Europawahl ist Sprachenwahl?

Von Kristin Kopf

So, alle Wahllokale geschlossen? Dann kann ich ja.

Ich saß let­zte Woche rat­los vor dem Europawahlzettel, fasziniert von all den kreativ­en Parteien. Nicht gewählt, aber mit Inter­esse zur Ken­nt­nis genom­men habe ich die Partei auf dem Lis­ten­platz 24:

Europawahl 2009

Europawahl 2009

(Die auf 25 war aber auch lustig.)

Ich habe die deutsche Home­page von EDE gefun­den – komis­cher­weise scheint es sie nicht auf Esperan­to zu geben (dafür aber ihre europäis­che Seite). Die Poli­tik scheint eigentlich nur darin zu beste­hen, für Demokratie zu sein (nicht sehr pro­fil­bildend) und Esperan­to als Sprache der europäis­chen Ver­ständi­gung vorantreiben zu wollen. Die Begrün­dung für let­zteres ist die, dass eine Nation­al­sprache als Hauptver­ständi­gungssprache deren Mut­ter­sprach­ler über Gebühr bevorzugt. Mit Esperan­to macht man es also laut EDE für alle schw­er­er und somit fair­er, weil alle eine Fremd­sprache sprechen. Die Frage ist allerd­ings, ob es wirk­lich für alle gle­ich schw­er würde, oder ob nicht doch wieder bes­timmte Mut­ter­sprach­ler bevorzugt würden …

Das Ler­nen [von Esperan­to] wird zudem dadurch noch weit­er vere­in­facht, dass die Wort­stämme vor allem aus roman­is­chen und ger­man­is­chen Sprachen entlehnt sind. Somit ver­ste­ht der durch­schnit­tlich gebildete deutsche Lern­er einen erhe­blichen Teil des Wortschatzes – ganz ohne Ler­naufwand.” (Quelle, Her­vorhe­bun­gen von mir)

So, das ist also fair? Ja, viele Sprachen, die in Europa gesprochen wer­den, sind ger­man­is­che oder roman­is­che Sprachen. Aber bei weit­em nicht alle. Es gibt in der EU näm­lich auch fol­gende Amtssprachen (Region­al- und Min­der­heit­en­sprachen berück­sichtige ich gar nicht erst):

  • Slaw­ischen Sprachen (Pol­nisch, Tschechisch, Bul­gar­isch, Slowakisch, Slowenisch, Kroat­isch – let­zteres nur als regionale Amtssprache in Österreich)
  • Irisch-Gälisch, eine keltische Sprache, gesprochen in Irland und diverse keltische Sprachen in Großbritannien
  • Baltische Sprachen (Let­tisch und Litauisch)
  • Griechisch, das einen eige­nen Sprachzweig bildet, gesprochen in Griechen­land und auf Zypern
  • Bask­isch, gesprochen in Spanien, eine isolierte Sprache (d.h. dass keine mit dem Bask­ischen ver­wandten Sprachen existieren) – ist allerd­ings nur eine regionale Amtssprache
  • Malti, gesprochen auf Mal­ta, eine semi­tische Sprache
  • Est­nisch, Finnisch, Ungarisch, die finno-ugrischen Sprachen
  • Türkisch, gesprochen auf Zypern, eine Turk­sprache

Hier noch ein­mal visu­al­isiert – die “Rand­grup­pen” sind klar zu erkennen:

2009-06-07-NichtgermromEuropa3

(mod­i­fiziert nach Wikipedia)

Ich will nie­man­dem das Esperan­to schlechtre­den, dazu ver­ste­he ich auch viel zu wenig davon – aber dass es eine “neu­trale” Sprache geben kann, die für Sprech­er aller Sprachen in der EU mit einem ähn­lichen Ler­naufwand ver­bun­den ist, bezwei­fle ich dann doch. Und dass es jet­zt noch eine Chance hat, zur EU-Sprache aufzusteigen, erst recht. Nichts­destotrotz eine inter­es­sante Sprache, in die es sich dur­chaus lohnt, mal reinzuschnuppern:

13 Gedanken zu „Europawahl ist Sprachenwahl?

  1. Achim

    Steh ger­ade auf dem Schlauch: Was ist in Sizilien anders als im restlichen Ital­ien, und wieso ist Ital­ien dunkel­blau und nicht grau wie Sizilien? Entwed­er überse­he ich etwas sehr Offen­sichtlich­es, oder da ist noch ein Fehler drin…

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    1. Kristin Beitragsautor

      *hehe* Es war Absicht, aber ich gebe zu, dass sich der Sinn nicht automa­tisch erschließt:

      In Ital­ien ist Slowenisch an der Gren­ze zu Slowe­nien regionale Amtssprache. Es war mir zu stres­sig, nur einen Teil von Ital­ien einzufär­ben, also habe ich das kom­plette Fes­t­land dunkel­blau gemacht. Da auf den Inseln Slowenisch defin­i­tiv keine Amtssprache ist, habe ich sie grau gelassen.

      Das­selbe gilt für Spanien, ich habe die Balearen nicht einge­färbt, weil Bask­isch da nichts zu melden hat.

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  2. ralf

    Ich habe let­ztes Jahr Esperan­to gel­ernt und kenne die Vorteile dieser Sprache. Es stimmt schon, dass ein Großteil des Wortschatzes aus ger­man­is­chen und roman­is­chen Sprachen stammt, aber auch aus den slaw­is­chen! Das macht es vie­len Sprech­ern ein­er europäis­chen Sprache leichter. Der größte Vorteil von Esperan­to ist aber seine Gram­matik. Es gibt nur um die 16 Regeln und es gibt keine Aus­nah­men! Deshalb kann man schon behaupten, dass es sicher­lich ein­fach­er für alle wäre dies als Verkehrssprache zu ler­nen. Selb­st die Laute der Sprache wur­den so gewählt, dass fast jed­er Laut in jed­er europäis­chen Sprache vorkommt. Außer­dem gibt ist die Rechtschrei­bung eben­so ein­deutig und nicht so ein Rate­spiel wie im Englis­chen oder Franzö­sis­chen. Der Ler­naufwand ist ein­fach viel geringer und wenn es als Verkehrssprache einge­führt wer­den würde, müsste wirk­lich jed­er eine Zweit­sprache ler­nen. Es würde nie­man­den geben der durch seine Mut­ter­sprache einen Vorteil gegenüber anderen hat, die dessen Sprache müh­sam ler­nen müssen und es doch nie zu ein­er mut­ter­sprach­lichen Beherrschung schaf­fen. Es ist sicher­lich fair­er Esperan­to zu ler­nen, auch wenn der Erfind­er dieser Sprache nicht alle europäis­chen Sprachen mit ein­beziehen konnte.

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  3. Steffen

    EDE bietet nicht nur eine neu­trale leicht erlern­bare Sprache. Europa kann sich nur dauer­haft weit­er­en­twick­eln, wenn sich die Bewohn­er nicht nur mit ihrer Nation iden­ti­fizieren son­dern sich auch als Europäer fühlen. Sprache ist eine Voraus­set­zung für ein Zuge­hörigkeits­ge­fühl. EDE wird also gebraucht.

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    1. Kristin Beitragsautor

      Hal­lo Steffen,
      schade, dass Du nicht auf meine Kri­tik eingehst, son­dern ein­fach das Kri­tisierte wieder­holst. Ich habe die Behaup­tung, dass Esperan­to neu­tral sei, angezweifelt — jet­zt ein­fach wieder zu behaupten, es sei neu­tral, ist ziem­lich unfrucht­bar. Vielle­icht hast Du ja Lust zu erk­lären, warum Du die Sprache neu­tral find­est, obwohl das Vok­ab­u­lar z.B. bes­timmte Sprach­fam­i­lien bevorzugt?

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  4. Steffen

    Die Sache ist ein­fach. Esperan­to ist eine in die Real­ität gebrachte Sprache die nach men­schlichem Ermessen so neu­tral wie möglich ist. Hochdeutsch ist eben­soeine Sache, man mußte sich auf gewisse Nor­men eini­gen, um sich ver­ständi­gen zu kön­nen. Iste Hochdeutsch neu­tral? Wir kön­nen gern streiten.
    Alle Ver­suche, Worte zu erset­zen, irgendwelche Umfor­mungen von Esperan­to vorzunehmen, liefen immer wieder darauf hin­aus, daß es diese Pro­jek­te nicht wahrhaftig in die Real­ität schafften.
    Man kann lange über die Zusam­menset­zung stre­it­en. Wenn aber alles in Frage gestellt wird, nutzt das nur den Geg­n­ern ein­er neu­tralen Sprach­lö­sung, wie die Geschichte beweist.

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    1. Kristin Beitragsautor

      Ich ver­lange von ein­er Sprache gar nicht, dass sie neu­tral sein soll — den Anspruch habt “ihr” ins Spiel gebracht. Es kann ein­fach keine Sprache geben, die von allen anderen Sprachen im Ler­naufwand immer exakt gle­ich weit ent­fer­nt ist, egal ob Kun­st-/Plan-/Hil­fs- oder natür­liche Sprache. So ist es natür­lich für Nieder­län­der leichter, Hochdeutsch zu ler­nen als Rus­sisch, und für Russen leichter, Pol­nisch zu ler­nen als Rumänisch.
      Ob ich “der Sache” schade, ist mir offen ges­tanden ziem­lich egal, da ich eh nicht für eine “’neu­trale’ Sprach­lö­sung” bin. (Gruselig, als hät­ten wir ein Problem.)

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  5. Steffen

    Ich meine die vie­len Ver­suche, immer wieder neu eine Sprache zu entwick­eln, die irgend­wie bess­er als Esperan­to sein soll.
    Ich sehe es so. Eine Nation­al­sprache ist für eine inter­na­tionale Kom­mu­nika­tion, bei der alle Iden­titäten gle­ich­berechtigt teil­nehmen soll­ten, ungeeignet.
    Nicht übel nehmen, daß ich mich hier zurückziehe. Habe im Moment wenig Lust. 😉

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  6. misterbernie

    Und noch ein Spätkom­men­tar, aber ich habe den Link immer bei der Hand, wenn irgend­wo mal Esperan­to erwäh­nt wird:
    Ranto, eine ziem­lich hüb­sche Kri­tik am “neu­tralen” Esperan­to (die ich im Grunde wörtlich zitieren kön­nte). Vielle­icht find­est du den ‘Rant’ ja interessant 🙂

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      1. misterbernie

        Ist natür­lich etwas län­gere Lek­türe und zugegeben­er­maßen etwas sehr bös, aber ich fands mal ne ganz nette Abwech­slung nach­dem ich so oft über ‘Esperanto=Weltfrieden!’ gestolpert bin.

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