Wahrscheinlich weiß jeder von Euch, dass man bei der Konjugation eines Verbs die “Personen” berücksichtigen muss. Da gibt es eine 1. Person Singular (ich), eine 2. (du), eine 3. (er/sie/es), und dann gibt’s die alle auch noch einmal im Plural (1. wir, 2. ihr, 3. sie). Woran liegt es aber, dass es zweimal bis drei geht? Warum sagt man nicht einfach 1., 2., 3., 4., 5. und 6. Person, und gut ist?
Das Prinzip ist sehr einfach, aber in meinem Leben vor der Uni war’s mir nicht wirklich klar – vielleicht ist es also auch für jemanden von Euch noch erhellend.
Das Konzept der “Person” benutzen wir, um das Verhältnis von Sprecherin und “Besprochenem” zu beschreiben. Sie kommt im Satz als Personalpronomen (ich, du, sie) oder Nominalgruppe (der müde Mann) vor. Und im Deutschen richten sich die Verben nach der Person des Subjekts, daher sind die Personen auch für die Konjugation relevant.
Wenn man sie sich gut anschaut, haben die beiden 1. Personen (Singular und Plural) etwas gemeinsam, genauso die 2. und die 3.
Das sind die drei Personen im Singular.
- 1. Person: Die Sprecherin meint sich selbst – Ich schreibe grade einen Blogeintrag.
- 2. Person: Die Sprecherin meint den Hörer – Du könntest mir auch mal helfen!
- 3. Person: Die Sprecherin meint jemand anders, der nicht am Gespräch beteiligt ist – Er geht mir ja sowas von auf die Nerven!
Im Plural ist es ähnlich – bei der 1. Person ist immer die Sprecherin dabei, bei der 2. immer der Hörer, und bei der 3. irgendwelche anderen Leute, die nicht am Gespräch beteiligt sind:
1. Person Plural
Die Sprecherin meint sich selbst und diejenigen, die zu ihrer Gruppe gehören – Wir gehen nachher noch was trinken.
Allerdings ist das Deutsche da nicht ganz so präzise wie manch andere Sprache. Es bleibt nämlich offen, was das genau für Leute sind, die zur Wir-Gruppe gehören. Da gibt es zwei Möglichkeiten:
a) Ich spreche für mich und mindestens eine weitere Person, meine aber meinen Gesprächspartner nicht mit. Das ist die “exklusive” Bedeutung. Das grüne Männchen darf nicht mit in die Kneipe kommen:
b) Mein Gesprächspartner ist auch Teil meiner Gruppe, er ist in das Wir eingeschlossen. Das ist die “inklusive” Bedeutung. Das grüne Männchen kommt auch mit in die Kneipe:
Diese Unterscheidung muss man im Deutschen durch den Kontext treffen, was nicht immer gelingt. Andere Sprachen haben verschiedene Pronomen für ein exklusives und ein inklusives Wir. Hier die entsprechenden Wörter in Motu, einer ozeanischen Sprache Papua Neuguineas:
- 1. Person Singular: lau ‘ich’
- 1. Person Plural inklusiv: ita ‘ich und du (und evtl. Dritte)’
- 1. Person Plural exklusiv: ai ‘ich und Dritte (ätschbätsch, du nicht!)’
2. Person Plural
Die Sprecherin meint den Hörer und die Leute, die zu seiner Gruppe gehören. Das kann auch wieder auf zwei Arten geschehen, allerdings ist der Unterschied nicht so gravierend:
a) Die Sprecherin spricht nur eine Person aus der Gruppe an (z.B. weil die anderen nicht anwesend sind, oder eine andere Sprache sprechen, oder weil sie unhöflich ist …), es gibt also nur einen Hörer.
b) Die Sprecherin spricht alle Personen aus der Gruppe gleichzeitig an, es gibt also mehrere Hörer.
3. Person Plural
Bei der dritten Person Plural sind Leute gemeint, die nicht am Gespräch beteiligt sind. Im Gegensatz zum Singular jetzt eben mindestens zwei.
Hier müssen aber nicht unbedingt Menschen (oder Tiere) gemeint sein, die Gemeinten reden ja eh nicht mit. Es kann also auch um Dinge oder abstrakte Konzepte gehen.
Die 1. Person umfasst also immer die Sprecherin, die 2. immer den Hörer und die 3. unbeteiligte Personen oder Dinge. Im Singular immer nur eine Entität, im Plural mindestens zwei. (Und natürlich ist die Mindestzahl für den Plural in Sprachen, die den Dual haben, drei.)
begin{klugscheissen}
Naja, gehen wir doch mal von der direkten Rede aus: „Er sagte zu mir: ´du kannst mich mal´“
Wer sind jetzt die Sprechaktanten?
end{klugscheissen}
*hehe* Ich habe versucht, es auf einem einfachen Niveau zu halten, ich verzettle mich ja sowieso immer.
Bei direkten Zitaten gilt natürlich die Sprechsituation, in der das Zitat gefallen ist, nicht die, in der ich zitiere — danke fürs Klugscheißen 😉
Und die ganze 1.-Person-Plural-Sache wird auch noch ganz witzig, wenn man auch schriftliche Texte berücksichtigt — z.B. welche, die mehrere UnterzeichnerInnen haben. Da gibt es ja wirklich eine Situation, in der die gesamte Gruppe Sprecherin ist, nicht eine Person. Oder gilt das nur, wenn auch wirklich alle an der Entstehung des Textes beteiligt waren, andernfalls war die Schreiberin eben das, was sonst die Sprecherin ist, und der Akt des Unterzeichnens ist dem Akt des Dabeistehen-und-sich-nicht-Distanzierens gleichzusetzen? Oder sollte man von solchen Vergleichen lieber die Finger lassen?
Es geht aber auch anders: Wir ohne mich, z.B. Siehe http://www.iaas.uni-bremen.de/sprachblog/2009/06/02/wir-sind-wir/
Danke für den Link — sehr schöne Beobachtungen. Dieser Fall scheint allerdings rein pragmatisch zu sein, in der Grammatik hat er sich wohl nirgends niedergeschlagen.
Anatol Stefanowitsch zitiert zwar das Beispiel des Maxakali, aber das finde ich eher wackelig. Selbst wenn man die genannten Pronomen für Situationen verwenden kann, in denen man nicht dabei war, wie “wir Maxakali wohnen seit tausenden von Jahren hier”, ist “wir ohne mich” hier nicht wirklich grammatikalisiert:
a) Es ist nicht in allen Situationen obligatorisch, in denen es um eine Gruppe geht, der der Sprecher angehört, bei deren konkreter Aktion er aber nicht dabei war. Sonst gäbe es diese Pronomen nicht nur in Bezug auf das Volk.
b) “wir Maxakali” kann vielleicht benutzt werden, wenn man selbst nicht dabei war, es bedeutet aber nicht automatisch, dass man nicht dabei war. (“Wir Maxakali sprechen eine Ergativsprache” — der Sprecher auch.)
Lieber Blog-Schreiber,
Dein Eintrag hat mir sehr geholfen. Ich unterrichte in einer Flüchtlingseinrichtung Deutsch und konnte die Frage nicht beantworten, was der Unterschied zwischen 2. und 3. Person Plural ist. Jetzt kann ich es — Danke!
Ev-Kathrin
Die 1. und 2. Person treten im Übrigen nur als Pronomen auf, während alle anderen Subjekte und Objekte eines Satzes der 3. Person entsprechen, daher auch die enge Verwandtschaft zwischen bspw. es, er, sie, sie und das, der, die, die.
Das Deutsche scheint außerdem eine engere Verwandtschaft zwischen 1. und 3. Person anzunehmen, da das kongruente Verb fast immer gleich flektiert, nur im Präsens Singular nicht (ich sage, es sagt, aber wir sagen, sie sagen und ich sagte, es sagte sowie Konjunktiv ich sage, es sage), während die . Das würde systemisch für ein exklusives Default-wir sprechen.