Auf der Fahrt zur DGfS-Tagung im März fiel mir folgendes “Faltblatt Ihr Reiseplan” in die Hand:
Es dauerte eine ganze Weile, bis mir klar wurde, woher mein Unbehagen stammte: Statt kein Kraut gewachsen steht in der Werbeanzeige kein Mittel. Seltsam, zumal es um ein pflanzlich basiertes Mittel geht, Kraut also vollkommen angemessen gewesen wäre. Lange habe ich mir den Kopf darüber zerbrochen, ob es nun Absicht (dazu schien es mir zu unauffällig) oder ein Versehen (dazu schien es mir zu professionell) war. Oder ob sich die Wendung gar verändert? Letzteres ist schnell überprüfbar, eine kurze Googelei führt zu 39 Treffern1 für “kein Mittel gewachsen” – ein paar Kostproben:
- Gegen Angst ist kein Mittel gewachsen
- Gegen das “Opium der Zeit” sei kein Mittel gewachsen
- Auch die Gegner bewirkten alles andere als Hoffnung, denn gegen das Gustav-Stresemann-Gymnasium Fellbach-Schmiden, das Friedrich-Schiller-Gymnasium Fellbach, das Salier-Gymnasium Waiblingen, das Tausgymnasium und den Gastgeber, das Technische Gymnasium schien auf den ersten Blick kein Mittel gewachsen.
Die Suche nach “kein Kraut gewachsen” erzielt hingegen 38.500 Treffer – sieht also so aus, als sei es eher ein Versprecher/Verschreiber als ein Wandelprozess. Wie kamen die Leute aber auf Mittel, warum wird die Vertauschung doch relativ häufig gemacht?
Wahrscheinlich hat das mit anderen Wendungen zu tun, die etwas ähnliches ausdrücken wie dagegen ist kein Kraut gewachsen, z.B. da(gegen) hilft kein Mittel, es gibt kein Mittel gegen X, etc. Die große inhaltliche Ähnlichkeit führt dazu, dass Kraut leicht gegen Mittel ausgetauscht werden kann. Das nennt man “Kontamination”. Weitere Beispiele2 sind:
(1) Sei mir nicht übel. < Sei mir nicht böse + Nimm’s mir nicht übel
(2) Er ist mit auf die Pelle getreten. < Er ist mir auf die Pelle gerückt + Er ist mir auf die Füße getreten
Das Weleda-Rätsel ist übrigens gelöst, das Unternehmen hat mir auf eine Anfrage geantwortet:
Es wurde in der Werbeanzeige für Ferrum phosphoricum comp. absichtlich „Kraut“ durch „Mittel“ ersetzt, weil es ein wenig irritiert wodurch die Aufmerksamkeit erhöht wird.
Traurige Nachrichten, macht mich das doch zum unwilligen Werkzeug der Werbekampagne. Glücklicherweise ist die Erkältungssaison erstmal vorbei, sodass sich hier hoffentlich auch niemand beworben fühlt.
Fußnoten:
1Drei der Treffer gehen auf den Weleda-Werbespruch zurück, einige Treffer beziehen sich auf denselben Text, letztlich sind es also, schätze ich, 30 unabhängige Vorkommen.
2Aus Achilles/Pighin.
Soetwas sehe ich sehr oft — absichtlich wird ein Synonym, oder sogar falsches Wort, benutzt, nur damit Leute aufstutzen und sich den Artikel auch wirklich durchlesen. Die Werbeagenturen agieren daher zum Teil intelligenter, als dass wir es Ihnen zutrauen 🙂
Da ist jedes Krau… ähm: Mittel recht, ne?
In diesem Fall ist der Austausch aber so subtil, dass ich mich frage, ob es wirklich im gewünschten Ausmaß klappt. Meinen beiden DGfS-Mitreisenden ist an dem Text z.B. nichts aufgefallen. Aber andererseits, schon ein leichtes, unbenennbares Unbehagen ist den Werbern wahrscheinlich Erfolg genug. (Die leichte Irritation wird gestützt durch die abgebildete Pflanze, was ich für ziemlich clever halte.)
Schau mal an, da will ich faul sein und ein Zitat via Google finden, und was kriege ich als erstes Suchergebnis, wenn ich “kontamination kraut gewachsen” eingebe? 🙂 Leider aber nicht viel textkritisches 😉