Regionale Dialekte sind mal mehr, mal weniger beliebt, aber selbst bei den beliebten Dialekten lässt sich über viele Sprachen hinweg beobachten, dass Sprecher klare Stereotype mit Hochsprache und Dialekt verbinden: Dialektsprecher sind sympathisch, freundlich, loyal, vertrauenswürdig aber ein bisschen einfach gestrickt, während Sprecher der Standardvarietät intelligent, gebildet, erfolgreich, dafür aber ein bisschen arrogant und unfreundlich wahrgenommen werden. Sprachgemeinschaften mit einer dominanten Standardvariante sind sich häufig einig, dass der Dialekt ins Privatleben gehört, während das öffentliche Leben in der Hochsprache abgewickelt werden sollte.
Diese Aufteilung ist eine der letzten gesellschaftlich akzeptierten Bastionen überholten Normdenkens. Kein vernünftiger Mensch würde heute mehr auf die Idee kommen, dass der Zugang zum öffentlichen Leben Menschen mit einer bestimmten Hautfarbe, einem bestimmten Geschlecht oder einer bestimmten sozialen Herkunft verweigert werden sollte. Nur von Dialektsprechern erwartet man nach wie vor völlig selbstverständlich, dass sie sich an die Hochsprache anpassen oder auf eine Teilnahme am öffentlichen Leben verzichten.
Wenn es in Deutschland eine Sprachgemeinschaft gibt, die diese Diskriminierung überwinden kann, dann sind das die Bayern (deren Dialekt gleichzeitig zu den beliebtesten und unbeliebtesten Dialekten im deutschen Sprachraum gehört). Nur dort hat man ein ausreichendes kulturelles Selbstbewusstsein, um die eigene Sprache auch im öffentlichen Leben zu verwenden (Bundespolitiker aus Bayern, zum Beispiel, geben sich wenig Mühe, ihre sprachliche Herkunft herunterzuspielen).
So überrascht es nicht, dass man gearde bei der Bayerischen Staatsbibliothek zu dem Schluss gelangt ist, dass das Bairische auch in Bildungseinrichtungen einen Platz hat:
Die Bayerische Staatsbibliothek bietet Ihren Nutzern auf ihrer Homepage seit neuestem so genannte E‑Tutorials, kurze Einführungsfilme zum Bibliothekskatalog OPACplus, dem Datenbank-Infosystem der Bibliothek und zu Web of Science, einer wichtigen Datenbank an. Die Einführungen zum Bibliothekskatalog stehen auch auf Bairisch zur Verfügung. [Pressemitteilung der BSB]
Der professionell und ohne Affektiertheit und Augenzwinkern gesprochene Einführungsfilm beginnt dann wie folgt:
Grüaß Gott, beinand. Herzlich Willkommen bei unserem E‑Tutorial OPACplus — Einstieg in Recherche und Bestellung. Der OPACplus ist die beste Möglichkeit, um in der Bayerischen Staatsbibliothek des zum finden, was ma suacht. Im OPACplus ist der BSB-Katalog, der Bayerische Verbundkatalog und die BVB-Aufsatzdatenbank drin. Jetzt in derer Einführung beschäftigen wir uns nur mit dem BSB-Katalog, des is der Katalog, in dem alle Bestände der Bayerischen Staatsbibliothek nachg’wiesen san. Im ersten Teil lernen’s jetzt erst amal, wie Sie ganz grundsätlich vorgehen kenna beim Suacha, und wia dann des B’stell’n funktioniert.
Wie man sieht ist das eine sehr hochdeutsche Variante des Bairischen — die Sprecherin hat natürlich einen deutlichen bairischen Akzent, den ich hier nur dort wiedergebe, wo er sich deutlich vom Hochdeutschen unterscheidet, aber Grammatik und Wortschatz sind von zwei Kleinigkeiten abgesehen kaum auffällig (des zum finden, in derer Einführung).
Im Laufe des Films ändert sich das ein wenig, man hat fast das Gefühl, die Sprecherin muss sich in ihre ungewohnte Aufgabe erst hineinfinden. Der bairische Akzent ist streckenweise deutlich stärker:
Sie kenna a jederzeit des, was Sie ursprünglich g’sucht ham, wieder ändern und krieg’n dann dementsprechend a anderes Ergebnis. Büacher und andere Medien, die in die Handbibliotheken von die Lesesääl stengan, müassen’s ne b’stellen, die können’s aber a ned für dahoam ausleihen. Des is dann der Fall, wenn die Signatur, beziehungsweise der Standortvermerk, mit die Buchstaben Hb ofangt. Wenn’s Hbl hoaßt, dann is des Buach in der Handbibliothek zum allgemeinen Lesesaal. In der Regel is oweil die neueste Auflage für Sie im Lesesaal zum Oschauen.
Hier sieht man zum Beispiel sehr schön den Wegfall von Kasusmarkierungen, der alle deutschen Dialekte außer dem Hochdeutschen kennzeichnet.
Aber insgesamt muss ich sagen, dass ich ein wenig enttäuscht bin. Man hätte hier, wenn man die Filme schon auf Hochdeutsch und auf Bairisch produziert, eine weiter vom Hochdeutschen entfernte Variante des Bairischen wählen können, vor allem, wenn man, die die Bayerische Staatsbibliothek, vorrangig sprachpolitische Ziele verfolgt:
Mit den bayerischen Varianten der E‑Tutorials möchte die Bayerische Staatsbibliothek als zentrale Landesbibliothek für den Freistaat Bayern den Gebrauch der bayerischen Sprache im Alltag unterstützen. [Pressemitteilung]
Aber wahrscheinlich zählt schon der Gedanke — der relativ gemäßigte Dialekt der Filme kann erst einmal dafür sorgen, dass die Sprachgemeinschaft seine Verwendung für Bildungszwecke überhaupt akzeptiert. Das wäre, selbst im selbstbewussten Bayern, ein beeindruckender Etappensieg für sprachliche Grundrechte.
Interessante Sache, gerade für mich als Bayern.
“des zum finden” ist allerdings nicht gerade das, was ich auffällig nennen würde, immerhin entspricht es strukturell 1:1 dem Hochdeutschen — das sagt mir zumindest mein Sprachgefühl so spontan.
Auf jedn Foi a guade Sachn!
Vielleicht liegt die stärkere Dialektfärbung im späteren Teil auch an der starken Präsenz von Bibliotheksjargon im ersten Teil. Gerade Wörter wie “Verbundkatalog” und “Aufsatzdatenbank” sind ja etwas sperrig und entsprechen auch klar der oben erwähnten Kategorie “öffentliches Leben”. Im zweiten Teil ist die Begrifflichkeit weniger fachsprachlich.
Auch der Inhalt der Texte lässt sich grob den beiden Kategorien “öffentlich” und “privat” zuordnen. Im ersten wird die Bibliothek beschrieben, im zweiten Teil eher Handlungen des Benutzers.
Auf jeden Fall ist es als Norddeutscher schön anzuhören. Wann zieht die Unibibliothek Bremen mit Platt-Instruktionsvideos nach?
Na herrlich, da soll Europa zusammenwachsen, im Grunde sogar die ganze Welt, und hier wird zusätzliche Abschottung und kleinstaaterei beklatscht. In vielen Bereichen ist ja nichteinmal mehr Hochdeutsch als Sprache ausreichend… In einer globalisierten Welt hat Dialekt eben außerhalb des lokalen Bereiches (also privat und z.B. der Bäcker) keinen Platz.
Letztlich gebietet schon die Höflichkeit (und der Wunsch einen gewissen Zweck zu erfüllen) sich so auszudrücken, dass man verstanden werden kann…
Man muss vielleicht mitbedenken, dass die Staatsbibliothek ja nicht irgendwo in Bayern ist, sondern in München! Und dass man in München eine spezielle Art des bayerischen Dialektes spricht, die eben eher gemäßigt und dem Hochdeutschen ähnlicher ist als andere Varietäten des Bayrischen. Und man kann von einer Münchner Institution nun wirklich nicht verlangen, dass sie diese anderen Varietäten des Bayrischen statt der Münchner benutzt, das geht nicht! 😉
In Ö (außer Wien*) ist die Situation anders: strikte Diglossie (oder Schizoglossie, wie man die norwegische Situation genannt hat) — Schriftsprache zum Schreiben (und Vorlesen), bei offiziellen Anlässen, und für Bayern auf Rügen, sonst Dialekt. Wir haben alle einen Schalter, und wenn man da draufdrückt, klingen wir wie Zeit-im-Bild-Ansager; es kostet nur etwas Kraft, ihn gedrückt zu halten.
* In Wien ist die Gesellschaft nämlich geschichtet. Ein paar Oberschichtfamilien sprechen tatsächlich nach der Schrift, und der ganze Rest spricht… naja… langsamen Dialekt ohne å, in meiner Generation fast immer als Muttersprache. Manche von denen schaffen es übrigens nicht, Wiener Merkmale (das Fehlen von Zwielauten) oder sogar das Meidlinger L (um den 12. der 23 Bezirke, pharyngalisiert) bei offiziellen Anlässen abzuschalten; sowas kenne ich sonst nur von bayerischen Ansagern in der Deutschen Bahn, die es nicht zusammenbringen, ihr [ɒ] durch [a] zu ersetzen.
So ein Blödsinn. Niemand will die Schriftsprache abschaffen.
Nee, Dialektsprecher sind nicht wie reiche weiße Männer und arme schwarze Frauen, sondern eher wie Raucher: wenn sie unter sich sind, können sie tun und lassen was sie wollen, aber in der Gemeinschaft haben sie sich (mündlich wie schriftlich) dem gemeinsamen Nenner zu beugen, wenn sie an ihr teilhaben wollen. Wie immer gilt das Motto: Sei liberal in dem, was du von anderen annimmst, und sei konservativ in dem, was du anderen anbietest. Ich bemühe mich ja auch, nicht zu nuscheln und leserlich zu schreiben. (Was den Dialekt angeht, bin ich als Ostniedersachse weitgehend raus.)
Ich bin gerade von einer Marokko-Rundreise zurück und habe mich extra auf den dortigen Dialekt vorbereitet, um auf der Straße nach Preisen zu fragen oder im Restaurant zu bestellen. Allerdings wäre es mir unmöglich, den Nachrichten annähernd zu folgen, wenn sie nicht auf Hocharabisch gesprochen wären.
Aber sogar Marokko ist weltläufig genug, um alle öffentlichen Angelegenheiten grundsätzlich auch auf französisch regeln zu können.
Wenn die Bayerische Staatsbibliothek natürlich nur von ein paar Dörflern aus der Umgebung besucht wird, ist die Wahl des Bayerischen korrekt. Jeder disqualifiziert sich selbst, so gut er kann. Es sei denn, es steht auch eine hochdeutsche und eine Englische Version des Einführungsfilms zur Verfügung.
Und gibt es eigentlich keine Regel, ob es “Bairisch” oder “Bayerisch” oder eine der anderen möglichen Versionen heißt? Ich hätte gedacht, daß sich eine Webseite wenigstens ein für allemal auf eine Variante einigt…
Lieber Wentus,
wie wäre es denn, sich vorher zu informieren, bevor man hier antwortet. Die Bayerische Staatsbibliothek hat natürlich auch eine hochdeutsche Variante im Angebot. Aber erst einmal lästern…
Wer niemals Dialekt gelernt und benutzt hat, weiß gar nicht, welche Ausdrucksstärke im Dialekt liegt, die man mit Hochdeutsch nur schwer nachbilden kann. Dass Dialekt nicht für alle Situationen die beste Wahl ist, liegt sowieso auf der Hand.
Ein vereintes Europa ist ein Europa der Regionen und da hat der heimatliche Dialekt allemal seine Daseinsberechtigung. Ansonsten müssten wir auch Hochdeutsch über Bord werfen, da es der Verständigung à la slackenerny (Kommentar 3) im Wege steht.
Servus!
Da Rais
@TS
Klar gibt es eine eindeutige Regel: Bairisch bezieht sich auf die Sprache, bayerisch bezieht sich ausschließlich auf den bayerischen Staat seit 1825. Zu diesem Zeitpunkt hat König Ludwig I. die hellenistische Variante als heute noch gültige Schreibweise für den Staat Bayern per Anordnung eingeführt.
Merke: In Bayern leben ein paar Millionen Nicht-Baiern (Franken, Schwaben) und nicht jeder, der Bairisch spricht wohnt in Bayern (sondern vielleicht in Österreich oder Südtirol).
Müsste die Bayerische Staatsbibliothek nicht alle Regierungsbezirke des Freistaats im Blick haben? Ich vermisse fränkische und schwäbische Versionen!
(Selbst bin ich zwar in Schläfrig-Holzbein aufgewachsen, käme mit einer plattdeutschen OPAC-Anleitung aber nur schwer zurecht.)
Es ist schon interessant, was verschiedenen Leuten dazu einfällt. Keinesfalls könnte ich dem Bremer Sprachenblog (Anatol Stefanowitsch) zustimmen, der gerne eine weiter vom Hochdeutschen entfernte Variante des Bairischen hören würde.
Man muss halt auch dazu beachten, dass — wie Sprachspielerin ganz richtig schreibt — sich alles in München abspielt. Ich stelle mir das wahnsinnig schwer vor, einen bairischen Dialekt für ALLE zu finden und muss der Sprecherin ein großes Kompliment machen. Wer die verschiedenen Gaue und Ecken bzw. deren Dialekte schon mal im Südbayerischen kennt, der weiß von was ich spreche. Im Bayer. Wald spricht man ganz anders als z.B. in Ruhpolding, Reit im Winkl oder im
Oberland.
Hinzu kommt, dass — wie Carsten aus Hannover richtig erkannt hat — der erste Teil mit fachsprachlichen Begriffen wie Recherche, Bestellung, Verbundkatalog und Aufsatzdatenbank keine Spielräume für Dialekte bietet und deshalb dann im 2. Teil die umgangssprachlichen Handlungsanweisungen “bairischer” gestaltet wurden.
Ob Marokko öffentl. Angelegenheiten in französisch regelt, sollte uns hier eigentlich nicht beeinflussen, hoffe dass Wentus ansonsten einen schönen Urlaub in Marokko genießen konnte.
David Marjanovic muss ich entgegenhalten, gerade wenn alles auf ein vereintes Europa und unendliche Globalisierung hinausläuft, dann ist es besonders wichtig, dass wir uns von dem vereinheitlichten Sprachenbrei so gut wie möglich abtrennen. Abtrennen im üblichen Sinne können und wollen wir uns ohnehin nicht, wir Bayern müssen versuchen, unser Bairisch möglichst lange zu erhalten und unserer Jugend und den nachfolgenden Generationen weiterzugeben, das muss unser Ziel sein.
Die Aktion der Bayerischen Staatsbibliothek sehe ich sehr positiv und (wie Anatol Stefanowitsch anmerkt) es kann zumindest das Bemühen um einen Etappensieg sprachlicher Grundrechte angesehen werden.
Den dafür Verantwortlichen gratuliere ich zu dieser Entscheidung! Leider wird bei uns in Bayern nur immer in Sonntagsreden für den Erhalt der bairischen Sprache geworben, im Alltag merkt man dann nicht mehr sehr viel davon. Gerade in Behörden und Ämtern ist Bairisch verpönt, die Amtssprache ist halt Deutsch, das ist auch mir klar.
Umsomehr lobe ich diesen mutigen Schritt der Bayerischen
Staatsbibliothek, dass es hier wieder Kritiker und Besserwisser gibt, das dürfte von Anfang an klar gewesen sein. Es ist halt so, wie meistens in Deutschland: Nix tun bringt keine Kritik, da kann man nicht auffallen. Aber davon erhalten wir unsere bairische Sprache gewiss nicht.
Ich kann nur sagen: Weiter so und nicht “einschüchtern” lassen!
Servus
Karlson
Wieso mir, und was hat ein vereinheitlichter Sprachenbrei mit einem vereinten Europa zu tun?
David Marjanovic, entschuldigen Sie bitte, Sie haben natürlich Recht mit der Frage “wieso mir?” Das war ein Versehen und galt eigentlich slackenerny, dessen Äusserung Sie ja nur nochmals als Zitat aufführten und schon als Blödsinn bezeichnet haben.
Das vereinte Europa hat vielleicht nicht direkt etwas mit dem “Sprachenbrei” zu tun. Aber es ist auch ein Teil der Globalisierung und eine wichtige Schlüsselqualifikation dazu erfüllt die Englische Sprache, die in der Praxis die Kommunikation über die nationalen Ländergrenzen hinweg ermöglicht. Negative Vorreiter sind die in unserem Alltag auftauchenden Anglizismen, die für viele schon zum ganz normalen Wortschatz gehören und eingebürgert sind. Ich denke da z.B. an das altgediente Wort “Ortsgespräch”, die bei Telefongesellschaften durch “City-Call” ersetzt werden, oder im Restaurant die “Selbstbedienung” durch “Self Service”.
Hier ließe sich eine lange Liste mit dieser negativen Entwicklung erstellen. Die Globalisierungswelle wird, und das kann wohl niemand vermeiden, ihren Übergriff auf unsere Sprache fortsetzen. Dabei kommen wir dann zu einem einheitlichen Sprachenbrei, der vielleicht zur weltweiten Verständigung notwendig ist, dem man also schon auch Positives abgewinnen kann. Aber wenn wir dazu unser echtes bairisch erhalten wollen, was vielen am Herzen liegt, dann müssen wir uns mit allen Mitteln dagegen stemmen und jede Gelegenheit nutzen, bairisch anzuwenden und hinter dieser unserer liebenswerten Heimatsprache zu stehen. Eine große Aktion zum möglichst noch langen Erhalt dieses Dialekts gibt es nicht, es können nur viele kleine Maßnahmen(-versuche) sein, die uns diesem Ziel näher bringen. Einer davon ist gewiss die von der Bayer. Staatsbibliothek jetzt praktizierte Veröffentlichung der Bedienungshinweise in unserer schönen bairischen Sprache, die übrigens hier kein “urbairischer” Dialekt sein kann. Man muss halt gleich beim Hinhören merken, dass man in München oder Bayern ist und nicht in Frankfurt, Köln, Hamburg oder Berlin. Und das erfüllen diese E‑Tutorials in hervorragender Weise!
Servus!
Karlson