Aprilscherz aufgelöst

Von Anatol Stefanowitsch

Beson­ders groß war die Ratelust nicht, nur acht Leser/innen haben sich auf eine Antwort ein­ge­lassen (zwei davon in ein­er Twit­ter-Diskus­sion, auf die mich ein­er der bei­den net­ter­weise aufmerk­sam gemacht hat). Hier die Lösungsvorschläge.

Simone: Ich hoffe doch schw­er, dass die vierte Geschichte falsch ist.

San­dra: Die sind doch alle erfunden.

Joerg: Mein Favorit für den Aprilscherz ist die Geschichte Num­mer 2. Die Idee, die Sprache zu verän­dern (wie denn?) um dadurch die Gewalt­bere­itschaft in der Gesellschaft zu senken, erscheint mir absurd. Die anderen drei Geschicht­en halte ich zumin­d­est für plau­si­bler, obwohl ich die in Num­mer 4 genan­nten Über­legun­gen als gren­zw­er­tig betrachte.

NvonX: Die erste Studie meine ich zu ken­nen. Dass Phonetik­er bei fröh­lich kich­ern­den und lustig plap­pern­den Kindern verzweifelt reagieren, wenn doch eigendlich Schmerzenss­chreie Objekt der Unter­suchung sind, kann ich mir irgend­wie auch vorstellen. Die Unter­suchung der Adjek­tive klingt für mich plau­si­bel, insofern erscheint mir zunehmend der Zwist um den Zusam­men­hang von Zis­chlaut­en und Gewalt und zwielichtig.

Frank Oswalt: Nr. 4 klingt zwar krank, aber wenn man die Phonetik von Kinder­schreien unte­suchen will, dann muss man sie ja irgend­wie zum Schreien brin­gen. Nr. 3 klingt im Prinzip grund­sät­zlich plau­si­bel. Das mit den Sin­neskanälen ist vielle­icht etwas abge­dreht, aber warum nicht. Nr. 2 habe ich schon­mal irgend­wo gehört, das muss auch stim­men. Bleibt nur Nr. 1. Warum sollte man so etwas machen wollen?

Red­wraithvi­en­na: Also mein­er Mei­n­ung nach ist Antwort 1 falsch. Die anderen klin­gen so kom­plett gaga das man sie sich nicht aus­denken kann, und sie daher wahr sind.

SamZi­dat über Twit­ter: 1 ist schon fast nahe­liegend; eben drum kön­nte es der Scherz sein. 2 — Sozi­olo­gen traue ich alles zu 😉 Bei 3 bin ich nicht mal ganz sich­er, ob ich die Fragestel­lung ver­ste­he… 4 würde ich wegen des Skalpells ten­den­tiell für ein Fake halten.

Klaus Graf (Archivalia) über Twit­ter: Ich tipp auf die Zis­chlaute, die Kleinkinder sind zu offen­sichtlich gefaked, als dass sie nicht wahr sein dürften …

SamZi­dat über Twit­ter: Die 4? Ich denke mal, da wür­den etwas zu viele Richtlin­ien ver­let­zt. Andererseits …

Diese Über­legun­gen sind zwar alle nachvol­lziehbar aber mir ist es in diesem Jahr zum ersten Mal gelun­gen, alle Leser/innen auf die falsche Fährte zu locken.

Zur Erin­nerung hier noch ein­mal die vier Stu­di­en im Überblick:

  1. Kann man die Bevölkerungs­größe von amerikanis­chen Städten anhand der Häu­figkeit vorher­sagen kann, mit der im Inter­net der Satz I live in [NAME DER STADT] auftaucht?
  2. Gibt es einen Zusam­men­hang zwis­chen der Gewalt­bere­itschaft ein­er Kul­tur und der Häu­figkeit von Zis­chlaut­en in deren Sprache?
  3. Hat die Anzahl der Sin­neskanäle, über die man den Ref­er­enten eines Adjek­tivs wahrnehmen kann, einen Ein­fluss auf dessen gram­ma­tis­ches Verhalten?
  4. Wie kann man Kleinkindern am besten Schmerzenss­chreie entlocken?

Und hier die Auflösung.

1. Diese Studie gibt es wirklich:

Ste­fanow­itsch, Ana­tol (2005): New York, Day­ton (Ohio), and the raw fre­quen­cy fal­la­cy. Cor­pus Lin­guis­tics and Lin­guis­tic The­o­ry 1(2), 295–301.

Darin ging es nicht nur zum Spaß um diese Frage, son­dern ich wollte eins von Chom­skys Argu­menten gegen Häu­figkeits­dat­en wider­legen. (Der Ver­lag und ich haben unter­schiedliche Auf­fas­sun­gen über die Frage, ob Autoren ihre Fachauf­sätze im Inter­net zum Down­load bere­it­stellen dür­fen. Ich folge hier der Auf­fas­sung des Ver­lags und set­ze keinen Link. Falls jemand die Studie haben möchte, beant­worte ich Anfra­gen gerne per Email).

2. Diese Studie gibt es auch:

Reed, Jan (1977): The­o­ry of lin­guis­tic deriva­tion. Manuskript, Uni­ver­si­ty of Min­neso­ta. [Link]

Ein Urteil darüber, wie zuver­läs­sig hier gear­beit­et wurde, über­lasse ich den muti­gen Leser/innen.

3. Diese Studie gibt es nicht, sie ist der Aprilscherz. Mein Kol­lege Ste­fan Gries und ich haben diese Studie vor eini­gen Jahren begonnen, haben sie aber wegen method­is­ch­er Hin­dernisse nie zu Ende gebracht.

4. Diese Studie gibt es fol­glich auch:

Grau, Susan M., Michael P. Robb und Antho­ny T. Cacace (1995): Acoustic cor­re­lates of inspi­ra­to­ry phona­tion dur­ing infant cry. Jour­nal of Speech and Hear­ing Research 38(2): 373–381. [PubMed]

Ob man für solche Meth­o­d­en heute noch eine Genehmi­gung uni­ver­sitär­er Ethikauss­chüsse bekom­men würde, weiß ich nicht.

6 Gedanken zu „Aprilscherz aufgelöst

  1. TMP

    Die Auf­gabe war wohl eher zu schw­er, wirk­liche Anhalt­spunk­te (zumin­d­est für den Laien) warum aus­gerech­net Num­mer drei falsch sein sollte gab’s so weit ich sehen kon­nte nicht.

    Und wenn ich meinen Tipp ein­fach nur wür­feln müsste, kann ich auch gle­ich auf die Auflö­sung warten. 🙂

    Außer­dem schreibe ich nicht gerne E‑Mails. :>

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  2. Stefan

    Ich muss sagen ich war zu faul für eine Email 😉 Ich ver­mute ziem­lich viele haben vorm Rech­n­er gesessen und gegrübelt.

    Ich hätte auf eins getippt… nicht zu glauben, dass man fürs Googlebe­di­enen schon wis­senschaftliche Rep­u­ta­tion ein­sam­meln kann ;D.

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  3. Simone

    Zu 1.: “Chom­skys Argu­menten gegen Häu­figkeits­dat­en wider­legen” tönt inter­es­sant, würde ich gerne mal lesen.

    Zu 2.: Man gehe in ein Gebi­et, in dem es kaum Dat­en gibt und inter­pretiere die weni­gen, schwach belegten Dat­en die man hat so, dass man das Resul­tat bekommt, dass man erhal­ten will.

    Zu 4.: Widerwärtig!

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  4. w.k.

    beim ersten Lesen klang alles aus­gedacht, beim zweit­en Mal fand ich alle real­is­tisch (eine email hat also gar keinen Sinn gemacht). Eins war zu sim­pel fürs aus­gedacht sein und kam mir irgend­wie bekan­nt vor; zwei: Sozi­olo­gen trau ich (mit­tler­weile) alles zu (nur noch von Psy­cholo­gen übertrof­fen) und kam auch von ganz weit weg bekan­nt vor; drei klang ein­fach zu span­nend, und wenn das Erin­nern von Din­gen von Sin­nes­modal­itäten abhängt, warum nicht auch Ein­fluss auf die Sprache? Vier: auf den ersten Blick abstrus, auf den zweit­en passt es schon, wenn man ein Kind zum Schreien kriegen will, um das zu unter­suchen. Schade um die Nr. 3!

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