Sprachliche Empfindlichkeiten

Von Anatol Stefanowitsch

Let­zte Woche wies mich Sprach­blogleser „Jim“ per E‑Mail auf einen Beitrag im Blog der Berlin­er Recht­san­walt­skan­zlei Hoenig hin, in dem sich der Autor über die Logik des Wortes empfind­lich Gedanken macht. Ich zitiere den Beitrag hier in ganz­er Länge (da der Autor des Zitats Recht­san­walt ist, weise ich vor­sor­glich darauf hin, dass ich mich zur Recht­fer­ti­gung dieses Vol­lz­i­tates auf §51 des Urhe­berge­set­zes, ins­beson­dere auf Satz 2, Nr. 1 berufe):

Aus einem Haftbefehl:

Der Beschuldigte hat im Falle sein­er Verurteilung mit ein­er empfind­lichen Frei­heitsstrafe zu rech­nen, die nicht mehr zur Bewährung aus­ge­set­zt wer­den kann.

Das ist Quatsch. Sprach­lich jeden­falls. Denn nicht die Frei­heitsstrafe ist empfind­lich, son­dern allen­falls der Beschuldigte.

Jim stellt dazu fol­gende Über­legun­gen an:

Mir ist dieser Aus­druck allerd­ings vol­lkom­men geläu­fig, und auch Google liefert für “empfind­liche Strafen” immer­hin fast 15000 Tre­f­fer.

Bei näher­er Betra­ch­tung müsste empfind­lich meinem Sprachge­fühl nach bedeu­tungs­gle­ich sein mit empfind­bar also ana­log zu hör- oder sehbar. Unter diesen Umstän­den könne i.d.R. nur die Strafe „empfind­lich“ sein und die Beze­ich­nung von Per­so­n­en als „empfind­lich“ wäre die eigentlich ungewöhn­liche Konstellation.

Auf der anderen Seite ist empfind­lich evtl. ana­log zu schmer­zlich. Das wird oft ver­wen­det wie schmerzhaft. Aber was würde dann empfind­haft bedeuten?

Jim hat zunächst recht mit sein­er Beobach­tung, dass an dieser Ver­wen­dung, logisch oder nicht, nichts Ungewöhn­lich­es ist. Das bemerkt auch in den Kom­mentaren zum Orig­i­nal­beitrag jemand und weist darauf hin, dass sie sog­ar im Wörter­buch ste­ht. Ich zitiere hier, wie der Kom­men­ta­tor, das Bertelsmann-Wörterbuch:

emp|find|lich [Adj. ] 1 fähig, sinnliche Reize wahrzunehmen; sehr, nicht e. sein; e. gegen Kälte, Wärme, Licht sein 2 auf physikalis­che, chemis­che Reize reagierend, sie anzeigend; ein sehr ~es Gerät 3 auf seel­is­che Reize leicht reagierend, leicht ver­let­zbar; sei bitte nicht so e.; er ist allzu e. 4 stark spür­bar; eine ~e Strafe; es ist e. kalt

Jim hat eben­falls recht mit sein­er Intu­ition, dass empfind­lich in dieser Ver­wen­dung seman­tisch mit empfind­bar ver­gle­ich­bar ist (inter­es­san­ter­weise ver­wen­det das Ber­tels­mann-Wörter­buch in sein­er Def­i­n­i­tion das Wort spürbar). Zwei Kom­men­ta­toren im Kan­zleiblog weisen eben­falls auf einen Zusam­men­hang zwis­chen -lich und -bar hin. „rod­python“ schreibt:

Man kön­nte ja auch „empfind­bare“ Frei­heitsstrafe sagen (wie bemerk­bar, wahrnehm­bar. Dann bezieht sich das ganze auch wieder deut­lich­er auf den Beschuldigten.

Klingt natür­lich bescheuert.

Und „TG“ schreibt gle­ich im ersten Kom­men­tar zum Beitrag:

Empfind­lich bedeutet hier in sein­er zugeg­ben­er­maßen etwas ver­al­teten Bedeu­tung „merk­bar“, etwas ist „empfind­lich“, wenn es (als unan­genehm) emp­fun­den wird oder wer­den kann. Schließlich lei­det auch das gemeine empfind­liche Übel im All­ge­meinen nicht unter emo­tionaler Belas­tung, wie es dann bei Ihrer Ansicht wohl sein müsste.

Auf das empfind­liche Übel weist auch Kom­men­ta­tor „ball­mann“ hin. Er ver­linkt auf den § 240 des Strafge­set­zbuch­es, in dessen Abs. 1 es heißt:

Wer einen Men­schen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Dro­hung mit einem empfind­lichen Übel zu ein­er Hand­lung, Dul­dung oder Unter­las­sung nötigt, wird mit Frei­heitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geld­strafe bestraft.

Fassen wir also zusam­men. Erstens, das Wort empfind­lich kann sich auf „merk­bare“ oder „spür­bare“ Dinge und Ereignisse beziehen, etwa Strafen oder Übel. Diese Ver­wen­dung ist häu­fig, sie find­et sich nicht nur im umgangssprach­lichen Gebrauch son­dern auch in Geset­zes­tex­ten, und sie ist im Wörter­buch verze­ich­net. Zweit­ens, es scheint eine seman­tis­che Ver­wand­schaft zwis­chen Wörtern mit -lich und Wörtern mit -bar und -haft zu geben, empfind­lich bedeutet im Zusam­men­hang mit Strafen oder Übeln unge­fähr soviel wie empfind­bar.

Ander­er­seits hat auch Hoenig in seinem Blog­beitrag irgend­wie recht mit der Beobach­tung, dass man ja nicht nur von empfind­lichen Strafen son­dern auch von empfind­lichen Men­schen redet und dass es nicht logisch erscheint, sowohl eine Strafe als auch den Bestraften mit dem sel­ben Wort zu beschreiben.

Er irrt aber in zwei Punk­ten. Erstens erwartet er, dass es bei der Ver­wen­dung von Suf­fix­en logisch zuge­hen muss. Zweit­ens macht er den Fehler viel­er Sprach­nör­gler (wom­it ich nicht sagen will, dass er ein­er ist) und geht ganz natür­lich davon aus, dass seine Intu­ition bezüglich der kor­rek­ten Ver­wen­dung von Wörtern richtig und alle ihm nicht richtig erscheinen­den Ver­wen­dun­gen deshalb „Quatsch“ sind.

Der erste Irrtum ist nachvol­lziehbar. Er beruht auf der Erwartung, dass Sprachen sich durchgängig sys­tem­a­tisch ver­hal­ten. Es scheint plau­si­bel, dass die kle­in­sten Bausteine des Sprach­sys­tems je eine einzige fest­ste­hende Bedeu­tung haben (man nen­nt das „Mono­semie“), und dass diese Bedeu­tung erhal­ten bleibt, wenn die Bausteine zu größeren Ein­heit­en zusam­menge­set­zt wer­den (man nen­nt das „Kom­po­si­tion­al­ität“). Ein Sys­tem, in dem monoseme Ein­heit­en kom­po­si­tionell kom­biniert wer­den, scheint effizien­ter als eines, in dem das nicht der Fall ist.

Wenn ein nach­den­klich­er Men­sch jemand ist, der viel nach­denkt, ein für­sor­glich­er Men­sch jemand ist, der für andere sorgt, und ein zöger­lich­er Men­sch jemand ist, der gerne zögert, dann scheint doch [X‑lich Y] so etwas zu bedeuten, wie „Y, der/die/das (oft/viel) X tut“. Die Ver­wen­dung empfind­lich­er Men­sch erscheint aus dieser Sicht logisch — es ist eben ein Men­sch, der stark empfindet.

Ander­er­seits ist ein beachtlich­er Erfolg nicht ein Erfolg, der einen Hang dazu hat, etwas zu beacht­en. Es ist ein Erfolg, den wir beacht­en kön­nen oder sollen. Eine leser­liche Schrift ist eine Schrift, die wir lesen kön­nen, eine löbliche Absicht ist eine Absicht, die wir loben soll­ten, und ein ver­ständlich­er Irrtum ist ein­er, für den wir Ver­ständ­nis haben müssen. Also bedeutet [X‑lich Y] wohl so etwas wie „Y, den/die/das wir X‑en können/sollen“. Die Ver­wen­dung empfind­liche Strafe erscheint aus dieser Sicht logisch — es ist eben eine Strafe, die emp­fun­den wer­den soll.

Wer nun erwartet, dass Sprach­bausteine eine einzige fest­ste­hende Bedeu­tung haben (mono­sem sind), dem muss es unl­o­gisch erscheinen, dass -lich sowohl „Y, der/die/das (oft/viel) X tut“ als auch „Y, den/die/das wir X‑en können/sollen“ heißen kön­nen soll und dass es deshalb Wörter wie empfind­lich gibt, die sowohl „jemand, der etwas empfind­et“ und „etwas, das emp­fun­den wird“ bedeuten.

Und wenn es schon einen Baustein mit mehr als ein­er Bedeu­tung gibt, dann soll­ten sich diese Bedeu­tun­gen gemäß des Kom­po­si­tion­al­ität­sprinzips in allen Wörtern wiederfind­en, in denen dieser Baustein vorkommt. Wörter mit -lich soll­ten also durchge­hend bei­de hier genan­nten Bedeu­tun­gen haben. Doch das ist nicht immer der Fall. Ein für­sor­glich­er Men­sch, zum Beispiel, ist auss­chließlich ein­er, der für andere sorgt, und nie jemand, für den wir sor­gen. Ein löblich­er Men­sch, ander­er­seits, kann nur ein Men­sch sein, den wir loben können/sollten, nicht ein­er, der uns lobt.

Lei­der funk­tion­ieren Sprachen so nicht. Erstens ist es eher die Norm als die Aus­nahme, dass Mor­pheme (wie die „Bausteine“, von denen ich hier gesprochen habe, in der Sprach­wis­senschaft heißen) mehr als eine Bedeu­tung haben. Man nen­nt das Pol­y­semie, also etwa „Vielbe­deuterei“. Zweit­ens gibt es zwar in allen Bere­ichen der Sprache Ele­mente und Kom­bi­na­tion­sregeln, die dem Kom­po­si­tion­al­ität­sprinzip fol­gen, aber es gibt immer auch Ele­mente und (schein­bare) Regeln, die das nicht tun.

Vor allem auf der mor­phol­o­gis­chen Ebene, auf der Wörter aus kleineren Ein­heit­en zusam­menge­set­zt wer­den, ist das Kom­po­si­tion­al­ität­sprinzip sehr eingeschränkt. Es gibt Suf­fixe, die an (fast) alle Wort­stämme ein­er bes­timmten Klasse ange­hängt wer­den kön­nen und die dann (fast) immer ihre Bedeu­tung behal­ten. Das Suf­fix -bar, beispiel­sweise, kann im Prinzip an alle Verb­stämme ange­hängt wer­den und bedeutet im Prinzip immer „kann ge-X‑t wer­den“: vorstell­bar — „kann vorgestellt wer­den“; ess­bar — „kann gegessen wer­den“; spür­bar — „kann gespürt wer­den“. Solche Suf­fixe nen­nt man „pro­duk­tiv“, weil sie wegen ihres kom­po­si­tionellen Ver­hal­tens dazu ver­wen­det wer­den kön­nen, neue Wörter zu erfind­en: glaub­bar — „kann geglaubt wer­den“ (hat nur etwas über 1200 Google-Tre­f­fer); ver­schling­bar — „kann ver­schlun­gen wer­den“ (spär­liche 141 Google-Tre­f­fer); und das oben schon vorgeschla­gene empfind­bar — „kann emp­fun­den wer­den“ (immer­hin 3500 Google-Tre­f­fer). Solche Wörter klin­gen anfänglich etwas fremd, aber das liegt oft daran, dass es bere­its etablierte Wörter mit der­sel­ben Bedeu­tung gibt (etwa glaub­haft und eben empfind­lich).

Aber selb­st bei pro­duk­tiv­en Suf­fix­en gibt es Aus­nah­men vom Kom­po­si­tion­al­ität­sprinzip: wun­der­bar heißt nicht „kann (be)wundert wer­den“, son­der­bar heißt nicht „kann geson­dert (?) wer­den“ und dankbar heißt nicht „kann gedankt wer­den“. Ein Grund für diese Aus­nah­men ist der, dass kom­plexe Wörter, wenn sie häu­fig genug sind, in unseren Gehir­nen nicht im Augen­blick ihrer Ver­wen­dung aus ihren Einzel­teilen zusam­menge­set­zt son­dern als Ganzes gespe­ichert wer­den. In dem Moment, wo das geschieht, wer­den diese Wörter im Prinzip unab­hängig von ihren Einzel­teilen und ihre Bedeu­tung entwick­elt sich im Gebrauch eigen­ständig weiter.

Jim ver­mutet in sein­er Email an mich, dass das eventuell bei empfind­lich passiert ist:

Die dritte Möglichkeit wäre, dass eine der Ver­wen­dungsweise von empfind­lich tech­nisch schlicht falsch, aber durch ständi­gen Gebrauch trotz­dem üblich gewor­den ist.

Und das stimmt. Ich komme gle­ich darauf zurück, aber vorher will ich noch kurz daraufhin­weisen, dass häu­fig Sit­u­a­tio­nen entste­hen, bei denen sich soviele Wörter mit einem bes­timmten Suf­fix auf ihre eigene seman­tis­che Entwick­lungsreise begeben, dass das Suf­fix selb­st seine Fähigkeit ver­liert, vorherse­hbare neue Wörter zu bilden. Mit -lich ist das vor langer Zeit passiert: wenn ein bes­timmter Verb­stamm (oder auch Sub­stan­tivs­tamm) nicht bere­its mit dem Suf­fix -lich in der Sprache existiert, kön­nen wir das entsprechende Wort nicht ein­fach erfind­en: vorstell-lich oder glaublich gibt es eben­sowenig wie esslich/verschlinglich oder spür­lich, obwohl wir die bedeu­tungsver­wandten Wörter unglaublich, köstlich und eben empfind­lich haben. Das Suf­fix -lich ist sprachgeschichtlich sehr alt und nicht länger produktiv.

Was ist aber nun mit empfind­lich? In der Tat ist eine der bei­den Ver­wen­dun­gen ursprünglich­er, die andere hat sich später entwick­elt. Und hier irrt Hoenig zum zweit­en Mal: es ist die Ver­wen­dung in empfind­liche Strafe oder empfind­lich­es Übel, die zuerst da war. Wenn über­haupt, dann ist es „sprach­lich­er Quatsch“ von empfind­lichen Men­schen zu sprechen. Wenn man schon Sprach­nörgelei betreibt, dann doch bitte his­torisch akkurat.

Aber noch bess­er ist es natür­lich, sich gar nicht erst zum Richter über die Sprache zu erheben. Etwas Demut wäre angemessen, denn die deutsche Sprache und alle anderen heute gesproch­enen Sprachen sind das Ergeb­nis von vor­sichtig geschätzten dreißig­tausend Jahren Sprachen­twick­lung. Wenn wir uns selb­st nicht aus­rot­ten, wird sie sich weit­er­en­twick­eln und auch in weit­eren dreißig­tausend Jahren noch unseren Nachkom­men zur Kom­mu­nika­tion dienen. Alles, was Hoenig, Jim, ich oder son­st irgendw­er zum The­ma Sprache zu sagen haben, ist dage­gen aben­teuer­lich unwesentlich, unabän­der­lich vergänglich und bedauer­lich entbehrlich.

17 Gedanken zu „Sprachliche Empfindlichkeiten

  1. Bernhard

    Dass es „glaublich“ nicht gebe, scheint mir kaum glaublich. Google­hupf: 19.700 Tre­f­fer für “kaum glaublich” (gut vier­mal so viele für glaublich alleine, aber das mag ein Arte­fakt sein). Oder sagen wir: „un- ~ kaum“? 

    Das DWDS bietet dur­chaus ein paar „pos­i­tive“ glaublichs im Kom­par­a­tiv und neben kaum u.a. noch nicht, schw­er und ein­schränk­ende Kon­texte (bei ins­ge­samt nur zwölf­mal glaublich im Kernko­r­pus, alle­samt vom Anfang des 20. Jh., und im größeren Kor­pus 96, 79 davon vor 1940).

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  2. TJ

    (da der Autor des Zitats Recht­san­walt ist, weise ich vor­sor­glich daraufhin, dass ich mich zur Recht­fer­ti­gung dieses Vol­lz­i­tates auf §51 des Urhe­berge­set­zes, ins­beson­dere auf Satz 2, Nr. 1 berufe)

    Ich kann mir kaum vorstellen, dass der Herr so humor­los sein kön­nte — man beachte das Bild von ihm auf sein­er Kan­zlei­seite (endet mit .de) vor ein­er “Wanne”, die mit dem Schriftzug sein­er Kan­zlei verse­hen ist :o)

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  3. TJ

    Hop­pla. Das sollte eigentlich ein Smi­ley mit dick­er Nase werden 🙂

    Entschuldigt den Spam, aber der falsche Smi­ley ver­fälscht den Sinn meines Postings.

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  4. Patrick Schulz

    Wenn ein Idiom (~Aus­druck, dessen Bedeu­tung sich nicht kom­po­si­tion­al erschliessen lässt) als Ganzes im men­tal­en Lexikon gespe­ichert ist, inwiefern ist er syn­chron betra­chtet dann noch komplex?

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  5. Yvonne

    Bezüglich des Suf­fix­es ‑bar wur­den ger­ade die Wörter “wun­der­bar” und “son­der­bar” als die Aus­nah­men von der Regel beschrieben, was ja im heuti­gen Deutsch auch zutrifft. Hier ist ger­ade die diachrone Betra­ch­tung inter­es­sant und hil­fre­ich. Denn ger­ade diese Wörter enthal­ten das Suf­fix in sein­er ursprünglichen Bedeu­tung: ‑bar kommt von “tra­gen” (idg. *bher-) und ist ver­wandt mit z.B. gebären (urspr. ein Kind aus­tra­gen) oder dem englis­chen to bear “(er)tragen”. Aus­ge­hend von den oben beschriebe­nen Beispie­len und auch z.B. “frucht­bar”, in dem die eigentliche Bedeu­tung beson­ders gut bewahrt ist, näm­lich “frucht­tra­gend” (von Bäu­men, Sträuch­ern), hat dann die Bedeu­tungsver­schiebung in Rich­tung “kann getan wer­den” stattge­fun­den. Wenn ich es mir recht über­lege, stellt “wun­der­bar” wahrschein­lich auch eher ein Zwis­chenglied als ein Beispiel mit beson­ders ursprünglich­er Bedeu­tung dar: es kann auf bei­de Weisen ver­standen wer­den: näm­lich erstens, im ursprünglichen Sinne, als “Wun­der-tra­gend” sowie zweit­ens in gewan­del­ter Bedeu­tung “etwas, worüber man sich wun­dern kann”.

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  6. Andreas H.

    Ich schmun­zle immer wieder über die Auf­schrift einiger Altk­lei­dungs-Con­tain­er “Bitte nur tragfähige Klei­dung einwerfen”.

    Lei­der funk­tion­ieren Sprachen so nicht.”: Die Sprachen vielle­icht schon, aber die Sprech­er nicht, weswe­gen Plansprachen auch nie durchge­set­zt wer­den können.

    Gab es denn mal eine Zeit, wo die deutsche Sprache (bzw. deren Vor­läufer) logis­ch­er war und die Bedeu­tun­gen nicht so dif­fus und von Einzelfällen geprägt?

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  7. X

    Die “geschätzten dreißig­tausend Jahren Sprachen­twick­lung” scheinen mir doch angesichts der Tat­sache, das homo sapi­ens Afri­ka vor 100.000 Jahren das erste Mal ver­lassen hat und Europa vor ca. 45.000 Jahren besiedelt wurde. 30.000 Jahre Sprache würde dann bedeuten, dass Sprache über­all auf der Welt unab­hängig voneinan­der ent­standen sein muss — in Europa erst 15.000 Jahre nach ein­tr­e­f­fen von homo sapiens…

    siehe u.a.:

    http://www.uni-leipzig.de/~muellerg/su/wunderlich.pdf

    http://www.uni-leipzig.de/~bickel/lehre/sprachen/pdfs/sprachen3_evol.ppt.pdf

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  8. Anatol Stefanowitsch

    Bern­hard (#1), danke für den Hin­weis. Dazu mor­gen mehr.

    TJ (#2), der Hin­weis war auch nicht ganz ernst gemeint. Das Auto ist cool.

    Patrick (#4), insofern, als dass er für Sprech­er bei Bedarf analysier­bar ist?

    Yvonne (#5), danke für den ety­mol­o­gis­chen Hinweis.

    Andreas (#6), im Ganzen sich­er nicht, aber natür­lich gibt es zu jedem Zeit­punkt Teil­bere­iche ein­er Sprache, die sys­tem­a­tis­ch­er und „logis­ch­er“ sind als andere.

    X (#7), ich schätze lieber kon­ser­v­a­tiv. Im Über­mut kön­nte ich auch 50–60.000 Jahre schätzen und den Beginn der Sprachen­twick­lung mit dem Beginn der kul­turellen Diver­si­fizierung der Homo-Sapi­ens-Sapi­en­sis-Pop­u­la­tio­nen in Ein­klang brin­gen, aber dann müsste man immer noch darüber nach­denken, ab wann man das Kom­mu­nika­tion­ssys­tem unser­er Spezies als „Sprache“ beze­ich­nen wollte. Da man über die frühen Sta­di­en nichts weiß und wenig sin­nvoll spekulieren kann, halte ich mich lieber an meine 30.000, die natür­lich irgend­wie genau­so aus der Luft gegrif­f­en sind (ich komme auf diese Zahl, in dem ich die Dif­ferenz zwis­chen dem Beginn der kul­turellen Diver­si­fizierung und die tief­st­mögliche Rekon­struk­tion des Indo-Europäis­chen nehme). Ob mich das auf die Posi­tion fes­tlegt, dass Sprache über­all auf der Welt unab­hängig ent­standen sein muss, weiß ich nicht. Zunächst mussten die genetis­chen Voraus­set­zun­gen für Sprache entste­hen und sich in der ganzen Pop­u­la­tion durch­set­zen. Das kön­nte vor dem Ver­lassen von Afri­ka passiert sein. Dann musste irgend­je­mand die Sprache erfind­en, und die hätte sich dann über mehrere zehn­tausend Jahre per kul­tureller Dif­fu­sion über die ganze Welt ver­bre­it­en kön­nen. Oder sie ist tat­säch­lich mehrfach unab­hängig voneinan­der ent­standen. Wenn die genetis­chen Vor­raus­set­zun­gen da sind, muss ja nur irgen­dein Schlaukopf auf die Idee kom­men, tat­säch­lich etwas zu sagen. Warum sollte es nicht mehrere solch­er Schlauköpfe gegeben haben. (Ist alles etwas grob vere­in­facht und ins unreine, ich werde dem­nächst mal aus­führlich­er etwas dazu sagen.)

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  9. Carsten aus Hannover

    Die bei­den Vari­anten des “-lich”-Suffixes nach Ver­ben lassen sich meinem Ein­druck nach aber schon systematisieren. 

    Die erste Vari­ante „Y, der/die/das (oft/viel) X tut“ scheint mir in erster Lin­ie auf Per­so­n­en anwend­bar zu sein. Nicht umson­st führen Sie hier als Beispiel immer den Men­schen an. Dinge mit dieser Bedeu­tung scheinen mir ani­mistisch inter­pretiert zu sein (Das empfind­liche Mess­gerät, das für­sor­gliche Sozial­sys­tem…). Die zweite Vari­ante „Y, den/die/das wir X‑en können/sollen“ hat einen direk­teren Bezug zu Din­gen, wie auch die von ihnen erwäh­n­ten Beispiele der leser­lichen Schrift.

    Die Vielfalt der Sprache bleibt eben doch unfasslich und unglaubbar.

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  10. Carsten R. Hoenig

    Lieber Ana­tol Stefanowitsch. 

    Ob Sie sich nun auf irgendwelche mir unbekan­nte Nor­men berufen oder nicht, wäre für eine irgendwelche mir nicht bekan­nte Urhe­ber­rechtsver­let­zung völ­lig ohne Belang. Das *Gesetz* bes­timmt, was ver­boten ist; nicht der Berufer. 😉

    Sie soll­ten im übri­gen Recht­san­wälte nicht alle über einen Kamm scheren: Ich bin Strafvertei­di­ger und als solch­er ein ganz beson­der­er Rechtsanwalt. 

    Und nun das Wichtig­ste, nicht zulet­zt: Vie­len Dank für das Zitat und die schöne Diskus­sion über einen kleinen Gedanken, den ich irgend­wann ein­mal hatte. 

    Beste Grüße aus Kreuzberg von

    Carsten R. Hoenig

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  11. rodpython

    Ja super, hab ich ja gar nicht so sehr daneben gehauen mit meinem “empfind­bar”. Das die Ver­wen­dung von Suf­fix­en und dem ganzen Rest kom­plex und nicht immer vorherse­hbar(!) ist, find ich eher klasse, wenn ich so darüber nach­denke. Ich geh da mit Orwell, bei dem die Plansprache (“Neusprech”) ja ein Mit­tel der Volksver­dum­mung ist. Danke für die erhel­len­den Ausführungen.

    Antworten
  12. Simon

    Also, ich war ja einen Moment lang irri­tiert als “vorstell-lich” als nicht exis­tentes Wort vorgestellt wurde. Ist aber natür­lich so, aber es ist — zumin­d­est für mich als hes­sis­chen Laien — ver­dammt nah an “vorstel­lig”, und es scheint mir auch einiger­maßen zu dem Muster „Y, der/die/das (oft/viel) X tut“ zu passen, vielle­icht mal abge­se­hen von dem “oft/viel”.

    Lustiger­weise wird das nach meinem Sprachge­fühl (fast?) nie in der Gegen­wart ver­wen­det: “A.S. ist ger­ade beim Recht­san­walt vorstel­lig” ist frag­würdig, “wird … vorstel­lig wer­den” oder “wurde vorstel­lig” hinge­gen geht…

    Viele Grüße,

    Simon

    Antworten
  13. Anatol Stefanowitsch

    Carsten aus Han­nover (#11), nun, das Suf­fix hat sowohl eine aktivis­che als auch eine pas­sivis­che Bedeu­tung. Dass erstere ten­den­ziell auf Men­schen und let­ztere auf Sachen angewen­det wird, ist sich­er richtig, aber es ist natür­lich nur eine Ten­denz und es ändert nichts an der merk­würdi­gen Tat­sache an sich, dass diese wider­sprüch­lichen Bedeu­tun­gen über­haupt an der sel­ben Form fest­gemacht sind.

    Carsten R. Hoenig (#13), dass Sie Strafvertei­di­ger sind, habe ich erst gese­hen, nach­dem ich den Beitrag geschrieben hat­te. Wenn ich es vorher gewusst hätte, hätte ich mir natür­lich keine Sor­gen wegen ein­er unbe­grün­de­ten Abmah­nung gemacht (ich weise aber nun vor­sicht­shal­ber darauf hin, dass der Begriff „Sprach­nör­gler“ nicht als Belei­di­gung im Sinne des §185 StGB gemeint ist und dass ich Sie außer­dem nicht als solchen beze­ich­net habe…). Ihre Blogs und vor allem auch Ihr Kan­zleifahrzeug gefall­en mir gut. Falls ich jemals in Berlin ein­er Straftat beschuldigt werde (was abso­lut im Bere­ich des Möglichen liegt), werde ich mich auf jeden Fall an Ihre Kan­zlei wenden!

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  14. Adele Bongartz

    Die Grimm­schen Sprach­wiss­er haben noch etliche zwanzig solch­er ein­fach­er Ein­sicht­en zu bieten, die Sprach­mach­er, ‑nör­gler, ‑wis­senwoller… “reinziehen” soll­ten, bevor sie sich als Sprachkan­zlis­ten gerieren: 

    EMPFINDLICH, sen­si­bilis, dehnt, gle­ich dem lateinis­chen wort, sich in pas­sive und active bedeu­tung, galt ehmals mehr von sachen, später mehr von personen.”

    Antworten

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