Kürzlich habe ich eine schöne Liste mit falschen Freunden aus dem Mittelhochdeutschen gefunden. “Falsche Freunde” kennt wahrscheinlich jeder aus der Schule – Wörter, die sich täuschend ähnlich sehen/täuschend ähnlich klingen, aber völlig verschiedene Bedeutungen haben. Meistens entstehen sie dadurch, dass zwei Sprachen ein und dasselbe Wort unterschiedlich behandeln – es kommt zu Bedeutungsveränderungen, die nicht parallel verlaufen. (So macht z.B. das Englische aus einem germanischen Wort etwas anderes als das Deutsche, vergleiche gift ‘Geschenk’ und Gift.) Oder aber eine Sprache entlehnt ein Wort und es bekommt eine leicht (oder radikal) andere Bedeutung. (So z.B. ein französisches Lehnwort im Deutschen.)
“Falsche Freunde” im Mittelhochdeutschen sind eigentlich nur die Vorgänger unser heutigen Wörter, bevor sie all die Bedeutungsverschiebungen durchgemacht haben. Die Gefahr, dass wir sie in ihrer heutigen Bedeutung verstehen ist natürlich besonders groß, weil es sich ja um eine Vorstufe des heutigen Deutschen handelt und es erstaunlich oft ganz gut klappt, die neuhochdeutsche Bedeutung zu nehmen.
Ein paar willkürliche Beispiele aus der Liste, wie immer mit einer Verneigung vor Kluges Etymologischem Wörterbuch:
Mit den Sinnen denken
Das mittelhochdeutsche betrahten ‘bedenken, erwägen, ausdenken’ bekam im Frühneuhochdeutschen den Bedeutungszusatz ‘beim Anschauen erwägen’, machte also eine Bedeutungsverengung mit. Schließlich nahm der Aspekt des Anschauens überhand, sodass betrachten heute ‘anschauen’ heißt. Das Element des Nachdenkens findet man noch im Wort Betrachtungen. Solche Bedeutungsverschiebungen passieren sehr häufig mit Wahrnehmungsverben und Verben, die kognitive Vorgänge beschreiben (begreifen und erfassen z.B. kommen aus der anderen Richtung, sie bezeichneten ursprünglich das konkrete Anfassen, beziehen sich jetzt aber auf das Verstehen).
My home is my castle
ellende ‘fremdes Land, Fremde’ ist tatsächlich der Ursprung für unser heutiges Elend. Das Wort Land steckt sogar noch drin: Im Westgermanischen gab die Bildung *alja-landja- ‘außer Landes seiend’. Im Althochdeutschen fällt der Umlaut über das Wort her und macht elilenti daraus.1
Im Ausland zu sein war einstens kein Spaß, meist war man da, weil man verbannt war – und so kam es, dass das Wort die Bedeutung ‘Unglück, Jammer’ annahm. Es hat also eine Bedeutungsverschlechterung mitgemacht.
Das ist nicht witzig!
Das Wort witze heißt im Mittelhochdeutschen ‘Wissen, Verstand, Besinnung, Einsicht, Klugheit, Weisheit’. Es ist eine Ableitung von wissen. Im 17. Jahrhundert hat das französische Wort esprit auf den Witz eingewirkt, das sich in der Bedeutung mit ihm überschnitt, aber zusätzlich das ‘geistreiche’ Element besaß. (Das nennt man Lehnbedeutung: Ein vorhandenes Wort entlehnt eine Bedeutung von einem Wort aus einer anderen Sprache.) So bekam Witz bald die Bedeutung ‘geistreiche Formulierung’ und im 18. Jahrhundert mussten Witze nicht mehr geistreich sein, das Wort hieß nur noch ‘Scherz’. So kann der Intellekt in den Schmutz gezogen werden … der Untergang des Abendlandes ist nahe …
Fußnote:
1 Würde man also heute etymologisch schreiben, wie das in der Rechtschreibreform teilweise gemacht wurde, müsste man heute <Äländ> schreiben. Ich bin dafür, wer noch? Aber dazu ein andermal.