So, alle Wahllokale geschlossen? Dann kann ich ja.
Ich saß letzte Woche ratlos vor dem Europawahlzettel, fasziniert von all den kreativen Parteien. Nicht gewählt, aber mit Interesse zur Kenntnis genommen habe ich die Partei auf dem Listenplatz 24:
(Die auf 25 war aber auch lustig.)
Ich habe die deutsche Homepage von EDE gefunden – komischerweise scheint es sie nicht auf Esperanto zu geben (dafür aber ihre europäische Seite). Die Politik scheint eigentlich nur darin zu bestehen, für Demokratie zu sein (nicht sehr profilbildend) und Esperanto als Sprache der europäischen Verständigung vorantreiben zu wollen. Die Begründung für letzteres ist die, dass eine Nationalsprache als Hauptverständigungssprache deren Muttersprachler über Gebühr bevorzugt. Mit Esperanto macht man es also laut EDE für alle schwerer und somit fairer, weil alle eine Fremdsprache sprechen. Die Frage ist allerdings, ob es wirklich für alle gleich schwer würde, oder ob nicht doch wieder bestimmte Muttersprachler bevorzugt würden …
“Das Lernen [von Esperanto] wird zudem dadurch noch weiter vereinfacht, dass die Wortstämme vor allem aus romanischen und germanischen Sprachen entlehnt sind. Somit versteht der durchschnittlich gebildete deutsche Lerner einen erheblichen Teil des Wortschatzes – ganz ohne Lernaufwand.” (Quelle, Hervorhebungen von mir)
So, das ist also fair? Ja, viele Sprachen, die in Europa gesprochen werden, sind germanische oder romanische Sprachen. Aber bei weitem nicht alle. Es gibt in der EU nämlich auch folgende Amtssprachen (Regional- und Minderheitensprachen berücksichtige ich gar nicht erst):
- Slawischen Sprachen (Polnisch, Tschechisch, Bulgarisch, Slowakisch, Slowenisch, Kroatisch – letzteres nur als regionale Amtssprache in Österreich)
- Irisch-Gälisch, eine keltische Sprache, gesprochen in Irland und diverse keltische Sprachen in Großbritannien
- Baltische Sprachen (Lettisch und Litauisch)
- Griechisch, das einen eigenen Sprachzweig bildet, gesprochen in Griechenland und auf Zypern
- Baskisch, gesprochen in Spanien, eine isolierte Sprache (d.h. dass keine mit dem Baskischen verwandten Sprachen existieren) – ist allerdings nur eine regionale Amtssprache
- Malti, gesprochen auf Malta, eine semitische Sprache
- Estnisch, Finnisch, Ungarisch, die finno-ugrischen Sprachen
- Türkisch, gesprochen auf Zypern, eine Turksprache
Hier noch einmal visualisiert – die “Randgruppen” sind klar zu erkennen:
Ich will niemandem das Esperanto schlechtreden, dazu verstehe ich auch viel zu wenig davon – aber dass es eine “neutrale” Sprache geben kann, die für Sprecher aller Sprachen in der EU mit einem ähnlichen Lernaufwand verbunden ist, bezweifle ich dann doch. Und dass es jetzt noch eine Chance hat, zur EU-Sprache aufzusteigen, erst recht. Nichtsdestotrotz eine interessante Sprache, in die es sich durchaus lohnt, mal reinzuschnuppern:
- Esperantokurs für Anfänger
- Esperanto-Wörterbuch
- Andrew’s World mit gelegentlichen Blogeinträgen auf Esperanto
Finnland muß auch dunkelblau sein (Schwedisch!).
Ansonsten wie immer: guter Eintrag.
Ist umgefärbt! Vielen Dank 🙂
Steh gerade auf dem Schlauch: Was ist in Sizilien anders als im restlichen Italien, und wieso ist Italien dunkelblau und nicht grau wie Sizilien? Entweder übersehe ich etwas sehr Offensichtliches, oder da ist noch ein Fehler drin…
*hehe* Es war Absicht, aber ich gebe zu, dass sich der Sinn nicht automatisch erschließt:
In Italien ist Slowenisch an der Grenze zu Slowenien regionale Amtssprache. Es war mir zu stressig, nur einen Teil von Italien einzufärben, also habe ich das komplette Festland dunkelblau gemacht. Da auf den Inseln Slowenisch definitiv keine Amtssprache ist, habe ich sie grau gelassen.
Dasselbe gilt für Spanien, ich habe die Balearen nicht eingefärbt, weil Baskisch da nichts zu melden hat.
Ich habe letztes Jahr Esperanto gelernt und kenne die Vorteile dieser Sprache. Es stimmt schon, dass ein Großteil des Wortschatzes aus germanischen und romanischen Sprachen stammt, aber auch aus den slawischen! Das macht es vielen Sprechern einer europäischen Sprache leichter. Der größte Vorteil von Esperanto ist aber seine Grammatik. Es gibt nur um die 16 Regeln und es gibt keine Ausnahmen! Deshalb kann man schon behaupten, dass es sicherlich einfacher für alle wäre dies als Verkehrssprache zu lernen. Selbst die Laute der Sprache wurden so gewählt, dass fast jeder Laut in jeder europäischen Sprache vorkommt. Außerdem gibt ist die Rechtschreibung ebenso eindeutig und nicht so ein Ratespiel wie im Englischen oder Französischen. Der Lernaufwand ist einfach viel geringer und wenn es als Verkehrssprache eingeführt werden würde, müsste wirklich jeder eine Zweitsprache lernen. Es würde niemanden geben der durch seine Muttersprache einen Vorteil gegenüber anderen hat, die dessen Sprache mühsam lernen müssen und es doch nie zu einer muttersprachlichen Beherrschung schaffen. Es ist sicherlich fairer Esperanto zu lernen, auch wenn der Erfinder dieser Sprache nicht alle europäischen Sprachen mit einbeziehen konnte.
EDE bietet nicht nur eine neutrale leicht erlernbare Sprache. Europa kann sich nur dauerhaft weiterentwickeln, wenn sich die Bewohner nicht nur mit ihrer Nation identifizieren sondern sich auch als Europäer fühlen. Sprache ist eine Voraussetzung für ein Zugehörigkeitsgefühl. EDE wird also gebraucht.
Hallo Steffen,
schade, dass Du nicht auf meine Kritik eingehst, sondern einfach das Kritisierte wiederholst. Ich habe die Behauptung, dass Esperanto neutral sei, angezweifelt — jetzt einfach wieder zu behaupten, es sei neutral, ist ziemlich unfruchtbar. Vielleicht hast Du ja Lust zu erklären, warum Du die Sprache neutral findest, obwohl das Vokabular z.B. bestimmte Sprachfamilien bevorzugt?
Die Sache ist einfach. Esperanto ist eine in die Realität gebrachte Sprache die nach menschlichem Ermessen so neutral wie möglich ist. Hochdeutsch ist ebensoeine Sache, man mußte sich auf gewisse Normen einigen, um sich verständigen zu können. Iste Hochdeutsch neutral? Wir können gern streiten.
Alle Versuche, Worte zu ersetzen, irgendwelche Umformungen von Esperanto vorzunehmen, liefen immer wieder darauf hinaus, daß es diese Projekte nicht wahrhaftig in die Realität schafften.
Man kann lange über die Zusammensetzung streiten. Wenn aber alles in Frage gestellt wird, nutzt das nur den Gegnern einer neutralen Sprachlösung, wie die Geschichte beweist.
Ich verlange von einer Sprache gar nicht, dass sie neutral sein soll — den Anspruch habt “ihr” ins Spiel gebracht. Es kann einfach keine Sprache geben, die von allen anderen Sprachen im Lernaufwand immer exakt gleich weit entfernt ist, egal ob Kunst-/Plan-/Hilfs- oder natürliche Sprache. So ist es natürlich für Niederländer leichter, Hochdeutsch zu lernen als Russisch, und für Russen leichter, Polnisch zu lernen als Rumänisch.
Ob ich “der Sache” schade, ist mir offen gestanden ziemlich egal, da ich eh nicht für eine “’neutrale’ Sprachlösung” bin. (Gruselig, als hätten wir ein Problem.)
Ich meine die vielen Versuche, immer wieder neu eine Sprache zu entwickeln, die irgendwie besser als Esperanto sein soll.
Ich sehe es so. Eine Nationalsprache ist für eine internationale Kommunikation, bei der alle Identitäten gleichberechtigt teilnehmen sollten, ungeeignet.
Nicht übel nehmen, daß ich mich hier zurückziehe. Habe im Moment wenig Lust. 😉
Und noch ein Spätkommentar, aber ich habe den Link immer bei der Hand, wenn irgendwo mal Esperanto erwähnt wird:
Ranto, eine ziemlich hübsche Kritik am “neutralen” Esperanto (die ich im Grunde wörtlich zitieren könnte). Vielleicht findest du den ‘Rant’ ja interessant 🙂
Danke für den Link, ich hab mal kursorisch drübergeschaut, werde mir das demnächst ein bißchen genauer anschauen.
Ist natürlich etwas längere Lektüre und zugegebenermaßen etwas sehr bös, aber ich fands mal ne ganz nette Abwechslung nachdem ich so oft über ‘Esperanto=Weltfrieden!’ gestolpert bin.