle­ichen, dann die zweite Ein­heit vergessen und sich die erste und dritte merken.
  5. Ein­fach­es Ler­nen. Den Schülern wurde eine Rei­he von Spielka­rten gezeigt und sie soll­ten durch einen Tas­ten­druck mit­teilen, ob sie glaubten, die jew­eilige Karte in der Serie vorher schon gese­hen zu haben.
  6. Assozia­tives Ler­nen. Die Schüler mussten sich Assozi­a­tio­nen zwis­chen zwei Spielka­rten merken.
  7. Ver­fol­gen und Vorher­sagen von Bewe­gun­gen. Die Schüler soll­ten den Pfad ein­er Spielka­rte ver­fol­gen und vorher­sagen, wo sie sich hin­be­we­gen würde.
  8. Stroop-Test. Die Schüler soll­ten Farb­wörter lesen, die entwed­er in ein­er neu­tralen Farbe oder in ein­er dem Wort wider­sprechen­den Farbe auf einem Bild­schirm erschienen. Der Stroop-Test ist ein Klas­sik­er unter den psy­chome­trischen Verfahren.

Die Wis­senschaftler sucht­en dann nach Zusam­men­hän­gen zwis­chen den Leis­tun­gen der Schüler bei der Bear­beitung dieser Auf­gaben und den drei Aspek­ten der Han­dynutzung, die sie zuvor in den Frage­bö­gen abge­fragt hat­ten. Dabei kam her­aus, dass es grund­sät­zlich keinen Zusam­men­hang zwis­chen der Dauer der Han­dynutzung und die Reak­tion­s­geschwindigkeit oder die Anzahl der richti­gen Reak­tio­nen bei der Bear­beitung der Auf­gaben gab. Die Schüler, die schon seit Jahren ein Handy nutzten, waren wed­er schneller noch langsamer als diejeni­gen, die dies erst seit kurzem tun.

Bei den anderen bei­den Aspek­ten der Han­dynutzung, also der Häu­figkeit von Tele­fonat­en und dem Versenden und emp­fan­gen von SMS waren die Ergeb­nisse durchwach­sen. Ich habe sie in der fol­gen­den Tabelle zusammengefasst:

TEST HÄUFIGKEIT VON TELEFONATEN HÄUFIGKEIT VON SMS ANMERKUNGEN
Reak­tion (Ein­fach) Kein Effekt Kein Effekt
Reak­tion (Auswahl) Kein Effekt Kein Effekt
Arbeits­gedächt­nis (Ein­fach) Mehr Fehler Mehr Fehler Nur bei hohem Wert für SMS und Telefonie
Arbeits­gedächt­nis (Dop­pelt) Mehr Fehler Mehr Fehler Bei hohem Wert für SMS oder Telefonie
Ein­fach­es Lernen Schneller Schneller Bei hohem Wert für SMS oder Tele­fonie oder Kombination.
Assozi­a­tion­sler­nen Schneller­Mehr Fehler Mehr Fehler Bei hohem Wert für SMS oder Tele­fonie oder Kombination.
Bewe­gungsvorher­sage Kein Effekt Kein Effekt
Stroop-Test Langsamer Kein Effekt

Zunächst gab es also bei ein­er Rei­he von Auf­gaben über­haupt keinen Zusam­men­hang zwis­chen Han­dynutzung und Auf­gaben­be­wäl­ti­gung: wed­er bei den bei­den Reak­tion­sauf­gaben noch bei der Vorher­sage von Bewe­gun­gen schnit­ten Schüler mit inten­siv­er Han­dynutzung anders ab als Schüler, die sel­ten mobil tele­fonierten oder SMS verschickten.

Für die bei­den Ler­nauf­gaben hat­ten für sich genom­men wed­er die Häu­figkeit von Tele­fonge­sprächen noch die Häu­figkeit des Versendens und Emp­fan­gens von Textnachricht­en einen Ein­fluss auf die Auf­gaben­be­wäl­ti­gung, wohl aber die Kom­bi­na­tion von bei­dem. Die Schüler, die sowohl häu­fig tele­fonierten als auch viele Textnachricht­en aus­tauscht­en, reagierten schneller und macht­en mehr Fehler als alle anderen.

Bei den Assozi­a­tion­sauf­gaben schließlich hat­ten die inten­sive Nutzung von Mobil­tele­fonie oder Textnachricht­en einen Ein­fluss auf die Leis­tung der Schüler, dieser Ein­fluss wurde ver­stärkt wenn bei­des häu­fig genutzt wurde. Auch hier waren die Inten­sivnutzer schneller und fehlerfreudiger.

Die Wis­senschaftler führen die bei­den Fak­toren „Geschwindigkeit“ und „Anzahl der Fehler“ zunächst auf eine Dis­po­si­tion zurück, die sie als „impul­sive Per­sön­lichkeit“ beze­ich­nen. Sie gehen, dur­chaus nachvol­lziehbar, davon aus, dass impul­sive Men­schen antworten, bevor sie sich ihrer Sache sich­er sind: Das führt zu ein­er schnelleren Reak­tion­szeit aber auch zu mehr Fehlern.

Die Autoren weisen dann sehr deut­lich darauf hin, dass ihre Studie keine Antwort darauf geben kann, ob dieses impul­sive Ver­hal­ten eine Folge oder eine Ursache der inten­siv­en Han­dynutzung ist. Es ist the­o­retisch denkbar, dass häu­figes mobiles Tele­fonieren und Tex­ten uns impul­siv­er macht, aber es kön­nte eben­sogut sein, dass impul­si­vere Men­schen ihr Handy inten­siv­er nutzen.

Gehen wir zunächst ein­mal davon aus, dass die inten­sive Han­dynutzung die Ursache für das impul­sive Antwortver­hal­ten war. Dann bleibt eine zweite offene Frage: ist dafür die Handys­trahlung ver­ant­wortlich, oder tat­säch­lich die SMS-Kürzel und die Tex­terken­nung, vor der die Wiener Ärztekam­mer so ein­dringlich warnt?

Die Autoren der Studie glauben nicht an die Strahlung als Ursache für das impul­sive Ver­hal­ten. Sie argu­men­tieren dabei wie fol­gt: Den elek­tro­mag­netis­chen Feldern, die ein Handy erzeugt, ist das Gehirn nur beim Tele­fonieren aus­ge­set­zt — beim Schreiben von Textnachricht­en hal­ten wir unsere Handys zu weit weg von unseren Köpfen, als dass deren rel­a­tiv schwache Strahlung unser Gehirn erre­ichen würde. Wenn impul­sives Ver­hal­ten also durch Strahlung aus­gelöst würde, dann müssten die Effek­te bei allen Schülern mit ein­er hohen Anzahl an mobilen Tele­fonge­sprächen zu beobacht­en sein, während die Häu­figkeit, mit der sie Textnachricht­en ver­schick­en und emp­fan­gen, keine Rolle spie­len sollte.

Wie wir gese­hen haben, hat das Ver­schick­en und Emp­fan­gen von Textnachricht­en bei den Assozi­a­tion­sauf­gaben aber dur­chaus einen Ein­fluss auf das Testver­hal­ten, und auch bei den Ler­nauf­gaben zeigt sich nur dann ein Effekt, wenn nicht nur viel tele­foniert son­dern auch viel getex­tet wird. Diese Ergeb­nisse sind mit einem Ein­fluss der Handys­trahlung auf das Gehirn nicht zu erklären.

Ver­mut­lich zitiert die Wiener Ärztekam­mer die Studie deshalb auch nicht im Zusam­men­hang mit ihrer War­nung vor Handys­tahlen, son­dern im Zusam­men­hang mit „Sprachver­fall und Kom­mu­nika­tions­de­fiziten“. Wie sieht es aber mit der These aus, dass es irgen­deine Eigen­schaft der SMS-Nachricht­en ist, die für die beobachteten Effek­te ver­ant­wortlich ist?

Die Autoren der Studie erwäh­nen diese Möglichkeit nur in einem Neben­satz in Bezug auf die automa­tis­che Tex­terken­nung (SMS-Kürzel wer­den in der ganzen Studie kein einziges Mal erwähnt):

Die Möglichkeit [dass die Han­dynutzung Ursache des impul­siv­en Antwortver­hal­tens ist], wird durch Funk­tio­nen [von Handys] nahegelegt, die häu­fig im Zusam­men­hang mit SMS ver­wen­det wer­den, wie etwa die automa­tis­che Erken­nung von Wörtern, die ins­ge­samt den Nutzer daraufhin trainieren, Geschwindigkeit gegenüber Genauigkeit zu bevorzugen.

The lat­ter pos­si­bil­i­ty is sug­gest­ed by func­tions often used in con­junc­tion with SMS, such as ‘pre­dic­tive tex­ting’, that in effect, train the user to favour speed over accu­ra­cy (S. 7)

Die Logik dieser Aus­sage erschließt sich mir nicht und beze­ich­nen­der­weise ver­fol­gen die Autoren der Studie diese The­o­rie auch nicht weit­er. Denn das, was die Wis­senschaftler so scharf­sin­nig in Bezug auf die Handys­trahlung fest­stellen, gilt natür­lich genau­so für SMS-Sprachtech­nolo­gien. Wenn das Schreiben und Lesen von Textnachricht­en die Ursache für das impul­si­vere Ver­hal­ten inten­siv­er Han­dynutzer wäre, dann müssten die Effek­te bei allen Schülern mit ein­er hohen Anzahl ver­schick­ter und emp­fan­gener SMS zu beobacht­en sein, während die Häu­figkeit von Tele­fonge­sprächen keine Rolle spie­len dürfte. Dies ist aber, wie bere­its dargestellt, nicht der Fall.

Es gibt also keinen Aspekt der Han­dynutzung, der als Ursache für ein impul­sives Ver­hal­ten her­hal­ten kön­nte. Damit ist die wahrschein­lich­ste Erk­lärung der Ergeb­nisse die, dass die Kausal­ität in die ent­ge­genge­set­zte Rich­tung geht: impul­si­vere Per­sön­lichkeit­en greifen öfter zum Handy. Das ist ja ohne­hin plau­si­bel, denn impul­sive Per­sön­lichkeit­en fol­gen grund­sät­zlich allen ihren Impulsen häu­figer (deshalb beze­ich­nen wir sie ja als impulsiv).

Bleiben die Ergeb­nisse des Stroop-Tests, die ich noch nicht erwäh­nt habe. Wir erin­nern uns: Schüler, die viel tele­fonieren aber wenige SMS schreiben, lasen die Wörter langsamer, macht­en aber nicht mehr oder weniger Fehler als die anderen. Auch das lässt sich kaum als Beweis für einen neg­a­tiv­en Ein­fluss des Handyge­brauchs inter­pretieren. Stattdessen dürfte es wahrschein­lich­er sein, dass Schüler mit ein­er schlecht­en Lesekom­pe­tenz mehr tele­fonieren als andere, das Schreiben und Lesen von Textnachricht­en jedoch ver­mei­den. Und dass eine schlechte Lesekom­pe­tenz zu langsameren Reak­tio­nen beim Stroop-Test führt, ist nicht nur intu­itiv plau­si­bel, es ist auch seit langem wis­senschaftlich belegt (z.B. West und Stanovich 1978).

Ich will hier keine all­ge­meine Ent­war­nung bezüglich möglich­er Auswirkun­gen von Handys­trahlen auf die Gehir­nen­twick­lung geben — das liegt zu weit außer­halb meines Kom­pe­tenzbere­ichs. Aber eins kann ich ver­sich­ern: Die vor­liegende Studie enthält keine Evi­denz für solche Auswirkungen.

Vor allem aber enthält sie nichts, was uns auch nur andeu­tungsweise zu der Ver­mu­tung anre­gen kön­nte, dass die automa­tis­che Tex­terken­nung oder gar SMS-Kürzel irgen­deinen Ein­fluss auf die Entwick­lung des Gehirns oder der Per­sön­lichkeit von Kindern haben kön­nten. Wie gesagt erwäh­nen die Autoren der Studie SMS-Kürzel mit keinem Wort und auch ihr Hin­weis zur Tex­terken­nung ist nur ein neben­bei hinge­wor­fen­er Gedanke, der es zwar gar nicht erst durch den Begutach­tung­sprozess hätte schaf­fen sollen, den wis­senschaftliche Stu­di­en vor ihrer Veröf­fentlichung durch­laufen, aber der in kein­er Weise als Ergeb­nis der Studie präsen­tiert wird.

Wer auch immer die Pressemel­dung für die Wiener Ärztekam­mer ver­fasst hat hat also die Studie nicht aufmerk­sam gele­sen, oder er hat bewusst ver­sucht, beste­hende Ressen­ti­ments gegenüber SMS-Kürzeln und kom­mu­nika­tion­s­gestörten Jugendlichen zu nutzen um die Ärztekam­mer ins Gespräch zu bringen.

Das schnelle und hil­fs­bere­ite Ver­hal­ten des Press­esprech­ers deutet darauf hin, dass hier keine böse Absicht im Spiel war. Wenn es sich um eine bewussten Täuschungsver­such han­delte, hätte er meine E‑Mail ja ein­fach ignori­eren kön­nen. Ohne seine Hil­fe hätte ich nicht ein­mal her­aus­find­en kön­nen, um welche Studie es sich han­delt, hätte also keine Chance gehabt, die Mel­dung als Zeitungsente zu ent­lar­ven. Ich nehme also an, dass der Ver­fass­er der Presseerk­lärung bei der Lek­türe der Studie seinen eige­nen Vorurteilen gegen SMS-süchtige, in zer­hack­ten Kürzeln kom­mu­nizierende Jugendliche aufge­sessen ist und Dinge in die Studie hinein­ge­le­sen hat. Das ist weniger ver­w­er­flich als ein bewusster Täuschungsver­such, aber trotz­dem darf es in der öffentlichen Kom­mu­nika­tion eines Ver­trauen­trägers wie ein­er Ärztekam­mer nicht passieren.

Lit­er­atur

ABRAMSON,Michael J., Geza P. BENKE, Christi­na DIMITRIADIS, Imo O. INYANG, Mal­colm R. SIM, Rory S. WOLFE und Rod­ney J. CROFT (2009): Mobile tele­phone use is asso­ci­at­ed with changes in cog­ni­tive func­tion in young ado­les­cents. Bio­elec­tro­mag­net­ics 2009, 1–9. [Abstract, DOI 10.1002/bem.20534]

WEST, R. F., & STANOVICH, Kei­th. E. (1978). Auto­mat­ic con­tex­tu­al facil­i­ta­tion in read­ers of three ages. Child Devel­op­ment 49, 717–727.

11 Gedanken zu „Verstrahlte SMS-Kürzel

  1. ajku

    Sehr schöne Replik!

    Aber ob da wirk­lich T9 gemeint war? T9 set­zt doch ger­ade Rechtschreibekom­pe­tenz voraus.

  2. Muriel

    Wer sich ein­mal eine Mei­n­ung gebildet hat, sucht ger­adezu unweiger­lich nach Bestä­ti­gung dafür und sieht sie dann an den abwegig­sten Orten. Davor sind auch Ärztekam­mern nicht gefeit.

  3. Anatol Stefanowitsch

    ajku (#1), ja, die Autoren sprechen von pre­dic­tive tex­ting, meines Wis­sens die englis­che Beze­ich­nung für T9 (und ähn­liche Tech­nolo­gien). Ihr Hin­weis ist sehr inter­es­sant! Tat­säch­lich muss man die Wörter richtig schreiben, wenn sie erkan­nt wer­den sollen — es stimmt also nicht, wie die Autoren behaupten, dass diese Tech­nolo­gie die Nutzer zu höher­er Geschwindigkeit bei mehr Fehlern verleitet.

  4. ajku

    Ana­tol Ste­fanow­itsch (#4): So ist es. Dazu ist übri­gens noch eine gewisse Clev­er­ness erforder­lich, um Kom­posi­ta und vor allem Pseu­do-Kom­posi­ta vorauss­chauend zu erken­nen, die im Lexikon nicht vorhan­den sind und also durch Down-Taste getren­nt einzugeben sind.

  5. DrNI@AM

    @4 und @1: Ist das so pauschal richtig, dass T9 “Buch­sta­bierkom­pe­tenz” voraus­set­zt? Gibt es nicht auch T9-Sys­teme, die den Rest des Wortes vorschla­gen, wenn man den Anfang eingetippt hat? Wären diese Sys­teme in sig­nifikant hoher Zahl im Ein­satz, so müsste man diesen Para­me­ter ggf. in ein­er solchen Studie berück­sichti­gen. Wo sind die Handy-Gurus unter den Lesern?! 🙂

  6. Anne H.

    Nun hat­te mir aus­gerech­net dieser Satz beson­ders gut gefall­en: … wie etwa die automa­tis­che Erken­nung von Wörtern, die ins­ge­samt den Nutzer daraufhin trainieren, Geschwindigkeit gegenüber Genauigkeit zu bevorzugen.

    Warum er nun in Bezug auf T9 nicht stim­men soll, leuchtet mir nicht ein. 

    Über­all dort, wo ich nur 2 oder 3 Buch­staben tip­pen muss und mir per Drop-down eine Auswahl ange­boten wird, tritt genau der Effekt ‘Geschwindigkeit vor Genauigkeit’ ein.

    Im 2. roten Absatz (Zitat oben) hat’s mich kurz geschüt­telt: “Dabei wird oft auf die Gefahren vergessen, …” 

    Ob der Redak­teur auch zu viel mit T9 ges­imst hat?

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