Ich habe ja die Suchanfrage katakana guten tag kürzlich zum Anlass genommen, ein bißchen was über japanische Schriftsysteme zu schreiben. Dabei habe ich geschrieben:
Auf Japanisch heißt ‘Guten Tag’ konnichiwa. […] Das wird normalerweise so geschrieben:今日は.
Nun stimmt es auf jeden Fall, dass 今日は (sehr oft auch in Hiragana-Schreibung: こんにちは) benutzt wird, um jemanden zu grüßen. Die Form heißt aber wörtlich nur ‘dieser Tag, heute’ oder ‘was diesen Tag/heute betrifft’. 今 (こん) kon steht für ‘dies’ und 日 (にち) nichi für ‘Tag’. 日 heißt übrigens auch noch ‘Sonne’ und ist ein Teil des Wortes Japan: 日本 nihon (‘Sonnenursprung, ‑basis’).
Das は ist eine Partikel. (Ja, in der Sprachwissenschaft ist es die Partikel, Mehrzahl die Partikeln.) Japanische Partikeln zeigen die Funktion eines Wortes in einem Satz an. Sie sind also so ähnlich wie Kasusendungen, nur dass sie nicht direkt am Wort kleben, sondern am Ende der betreffenden Wortgruppe (“Nominalphrase”) stehen. Es gibt eine Partikel, die das Subjekt markiert (が ga) und eine, die das Objekt markiert (を o). Es gibt auch eine, die eine Genitivkonstruktion bilden kann (の no) und noch eine Menge mehr mit anderen Funktionen. Hier mal ein Satz:
犬 | が | 猫 | を | 追いかけていた。 |
Hund | SUBJ | Katze | OBJ | verfolgte |
‘Ein Hund verfolgte eine Katze.’
Die Partikel は hat eine interessante Funktion: Sie ist ein Topikmarker.
Weil das Topik im Deutschen meistens auch gleichzeitig das Subjekt des Satzes ist, haben deutsche JapanischlernerInnen oft enorme Probleme damit, den Unterschied zwischen der Subjektpartikel が und der Topikpartikel は zu verstehen. Ganz grob vereinfacht markiert die Topikpartikel den Teil des Satzes, über den eine Aussage getroffen wird. Wenn sich z.B. in einer Runde Leute vorstellen und man sagt 私はクリスチーンです (ich TOP Kristin bin) ‘Ich bin Kristin’ dann benutzt man は um zu betonen, dass es jetzt um einen selbst geht. Also als würden sich im Deutschen Hanspeter, Caroline, Fritz und Bettina schon vorgestellt haben und dann sage ich “Ja, und ich bin Kristin” oder “Ich bin Kristin”. Dabei betont man also den Gegensatz zu allen anderen. Das ist nur eine Funktion des Topiks, ich belasse es jetzt aber mal dabei.
Als Hilfskonstruktion um den Unterschied zum Subjekt deutlich zu machen, benutzt man beim Erklären oft die Wendung was X betrifft … Das allerdings ist nicht besonders elegant und keine gute deutsche Übersetzung des japanischen Satzes.
Bei 今日は ist das は ein Hinweis darauf, dass es sich wahrscheinlich einmal um einen Satzteil gehandelt hat, man mittlerweile aber nur noch den Anfang sagt – das, worüber man eine Aussage treffen will. Ich habe leider kein etymologisches Wörterbuch für’s Japanische (und wenn, könnte ich es wohl nicht lesen), aber ich habe ein bißchen gegooglet und z.B. diese Erklärung gefunden:
btw, こんにちは does actually just mean Today.…..
It’s adoption as a greeting is customary; it is used as an entry into a conversation:
こんいちは、どうですか?
So, how are you / how are things today?
The abbreviation to its use as a greeting similar to Hello or Good Day is an adopted custom.
Danach kommt es also von Wie geht’s heute? Da im selben Eintrag aber ein Fehler steckt, was Guten Morgen betrifft, bin ich noch etwas skeptisch, ob’s wirklich von genau dieser Konstruktion kommt. Dass da aber mal was gewesen sein muss, halte ich für ziemlich sicher.
Guten Tag im Deutschen hat ja auch einen Teil seines Satzes verloren, nämlich so etwas wie Ich wünsche dir einen guten Tag! Und sogar das guten geht oft unter. Das passiert übrigens in vielen Sprachen und ist ganz natürlich: Oft gebrauchte Grüße müssen kurz sein, man kann ja nicht immer den Riesenaufwand eines ganzen Satzes betreiben.
[quote]Ganz grob vereinfacht markiert die Topikpartikel den Teil des Satzes, über den eine Aussage getroffen wird. Wenn sich z.B. in einer Runde Leute vorstellen und man sagt 私はクリスチーンです (ich TOP Kristin bin) ‘Ich bin Kristin’ dann benutzt man は um zu betonen, dass es jetzt um einen selbst geht. Also als würden sich im Deutschen Hanspeter, Caroline, Fritz und Bettina schon vorgestellt haben und dann sage ich “Ja, und ich bin Kristin” oder “Ich bin Kristin”. Dabei betont man also den Gegensatz zu allen anderen.[/quote]
Das mag der groben Vereinfachung zum Opfer gefallen sein, aber ich finde den Absatz recht unglücklich formuliert; beim Thema GA vs WA herrscht ja allgemein gern Verwirrung.
WA ist nämlich genau nicht betonend, das Gegenteil ist der Fall, der Fokus wird auf den nachfolgenden Teil gelenkt. Betonend wäre GA. Ein kurzes Beispiel:
Jemand sucht in einer Menge besagte Kristin und frägt (ja, ich bin Bayer und es heißt “frägt”! :3) versehentlich die falsche Person. Daraufhin meldet sich die richtige Kristin wahlweise mit “watashi ga kristin desu!” oder eher mit dem etwas natürlicheren “kristin wa watashi desu.” Im ersten Falle wird watashi markiert durch GA und betont, daß die eigene Person und nicht jemand anders diese Kristin ist. Im zweiten Falle wird Kristin topikalisiert und damit die Betonung auf das nachfolgende gelenkt, also wiederum auf das watashi.
Vielleicht war das auch so gemeint und ich habe das nur falsch verstanden (mein Deutsch hat durchaus etwas gelitten, voll schlimm diese Trennung von der trauten Heimat). In diesem Falle Verzeihung für das allzu penetrante Besserwissen^^’