Letzte Woche wies mich Sprachblogleser „Jim“ per E‑Mail auf einen Beitrag im Blog der Berliner Rechtsanwaltskanzlei Hoenig hin, in dem sich der Autor über die Logik des Wortes empfindlich Gedanken macht. Ich zitiere den Beitrag hier in ganzer Länge (da der Autor des Zitats Rechtsanwalt ist, weise ich vorsorglich darauf hin, dass ich mich zur Rechtfertigung dieses Vollzitates auf §51 des Urhebergesetzes, insbesondere auf Satz 2, Nr. 1 berufe):
Aus einem Haftbefehl:
Der Beschuldigte hat im Falle seiner Verurteilung mit einer empfindlichen Freiheitsstrafe zu rechnen, die nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann.
Das ist Quatsch. Sprachlich jedenfalls. Denn nicht die Freiheitsstrafe ist empfindlich, sondern allenfalls der Beschuldigte.
Jim stellt dazu folgende Überlegungen an:
Mir ist dieser Ausdruck allerdings vollkommen geläufig, und auch Google liefert für “empfindliche Strafen” immerhin fast 15000 Treffer.
Bei näherer Betrachtung müsste empfindlich meinem Sprachgefühl nach bedeutungsgleich sein mit empfindbar also analog zu hör- oder sehbar. Unter diesen Umständen könne i.d.R. nur die Strafe „empfindlich“ sein und die Bezeichnung von Personen als „empfindlich“ wäre die eigentlich ungewöhnliche Konstellation.
Auf der anderen Seite ist empfindlich evtl. analog zu schmerzlich. Das wird oft verwendet wie schmerzhaft. Aber was würde dann empfindhaft bedeuten?
Jim hat zunächst recht mit seiner Beobachtung, dass an dieser Verwendung, logisch oder nicht, nichts Ungewöhnliches ist. Das bemerkt auch in den Kommentaren zum Originalbeitrag jemand und weist darauf hin, dass sie sogar im Wörterbuch steht. Ich zitiere hier, wie der Kommentator, das Bertelsmann-Wörterbuch:
emp|find|lich [Adj. ] 1 fähig, sinnliche Reize wahrzunehmen; sehr, nicht e. sein; e. gegen Kälte, Wärme, Licht sein 2 auf physikalische, chemische Reize reagierend, sie anzeigend; ein sehr ~es Gerät 3 auf seelische Reize leicht reagierend, leicht verletzbar; sei bitte nicht so e.; er ist allzu e. 4 stark spürbar; eine ~e Strafe; es ist e. kalt
Jim hat ebenfalls recht mit seiner Intuition, dass empfindlich in dieser Verwendung semantisch mit empfindbar vergleichbar ist (interessanterweise verwendet das Bertelsmann-Wörterbuch in seiner Definition das Wort spürbar). Zwei Kommentatoren im Kanzleiblog weisen ebenfalls auf einen Zusammenhang zwischen -lich und -bar hin. „rodpython“ schreibt:
Man könnte ja auch „empfindbare“ Freiheitsstrafe sagen (wie bemerkbar, wahrnehmbar. Dann bezieht sich das ganze auch wieder deutlicher auf den Beschuldigten.
Klingt natürlich bescheuert.
Und „TG“ schreibt gleich im ersten Kommentar zum Beitrag:
Empfindlich bedeutet hier in seiner zugegbenermaßen etwas veralteten Bedeutung „merkbar“, etwas ist „empfindlich“, wenn es (als unangenehm) empfunden wird oder werden kann. Schließlich leidet auch das gemeine empfindliche Übel im Allgemeinen nicht unter emotionaler Belastung, wie es dann bei Ihrer Ansicht wohl sein müsste.
Auf das empfindliche Übel weist auch Kommentator „ballmann“ hin. Er verlinkt auf den § 240 des Strafgesetzbuches, in dessen Abs. 1 es heißt:
Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Fassen wir also zusammen. Erstens, das Wort empfindlich kann sich auf „merkbare“ oder „spürbare“ Dinge und Ereignisse beziehen, etwa Strafen oder Übel. Diese Verwendung ist häufig, sie findet sich nicht nur im umgangssprachlichen Gebrauch sondern auch in Gesetzestexten, und sie ist im Wörterbuch verzeichnet. Zweitens, es scheint eine semantische Verwandschaft zwischen Wörtern mit -lich und Wörtern mit -bar und -haft zu geben, empfindlich bedeutet im Zusammenhang mit Strafen oder Übeln ungefähr soviel wie empfindbar.
Andererseits hat auch Hoenig in seinem Blogbeitrag irgendwie recht mit der Beobachtung, dass man ja nicht nur von empfindlichen Strafen sondern auch von empfindlichen Menschen redet und dass es nicht logisch erscheint, sowohl eine Strafe als auch den Bestraften mit dem selben Wort zu beschreiben.
Er irrt aber in zwei Punkten. Erstens erwartet er, dass es bei der Verwendung von Suffixen logisch zugehen muss. Zweitens macht er den Fehler vieler Sprachnörgler (womit ich nicht sagen will, dass er einer ist) und geht ganz natürlich davon aus, dass seine Intuition bezüglich der korrekten Verwendung von Wörtern richtig und alle ihm nicht richtig erscheinenden Verwendungen deshalb „Quatsch“ sind.
Der erste Irrtum ist nachvollziehbar. Er beruht auf der Erwartung, dass Sprachen sich durchgängig systematisch verhalten. Es scheint plausibel, dass die kleinsten Bausteine des Sprachsystems je eine einzige feststehende Bedeutung haben (man nennt das „Monosemie“), und dass diese Bedeutung erhalten bleibt, wenn die Bausteine zu größeren Einheiten zusammengesetzt werden (man nennt das „Kompositionalität“). Ein System, in dem monoseme Einheiten kompositionell kombiniert werden, scheint effizienter als eines, in dem das nicht der Fall ist.
Wenn ein nachdenklicher Mensch jemand ist, der viel nachdenkt, ein fürsorglicher Mensch jemand ist, der für andere sorgt, und ein zögerlicher Mensch jemand ist, der gerne zögert, dann scheint doch [X‑lich Y] so etwas zu bedeuten, wie „Y, der/die/das (oft/viel) X tut“. Die Verwendung empfindlicher Mensch erscheint aus dieser Sicht logisch — es ist eben ein Mensch, der stark empfindet.
Andererseits ist ein beachtlicher Erfolg nicht ein Erfolg, der einen Hang dazu hat, etwas zu beachten. Es ist ein Erfolg, den wir beachten können oder sollen. Eine leserliche Schrift ist eine Schrift, die wir lesen können, eine löbliche Absicht ist eine Absicht, die wir loben sollten, und ein verständlicher Irrtum ist einer, für den wir Verständnis haben müssen. Also bedeutet [X‑lich Y] wohl so etwas wie „Y, den/die/das wir X‑en können/sollen“. Die Verwendung empfindliche Strafe erscheint aus dieser Sicht logisch — es ist eben eine Strafe, die empfunden werden soll.
Wer nun erwartet, dass Sprachbausteine eine einzige feststehende Bedeutung haben (monosem sind), dem muss es unlogisch erscheinen, dass -lich sowohl „Y, der/die/das (oft/viel) X tut“ als auch „Y, den/die/das wir X‑en können/sollen“ heißen können soll und dass es deshalb Wörter wie empfindlich gibt, die sowohl „jemand, der etwas empfindet“ und „etwas, das empfunden wird“ bedeuten.
Und wenn es schon einen Baustein mit mehr als einer Bedeutung gibt, dann sollten sich diese Bedeutungen gemäß des Kompositionalitätsprinzips in allen Wörtern wiederfinden, in denen dieser Baustein vorkommt. Wörter mit -lich sollten also durchgehend beide hier genannten Bedeutungen haben. Doch das ist nicht immer der Fall. Ein fürsorglicher Mensch, zum Beispiel, ist ausschließlich einer, der für andere sorgt, und nie jemand, für den wir sorgen. Ein löblicher Mensch, andererseits, kann nur ein Mensch sein, den wir loben können/sollten, nicht einer, der uns lobt.
Leider funktionieren Sprachen so nicht. Erstens ist es eher die Norm als die Ausnahme, dass Morpheme (wie die „Bausteine“, von denen ich hier gesprochen habe, in der Sprachwissenschaft heißen) mehr als eine Bedeutung haben. Man nennt das Polysemie, also etwa „Vielbedeuterei“. Zweitens gibt es zwar in allen Bereichen der Sprache Elemente und Kombinationsregeln, die dem Kompositionalitätsprinzip folgen, aber es gibt immer auch Elemente und (scheinbare) Regeln, die das nicht tun.
Vor allem auf der morphologischen Ebene, auf der Wörter aus kleineren Einheiten zusammengesetzt werden, ist das Kompositionalitätsprinzip sehr eingeschränkt. Es gibt Suffixe, die an (fast) alle Wortstämme einer bestimmten Klasse angehängt werden können und die dann (fast) immer ihre Bedeutung behalten. Das Suffix -bar, beispielsweise, kann im Prinzip an alle Verbstämme angehängt werden und bedeutet im Prinzip immer „kann ge-X‑t werden“: vorstellbar — „kann vorgestellt werden“; essbar — „kann gegessen werden“; spürbar — „kann gespürt werden“. Solche Suffixe nennt man „produktiv“, weil sie wegen ihres kompositionellen Verhaltens dazu verwendet werden können, neue Wörter zu erfinden: glaubbar — „kann geglaubt werden“ (hat nur etwas über 1200 Google-Treffer); verschlingbar — „kann verschlungen werden“ (spärliche 141 Google-Treffer); und das oben schon vorgeschlagene empfindbar — „kann empfunden werden“ (immerhin 3500 Google-Treffer). Solche Wörter klingen anfänglich etwas fremd, aber das liegt oft daran, dass es bereits etablierte Wörter mit derselben Bedeutung gibt (etwa glaubhaft und eben empfindlich).
Aber selbst bei produktiven Suffixen gibt es Ausnahmen vom Kompositionalitätsprinzip: wunderbar heißt nicht „kann (be)wundert werden“, sonderbar heißt nicht „kann gesondert (?) werden“ und dankbar heißt nicht „kann gedankt werden“. Ein Grund für diese Ausnahmen ist der, dass komplexe Wörter, wenn sie häufig genug sind, in unseren Gehirnen nicht im Augenblick ihrer Verwendung aus ihren Einzelteilen zusammengesetzt sondern als Ganzes gespeichert werden. In dem Moment, wo das geschieht, werden diese Wörter im Prinzip unabhängig von ihren Einzelteilen und ihre Bedeutung entwickelt sich im Gebrauch eigenständig weiter.
Jim vermutet in seiner Email an mich, dass das eventuell bei empfindlich passiert ist:
Die dritte Möglichkeit wäre, dass eine der Verwendungsweise von empfindlich technisch schlicht falsch, aber durch ständigen Gebrauch trotzdem üblich geworden ist.
Und das stimmt. Ich komme gleich darauf zurück, aber vorher will ich noch kurz daraufhinweisen, dass häufig Situationen entstehen, bei denen sich soviele Wörter mit einem bestimmten Suffix auf ihre eigene semantische Entwicklungsreise begeben, dass das Suffix selbst seine Fähigkeit verliert, vorhersehbare neue Wörter zu bilden. Mit -lich ist das vor langer Zeit passiert: wenn ein bestimmter Verbstamm (oder auch Substantivstamm) nicht bereits mit dem Suffix -lich in der Sprache existiert, können wir das entsprechende Wort nicht einfach erfinden: vorstell-lich oder glaublich gibt es ebensowenig wie esslich/verschlinglich oder spürlich, obwohl wir die bedeutungsverwandten Wörter unglaublich, köstlich und eben empfindlich haben. Das Suffix -lich ist sprachgeschichtlich sehr alt und nicht länger produktiv.
Was ist aber nun mit empfindlich? In der Tat ist eine der beiden Verwendungen ursprünglicher, die andere hat sich später entwickelt. Und hier irrt Hoenig zum zweiten Mal: es ist die Verwendung in empfindliche Strafe oder empfindliches Übel, die zuerst da war. Wenn überhaupt, dann ist es „sprachlicher Quatsch“ von empfindlichen Menschen zu sprechen. Wenn man schon Sprachnörgelei betreibt, dann doch bitte historisch akkurat.
Aber noch besser ist es natürlich, sich gar nicht erst zum Richter über die Sprache zu erheben. Etwas Demut wäre angemessen, denn die deutsche Sprache und alle anderen heute gesprochenen Sprachen sind das Ergebnis von vorsichtig geschätzten dreißigtausend Jahren Sprachentwicklung. Wenn wir uns selbst nicht ausrotten, wird sie sich weiterentwickeln und auch in weiteren dreißigtausend Jahren noch unseren Nachkommen zur Kommunikation dienen. Alles, was Hoenig, Jim, ich oder sonst irgendwer zum Thema Sprache zu sagen haben, ist dagegen abenteuerlich unwesentlich, unabänderlich vergänglich und bedauerlich entbehrlich.
Dass es „glaublich“ nicht gebe, scheint mir kaum glaublich. Googlehupf: 19.700 Treffer für “kaum glaublich” (gut viermal so viele für glaublich alleine, aber das mag ein Artefakt sein). Oder sagen wir: „un- ~ kaum“?
Das DWDS bietet durchaus ein paar „positive“ glaublichs im Komparativ und neben kaum u.a. noch nicht, schwer und einschränkende Kontexte (bei insgesamt nur zwölfmal glaublich im Kernkorpus, allesamt vom Anfang des 20. Jh., und im größeren Korpus 96, 79 davon vor 1940).
(da der Autor des Zitats Rechtsanwalt ist, weise ich vorsorglich daraufhin, dass ich mich zur Rechtfertigung dieses Vollzitates auf §51 des Urhebergesetzes, insbesondere auf Satz 2, Nr. 1 berufe)
Ich kann mir kaum vorstellen, dass der Herr so humorlos sein könnte — man beachte das Bild von ihm auf seiner Kanzleiseite (endet mit .de) vor einer “Wanne”, die mit dem Schriftzug seiner Kanzlei versehen ist :o)
Hoppla. Das sollte eigentlich ein Smiley mit dicker Nase werden 🙂
Entschuldigt den Spam, aber der falsche Smiley verfälscht den Sinn meines Postings.
Wenn ein Idiom (~Ausdruck, dessen Bedeutung sich nicht kompositional erschliessen lässt) als Ganzes im mentalen Lexikon gespeichert ist, inwiefern ist er synchron betrachtet dann noch komplex?
Bezüglich des Suffixes ‑bar wurden gerade die Wörter “wunderbar” und “sonderbar” als die Ausnahmen von der Regel beschrieben, was ja im heutigen Deutsch auch zutrifft. Hier ist gerade die diachrone Betrachtung interessant und hilfreich. Denn gerade diese Wörter enthalten das Suffix in seiner ursprünglichen Bedeutung: ‑bar kommt von “tragen” (idg. *bher-) und ist verwandt mit z.B. gebären (urspr. ein Kind austragen) oder dem englischen to bear “(er)tragen”. Ausgehend von den oben beschriebenen Beispielen und auch z.B. “fruchtbar”, in dem die eigentliche Bedeutung besonders gut bewahrt ist, nämlich “fruchttragend” (von Bäumen, Sträuchern), hat dann die Bedeutungsverschiebung in Richtung “kann getan werden” stattgefunden. Wenn ich es mir recht überlege, stellt “wunderbar” wahrscheinlich auch eher ein Zwischenglied als ein Beispiel mit besonders ursprünglicher Bedeutung dar: es kann auf beide Weisen verstanden werden: nämlich erstens, im ursprünglichen Sinne, als “Wunder-tragend” sowie zweitens in gewandelter Bedeutung “etwas, worüber man sich wundern kann”.
Ich schmunzle immer wieder über die Aufschrift einiger Altkleidungs-Container “Bitte nur tragfähige Kleidung einwerfen”.
“Leider funktionieren Sprachen so nicht.”: Die Sprachen vielleicht schon, aber die Sprecher nicht, weswegen Plansprachen auch nie durchgesetzt werden können.
Gab es denn mal eine Zeit, wo die deutsche Sprache (bzw. deren Vorläufer) logischer war und die Bedeutungen nicht so diffus und von Einzelfällen geprägt?
Die “geschätzten dreißigtausend Jahren Sprachentwicklung” scheinen mir doch angesichts der Tatsache, das homo sapiens Afrika vor 100.000 Jahren das erste Mal verlassen hat und Europa vor ca. 45.000 Jahren besiedelt wurde. 30.000 Jahre Sprache würde dann bedeuten, dass Sprache überall auf der Welt unabhängig voneinander entstanden sein muss — in Europa erst 15.000 Jahre nach eintreffen von homo sapiens…
siehe u.a.:
http://www.uni-leipzig.de/~muellerg/su/wunderlich.pdf
http://www.uni-leipzig.de/~bickel/lehre/sprachen/pdfs/sprachen3_evol.ppt.pdf
Bernhard (#1), danke für den Hinweis. Dazu morgen mehr.
TJ (#2), der Hinweis war auch nicht ganz ernst gemeint. Das Auto ist cool.
Patrick (#4), insofern, als dass er für Sprecher bei Bedarf analysierbar ist?
Yvonne (#5), danke für den etymologischen Hinweis.
Andreas (#6), im Ganzen sicher nicht, aber natürlich gibt es zu jedem Zeitpunkt Teilbereiche einer Sprache, die systematischer und „logischer“ sind als andere.
X (#7), ich schätze lieber konservativ. Im Übermut könnte ich auch 50–60.000 Jahre schätzen und den Beginn der Sprachentwicklung mit dem Beginn der kulturellen Diversifizierung der Homo-Sapiens-Sapiensis-Populationen in Einklang bringen, aber dann müsste man immer noch darüber nachdenken, ab wann man das Kommunikationssystem unserer Spezies als „Sprache“ bezeichnen wollte. Da man über die frühen Stadien nichts weiß und wenig sinnvoll spekulieren kann, halte ich mich lieber an meine 30.000, die natürlich irgendwie genauso aus der Luft gegriffen sind (ich komme auf diese Zahl, in dem ich die Differenz zwischen dem Beginn der kulturellen Diversifizierung und die tiefstmögliche Rekonstruktion des Indo-Europäischen nehme). Ob mich das auf die Position festlegt, dass Sprache überall auf der Welt unabhängig entstanden sein muss, weiß ich nicht. Zunächst mussten die genetischen Voraussetzungen für Sprache entstehen und sich in der ganzen Population durchsetzen. Das könnte vor dem Verlassen von Afrika passiert sein. Dann musste irgendjemand die Sprache erfinden, und die hätte sich dann über mehrere zehntausend Jahre per kultureller Diffusion über die ganze Welt verbreiten können. Oder sie ist tatsächlich mehrfach unabhängig voneinander entstanden. Wenn die genetischen Vorraussetzungen da sind, muss ja nur irgendein Schlaukopf auf die Idee kommen, tatsächlich etwas zu sagen. Warum sollte es nicht mehrere solcher Schlauköpfe gegeben haben. (Ist alles etwas grob vereinfacht und ins unreine, ich werde demnächst mal ausführlicher etwas dazu sagen.)
Ich erinnere mich an das Buch “Sprache der Eiszeit — Die ersten sechs Worte der Menschheit” von Richard Fester http://de.wikipedia.org/wiki/Richard_Fester_(Linguist)
Ist das was Seriöses?
Andreas H (#9), nein, das ist Science Fiction.
Die beiden Varianten des “-lich”-Suffixes nach Verben lassen sich meinem Eindruck nach aber schon systematisieren.
Die erste Variante „Y, der/die/das (oft/viel) X tut“ scheint mir in erster Linie auf Personen anwendbar zu sein. Nicht umsonst führen Sie hier als Beispiel immer den Menschen an. Dinge mit dieser Bedeutung scheinen mir animistisch interpretiert zu sein (Das empfindliche Messgerät, das fürsorgliche Sozialsystem…). Die zweite Variante „Y, den/die/das wir X‑en können/sollen“ hat einen direkteren Bezug zu Dingen, wie auch die von ihnen erwähnten Beispiele der leserlichen Schrift.
Die Vielfalt der Sprache bleibt eben doch unfasslich und unglaubbar.
@ Andreas H. (#9): Vielen Dank für den Hinweis auf den Wikipedia-Artikel zu R. Fester. Darüber bin ich zu folgender Abhandlung gekommen und habe sie teils amüsiert, teils aber auch mit Genuß am Gruseln gelesen. Schaut euch das mal an…
http://web.archive.org/web/20070929092434/http://freenet-homepage.de/thitus/ka005.htm
Lieber Anatol Stefanowitsch.
Ob Sie sich nun auf irgendwelche mir unbekannte Normen berufen oder nicht, wäre für eine irgendwelche mir nicht bekannte Urheberrechtsverletzung völlig ohne Belang. Das *Gesetz* bestimmt, was verboten ist; nicht der Berufer. 😉
Sie sollten im übrigen Rechtsanwälte nicht alle über einen Kamm scheren: Ich bin Strafverteidiger und als solcher ein ganz besonderer Rechtsanwalt.
Und nun das Wichtigste, nicht zuletzt: Vielen Dank für das Zitat und die schöne Diskussion über einen kleinen Gedanken, den ich irgendwann einmal hatte.
Beste Grüße aus Kreuzberg von
Carsten R. Hoenig
Ja super, hab ich ja gar nicht so sehr daneben gehauen mit meinem “empfindbar”. Das die Verwendung von Suffixen und dem ganzen Rest komplex und nicht immer vorhersehbar(!) ist, find ich eher klasse, wenn ich so darüber nachdenke. Ich geh da mit Orwell, bei dem die Plansprache (“Neusprech”) ja ein Mittel der Volksverdummung ist. Danke für die erhellenden Ausführungen.
Also, ich war ja einen Moment lang irritiert als “vorstell-lich” als nicht existentes Wort vorgestellt wurde. Ist aber natürlich so, aber es ist — zumindest für mich als hessischen Laien — verdammt nah an “vorstellig”, und es scheint mir auch einigermaßen zu dem Muster „Y, der/die/das (oft/viel) X tut“ zu passen, vielleicht mal abgesehen von dem “oft/viel”.
Lustigerweise wird das nach meinem Sprachgefühl (fast?) nie in der Gegenwart verwendet: “A.S. ist gerade beim Rechtsanwalt vorstellig” ist fragwürdig, “wird … vorstellig werden” oder “wurde vorstellig” hingegen geht…
Viele Grüße,
Simon
Carsten aus Hannover (#11), nun, das Suffix hat sowohl eine aktivische als auch eine passivische Bedeutung. Dass erstere tendenziell auf Menschen und letztere auf Sachen angewendet wird, ist sicher richtig, aber es ist natürlich nur eine Tendenz und es ändert nichts an der merkwürdigen Tatsache an sich, dass diese widersprüchlichen Bedeutungen überhaupt an der selben Form festgemacht sind.
Carsten R. Hoenig (#13), dass Sie Strafverteidiger sind, habe ich erst gesehen, nachdem ich den Beitrag geschrieben hatte. Wenn ich es vorher gewusst hätte, hätte ich mir natürlich keine Sorgen wegen einer unbegründeten Abmahnung gemacht (ich weise aber nun vorsichtshalber darauf hin, dass der Begriff „Sprachnörgler“ nicht als Beleidigung im Sinne des §185 StGB gemeint ist und dass ich Sie außerdem nicht als solchen bezeichnet habe…). Ihre Blogs und vor allem auch Ihr Kanzleifahrzeug gefallen mir gut. Falls ich jemals in Berlin einer Straftat beschuldigt werde (was absolut im Bereich des Möglichen liegt), werde ich mich auf jeden Fall an Ihre Kanzlei wenden!
Die Grimmschen Sprachwisser haben noch etliche zwanzig solcher einfacher Einsichten zu bieten, die Sprachmacher, ‑nörgler, ‑wissenwoller… “reinziehen” sollten, bevor sie sich als Sprachkanzlisten gerieren:
“EMPFINDLICH, sensibilis, dehnt, gleich dem lateinischen wort, sich in passive und active bedeutung, galt ehmals mehr von sachen, später mehr von personen.”