Heute hat jemand das Schplock mit dem Suchbegriff “ethymologisch” gefunden (der Suchmaschinen-Rechtschreib-Korrektur sei Dank!) – auch ein Fall von Hyperkorrektur: Weil wir bei Fremdwörtern aus dem Griechischen dauernd irgendwelche <th>s schreiben, wird das auch manchmal in Fällen gemacht, bei denen das <t> der Buchstabe der Wahl wäre. (Schnell gegooglet: 271.000 Treffer für Ethymologie mit <th>, 289.000 mit <t> – *puh* Das war knapp!)
Wie kommt es, dass zwei Wörter, die aus derselben Sprache entlehnt wurden und an der entscheidenden Stelle gleich klingen, verschieden geschrieben werden?
Die Etymologie von Etymologie
Kluge verweist für Etymologie auf altgriech. etymologia ‘Lehre vom Wahren’, das über das Lateinische ins Deutsche entlehnt wurde.
Ethnologie hingegen geht auf altgriech. éthnos ‘Volk, Schar’ zurück.
Tau vs. Theta
Was wir in lateinischen Buchstaben als <t> und <th> schreiben, sind im Griechischen zwei verschiedene Buchstaben: τ (Tau) und θ (Theta). Und auch zwei verschiedene Laute:
- τ (Tau) klang im Altgriechischen wie unser heutiges [t] in trinken,
- θ (Theta) klang wie unser heutiges [tʰ] in taufen.
Bei der Schreibung von Wörtern mit diesen Buchstaben orientieren wir uns an der lateinischen Umschrift der Römer (die auch meistens zwischengeschaltet waren, d.h. viele griechische Wörter wurden aus dem Lateinischen entlehnt, nicht direkt aus dem Griechischen) – und die Römer nahmen für das Theta die Kombination <th>.
Was ist der Unterschied?
[tʰ] ist ein sogenanntes “aspiriertes T”. Das bedeutet, dass nach dem eigentlichen [t] noch ein kleiner Luftschwall folgt. Wir hören den Unterschied im Deutschen i.d.R. nicht, weil er nicht bedeutungsunterscheidend ist – das aspirierte T wird meist gesprochen, wenn es am Wortanfang steht und danach ein Vokal folgt, sonst kommt das “normale”. (Leider habe ich im Netz keine Audioaufnahme gefunden. Aber wenn man sich beim Sprechen genau zuhört und vielleicht ein Blatt Papier vor den Mund hält – das bewegt sich bei aspirierten Lauten –, kann man den Unterschied schon bemerken.)
Das ist in anderen Sprachen anders – z.B. im Altgriechischen.1 Dort sind [tʰ] und [t] so verschieden wie [t] und [d] im Deutschen.
Woher kommt’s?
Jetzt wird es vage, wie das so ist, wenn man sich jenseits schriftlicher Quellen tummelt. Griechisch ist ja eine indogermanische Sprache, wie das Deutsche auch, d.h. letztlich müssen diese Konsonanten auf dieselben “Urkonsonanten” zurückgehen.
Für das Indogermanische setzt man folgende Plosive2 an:3
- p, t, k (“Tenues”)
- bʰ, dʰ, gʰ (“aspirierte Medien”)
- b, d, g (“Medien”)
Das altgriechische tʰ geht wohl auf das idg. dʰ zurück – die aspirierten Medien wurden nämlich zu aspirierten Tenues, also stimmlos: idg. dʰ > protogriech. tʰ.
Die deutsche Entsprechung hat folgende Entwicklung mitgemacht: idg. dʰ > germ. ð (klingt wie engl. <th> in that) > westgerm. d > althochdt. t.4 Das griech. θύρα und das deutsche Tür sind z.B. miteinander verwandt. (Indogerm. hieß es *dʰwer-.)
Mit dem geschriebenen <h> nach dem <t> kann das Deutsche also einfach nichts mehr anfangen – für Aspiration gibt es ja Regeln: Ethnologie ist im Deutschen z.B. nicht aspiriert (weil das T nicht am Wortanfang vor Vokal steht), die altgriech. Aussprache wird nicht berücksichtigt.
Das <th> in der Orthografie
Dass wir das <th> weiterhin fleissig schreiben, liegt daran, dass es in der deutschen Rechtschreibung kein starkes Prinzip zur Eingliederung von Fremdwörtern gibt. Im anderen Sprachen wird auf die Originalschreibung wenig Rücksicht genommen – Orthographie heißt im Spanischen z.B. ortografía, Ethnologie ist etnología. Das Deutsche scheut sich vor so etwas. Dazu schreibe ich vielleicht mal mehr.
Es gab einst ein <th> auch in Wörtern deutschen Ursprungs wie Thal, Thür, thun, Noth. Das <h> in solchen Wörtern wird im Grimmschen Wörterbuch als Dehnungszeichnen interpretiert: “[…] wobei h vor oder nach langem oder gedehntem vocal nur ein dehnungszeichen ist.”
Das “deutsche” <th> wurde bei der II. Orthographischen Konferenz in Berlin 1901 abgeschafft, das Fremdwort-<th> wurde ausdrücklich belassen.
Auch <ph> geht übrigens auf ein pʰ zurück, und das <ch> in Wörtern griechischen Ursprungs auf kʰ. Dass <ph> im Deutschen als [f] ausgesprochen wird (wie im modernen Griechischen übrigens auch), kann ich nicht so gut erklären, es könnte etwas mit dem Lateinischen als Zwischenschritt zu tun haben. Da werde ich aber noch nachforschen.
Fußnoten:
1Im Neugriechischen gibt es kein [tʰ] mehr, dieser Laut wird jetzt als [θ] ausgesprochen, das klingt wie das engl. <th> in thorn.)
2Plosive sind Konsonanten, die erzeugt werden, indem man den Mundraum komplett verschließt und dann plötzlich öffnet, sodass die Luft explosionsartig entweicht. [p], [t], [k], [b], [d], [g] sind Plosive, Laute wie [f] oder [s] hingegen nicht.
3Natürlich gibt es Streits darüber, ob es nicht doch andere gewesen sein könnten. Da kenne ich mich aber einfach zu wenig aus, um etwas Erhellendes sagen zu können.
4Unser heutiges [d] hingegen kommt von idg. t > germ. θ > ahd. d.)
Habe eben einen wunderbaren Tippfehler eliminiert, danke Pierpaolo! Damit ihn die Nachwelt trotzdem noch genießen kann:
Sehr erhellend. Danke!