In den Kommentaren zu meinem gestrigen Beitrag weist Sprachblogleser/in „D“ auf einen Hörfunkbeitrag vom 4. Juni mit einem ähnlichen Thema hin. Unter der stilistisch grenzwertigen Überschrift „New York liebt ein bisschen Deutsch — Can you schlepp a Gesamtkunstwerk?“ liefert Lena Bodewein, Hörfunkkorrespondentin der ARD, einen Beitrag über deutsches Lehngut in New York.
Ich muss hier vorsichtig sein: Bodewein hat ihr linguistisches Handwerkszeug vor vielen Jahren an der Universität Hamburg erworben, genau zu der Zeit, als ich dort meine akademische Laufbahn begann. Unter anderem saß sie, wenn ich mich richtig erinnere, in einem meiner Seminare zum Thema „Englisch als Weltsprache“ und hat dort ein sehr vergnügliches Referat über Scheinanglizismen gehalten. Ich habe sie also mit ausgebildet, und jeder Fehler, den sie macht, fällt deshalb ein Stück weit auf mich zurück.
Der Artikel selbst ist insgesamt deutlich besser als der, den ich gestern hier besprochen habe. Die Autorin erspart uns stereotype Darstellungen, etwa von Allenesquen New Yorkern (obwohl die Verlockung sicher groß war), und sie behauptet nicht, dass es sich bei deutschem Lehngut im Englischen um einen aktuellen „Trend“ handelt. Sie liefert eine Fülle von Lehnwörtern und beschränkt sich nicht auf ständig Wiedergekäutes wie uber-, blitzkrieg und zeitgeist (obwohl auch die ihren Auftritt haben).
Trotzdem gäbe es einiges auszusetzen.
Die Autorin wirft beispielsweise munter deutsches und jiddisches Lehngut in einen Topf, der dann mit dem Begriff „Germanismen“ versehen wird. Sie weist zwar darauf hin, dass sie das tut, aber das macht es nicht besser. Es geht im Artikel tatsächlich vorrangig um Jiddismen — das hätte man auch terminologisch deutlich machen können.
Außerdem erfindet sie Sätze, die zwar real existierende Lehnwörter enthalten aber die in dieser Form niemand sagen würden (She was kwetsching me the whole time, because i did not want to schlepp her Gesamtkunstwerk).
Schließlich schreibt sie jiddische Lehnwörter offensichtlich so, wie es ihr gerade in den Sinn kommt, statt entweder die korrekte jiddische Orthografie oder die üblichste englische Variante zu verwenden. Dadurch lässt sie sie fremder und deutscher aussehen, als sie es tatsächlich sind: kwetsch wäre eigentlich kvetch, schlepp wäre shlep, später im Artikel schreibt sie Schmier statt shmir/shmeer, Schpeel statt shpil/shpeel und schmoose statt shmues/shmooze; bei shtick erwischt sie immerhin die häufigste englische Schreibweise, obwohl auch hier im Englischen und Jiddischen shtik die korrekte Form wäre. Es mag pedantisch klingen, da die Wörter auch von englischen Muttersprachlern in verschiedenen Varianten geschrieben werden, aber es handelt sich durchweg um etablierte Lehnwörter die in Wörterbüchern wie dem OED und Merriam Websters zu finden sind, deshalb könnte man sich durchaus an die Standardschreibung halten. (Vielleicht ist das auch gar nicht die Schuld der Autorin: es kann sein, dass die verschriftlichte Fassung nicht von ihr sondern von einem namenlosen Redakteur stammt.)
Aber zwei Wörter, die sie nennt, irritieren mich doch sehr, weil ich sie erstens noch nie gehört oder gelesen habe und zweitens per Google keine authentischen Treffer dafür zu finden sind:
Andere sind aber reine Erfindung, pseudodeutsche Kunstworte: „Scheißmeister“- zum Beispiel — soll in etwa „fünftes Rad am Wagen“ heißen.
Oder „Schmerzlkender“. Da hab ich noch nicht mal eine Idee, was das bedeuten soll. Es wird auch konsequenterweise im Lexikon mit der Bemerkung versehen, dass echte Deutsche das nicht verstehen.
Fangen wir an mit dem Scheißmeister — hier finde ich, selbst mit orthografischen Varianten wie sheis(s)meister, keinen einzigen Treffer außer einem Eintrag im Urban Dictionary. Dort ist es ein Verb, to scheissmeister, und als Bedeutung wird „the act of being made, through no fault of one’s own, the third wheel“ angegeben. Es ist also anzunehmen (siehe auch hier), dass Bodewein das Wort aus diesem Eintrag hat, vor allem, da sie es im Hörbeitrag selbst mit „drittes Rad am Wagen“ übersetzt.
Auch für Schmerzlkender (und shmerz(e)lkender oder shmerts(e)lkender) finden sich keine echten Google-Treffer, sondern nur Bodeweins Beitrag selbst, Diskussionen des Beitrags in diversen Foren und — noch einmal — das Urban Dictionary. Dort wird behauptet, dass das Wort als Euphemismus für das Wort shit verwendet werden könne, also etwa so wie das deutsche Scheibenkleister (wie auch hier beobachtet). Im Eintrag wird darüberhinaus empfohlen, das Wort zu verwenden um „Menschen zu beleidigen, ohne dass sie es merken“ — indem man ihnen das Wort als genuin deutschen Begriff verkauft. Der Verfasser des Eintrags gibt den Hinweis, dass dies natürlich bei jemandem, der des Deutschen mächtig ist, nicht funktionieren kann. Das klingt verdächtig nach der Quelle für Bodeweins „Es wird auch konsequenterweise im Lexikon mit der Bemerkung versehen, dass echte Deutsche das nicht verstehen“ — auch dieses Wort hat sie wohl aus dem Urban Dictionary entnommen und nicht weiter nachgeforscht.
Ich frage mich nun, ob es diese Wörter überhaupt gibt, denn das Urban Dictionary ist so ziemlich die unzuverlässigste Quelle, die man sich vorstellen kann — ein perfektes Beispiel dafür, dass das Wiki-Prinzip nicht immer und überall funktioniert. Meine ebenfalls sprachbloggende Kollegin Ines Balcik hat vor ein paar Wochen bereits versucht, über ihr Blog Menschen zu finden, die die Existenz des Wortes „Schmerzlkender“ bestätigen können — ohne Erfolg.
Ich wage mich einfach mal vor und behaupte: Bodewein ist hier Spaßvögeln aufgesessen, die die Wörter entweder ganz erfunden oder die lokal begrenzte Eigenschöpfungen aus ihrem Freundeskreis ins Urban Dictionary eingestellt haben. Ich würde mich freuen, wenn das jemand widerlegen und ein authentisches Beispiel mit Quellenangabe für eins dieser Wörter nennen könnte. Denn wie ich gesagt habe, Bodewein hat bei mir studiert und deshalb wäre ich mitschuldig. Ich werde in Zukunft in meinen Seminaren noch stärker auf die Notwendigkeit einer sauberen Quellenarbeit hinweisen. Für meinen offensichtlich zu laschen Unterrichtsstil zu Beginn meiner Karriere habe ich nur eine Entschuldigung: I was yung and needed the gelt.
[Nachtrag: Und hier die wahre Etymologie des Wortes.]
Vielleicht kann der Herr helfen: http://twitter.com/Gordon_W/statuses/2076159076
Die Verwendung hinter dem Twitter-Link könnte doch auch eine generell beleidigende Bedeutung haben, “scheiße” und “-meister” sind (sicher auch durch Analogie zu “shit” und “-master”) im englischsprachigen Raum nicht unbekannt.
Ich konnte mich vage erinnern, das Wort “Scheissmeister” schon mal irgendwie, irgendwo, irgendwann gehört zu haben, mich allerdings partout nicht an genau erinnern. Zum Glück hilft einem Google heute schnell auf die Sprünge:
http://books.google.de/books?id=QpAgHYTPRz0C&pg=PA205&lpg=PA205&dq=scheissmeister&source=bl&ots=EEdVAOVZt_&sig=6MolBa9S_MRWYpKe6lzDnEMwve8&hl=de&ei=19A_SqWFNcGMsAaVuvjPDw&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=20
Übrigens: Bei Geo.de gibt es jetzt ein Blog, das “Wandernde Wörter” zum Thema hat. Ein mir sprachwissenschaftlich noch unbekannter Sven Siedenberg schreibt reichlich feuilletonistisch über (derzeit) “Alpenglühen” und “Autobahn”. Adresse: http://www.geo.de/blog/geo/wanderndende-woerter.
Der Link ist leider kaputt und hat mich (per Redirect) auf das Geo-Blog “47 Tukane” geführt. Grund ist ein Tippfehler in der Adresse. Der richtige Link ist dieser: http://www.geo.de/blog/geo/wandernde-woerter