photokej hat ein schönes Hinweisschild bei einem türkischen Lebensmittelhändler gefunden, das auch aus Schplock-Perspektive spannend ist:
Der deutsche Text Libe Kunden wirzind urlaup Danke verrät nämlich einiges über das türkische Schriftsystem und das Türkische generell.
Türkisch wird erst seit 1928 in lateinischen Buchstaben geschrieben, davor benutzte man arabische Schriftzeichen. Die waren allerdings ziemlich inadäquat, weil man damit nicht alle Laute des Türkischen notieren konnte. Seit 1928 benutzt man nun also lateinische Buchstaben: <a b c ç d e f g ğ h ı i j k l m n o ö p r s ş t u ü v y z>
wir zind ≠ wir tsind
Wie die Buchstaben im Einzelnen ausgesprochen werden, könnt Ihr ganz leicht selbst herausfinden, nur auf das <z> will ich eingehen. Wie in sehr vielen anderen Sprachen auch1, steht das <z> im Türkischen nicht für [ts], sondern für ein stimmhaftes s.
Im Deutschen gibt es <ß> und <ss> ausschließlich für das stimmlose s. Der Buchstabe <s> kann aber sowohl für die stimmlose als auch für die stimmhafte Variante stehen: in <Ast> ist er stimmlos, in <Sonne> stimmhaft. Bei deutschen Wörtern ist das <s> am Wortanfang immer dann stimmhaft, wenn ein Vokal direkt darauf folgt. (See, Sau, sieben, … aber Slalom, Skript, Sniper2)
Die Schreibung <zind> für <sind> kommt also daher, dass im Türkischen <z> der Buchstabe für das stimmhafte s ist.
(Darauf folgt natürlich auch umgekehrt die Erkenntnis, dass Namen wie Özdemir nicht Ötzdemir gesprochen werden.)
urlaup
Urlaub wird im Deutschen ja tatsächlich mit einem p-Laut am Ende gesprochen. Schuld ist die “Auslautverhärtung”, ein Phänomen des Deutschen, das bestimmte Konsonanten am Silbenende stimmlos macht.
Betroffen sind
- die Plosive [b], [d], [g]
- Urlaub wird Urlaup gesprochen (aber: Urlaube)
- Rad wird Rat gesprochen (aber: Räder)
- Splog wird Schplock gesprochen (aber: Schplögge … ähm, okay, lieber Weg wird Week gesprochen, aber: Wege)
- die Frikative [v] (der w-Laut) und [z] (das stimmhafte s)
- brav wird braf gesprochen (wobei da auch viele Leute immer f sagen, auch bei brave)
- Los /lo:z/ wird Los gesprochen (aber: Lose [lo:zə])
Die Auslautverhärtung ist ein sehr altes Phänomen, schon im Mittelhochdeutschen gab es sie (<c> = [k]):
… ich sach, deist sicherlîchen wâr,
eins gebûren sun, der truoc [trug] ein har,
daz was reide unde val;
ob der ahsel hin ze tal mit lenge ez volleclîchen gienc [ging]. […]wie Troye wart besezzen,
dô Pârîs der vermezzen
dem künege ûz Kriechen nam sin wîp, [Weib]
diu im was liep [lieb] alsam sîn lîp [Leib], … (Meier Helmbrecht)
Zwischenzeitlich hat man aber wieder aufgehört, sie auch zu schreiben. Der Grund nennt sich “Morphemkonstanz” was eigentlich nichts anderes heißt, als dass man am Schriftbild klar erkennen können soll, dass <Urlaub> und <Urlaube> Formen ein und desselben Lexems sind.
Aber zurück zur türkischen Transferenz: Die Person hat nicht nur urlaup geschrieben, weil sie nach Gehör geschrieben hat. Im Türkischen gibt es nämlich ein Phänomen, das auch mit stimmhaften und stimmlosen Konsonanten zu tun hat:
p, t, k oder ç am Wortende werden bei vielen Wörtern stimmhaft, wenn eine Endung angefügt wird. Man könnte es auch als “Inlauterweichung” bezeichnen:
- [p], [t], <ç> [tʃ] werden zu [b], [d], <c> [dʒ], also stimmhaft
- [k] wird zu <ğ> [ɣ], einem stimmhaften Reibelaut (wobei der Buchstabe auch oft nur dazu dient, eine Vokallängung anzuzeigen)
Im Gegensatz zum Deutschen schreibt man das im Türkischen aber auch verschieden:
- <kitap> ‘Buch’
- <kitap>+<ım> → <kitabım> ‘mein Buch’
Der Verschriftung der deutschen Auslautverhärtung wird also durch die türkische Rechtschreibung nachgeholfen – wenn man den Wechsel von <b> und <p> schon kennt, kommt’s einem auch im Deutschen nicht unbedingt komisch vor.
wirzind urlaup – wo?
Mein letzter Punkt hat mir Rechtschreibung nichts mehr zu tun – es geht um die fehlende Präposition im.
Im Türkischen gibt es keine Präpositionen. Ihre Funktion wird in den meisten Fällen von Kasusendungen erfüllt, die ans Substantiv angehängt werden:
- im Haus braucht im Türkischen einen Lokativ, einen Kasus, der den Ort angibt, an dem sich etwas befindet: evde ‘Haus+LOK’ (auch: ‘zuhause’)
- aus dem Haus (heraus) braucht einen Ablativ, der anzeigt, dass etwas vom Substantiv entfernt wird: evden ‘Haus+ABL’
Ich nehme an, dass auch bei im Urlaub im Türkischen ein Lokativ stehen müsste (?).
Die beiden Systeme sind also nicht wirklich kompatibel. Dazu kommen die Genera des Deutschen: Um im Urlaub korrekt sagen zu können, muss man nicht nur die entsprechende Präposition kennen, sondern auch noch wissen, dass Urlaub maskulin ist und daher im braucht, nicht in der. (Ganz abgesehen von der Kasusflexion …)
Die Präposition wegzulassen, ist da wahrscheinlich das einfachste. Vor allem, wenn man endlich entspannt Ferien machen will.
Fußnoten:
1 Z.B. im Niederländischen (<zee> ‘See’). [z] ist auch das IPA-Zeichen für das stimmhafte s.
2 <s> vor Konsonant kommt nur in Wörtern vor, die entlehnt wurden. Das liegt daran, dass im Mittelhochdeutschen alle wortinitialen s-Laute vor Konsonant zu sch-Lauten wurden: Spiel, Schlag, Schrei, Stein, Schmuck, Schiff (aus skif), …
Ich wage mal, zu behaupten, dass Herr Demirels Türkisch auch nicht sehr viel besser ist als sein Deutsch.
Zunächst einmal würde ich Dir zustimmen, dass im Urlaub mit einem Lokativ übersetzt werden sollte, also izindeyiz. So wie Herr Demirel das schreibt, würde ich es mit ‚wir sind beurlaubt‘ übersetzen. Ich denke aber mal, dass er sich selbst aussucht, wann er Urlaub macht.
Außerdem schreibt er die türkischen Diakritika nicht konsequent. Es sollte müşterilerimiz und unutmıyacağım heißen.
Naja, eigentlich sollte es sogar unutmayacağım geschrieben werden, denn das Negationssuffix folgt der kleinen Vokalharmonie und kann somit die Formen me oder ma annehmen. Allerdings assimiliert der folgende Hiatustilger y den Vokal und macht ihn zu einem i oder ı. Das ist die einzige mir bekannte Umgebung, wo das türkische anders geschrieben als gesprochen wird. Vielleicht ist es mittlerweile aber auch erlaubt, i oder ı zu schreiben – ich bin nicht so auf dem Laufenden, was türkische Orthographie betrifft – aber ich denke eher nicht.
Außerdem schreibt er willkürlich Wörter mitten im Satz groß, nämlich hiç, beraberiz und amanet, welches übrigens emanet heißen sollte; seine Schreibweise ist wahrscheinlich dialektal bedingt.
Ach ja, und dann sollte es auch noch Allah’a heißen, da Suffixe von Eigennamen mit Apostroph abgetrennt werden.
Hmm, ziemlich präskriptiv das Ganze, was ich gerade geschrieben habe. Ich glaube, ich gehe mich erst mal waschen. Aber zumindest der Teil über das Negationssuffix ist hoffentlich trotzdem interessant.
Eine Sache noch: Sehr schön finde ich auch die Zusammenschreibung von wirzind. Ob das was damit zu tun haben könnte, dass das türkische kein Kopulaverb hat, sondern eben die Entsprechung von sind als Suffix am Prädikatsnomen ausdrückt. Hier steht sind aber nunmal hinter wir, also hängen wir es einfach mal da dran.
Oh, mir fällt doch noch was ein, was anders geschrieben als gelesen wird. Ich habe es eigentlich auch schon erwähnt. Eigennamen werden in der Schreibung nicht verändert, darum auch die Abtrennung mit Apostroph.
Mehmet+Dativ zum Beispiel würde also wegen der „Inlauterweichung“, die Du beschreibst, [mehmede] gesprochen; geschrieben wird es aber trotzdem .
Ups, da wurden meine Orthographie-Klammern als HTML-Tag interpretiert.
Also, geschrieben wird es <Mehmet’e>
*hehe* Ich fühle mich grade in die Zeiten unseres Natürliche-Graphematik-Referats zurückversetzt 😉
Das mit der Zusammenschreibung von wirzind ist cool. Ich habe auch drüber nachgedacht woher sie kommt, und dachte dann einfach, es sei der Nicht-Betonung von wir geschuldet. Dein Vorschlag ist aber viel spektakulärer.
Was steht übrigens sonst noch so auf dem Schild? Mein minimales Volkshochschultürkisch (Tautologie) ist nur für die Personalpronomina zu gebrauchen …
Biz izinliyız
Sizleni Hiç unutmiyacağım
sizleri seniyorum Allaha
Amanet Ahmet Demirel
32 senedir Beraberiz
Original
korrigiert
deutsch
Sevgili müsterılerimiz
Sevgili müşterilerimiz
Liebe (unsere) Kunden
Biz izinliyiz
Wir sind beurlaubt
Sizleri Hiç unutmiyacağım
Sizleri hiç unutmayacağım
Ich werde Euch/Sie nie vergessen
Sizleri seviyorum
Ich mag/liebe Euch/Sie
Allaha Amanet
Allah’a emanet
(Seid) Gott anvertraut
32 senedir Beraberiz
32 senedir beraberiz
Wir sind seid 32 Jahren zusammen
Na, wenn Dein Türkisch für die Personalpronomina reicht, könnte Dir sogar noch etwas interessantes aufgefallen sein, was ich gerade bemerke (wer hätte gedacht, dass man so viel aus dem Ding rausholen kann (sag Bescheid, wenn ich aufhören soll, Deine Seite zu annektieren, und stattdessen was an meiner eigenen machen soll)).
Dieses Mal keine Bemängelung: Herr Demirel benutzt hier die schöne Form sizler, also ‚ihr‘+‚Plural‘, was ein wenig redundant ist.
Ich persönlich empfinde das als höflicher. siz ist an sich ambig; es kann [plural ‑höflich], [singular +höflich] und [plural +höflich] sein. Indem man ein Pluralsuffix anhängt, nimmt man die einzige Singular-Bedeutung (also [+höflich]) und setzt diese in den Plural, womit man eindeutig [plural +höflich] erhält. Allerdings kann man das gleiche auch mit biz ‚wir‘ machen, wo meine Theorie dann nicht mehr so viel Sinn macht.
Frau Ersen-Rasch schreibt dazu:
Interessant, dass sie in der letzten Übersetzung nur noch „Ihnen allen“ schreibt, was ja wieder nach meiner Intuition klingt.
Interessant auch, dass die zwei türkischsprachigen Grammatiken, die ich zuhause habe, das Phänomen völlig unerwähnt lassen.
Hmm, das hätte eigentlich eine Tabelle sein sollen, aber anscheinen geht das nich in Kommentaren. Oder ich habe falsches HTML geschrieben.
Ja, Tabelle geht leider nicht. Hab ich auch schon probiert. Aber man kann ja auch so erkennen, wie’s gemeint ist.
Danke für die Übersetzung — das ist ja ein seltsamer Text. ‘Ich werde Sie nie vergessen’ klingt zumindest in der Übersetzung viel zu endgültig für einen Urlaub. Und was haben die 32 (Ehe?-)Jahre damit zu tun? Und wann kommt Herr Demirel aus dem Urlaub zurück?
Die Bedeutung, die Ersen-Rasch (Link kaputt?) für die Formen mit -ler angibt, unterscheidet sich also von der ohne darin, dass sie mehr auf die Gruppe als solche fokussiert ist, oder?
Sehr subtile Unterscheidung.
Hast Du mal andere MuttersprachlerInnen gefragt, was für sie der Bedeutungsunterschied ist? *neugier*
Mit der Seitenannexion bin ich übrigens vollkommen einverstanden, tob Dich aus! (Was nicht heißt, dass ich nicht sehnsüchtig auf neue Inhalte auf Deiner Seite warte.)
Ich finde den Text genauso seltsam. Man könnte ja jetzt böse Dinge reinlesen: “Ich bin seit 32 Jahren verheiratet und werde zum ersten Mal von meiner Frau beurlaubt. Da komme ich so schnell nicht mehr zurück (ich werde Euch aber nicht vergessen).”
Aber ich denke, dass er mit den 32 Jahren eher die Beziehung zur Kundschaft meint; die ist ja in so nem Lädchen etwas enger als im Supermarkt.
Wann er zurückkommt, scheint er wohl nicht für wichtig zu halten.
In der Türkei ist es aber auch ganz normal, so ein Lädchen mal geschlossen vorzufinden, weil der Verkäufer mal aufs Klo, zum Gebet oder sonstwohin musste. Feste Öffnungszeiten haben die nicht. Ist aber auch nicht weiter schlimm. Entweder man wartet kurz, weil er wahrscheinlich gleich wieder da ist, oder man geht in den nächsten Laden fünfzig Meter weiter. Andererseits kann man da aber meist noch einkaufen, wenn die Supermärkte schon längst geschlossen haben.
Keine Ahnung, was mit dem Link passiert ist. War aber eh nur auf die Produktseite (hier nochmal für Copy&Paste: http://www.hueber.de/huebershop/detail.html?refresh=true&action=show&isbn=978–3‑19–005185‑4&elka_id=347240&selected_elka_id=347240&theme=default&backtobasket=&backtosearch=true ).
Da mir das vorhin erst aufgefallen ist, habe ich noch keine anderen MuttersprachlerInnen gefragt. Ist aber auch nicht einfach, da nach der Intuition zu fragen. Sobald man fragt, fängt der- oder diejenige bestimmt an, nach plausiblen Erklärungen zu suchen, auch wenn diese nicht unbedingt dem Sprachgefühl entsprechen (wovon ich meine Erklärung nicht ausnehme).
Also isses eher sowas wie “Wir sind seit 32 Jahren für Sie da”?
Ja, Sprachgefühlfragen sind schwierig, zumal jede Person, die man gefragt hat, danach “verbraucht” ist. Ging mir auch bei Welli? Selli! so, nach ein paar Minuten fingen die Akzeptabilitätsurteile meiner Mutter an zu schwanken und ich musste zum nächsten Sprecher wechseln.
Ich kriege das Grinsen gar nicht mehr aus dem Gesicht, was mein Foto hier für Auswirkungen hat. Ich höre jetzt auf, krampfhaft Fotokunst erzeugen zu wollen und mache nur noch Gemüsehändlerreportagen. 🙂
Hehe, das wäre ja fast eine Idee für ein neues Blog: Die Sprachen der Welt, erklärt anhand Laden-Aushängen. Da kriegt man bestimmt einiges zusammen, wenn man ein bisschen sucht.
Und um den kleinen Aushang völlig auszusaugen, hier noch was für Namenskundler:
Demir-el heißt übersetzt ‚Eisen-Hand‘
Ja, sp würde ich das interpretieren, wenn ich ihm unterstelle, dass er sich an das Kooperationsprinzip hält. Ich habe sehr wörtlich übersetzt. Wobei ich das aber auch nicht so wie auf dem Aushang ausdrücken würde; das kann aber auch an meiner mangelnden Sprachkompetenz liegen.
Hab mich grad mit meinen Eltern darüber unterhalten – zunächst natürlich einzeln, um Interferenzen zu vermeiden.
Mein Vater meinte zunächst auch, dass sizler höflicher/formeller sein könnte, weil man mit siz ja auch eine einzelne Person meinen könnte.
Dann haben wir nach Kontexten gesucht, wo man nicht beides benutzen kann; und wir fänden es z.B. komisch ‚unser Haus‘ als bizlerin evi auszudrücken.
Letztendlich sind wir zu dem Schluss gekommen, dass die Formen mit Pluralsuffix eher Gruppenzugehörigkeit ausdrücken, also z.B. Ihr (Deutsche) und wir (Türken), während die ohne Suffix konkrete Mengen von Personen meinen. bizler würde ich demnach als ‚unsereins‘ übersetzen. Gibt es dazu eine Entsprechung in der 2. Person?
Eine andere, für mich plausible, Erklärung ist, dass die Formen mit Suffix jeden einzelnen und die ohne Suffix die Gruppe als Ganzes meinen. Wenn ich unser Haus sage, hat ja nicht jeder einzelne von uns ein Haus, sondern wir haben zusammen ein Haus. Das würde auch Herrn D.s Benutzung in ein besseres Licht werfen. Er würde dann also ausdrücken, dass er jeden einzelnen Kunden vermissen wird im Gegensatz zur ganzen Gruppe, während er nach der vorigen Erklärung die Kunden wegen ihrer Zugehörigkeit zur Gruppe der Kunden vermissen würde im Gegensatz zu einer fest abgesteckten Gruppe von Kunden, die ihm ans Herz gewachsen sind.
In jedem Fall aber betonen die Formen mit Suffix immer, dass es sich wirklich um viele handelt, die zu einer größeren Gruppe gehören; was ja auch Sinn macht, da es ein Pluralsuffix ist.
Gibt es Auslautverhärtung nicht im Türkischen auch (wenn auch anscheinend nicht für z)? Kitap und kebap kommen von arabisch kitab und kabab; [p] gibt es im Arabischen überhaupt nicht…
Über das Deutsche zu verallgemeinern, ist übrigens immer gefährlich. In Österreich gibt es sogar in der Schriftsprache keine Auslautverhärtung, weil /b d g/ sowieso schon stimmlos sind. Der Fortis-Lenis-Unterschied bleibt bestehen*, außer für /t/, das zu /d/ wird (nicht umgekehrt!), es sei denn, es steht ein Konsonant davor oder es handelt sich um gewisse grammatikalische Endungen unter gewissen Umständen. Und während es zwar einen Längenunterschied zwischen s und ss/ß gibt, gibt es kein [z]; das ist ein exotischer Laut, den ich für Englisch und Französisch erst zu artikulieren lernen musste.
Worin der Fortis-Lenis-Unterschied besteht, ist eine gute Frage. Es ist weder Aspiration noch Länge (die Schweizer “Fortes” sind lange Lenes) noch irgendeine Glottalisierung oder so. Soweit ich das beurteilen kann, werden die Fortes lauter losgelassen; es ist mehr Druck aus der Lunge dahinter. Und ja, die verhärteten Auslaute, die ich in Berlin gehört habe, sind tatsächlich Fortes, nicht einfach nur stimmlose Lenes. Für mich reimen sich Korinth und Rind nicht.
* Nicht in den östlichen Dialekten und der Wiener Umgangssprache, wo von vornherein nur Lenes existieren. Und das Tiroler /k/ ist ein alemannisch-artiges [gχ]. Und die Vorarlberger Dialekte sind überhaupt alemannisch.
In einer Grammatik, die ich hier habe (von Mehmet Hengirmen) steht dazu:
Meine Übersetzung:
Eine andere Grammatik (von Haydar Ediskun) führt die Laute einzeln auf. Bei b, c, d schreibt er, dass Schreibungen mit diesen Konsonanten am Ende lediglich orthographisch sind und wie p, ç, t ausgesprochen werden, z.B. seien ad und at im modernen Türkischen homophon. Zu g schreibt er nicht, ob es einen Unterschied in der Lautung gibt, sondern nur, dass Wörte wie arkeolog und monolog fremd sind.
Ich denke, von der türkischen Auslautverhärtung hört man nie, weil man sie nicht als Regel braucht, um Türkisch zu können. Man lernt die Wörter, wie sie geschrieben werden und das war’s; die Verhärtung ist ja schon bei der Entlehnung passiert. Im Deutschen hingegen muss man lernen, dass Tag mit [k] gesprochen wird, obwohl man g schreibt. Und im Türkischen muss man lernen, dass das p in kitap zu b wird, wenn ein Vokal im Suffix folgt. Und als Muttersprachler macht man die Auslautverhärtung eh automatisch, sowohl im Deutschen als auch im Türkischen, da braucht man keine Regel für.
Vielen Dank für die vielen Anmerkungen!
Zum Türkischen ist Mehmet kompetenter als ich — ich hatte die Regel bisher so verstanden, dass es durchaus Wörter mit stimmhaftem Auslaut gebe, aber dass alle mit stimmlosem Auslaut eben im Inlaut erweicht würden. Wenn es im Auslaut überhaupt keine stimmhaften Laute gibt und das lediglich orthographisch ist, ist es aber wirklich sinnvoller, von Auslautverhärtung zu sprechen.
Zum Deutschen: Ja, ich bin mir der Tatsache bewusst, dass im Süddeutschen eigentlich eher von einer Unterscheidung Fortes/Lenes statt von stimmlos/stimmhaft gesprochen wird. Ich habe auch schon von Leuten gehört, die stimmhafte Plosive im kompletten Deutschen verneinen.
Mit dem Österreichischen kenne ich mich leider gar nicht aus, aber dass es sich in dieser Hinsicht ähnlich wie das Süddeutsche verhält, passt ja gut rein.
Mit “Schriftsprache” in Österreich meinst Du nicht die geschriebene Sprache, sondern die Standardsprache, oder? In geschriebenem Neuhochdeutsch kann man diese Allophone ja nicht feststellen.
Dass die Unterscheidung Fortes/Lenes im Auslaut aufrechterhalten wird, finde ich spannend — wusste ich nicht.
Das [z], ja — ich musste es auch erst lernen und mach’s im Hochdeutschen bis heute nicht konsequent. Beim Verfassen habe ich mich natürlich auf die Hochsprache und ihre aussprachewörterbuchssanktionierte Lautung bezogen.
Bei dem Schweizer Lauten, die als “p”, “b”, “g” geschrieben werden, ist man sich ja meines Wissens gar nicht so sicher, ob man überhaupt von Fortes sprechen soll. Ich habe mal eine Hausarbeit über Notkers Anlautgesetz geschrieben und habe dazu einen Aufsatz von Lahiri/Krähenmann benutzt (hm, Understatement des Jahres — der Aufsatz war die Hauptliteratur der Hausarbeit), die, wenn ich mich recht entsinne, von Geminate vs. Simplex sprachen. (Das meinst Du wahrscheinlich auch, wenn Du sagst “die Schweizer „Fortes“ sind lange Lenes”.)
Fortes nach der Definition, die ich kenne, sind Laute, für die (im Gegensatz zu den entsprechenden Lenes) eine höhere Artikulationsenergie eingesetzt wird. Geminaten würde ich da nur sehr zögerlich dazurechnen — die brauchen zwar auch mehr Energie, aber eher als Begleiterscheinung der Länge.