Der Konferenzstress verhindert es derzeit, dass ich regelmäßiger blogge, aber ich verspreche, dass sich das bald wieder ändert. Zum Glück brauchen die Sprachblogleser/innen mich nicht, um laut über Sprache nachzudenken: die Diskussion zu meinem letzten Eintrag hat gerade die in diesem bescheidenen Blog eher seltene Grenze von 40 Kommentaren erreicht. Die Diskussion hat sich vom ursprünglichen Thema wegentwickelt (der Frage nach dem Verfassungsrang des Deutschen) und dreht sich nun um die Vor- und Nachteile von Lehnwörtern (ich werde darauf verweisen, wenn ich das nächste Mal dafür kritisiert werde, dass ich zu viel über Anglizismen schreibe).
Ein Argument, das die Lehnwortgegner in dieser Diskussion breittreten ist das der Verständlichkeit: Anglizismen (und andere Lehnwörter) seien deshalb schlecht, weil diejenigen, die deren Ursprungssprache nicht beherrschen, sie nicht verstehen könnten. Wir haben dieses Argument hier im Sprachblog schon mehrfach entkräftet (zuletzt hier). Aber Leserin Kristin hat in ihrem Kommetar ein tieferliegendes Missverständnis hinter diesem Argument aufgedeckt. Hier aus ihrem Kommentar:
Warum wird in solchen Diskussionen eigentlich fast nur der Sender kritisiert?
Soll heißen: Wenn mich eine Botschaft erreicht, die ich nicht verstehe, dann frage ich nach. Erstens gibt man mit diesem Feedback dem Sender die Möglichkeit, sich (aktuell) zu erklären und (zukünftig, wenn nötig) seine Wortwahl zu ändern. Zweitens ist das eine prima Gelegenheit, neue Wörter zu lernen. Und das gilt nicht nur für Anglizismen, nicht nur für Fremdwörter, sondern für alle mir fremden Ausdrücke (Dialekt, Jargon, Handwerkerfachsprech …). So lernt man eine Sprache. Ich bin mit der Sesamstraße aufgewachsen: Wer nicht fragt, bleibt dumm.
Die Idee, man müsse die Empfänger dort abholen, wo sie stehen, führt leider häufig dazu, dass man sie eben nicht abholt, sondern stehen lässt
Dem kann ich mich nur anschließen.
Mir ist durch diesen Kommentar der blinde Fleck der Lehnwortgegner deutlich geworden: Sie sehen bei sich selbst keine Mitverantwortung für den Erfolg eines kommunikativen Ereignisses. Sie wollen sich nicht an der gemeinsamen Konstruktion von Bedeutung beteiligen, sondern sie wollen, dass man ihnen alles in einer Sprache serviert, die genau ihrem Geschmack und, schlimmer noch, ihrem aktuellen sprachlichen Erfahrungshorizont entspricht. Vielleicht hat diese fehlende sprachliche Flexibilität auch etwas damit zu tun, dass sie sich auch mit neuen Ideen schwertun.
Da stellen sich ein paar Fragen: Woher kommt der erzieherische Anspruch, die »Empfänger« irgendwohin mitzunehmen, und was rechtfertigt ihn? Darf nicht jeder selbst entscheiden, ob und wann er dazulernen will? Hat jeder noch so aufgeschlossene und lernwillige Mensch immer Zeit und Lust, seinen Horizont zu erweitern? Was ist mit Gebrauchstexten, von der Antwort auf ein Beschwerdeschreiben über die Gebrauchsanleitung bis zum Werbetext — kann ich mir da ernsthaft erlauben, den »Empfänger« zum Lernen verpflichten zu wollen? Etc.
Aus Sicht eines Werbers ist das “Abholen” ja kein allzu weltfremdes Anliegen. Ich kann natürlich einen TV-Spot für Gebissreiniger mit Anglizismen zustopfen und argumentieren, dadurch lerne die Zielgruppe noch was. Spätestens, wenn die ersten Absatzzahlen kommen, wird sich mein Kunde dann allerdings sehr wahrscheinlich einen neuen Geschäftspartner suchen wollen.
Das Argument, derdie Angesprochene könnte sich ja mal erkundigen und etwas lernfreudiger sein, will ich damit nicht entkräftigen, weil es den neuralgischen Punkt trifft: Wer Anglizismen doof findet und Traditionen vorschiebt, ist tendenziell zu faul seine Gewohnheiten zu verändern.
Ein Argument, dass die Lehnwortgegner in dieser Diskussion breittreten ist das der Verständlichkeit: Anglizismen (und andere Lehnwörter) seien deshalb schlecht, weil diejenigen, die deren Ursprungssprache nicht beherrschen, sie nicht verstehen könnten. Wir haben dieses Argument hier im Sprachblog schon mehrfach entkräftet
Klasse, Anatol, mit welcher Souveränität Sie hier zeigen, wer Recht und wer Unrecht hat! Danke. Ich werde zur Buße ein paar Ave Maria sagen. Wir bösen Gegner treten breit, Sie, die Lichtgestalt der Aufklärung, entkräften.
Aber mal im Ernst: Sie haben das Argument genausowenig entkräftet, wie ich Sie widerlegt habe. Sie sind doch Wissenschaftler. Sie sollten doch wissen, dass es Meinungsverschiedenheiten geben kann, die, wenn man versucht, sie neutral zu betrachten, nicht mit einem simplen richtig — falsch aufzulösen sind.
Sicher gibt es da Unterschiede zwischen Kommunikationssituationen. Ich habe häufiger die Aufgabe, technischen Laien ein Computerproblem zu erklären: “Maschine ist kaputt” befriedigt die wenigsten. Im Dialog merke ich oft meinem Gegenüber an, auf welcher Seite seines Verständnishorizonts das Gespräch sich gerade bewegt. Nonverbale Rückmeldung kann zusätzlich zur ausdrücklichen Nachfrage anzeigen, dass eine genauere Erklärung oder schlicht ein anderes Wort nötig ist. Ich scheue mich nicht davor, Fachbegriffe — auch Anglizismen, wenn das mir angebracht erscheint — zu verwenden, solange ich als “Sender” sie nötigenfalls erklären kann.
Als großes Problem der Anglizismen sehe ich an, dass oft der Sender nicht einmal genau weiß, was er ausdrücken möchte. “Come in and find out” — was werde ich denn herausfinden? Dass wenigen Werbern die Bedeutung der Begriffe “hip”, “trendy”, “lifestyle”, “experience”, “adventure”, “event”, “highlight”, “business” und vieler anderer klar ist und sich aus der Verwendung gegenüber einem deutschen Wort nur ein Vorteil ergibt? Widerspruch durch den “Empfänger” scheitert nämlich schon daran, dass der sich der genauen Bedeutung der Botschaft genauso wenig sicher ist wie der Absender.
Wie Debe richtig bemerkt, kommt es auf den Kontext an — ‘tschuldigung: den Zusammenhang, das Umfeld. Als Werbetexter kommt es darauf an, den Angesprochenen schnell und nachhaltig zum Kauf eines Produktes/Services zu überreden. Daher ist es hier angebracht, die Zielgruppe im Auge zu behalten. Aus meiner Erfahrung handelt es sich meist um eine nicht-qualifizierte Zielgruppe, heißt, es soll jeder angesprochen werden ganz unabhängig von ener vorhandenen Affinität zum Produkt.*
Um also jeden zu erreichen, muss ich es allen einfach machen [nein, nicht recht], also möglichst weichgewaschene Sprache verwenden. Lehn- und Fremdwörter nur, wenn sie fachliche Kompetenz ausdrücken sollen; ein Kfz-Betrieb, der das Wort Auto[mobil] nicht benutzt, kommt komisch rüber. Übrigens folgt aus der oben beschriebenen Notwendigkeit, dass Werbung gar nicht originell sein darf, und kreativ nur in soweit als Klischees auf Beworbenes übertragen werden.
Sollten Journalisten und Politiker ebenso auf den kleinsten gemeinsamen Nenner der Sprache kommen? Möglicherweise ist es sinnvoll, in einer Bierzeltrede die große Macht der Flexibilität, die Sprache eben auch durch Fremdwörter, Entlehntes oder Neologismen schafft, aufzugeben. Möglicherweise will der bierselige potenzielle Wähler seine eigenen Nichtgedanken auch nur in plattesten Sätzen von anderen, nämlich ‘den klugen Köpfen da oben’ hören. Richtig ist das damit noch lange nicht.
Kommunikation ist, anders als wir es uns im Laufe des vergangenen Vierteljahrhunderts eingeredet haben, keine [reine] Dienstleistungen, Kommunikation dient dem Austausch. Selbstverständlich sollte ich versuchen, die Sprache angemessen zu vereinfachen je komplexer oder abstrakter das Thema ist — aber eben auch nicht weiter.
Tatsächlich helfen ausgerechnet die ach so schwer verständlichen Anglizismen, Amerikanismen, Latinismen, Franzi-ismen etc. sprachliche Konstrukte schnelle begreifbar und damit einfach zu halten. Jeder weiß, was ein Computer ist, also kann ich diese Chiffre einsetzen egal aus welcher Sprache das Wort stammt. Sage ich hingegen Rechner, muss ich spezifizieren, was genau dieser ‘Rechner’ denn kann. Anders als selbst ernannte Sprachpuristen behaupten, sind die beiden Begriffe nämlich nicht synonym.
Ohnehin ist es interessant, wie häufig die Argumentation der Lehnwort-Gegner Strohmänner aufbaut [ohne Lehnwort einen Anglizismus einbauen, abgehakt]. So wird zum Beispiel niemandem vorgeschrieben, er müsse die bösen, bösen Formulierungen benutzen. Er oder sie muss sie auch nicht verstehen, dafür gibt es ja das Nachfragen. Es ist auch nicht so, dass es um Sprache ginge, also jenes akustische Signalsystem, dass wir im Allgemeinen sehr schlampig verwenden, um kurzfristig zielgerichtet zu interagieren.
Möchte mir wirklich jemand per Gesetz vorschreiben, wie ich spreche? Mich juristisch haftbar machen, weil ich Rap oder Scat sage statt Sprechgesang [übrigens auch hier, die drei Begriffe sind nicht synonym]? Weil ich von Software spreche, Hardware, Mainboard, TV, Tuner, CD-Player …? Wohl kaum.
Im besten Fall geht es also nicht um Sprache, sondern Schrift [der wir selbstverständlich auch Radio-Features oder TV-Moderationen zurechnen können, da diese meist vorgeschrieben sind]. Wieder greift das Kontext-Argument: Bedienungsanleitungen müssen jedem Normalbegabten verständlich sein. Bei journalistischen Texten sieht dies schon anders aus, ein gewisses Vorwissen und weiterführedes Interesse darf hier gerne vorausgesetzt werden.
Verstehen alle Menschen immer alles, was geschrieben steht? Nein. Müssen sie das? Nein. Soll sich der Adressant immer auf das niedrigste verständliche Niveau begeben?
*Werbetexte sind übrigens durchaus nicht in erster Linie Überträger direkter Bedeutung, es geht nicht darum, dass der Adressat den lexikalischen Inhalt voll versteht. Der Texter kommuniziert unterschwellig, versucht den Text so zu gestalten, dass er ganz bestimmte Gefühle beim Rezipienten auslöst. Daher werden viele [Pseudo-]Fachbegriffe benutzt, z.B. ‘business’, die Internationalität, Kompetenz und Seriösität implizieren oder es wird auf angebliche Soziolekte zurückgegriffen um Jugendlichkeit auszudrücken.
Dann wil diese Benutzung eines englischen Begriffs sicher auch nur beim Hörer Lernbereitschaft erzeugen:
http://www.textguerilla.de/2009/02/26/die-grenzen-der-flapsigkeit/
;o)
An dieser Debatte wundert mich immer die Gut-Böse-Mentalität auf beiden Seiten. Fremdwörter, Lehnwörter, Anglizismen, Fachausdrücke und was es sonst so an Phänomenen gibt (es sind ja durchaus unterschiedliche Kategorien) können je nach Verwendungszusammenhang gute Dienste leisten oder eher nicht. Das ist obendrein noch eine Frage, die verschiedene Kommunikationsteilnehmer in der gleichen Situation unterschiedlich beantworten dürften.
Werbung: Wenn in der Werbung englische Wörter, Satzteile, Sätze verwendet werden, kann das verschiedene Absichten haben. In der Regel dürfte der Wunsch dahinter stehen, dem beworbenen Produkt ein internationales Flair zu verpassen. Meiner bescheidenen Meinung nach ist das zB bei Marlboro gelungen (“come to where the flavor is”), bei Douglas in die Hose gegangen (“come in and find out”). Das hat auch damit zu tun, dass im Fall Douglas der Versuch, idiomatisch einwandfreies Englisch zu produzieren, entweder nicht unternommen wurde oder halt nicht gelungen ist. Hintergdanke war wohl in jedem Fall, dass die Zielgruppe dieses internationale Flair gut findet und als Käufer honoriert. Da ist andererseits Verständlichkeit nicht in jedem Fall nötig, es muss nur toll klingen…
BWL-Sprech: Da ich einige Jahre als Berater (“Consultant”) in einem internationalen Unternehmen gearbeitet habe, kenne ich den Jargon aus eigener Anschauung und ‑hörung. Da machen sich halt Meetings, Commitments, Losses und Wins (im Sales, äh, Vertrieb) und andere Phänomene breit, und viele merken’s gar nicht mehr. Was auch damit zu tun hat, dass manchmal die englischen Begriffe prägnant und kurz sind, während es keinen eingeführten deutschen Begriff gibt — zB der “Rollout” einer Software. Mich persönlich hat das immer genervt, ich habe dann versucht, von Besprechungen, Zusagen etc. zu sprechen. Schlichte Unkenntnis der Fremd- wie der Muttersprache führt darüber hinaus zu Übersetzungsfehlern (false friends? Anglizismen?) wie “Industrie” statt “Branche” für industry oder “Rate” statt “Preis” für rate. Abzuwarten ist, ob solche Übersetzungsfehler sich derart durchsetzen, dass es zu einem Sprachwandel führt, die deutschen Wörter Industrie und Rate also auch außerhalb dieser Indu- äh Branche eine Bedeutungserweiterung erfahren.
Verständlichkeit: Ob ich mich als Sender um Verständlichkeit in allen Fällen bemühe, kommt auf meine Interessen und die Interessen der Empänger sowie um die Einflussmöglichkeiten an. Solange nur wenige Kunden zB ein technisches Gerät zurückbringen, weil keine deutsche Anleitung dabeiliegt, kann man sich die Mühe sparen. (Analog für die Anleitungen, die in so etwas ähnlichem wie Deutsch abgefasst sind.) Wenn über dem guten alten Auskunfsschalter jetzt “Service Point” steht, kommen die Bahnkunden trotzdem hin und werden geholfen (oder auch nicht, das hängt aber nicht von dem Schild über dem Schalter ab). Wenn ich als Sales Representative eines Service Providers zum Kunden gehe und meine neuesten Service Offerings damit anpreise, dass hier ein Weg ist, die Total Cost of Ownership zu senken und schnell einen hohen Return on Investment zu erzielen, und dann nur in fragende Gesichter schaue, hab ich wohl die Zielgruppe falsch eingeschätzt. Aber Verständlichkeit muss ich gar nicht mit Anglizismen und Lehnwörtern untergraben. Ich behaupte zB nicht, verstanden zu haben, was ich da unterschrieben habe, als ich eine Grundschuld bestellt habe, um das Darlehen für die Eigentumswohnung abzusichern. Ansonsten: xkcd zu “Simple English”
> Vielleicht hat diese fehlende sprachliche Flexibilität auch etwas damit zu tun, dass sie sich auch mit neuen Ideen schwertun.
Das wäre ja auch nicht weiter schlimm, wenn dieses Schwertun nicht in missionarischem Sendungsbewusstsein resultierte. Wer Anglizismen etc. nicht mag, soll sie meinetwegen weglassen oder sich jedes mal die Ohren waschen, wenn er ein Fremdwort hört. Aber deswegen anderen vorschreiben zu wollen, was sie zu verwenden haben und was nicht, was “guter” und was “böser” Sprachgebrauch sei, das ist unverschämt.
Es gibt Leute, die finden fremdes Wortgut unschön. Es gibt Leute, die teilen diese Sicht nicht. Das dürfte schlichtweg unvereinbar sein, muss auch nicht vereinbart werden. Wer keine Angst vor Vielfalt hat, muss da auch niemanden “bekehren”.
Meines Erachtens äußerst sich in diesen englischen Werbesprüchen (Slogans?) eine Denkfaulheit, die ganz prachtvoll auch auf Deutsch funktioniert. So wie die Frage berechtigt ist, was man bei Douglas herausfinden soll (wenn man das mal richtig dekodiert hat), so stellt sich auch bei deutschen Slogans (Werbesprüchen?) oft die Frage, was sie eigentlich bedeuten sollen. Typisches Beispiel, immer noch oft zu sehen, an Geschäften aller Art: “XXX und mehr”. Welches mehr gibt es aber bei einer, sagenwirmal, Bäckerei, über der steht: “Brot, Kuchen und mehr”? Welches Mehr könnte es dort geben? Ich habe mehr als einmal in so einem Laden nebenbei gefragt, was es denn noch “mehr” gibt. Die Reaktion war im Regelfall Unverständnis, häufig aber auch der Hinweis “das ist ja nur Werbung”. Dort wird, dem gesunden Menschenverstand folgend, angenommen, Werbung habe mit Realität nichts zu tun — muss halt nur irgendwie gut aussehen oder klingen. Nicht dumm, wenn ich sehe, dass manche Firmen sogar Produkte bewerben, die sie gar nicht liefern können (dochdoch, mehr als einmal bei Asus oder Dell erlebt). Dazu passen Slogans, die keiner verstehen kann.
Debe, ich wage zu bezweifeln, dass sich die Werber in Deutschland der Bedeutung der Wörter “hip”, “trendy”, “Event” oder “Highlight” nicht bewusst sind. Diese Wörter sind doch nun schon so lange im regulären deutschen Sprachgebrauch, dass man sich daran wirklich nicht mehr aufhängen sollte.
AndreasK, ich verstehe überhaupt nicht, was deine Anmerkung mit der Diskussion zu tun hat. Offensichtlich hat ein Radiosender einen saloppen Ausdruck benutzt, der im Kontext unangebracht war. Ein Fauxpas wie dieser passiert sicher ab und an mal. Hier liegt es aber sicher nicht an einem missverstandenen Lehnwort.
Hm, ist das nicht genau ein wichtiger Aspekt, der das Sterben (im weitesten Sinne) einer Sprache begünstigt? Also wenn die Sprecher das Interesse verlieren, ihre und damit die Sprache weiterzuentwickeln? Sind es also letztlich die Anglizismengegner selbst, die einen großen Teil dazu beitragen, dass ihre eigene schlimmste Befürchtung wahr wird und das Deutsche “auszusterben” droht?
Nur, dass wir uns nicht falsch verstehen, das Deutsche wird es höchstwahrscheinlich auch in 200 Jahren noch geben, mein Gedanke richtet sich an die Anglizismenkritiker, die den schleichenden Tod des Deutschen fürchten aber anscheinend alles dafür machen, dass er tatsächlich eintritt.
Wieso glaube eigentlich alle, dass man die Sprache aus dem ein Lehnwort kommt kennen muss, um das Lehnwort zu verstehen? Dies ergibt für mich keinen Sinn. Nämlich muss das Lehnwort doch gar nicht die selbe Bedeutung haben wie in der Ursprungssprache. Zum Beispiel bezeichnet der “kindergarten” in den USA etwas anderes als der “Kindergarten” in Deutschland.
Dies wäre heute m.E. eher ein Beispiel für einen “falschen Freund”.
Und BTW wer nicht wissen will, was ein bestimmtes Wort bedeutet, fragt einfach nicht nach.
Aber deswegen anderen vorschreiben zu wollen, was sie zu verwenden haben und was nicht, was “guter” und was “böser” Sprachgebrauch sei, das ist unverschämt.
Es gibt Leute, die finden fremdes Wortgut unschön. Es gibt Leute, die teilen diese Sicht nicht. Das dürfte schlichtweg unvereinbar sein, muss auch nicht vereinbart werden. Wer keine Angst vor Vielfalt hat, muss da auch niemanden “bekehren”. schrieb janwo
Aber es fragt sich natürlich, wer hier auf dieser Seite versucht, andere zu bekehren.
Und wer sich offensichtlich so furchtbar an einer abweichenden Meinung stört, dass er sich verzweifelt bemüht, sie als wissenschaftlich falsch hinzustellen, ihren Anhängern zu unterstellen, sie seien geistig unbeweglich und hätten Angst vor Vielfalt.
Fehlt noch der Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit.
Herr oder Frau Dibbedabb,
wollen Sie insinuieren, es seien nicht die Fremdwortfeindlichen, die missionierend versuchen anderen [mir zum Beispiel] auch per Gesetz vorSCHREIBEN zu wollen wie wir zu SPRECHEN haben? Wollen Sie tatsächlich behaupten, es wäre [moralisch] falsch, den pseudo-wissenschaftlichen Vorwürfen der Fremdwortfeinde Empirie und Theorie entgegenzuhalten?
Wenn Sie oder W. Krämer und andere einfach sagten, ‘Na ja, Wörter die nicht der deutschen Sprache autochthon sind, gefallen mir halt nicht — so wie anderen vielleicht Schweinshaxe nicht gefällt’, gäbe es gar keine Diskussion.
Douglas unseliger Claim [sic!] läuft und läuft und läuft, obwohl in Verstehende und Nichtverstehende als blöd, falsch, unverständlich, dämlich ablehnen. Also richtet er entweder keinen Schaden an — die Menschen kaufen immer noch von Heidi Klum — oder er hilft sogar — mehr Menschen kaufen bei der urdeutschen Firma. Letzteres könnte evtl. daran liegen, dass jeder zweitklassige Lehnwort-Gegner über Douglas spricht oder schreibt.
PS: Ich kann diese alberne ‘agree to disagree’-Haltung unserer Wohlfühlgesellschaft auch nicht mehr ertragen. Ja, wer sich öffentlich äußert, muss mit Widerspruch rechnen. Und ja, dieser darf auch auf den wissenschaftlichen Grundlagen eines rationalen Diskurses erfolgen. Nur wer die Debatte zu verlieren scheint, pflegt darauf hinzuweisen, dass die ganze Diskussion ohnehin blöd sei,die Anderen sich ja nur an abweichenden Meinungen stören … Blahblahblah.
Ups, erst jetzt sehe ich, dass mein Kommentar Ihnen was verdeutlichen konnte, Herr Stefanowitsch? Na dann — bitte schön, gern geschehen 🙂
@janwo, @Dierk
Sie halten sich für zu wichtig, wenn Sie meinen, irgend jemand wolle Ihnen vorschreiben, wie Sie sich persönlich auszudrücken haben. Wem Ihre Auszudrucksweise nicht gefällt, der hört Ihnen nicht zu. So einfach ist das.
Als Steuerpflichtiger und als zahlender Kunde verbitte ich mir aber volkspädagogische Bemühungen um Erweiterung meines Wortschatzes von amtlichen Stellen oder von staatlichen Monopolunternehmen.
@Dierk (#6)
Das englische Verb to compute bedeutet rechnen, auch be‑, ausrechnen usw.
Also ist Rechner die wörtliche Übersetzung von computer. Von der Grundbedeutung her sind beide Wörter also so synonym, wie es Wörter nur sein können.
Beim Lesen des Ausgangsbeitrags fällt mir wieder auf, daß hier, wie in zahlreichen Beiträgen der aufrechten Antinörgler, durchgehend der Begriff Lehnwort verwandt wird. Die berüchtigten Nörgler werden als Lehnwortgegner hingestellt.
Dies entspricht nicht der üblichen Verwendung des Begriffs. Herkömmlicherweise unterscheidet man doch zwischen Lehnwörtern und Fremdwörtern. Lehnwörter sind so weit assimiliert, daß sie nicht mehr als “fremd” erkannt werden, so etwa Kloster und Fenster aus dem Lateinischen oder Streik und Keks aus dem Englischen. Fremdwörter sind solche, die noch als mehr oder weniger “fremd” bzw. nicht den Regeln der deutschen Wortbildung entsprechend erkannt werden. Dazu gehören selbst so allgemein verbreitete und jedermann verständliche Wörter wie Interesse oder Computer.
Diese Wortwahl wirkt auf mich als Versuch, terminologisch den “high ground” zu besetzen. Wer kann denn gegen Lehnwörter etwas einzuwenden haben, wenn er nicht wirklich ein verstockter Sprachpurist oder unverbesserlicher Deutschtümler ist? Zugleich soll das Wort Fremdwort durch bewußte Vermeidung tabuisiert werden. Wer es verwendet, entlarvt sich als Chauvinist, ja als fremdenfeindlich.
Machen wir es doch so wie das Goetheinstitut und sprechen wir nur noch von “Wörtern mit Migrationshintergrund”.
@ Debe
Als großes Problem der Anglizismen sehe ich an, dass oft der Sender nicht einmal genau weiß, was er ausdrücken möchte.
Das ist doch überhaupt ein Grund, warum gerade in der Werbung gern Anglizismen verwendet werden: Man kann etwas ausdrücken, was einem auf Deutsch vielleicht ein wenig peinlich wäre. Auf Englisch wird die manchmal sehr dünne oder triviale Bedeutung eines Slogans abgemildert.
@ Herr oder Frau Dierk
zum einen ist es mir völlig wurscht, ob der VdS irgendjemandem irgendetwas vorschreiben will. Wenn er dies will (was mir nicht bekannt ist), dann muss er eben schauen, dass sich seine Forderung im Rahmen des Grundgesetzes bewegt und dass er eine Mehrheit im Bundestag dafür bekommt. So weit, so normal. Wenn Sie sich darüber aufregen wollen, tun Sie’s halt.
Zum anderen geht es hier nicht um einen wissenschaftlichen Diskurs und er wird auch von keiner Seite, auch nicht von Herrn Stefanowitsch, auf wissenschafltiche Weise geführt. Es geht um Meinungsaustausch. Und da versuchen Sie, Herr Stefanowitsch und die meisten anderen, die sich in diesem Biotop hier zusammenfinden, um sich gegenseitig zu bestätigen, wie dumm, hinterwäldlerisch, verbohrt und evtl. auch faschistisch alle sind, die eine andere Meinung haben, da versuchen Sie mit reichlich unfairen Mitteln und mit abwegigen Argumenten vorzutäuschen, Sie seien im Besitz der Wahrheit.
Diese Besserwisserei, dieses Auftrumpfen und dieses Sich-Berufen auf vermeintliche wissenschaftliche Wahrheiten, ist zutiefst intolerant und eher noch schlimmer als das, was einige Dumpfbacken in der VdS-Ecke in schwachen Momenten verbreiten.
@ Nörgler (#18)
Wenn Rechner und Computer tatsächlich echte Synonyme sein sollten, wäre eines der beiden Wörter tatsächlich überflüssig. Allerdings ist gerade Computer ein Beispiel für ein Lehn- oder Fremdwort, dass niemandem richtige Probleme in der Praxis macht. Auch Menschen, die kein Englisch verstehen, wissen, was ein Computer ist. Und wenn sie es nicht wissen, hilft das Wort Rechner auch nicht weiter. Computer lässt sich auch ganz gut in die Syntax und Morphologie des Deutschen integrieren, macht also auch hier keine Probleme (Nom. Pl. mit Null-Ableitung, Gen. Sg. mit -s, Dat. / Akk. Sg. wiederum mit Nullableitung etc.).
Zur Frage der Synonymie: Neben to compute gibt es ja auch noch to calculate, und daraus ist der pocket calculator abgeleitet, aus dem wiederum vor vielen Jahren auf dem Wege der Lehnübersetzung der Taschenrechner wurde. Hier ist — wie so oft — keine Eins-zu-eins-Zuordnung englischer und deutscher Lexeme möglich. Außer dem Taschenrechner gibt es auf Deutsch ja noch die Rechenmaschine (diese großen Geräte mit Einstellhebeln und Kurbeln) und den Tischrechner (im Grunde ein Taschenrechner mit größeren Tasten, größerem Display und Streifendrucker). Diese Geräte rechnen tatsächlich im engeren Sinne des Wortes, dh sie führen mathematische Operationen aus. Man kann zum Computer “Rechner” sagen, aber zum Tisch- oder Taschenrechner niemals “Computer”. So richtig synonym sind die Begriffe wohl doch nicht.
Es gibt also ein Wort mit einem breiteren Bedeutungsspektrum und eines mit einem engeren. Offensichtlich hat die Sprachgemeinschaft das Bedürfnis, beide zu benutzen. Sonst wäre Computer ja wieder verschwunden.
Fremdwörter durch deutsche Wörter zu ersetzen, wurde ja schon oft versucht, es hat aber nicht immer geklappt. Geklappt hat es bei der Eisenbahn: In Deutschland (im Gegensatz zur Schweiz) kaufen wir keine Billette, sondern Fahrkarten, gehen dann auf den Bahnsteig und nicht auf den Perron, nach dem Einsteigen suchen wir uns ein schönes Abteil und kein Coupé, und die Fahrkarte (amtsdeutsch: Fahrausweise) zeigen wir dem Schaffner und nicht dem Kondukteur. Vom Fernsprecher statt vom Telefon redet aber nur der Amtsschimmel.
Englische Fachbegriffe, die (weitgehend) unverändert ins Deutsche übernommen werden und manchmal neben einem deutschen Äquivalent stehen, sind eine völlig andere Sache als die gelegentlich sehr peinliche Verwendung englischer Begriffe oder Phrasen in der Werbung. In beiden Fällen kann man sich manchmal fragen, wie es denn mit der Verständlichkeit aussieht. In der Werbung wird der Werbende bald merken, ob er verstanden worden ist oder nicht. Ansonsten stehen viele englische Begriffe für Dinge oder Sachverhalte, die dem Laien auch auf Deutsch nicht klar sind. Wenn ich nicht erklärt bekomme, was eine bad bank sein soll, nützt mir auch die Übersetzung nichts.
Wenn er dies will (was mir nicht bekannt ist)
Sie lesen also die Beiträge in diesem Blog gar nicht? Oder die Schlagzeilen in Presseorganen?
Zum anderen geht es hier nicht um einen wissenschaftlichen Diskurs und er wird auch von keiner Seite, auch nicht von Herrn Stefanowitsch, auf wissenschafltiche Weise geführt. Es geht um Meinungsaustausch.
Stimmt, Sie lesen die Beiträge nicht.
Ihnen sollte klar sein, dass die Meinungsfreiheit für informierte Meinung gilt, eben darauf wies ich bereits hin, indem ich jedem seinen Geschmack zubillige, aber diesen nicht auf mich übertragen sehen möchte. Sie [und andere] dürfen gerne maulig in der Ecke sitzen, den teils sehr detaillierten Ausführungen z.B. des Hernn Stafanowitsch die Wissenschaftlichkeit absprechen, selbst keinerlei konstruktive oder wissenschaftlich haltbare Baheuptung aufstellen. Wundern Sie sich dann aber nicht, wenn informierte Menschen wirsch, ja harsch reagieren.
Eigentlich sollten die Fremd-/lehnwort-/Anglizismus-Ablehner froh sein, dass sie auch von Linguisten ernstgenommen werden.
Diese Besserwisserei, dieses Auftrumpfen und dieses Sich-Berufen auf vermeintliche wissenschaftliche Wahrheiten, ist zutiefst intolerant und eher noch schlimmer als das, was einige Dumpfbacken in der VdS-Ecke in schwachen Momenten verbreiten.
Ah, rationale Debatten, Empirie, Suchen und Finden von Evidenzen ist Besserwisserei. Gleichzeitig bauen Sie einen neuen Strohmann auf, einen, den ein echter Wissenschaftler sofort durchschaut: Wissenschaft basiert auf Fragen und Skepsis, nicht auf Antworten und Wahrheit. Genau das macht es so schwierig, Anti-Intellektuellen und Anti-Rationalisten wirkungsvoll entgegen zu treten — wir behaupten eben nicht, endgültige Wahrheiten zu verbreiten.
Wenn Sie die Verbreitung der Ergebnisse wissenschaftlicher Methodik für ‘zutiefst intolerant’ halten, frage ich mich, was die Alternative ist, Anbeten der Weltmutter Gaia? Sie könnten natürlich auch versuchen die zur Debatte stehenden ‘wissenschaftlichen Wahrheiten’ logisch oder empirisch zu widerlegen. Zugestanden, es ist einfacher andere als intolerante Besserwisser zu verunglimpfen.
Leider gingen im letzten Beitrag einige QUOTE-Tags verloren. Ich hoffe , es ist trotzdem klar, wo zitiert wurde und wo meine Antworten stehen. Der Zzitierte Beitrag ist Nr. 21.
To compute heißt also rechnen, Zahlen zusammenzählen. Wie ich von Mathematikern und Informatikern immer wieder höre, ist es ausgerechnet dieses, was ein Computer mehr schlecht als recht kann. Wenn es um dieses Rechnen geht wird eher to calculate benutzt, während to compute allgemein besser mit ‘verarbeiten’ übersetzt wäre, somit eher als Synonym für to process gesehen werden kann.
Aber selbst wenn ich mich darauf einlasse, dass ‘rechnen’ hier die einzige Bedeutung wäre, schließt das nicht aus, dass ‘Rechner’ und ‘Computer’ nicht synonym sind. Wie Achim in Beitrag 22 illustriert, ist ‘Rechner’ ein Oberbegriff, der jede Art mechanischer und — so sehe ich das — zumindest einige Arten biologischer Verarbeiter von Zahlen durch die Verknüpfung mit logischen Symbolen ist. Der Abakus ist ein Rechner aber kein Computer, der Mann, der in einem Büro sitzt und dessen Aufgabe das Berechnen von Zahlen ist mag ein Rechner sein, doch ein Computer ist er nicht.
In einem binomialen System wäre Rechner das Genus und Computer die Art [in Linnaeischer Schreibung: Rechner computensis].
Herr oder Frau Dierk,
es geht nicht um Wissenschaft. Die Art und Weise, wie hier gegen das Offensichtliche, nämlich dass viele Anglizismen unverstanden bleiben, angegangen wird, hat schon etwas verzweifeltes. Da liest man
a) Selbst schuld, frag halt nach (eine geradezu dummdreiste Antwort)
b) Stimmt gar net, jeder versteht’s
c) Klar werden sie nicht verstanden, aber doch nicht weil’s englische Wörter sind.
Und das nur, weil einem die Öffentlichkeit einer kleinen Gruppe (mit der ich übrigens gar nicht sympatisiere) nicht gefällt und man ihnen gerne ex cathedra verkünden würde, dass sie unrecht haben.
Hallo dibbedabb,
ich glaube, Ihr Denkfehler (und einer der meisten, die Anglizismen ablehnen) liegt in der Annahme, dass die Sprecher des Deutschen eine homogene Masse sind (Verbessern Sie mich bitte, wenn ich mich darin irre). Also der Glaube, dass alle, die “Deutsch” sprechen, also dieselbe Sprache mit denselben grammatischen Regeln (im deskriptiven/strukturalistischen Sinne), denselben pragmatischen Eigenschaften (also in welcher Situation verwende ich welche Wörter) und demselben Wortschatz. Dem ist aber nicht so, das “Deutsche” ist ein arbiträres (also willkührlich gewähltes) Gebilde, ein festlgelegtes Etwas. Die Leute, die “Deutsch” sprechen, lassen sich jedoch in viele weitere Gruppen unterteilen, z.B. nach Alter (z.B. Jugendsprache), nach Herkunft (Dialekt, Regiolekt), nach Ausbildung (im weitesten Sinne, Fachsprachen), nach sozialem Milieu (Rotwelsch, “voll krass, alder”) usw. Jede dieser Gruppen verfügt über Aspekte von Sprache, die in einer gewissen Weise von “der Norm” abweichen. Ich würde sogar behaupten, dass viele Sprecher des “Deutschen” zu verschiedenen Gruppen gehören und dass keine zwei Sprecher das exakt selbe “Gruppenprofil” haben.
Und das muss sich nicht mal auf Lexik/Wortschatz beschränken: Man könnte Gruppen bilden wie: “Diese Sprecher empfinden eine Konstruktion wie Was glaubst du, dass sie gelesen hat? als grammatisch” und “diese Sprecher empfindeen dieselbe Konstruktion als ungrammatisch”.
Insofern gebe ich ihnen Recht, wenn Sie behaupten, dass ein Anglizismus nicht von Allen verstanden wird. Das soll er aber auch nicht, so lange es eine relevante (Ziel-)Gruppe gibt, die ihn dennoch — in der intendierten Bedeutung — versteht, erfüllt der Anglizismus seinen Zweck: Er trägt eine Information. Ob nun alle Sprecher des “Deutschen” zu dieser relevanten Gruppe gehören, ist eine ganz andere Frage. Will man diese bei der Frage nach Anglizismen unbedingt bejaen, sollte man sich der Konsequenzen bewusst sein. Z.B. dass einige Sprecher “wegen + Genitiv”-Konstruktionen als ungrammatisch empfinden könnten und damit unklar ist, ob diese Konstruktion als zur “deutschen Sprache” zugehörig bezeichnet werden könnte oder nicht…
@dibbedabb
Zum einen: in einem sprachwissenschaftlichen Blog geht es durchaus um Wissenschaft. Aber das nur am Rande.
Der eigentliche Punkt ist, dass Sie und alle, die in Ihrer Richtung argumentieren (“Die armen Leut’ verstehen halt keine Anglizismen”) sich einiger wesentlicher Prinzipien nicht bewusst zu sein scheinen, nach denen Kommunikation funktioniert.
Da ist zum einen das Grice’sche Kooperationsprinzip: “Sprecher will sich dem Hörer verständlich machen” + “Hörer geht davon aus, dass ihm der Sprecher etwas Sinnvolles mitteilen möchte”. Demnach ist der Hörer nicht das arme Opfer, das mit Textmüll zugeschüttet wird und obendrein selbst schuld ist, wenn es nicht versteht, sondern ein Kommunikationspartner, der — auf der “empfangenden” Seite — aktiv am kommunikativen Geschehen beteiligt ist.
Also: im Normalfall hat der Sprecher das Ziel, sich dem Hörer verständlich zu machen. Was der Hörer versteht und wie er es versteht, entzieht sich aber letztlich seinem Einfluss.
Nun ist aber nicht immer Normalfall — und da liegt Ihr nächster Denkfehler. Sie gehen von der irrigen Vorstellung aus, dass Sprache immer eindeutig zu sein und nichts als Inhalte zu transportieren habe. Dabei berücksichtigen Sie nicht, dass auch Vagheit ein kommunikatives Ziel sein kann — sei es, weil Emotionen angesprochen und Assoziationen hervorgerufen werden wollen (Stichwort Werbung) oder dass bewusst Dinge im Unklaren gehalten oder regelrecht verschleiert werden sollen. Weiters kann sprachliches Verhalten auch einfach Imponiergehabe sein. Beides kann man zurecht kritisieren, aber in beiden Fällen hängt das Problem nicht an Anglizismen — imponieren lässt sich z.B. auch mit Fachterminologie, verschleiern auch mit urdeutsch komponierten Euphemismen -, sondern an den Absichten des Sprechers. Die kann man sehr wohl kritisieren. Das wäre dann in der Tat eine “aufgeklärte” Sprachkritik, für die ich auch plädiere. Da werden wir aber nicht hinkommen, solange wir uns an Service Points abarbeiten und abgeschmackte Scherzchen über afrikanischen Pappbecher-Kaffee machen.
amfenster schrieb:
Richtig. Und diese aktive Beteiligung sieht nicht so aus, dass der Hörer in einem Kokon eingeschlossen und auf sich allein gestellt versucht, die eingehenden Signale zu dechiffrieren. Solche Kommunikationseinbahnstraßen und ‑sackgassen gibts doch da draußen gar nicht — oder zumindest nur temporär. Im Normalfall ist doch Hilfe in der Nähe (Freunde, Passanten, Google, nonverbale Hinweise usw.), oft genug eben auch der Sprecher. Und in diesem Sinne besteht die Mitverantwortung des Hörers darin, sich zu informieren, zu erkundigen, nachzufragen (sprich: die Welt zu entdecken).
Um nicht missverstanden zu werden:
Der Standpunkt einer Sprecherin: “Soll er sich halt informieren, der Dummbatz, mir ist doch wurscht, ob er meine Wörter versteht!”, ist arrogant, keine Frage. Aber der Standpunkt eines Hörers: “Soll sie halt nur Wörter verwenden, die ich kenne, die aufgeblasene Pute, ansonsten kann sie mich mal!”, ist ebenso arrogant.
Für beide Standpunkte gilt: Wer zum “Erfolg eines kommunikativen Ereignisses” (Stefanowitsch) nichts beiträgt und auch gar nichts beitragen will, der sollte sich nicht wundern, wenn die Kommunikation nicht gelingt.
Gründe für ein (anfänglich) misslingendes Gespräch gibt es zuhauf. Einer der möglichen Gründe ist ein fremdes Wort. In manchen Fällen ist das fremde Wort ein fremdsprachliches. Ein grundsätzliches Problem sind fremdsprachliche Wörter deswegen aber noch lange nicht, so wenig wie alle anderen Wörter.
(Zitat) Nörgler hat geschrieben:
@janwo, @Dierk
Sie halten sich für zu wichtig, wenn Sie meinen, irgend jemand wolle Ihnen vorschreiben, wie Sie sich persönlich auszudrücken haben.
Ich bin von einem bekennenden VdS-Mitglied per E‑Mail aufgefordert worden, ich solle meine dienstliche Homepage (seinerzeit Uni Münster) doch gefälligst auf die alte Rechtschreibung (zurück) umzustellen. So viel dazu.
»Vielleicht hat diese fehlende sprachliche Flexibilität auch etwas damit zu tun, dass sie sich auch mit neuen Ideen schwertun.
Wenn, dann ist es doch wohl eher andersrum. Anglizismen werden abgelehnt und/oder absichtlich falsch verstanden, weil man diesen ganzen neumodischen Kram doof findet.
An den endlos zirkulierenden Beispielen von Marketingfuzzies die aufgeblasen daherfabulieren ohne selber zu wissen wovon sie da reden sieht man ja dass diese Einstellung stellenweise ja sogar mehrheitsfähig ist. Und diese Ablehnung muss ja nichtmal zwangsweise irgendwie “falsch” sein. Sie hat nur nichts mit der Sprache per se zu tun.
Sprachkritik ist legitim, egal wie sachlich oder unsachlich sie daherkommt – speziell wenn sie, wie fast immer, eigentlich Sprecherkritik (Schreiberkritik) ist. Unangenehm wird’s dann, wenn die Kritiker einen auf wissenschaftlich machen und selbst keine Wissenschaft betreiben. Umgekehrt laufen aber auch Wissenschaftler ins Leere, wenn sie sich über die mokieren, die aus der Praxis berichten und mit unterschiedlich guten Begründungen das propagieren, was sie zum Zweck erfolgreicher Kommunikation aus Erfahrung für geeignet halten (oder das beklagen und abzuwenden versuchen, was nach ihrer Erfahrung erfolgreiche Kommunikation verhindert). Es ist mir ein Rätsel, warum die „scientific community“ (der kleine Ausschnitt daraus, den das Bremer Sprachblog abbildet) gegenüber Berichten aus der „real world“ wie dem von „dibbedabb“ derart verschlossen ist.
Kristin schrieb:
Ich werfe ergänzend noch den Kontext in die Runde.
> Sprachkritik ist legitim, egal wie sachlich oder unsachlich sie daherkommt – speziell wenn sie, wie fast immer, eigentlich Sprecherkritik (Schreiberkritik) ist.
Au Backe, was für ein Quark. Es lebe das Dogma, denn das erspart das Denken.
Welche objektive Legitimation (außer: “das ist so!”) gibt es denn bittesehr, den Sprachgebrauch Anderer zu kritisieren? So wie es da steht, halte ich es für den fadenscheinigen Rechtfertigungsversuch verkappter Möchtegern-Oberlehrer oder Kontrollfreaks. Was für eine Überheblichkeit spricht denn aus diesem Anspruch, dass “Sprachkritik” legitim oder gar notwendig sei? Ist denn die restliche Sprechergemeinschaft dermaßen inkompetent und unmündig dass sie dieser Kritik bedürfte?
Welchen Nutzen sollte diese Kritik dem Kritisierten bringen und welchen Zweck erfüllt sie, außer der Befriedigung einer Neurose auf seiten des Kritikasters? Seit Jahrhunderttausenden funktioniert menschliche Kommunikation. Ich unterstelle bis zum Beweis des Gegenteils, dass sie das die meiste Zeit auch hervorragend ohne “Sprachkritik(er)” konnte und dass dies auch weiterhin der Fall ist.
Richtig pervers wird es allerdings erst, wenn die Kritiker sich dann auch noch selbst als außerordentlich informationsresistent und kritikimmun herausstellen. Aber so ist das nun mal: Austeilen ist leichter als einstecken.
@janwo: Ich glaube bei Ihnen trift Matthias zu 100% ins Schwarze.
“Sprachkritik” im allgemeinen Sinne ist nichts weiter als eine persönliche Meinungsäusserung. Als solche hat sie natürlich auch erstmal nichts mit Sprachwissenschaft zu tun und muss weder “Nutzen” noch “Legitimation” vorweisen.
Wenn aber behauptet wird, sie sei legitim, dann wäre eine Begründung dafür schon nett. Ich habe nicht davon angefangen, “Legitimität” als Argument zu verwenden.
Und diese “Sprachkritik” ist eben gerade nicht bloße Meinungsäußerung, sondern ist mit Belehrung, Appell usw. verquickt. Und das kritisiere ich.
Nanu, wo bleibt denn Herr Oswalt? Oder nennt er sich jetzt janwo?
“Welchen Nutzen sollte diese Kritik dem Kritisierten bringen …”
Der Nutzen liegt zum Beispiel darin, dass der Kritisierte seinen Sprachgebrauch überdenkt und verbessert. Beispiele gefällig?
“Das muss endlich mal aufs Trapez gebracht werden”.
“Deswegen müssen wir nicht gleich in Schutt und Asche herumlaufen”
“Da haben wir gerade noch mal die Kurve gekratzt”
“Das hat er einfach unter den Tisch gekehrt”
Darf ich hier nicht kritisieren, weil der Sprecher ja ach so ‘kompetent’ ist? (Woher kommt eigentlich diese pauschale Kompetenzvermutung seitens der Sprchawissenschaftler?)
@Andreas H.
„Kompetent“ heißt jedenfalls nicht: Verwechselt niemals Wörter, vermischt niemals Redewendungen, benutzt jederzeit den treffendsten Ausdruck. Ich verstehe jeden der von Ihnen zitierten Sätze und wahrscheinlich auch genau so, wie der jeweilige Sprecher sie meinte. Insofern war der Sprecher also kompetent: Er hat genau das rübergebracht, was er rüberbringen wollte. By the way: Rechtschreibung, Satzstellung, Beugung — alles einwandfrei!
———————
Mathias W. schrieb:
Weil es sich eben meist nicht um bloße Nachrichten aus der bewohnten Welt handelt, sondern um einseitige, verzerrte Analysen, aus denen ebenso unzutreffende Verallgemeinerungen abgeleitet werden. Ich lasse mich gern belehren, prüfe aber auch gern, ob mir die Äußerungen einleuchten.
Packt man unverstandene Wörter in einen Hut, dann bleibt als gemeinsames Merkmal eben nicht „Fremdsprache“, sondern: Die Wörter und ihre Bedeutung sind dem Empfänger unbekannt. Von hier aus gelangt man recht geschmeidig zu einer zweiten Problemlösung neben „Verzicht!“, die gerne unterschlagen wird: bekannt machen. Glaubt man mit Wittgenstein, dass die Bedeutung eines Wortes sein Gebrauch in der Sprache ist, dann hat man auch gleich einen Weg, wie Wort und Bedeutung bekannt gemacht werden: Man benutzt die Wörter. Und erklärt bei Bedarf, wie man sie meint.
Von halbherzigen Anglizismengegnern wird gern eingeräumt, es gehe nicht um gebräuchliche Wörter. Nur die ungebräuchlichen sollen bitte vermieden werden. Ich frage mich, wie sich die Vertreter dieser Ansicht den Prozess des Gebräuchlichwerdens vorstellen? Das Merkmal „gebräuchlich“ fällt ja nicht vom Himmel.
Und damit: Gute Nacht!
Der Prozess des “Gebraeuchlichmachen” einer Vokabel beinhaltet aber auch, dass manche Leute Worte doof finden und sei einfach wieder vergessen, nicht aktiv benutzen oder sich sogar laut ueber diese Worte zu beschweren. Letzterer Punkt beinhaltet eben auch meist dass man dabei besserwisserisch und belehrend daherkommt, finde ich aber trotzdem nicht weiter dramatisch. Jeder hier wird in irgendwas seinen Mitmenschen klugscheisserisch daherkommen.
Das EIGENTLICHE Problem hat Matthias W. IMO sehr schoen auf den Punkt gebracht: Bedenklich wird das alles erst, wenn man dabei einen auf wissenschaftlich macht und daraus ableite das Anglizismen irgendwie “gefaehrlich” sind, dass Anglizismen allgmein doof weil angeblich unverstaendlich sind etc.
Wenn der VdS auf seine (vermutlich imaginaeren Flugblaetter schreiben wuerde “gedonwloadet finden wir doof, das tut unseren Ohren weh!”, ich haette nix dagegen.
Leider verzapfen sie aber eben immer sowas pseudo-wissenschaftliches wie “Linguisten sind sich einig: “gedownloadet” gefaehrdet Goethes Erbe ” oder ” Millionen Computernutzer laden nichts mehr aus dem Internet herunter, weil sie die verrueckte neumodische Bezeichnung “downlaod” nicht verstehen”
Sorry fuer die Tausend Tippfehler, aber wenn das wen stoert ist er natuerlich als Empfaenger selber schuld 😀
@Dierk
“Ihnen sollte klar sein, dass die Meinungsfreiheit für informierte Meinung gilt…”
Das meinen Sie doch nicht etwa im Ernst? Glauben Sie, daß das Bundesverfassungsgericht Ihnen darin folgen würde?
Zur hochgerühmten Wissenschaftlichkeit ein Beispiel:
Da stellt ein Professor der Sprachwissenschaft — ohne erkennbare Kompetenz auf den Gebieten des Verfassungsrechts oder der Verfassungsgeschichte — zweifelhafte Behauptungen zu den Verfassungen zweier europäischer Staaten auf. Anatol Stefanowitsch greift diese Behauptungen auf, spitzt sie weiter zu und verallgemeinert sie zu der Behauptung, daß hinter Sprachfestlegungen in Verfassungen meistens ein nach innen oder sogar nach außen gerichteter sprachlicher Imperialismus stecke. Und dies ohne ein einziges zusätzliches Argument, geschweige denn auf Grundlage einer empirischen Untersuchung.
Wenn das Wissenschaft ist, dann fresse ich einen Besen.
Im Rahmen der hier betriebenen Fröhlichen Wissenschaft fällt natürlich nicht nur das Beweisen, sondern das “Entkräften” sehr leicht.
Man unterschiebe den sog. “Nörglern” die absurde Behauptung, Anglizismen (und andere Lehnwörter) seien deshalb schlecht, weil diejenigen, die deren Ursprungssprache nicht beherrschen, sie nicht verstehen könnten. Das kann man dann ganz leicht und sogar mehrfach entkräften.
Ich kenne niemanden, der jemals behauptet hätte, daß man Englisch beherrschen müsse, um zu wissen, was ein Computer ist, oder Indonesisch, um zu wissen, wie Nasi-Goreng schmeckt.
Bei weniger gebräuchlichen englischen Ausdrücken, ob nun “roadmap to peace”, “shareholders’ value”, “gender mainstreaming” usw., liegt die Sache aber schon anders. Wenn dibbedabb und andere meinen, daß viele ohne Englischkenntnisse so etwas nicht verstehen, dann ist das doch keineswegs völlig unplausibel, jedenfalls nicht durch die bloße Gegenbehauptung zu “entkräften”.
@Daniel
Leider verzapfen sie aber eben immer sowas pseudo-wissenschaftliches wie “Linguisten sind sich einig: “gedownloadet” gefaehrdet Goethes Erbe ” oder ” Millionen Computernutzer laden nichts mehr aus dem Internet herunter, weil sie die verrueckte neumodische Bezeichnung “downlaod” nicht verstehen”
Um der vielgeliebten Wissenschaft willen wäre es nett von Ihnen, uns die Fundstellen für diese Zitate mitzuteilen.
Das meinen Sie doch nicht etwa im Ernst? Glauben Sie, daß das Bundesverfassungsgericht Ihnen darin folgen würde?
Und wie Ernst ich das meine und das BVfG hat dem auch schon zugestimmt — tatsächlich gibt es sogar Gesetze darüber, welche Art von Meinung nicht zugelassen ist. So sind z.B. persönlich beleidigende Meinungsäußerungen strafbar, ebenso die Falschdarstellung von Fakten, oder einige ganz spezielle Aussagen zu historischen Ereignissen.
Klar ist auch, dass die Kriterien immer wieder überprüft werden müssen, daher sind — mit Ausnahme der Holocaustleugnung — diese für verbotene Meinungsäußerungen bewusst vage gehalten. Ich selbst kann mir selbstverständlich viel präziser und schärfer verbitten mit Dünnpfiff versorgt zu werden. So habe ich zum Beispiel wenig für pseudo- oder anti-wissenschaftliche Aussagen übrig.
Wer ernsthaft behauptet, die Erde sei nur 6000 Jahre alt, Evolution wie Darwin und Nachfolger sie beschreiben sei Unsinn, hat keine informierte Meinung, er erhebt Märchen zu [aus seiner Sicht] Wahrheit und bedroht damit jede sinnvolle Diskussion. Ähnliches findet ausgerechnet im Falle der Anglizismen-Debatte statt.
Ich schrieb das schon mal: Wer fremde Wörter nicht mag, soll das gerne sagen und schreiben dürfen, solange die Begründung ehrlich bleibt. Leider wird eben nicht der eigene Geschmack angegeben, sondern angebliche soziologisch-linguistische “Wahrheiten” zur Grundlage gemacht. Nimmt man diese auf, untersucht sie genauer, lässt die Luft raus, dann wird die wissenschaftliche Methode in Frage gestellt, werden die [Sprach]Wissenschaftler selbst herabgewürdigt statt deren Argumente wiederum wissenschaftlich zu untersuchen.
Nicht jede Meinung ist wert gehört zu werden, veröffentlicht zu werden, geschützt zu werden.
Übrigens, es gibt keinen Quote-Tag. Nur HTML funktioniert hier, und da gibts nur <blockquote>.
Nein. Sprachentwicklung ist kein bewusster Vorgang.
“You’re intitled to your own opinion, but not to your own facts.”
– Patrick Moynihan, damals Senator von New York
@dibbedabb hat geschrieben:
Klasse, Anatol, mit welcher Souveränität Sie hier zeigen, wer Recht und wer Unrecht hat! Danke. Ich werde zur Buße ein paar Ave Maria sagen. Wir bösen Gegner treten breit, Sie, die Lichtgestalt der Aufklärung, entkräften.
Aber mal im Ernst: Sie haben das Argument genausowenig entkräftet, wie ich Sie widerlegt habe. Sie sind doch Wissenschaftler. Sie sollten doch wissen, dass es Meinungsverschiedenheiten geben kann, die, wenn man versucht, sie neutral zu betrachten, nicht mit einem simplen richtig — falsch aufzulösen sind.
Ich schließe mich dem an.
Da versucht jemand kraft seines Titels (Junior Professor) und unter dem Mantel der Wissenschaftlichkeit eine Meinung — und mehr ist das nicht — zu verkaufen. Seine Kritik an der Kritik der sogenannten Sprachnörgler ist keinen Deut besser oder wissenschaftlich fundierter. Es liegt vielmehr der Verdacht nahe, dass da jemand etwas verteidigt, was er selbst mehr schätzt als er in der Lage ist, es auch zu beweisen.
Auch die allgemeine Sprachwissenschaft hat auf der Metaebene nicht mehr als eine These zu bieten, von Beweis keine Spur. Lediglich die Methoden sind wissenschaftlicher Art, hoffe ich jedenfalls, aber mehr ist da nicht.
Unter dem Mantel der Wissenschaftlichkeit wird von Anatol, andere nennen ihn den “Bremer Ayatolla”, viel Schindluder getrieben. Sein Eifer, andere Menschen überzeugen zu wollen, mutet fast religiös an. Er, der erklärte Atheist, geifert wie ein religiöser Fundamentalist.
Wenn die Muttersprache kein schütztenzwertes Gut ist, man generell Sprache nicht schützen muss, ja es gar nicht kann, weil Sprache sich einfach so, also “natürlich”, entwickelt, ist der angestrebte Sprachschutz der Sprachschützer entweder von vorn herein zum Scheitern verurteilt oder Teil der natürlichen Entwicklung von Sprache! Was auch immer “Sprachnörgler” versuchen, es fällt unter eine der beiden Kategorien! Weshalb also regt unser “Ayatolla” sich auf?
Die Antwort ist einfach: Er ist eitel. Mit Sicherheit. Man schaue sich nur seine Bilder im Netz an. Ihm gefällt es, seinen Arbeiten mittels der englischen Sprache mit einem internationalen Hauch zu versehen. In wie weit sie dem wissenschaftlichen Standard entsprechen, weiß ich nicht, hoffe aber für ihn. Vielleicht ist er aber auch nur ein armes Würstchen, das seine dürftigen Forschungsergebnisse aufzumotzen versucht, indem es sie in Englisch verfasst und veröffentlicht. Mir fehlen da die Fachkenntnisse, aber die Vermutung liegt nahe und auch meine Lebenserfahrung sagt mir, dass da die Fremdsprache als Mittel der Übertünschung von Durchschnittlichkeit oder gar Unzulänglichkeit herhalten muss. Und so etwas fällt in der Muttersprache der Studenten und Dozentenschaft viel schneller auf. Der Guru wäre enttarnt. “Des Kaisers neue Kleider” lassen grüßen.
Wie dem auch sei, die wahre Gefahr geht nicht von den Sprachschützern aus, sondern von u.a. den “Ayatollas” an den Universitäten und anderswo, die uns die Sprache nehmen, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Seit dem Englisch Mode- und Kulturssprache ist, wird auf Teufel komm ‘raus in Englisch gedacht, unterrichtet und veröffentlicht. Und das von Personen, die die englische Sprache selbst nicht in Wort und Schrift beherrschen. Hoffentlich haben die wenigstenes einen guten Übersetzer und Lektor! Im Vortrag kenne ich kaum einen deutschen Wissenschaftler, der sich mit seinen Englischkenntnissen je mit Ruhm bekleckert hätte. Im Gegenteil, in der Regel blamieren die sich, ohne es zu merken.
Die deutsche Sprach leidet darunter, dass uns für neue Entwicklungen die Worte ausgehen. Nicht zuletzt deshalb, weil unsere Eliten eine Abneigung zur eigenen Sprache entwickelt zu haben scheinen. Oder es ist eine Art von Gedankenlosigkeit, die ich mit Dummheit gleichsetzen würde.
Zur Zeit ist unser Vorbild, die Vereinigten Staaten vom Amerika, arg in Bedrängnis. Es wankt in seinen Grundfesten und dürfte in Kürze den Status als Überideal verlieren. Gut so, mögen wir, derart gewarnt, uns auf die Grundwerte rückbesinnen!
Dem “Ayatolla aus Bremen” rate ich schon einmal vorsorgliche Mandarin zu lernen. Könnte nicht schaden. Oder Hindi. Oder was auch immer für eine Sprache dereinst mit unserer sprichwörtlichen Fremdwortgeilheit Gefallen finden wird.
Harharhar.
Wie man einen Artikel PIsicher schreibt.
:—)
@ David Marjanović # 43: „Sprachentwicklung ist kein bewusster Vorgang.“ Das wäre zu beweisen. (Sofern diese Beweise vorliegen, bitte ich um entsprechende Quellen.) Ich stimme aus Erfahrung, Beobachtung und aufgrund meines bescheidenen Fachwissens weitgehend zu, sofern es um Phonologie, Morphologie und Syntax geht. Die Wortwahl aber wird von der Sprachgemeinschaft zu einem erheblichen Teil nicht unbewusst getroffen, sondern bewusst und mit ganz bestimmten Absichten. Diese Wahl zu hinterfragen, die dahinterstehenden Absichten zu entlarven und ihnen etwas entgegenzusetzen, ist das, was ich für das legitime Interesse von Sprachkritikern halte.
„,You’re intitled to your own opinion, but not to your own facts.‘“ Guter Spruch, ganz auf meiner Linie. „Opinion“ könnte man auch durch „interpretation“ ersetzen. Ein Fakt ist zum Beispiel, dass eine Kosmetikkette ihren Werbespruch „Come in and find out“ durch „Douglas macht das Leben schöner“ ersetzt hat (wenn diese Information stimmt, wovon ich ausgehe). Ob sie das deswegen getan hat, weil „der Durchschnittsdeutsche“ zuvor nur „Railwaystation“ verstand („Spiegel Online“ vom 28. 7. 2004), ist eine Frage der Interpretation oder Spekulation – beziehungsweise eine, die nur das deutsche Marketing der Kette beantworten kann. (Ob es das ehrlich tut, ist eine andere Frage, was wiederum der Spekulation von Seiten zumindest halbwegs seriös arbeitender Marktforscher mehr Gewicht verleiht.)
Die Kommentare der letzten 48 Stunden bieten noch mehr Stoff zur Replik. Leider habe ich momentan nicht die Zeit und Energie, auf weitere davon einzugehen. Kommentator „janwo“ möchte ich seinen Vorwurf, aus meinen Äußerungen spreche die „Überheblichkeit“ eines „verkappten Möchtegern-Oberlehrers“ oder „Kontrollfreaks“ gern um die Ohren hauen. Aber ich fürchte, das muss warten. David Marjanovićs Kommentar bot mir heute einfach den griffigsten Ansatzpunkt.
Übrigens, David (Entschuldigung, Folgendes kommt vielleicht sarkastisch daher, was daran liegen kann, dass auch einige Ihrer knappen Anmerkungen so wirken, ist aber eigentlich konstruktiv gemeint): Es ist ja sehr schick, wie Sie die Zitate, auf die Sie sich in Ihren Kommentaren beziehen, einrücken und rot färben. Hilfreicher wär’s aber, wenn Sie dazuschrieben, wen sie dort zitierten, damit man nicht ewig nach oben blättern und vielleicht sogar die Suchfunktion des Browsers bemühen muss, um zu sehen, wer das so und in welchem Kontext gesagt hat.
@Hans (#44):
Die löchrige Argumentation, das Unterstellen von völlig Absurdem (Englisch zum Aufmotzen von Forschungsergebnissen — ein Brüller!), der unvermeidliche Hinweis auf das “Scheitern” der USA (pardon, “VSvA”), das seitenlange Gelaber in der 3. Person — wenn das nicht “Wolfgang” aus dem VDS-Forum ist, dann weiß ich auch nicht.
@ #36 (Andreas H.)
Ich bin kein Oswalt. Ich bin janwo.
“Verbessert” im Sinne dessen, was andere für “gut” halten. Es soll aber doch bitte jeder so sprechen dürfen, wie er selbst es für gut, richtig und angemessen hält.
Diesen Drang, andere Verbessern zu müssen, meine ich mit “Oberlehrer”. Das ist nichts anderes als die zig Millionen Bundestrainer an den heimeischen Fernsehbildschirmen, die natürlich stets alles besser können und machen würden, wenn man sie nur fragen würde. Tut man aber nicht. Und das ist auch gut so.
Darf ich mal kurz zwischenfragen, woher die Annahme kommt, in der Wissenschaft könne man irgendwas “beweisen”? Empirische Wissenschaften (und die Sprachwissenschaft sollte genau sowas sein) können nur dann etwas beweisen, wenn die Grundgesamtheit bekannt ist, das ist es aber in den meisten Fällen nicht. Demnach kann man nicht beweisen, man muss den indirekten Weg über das Widerlegen gehen: Man stellt eine Hypothese in den Raum und solange diese nicht widerlegt ist, kann sie als gegeben vorausgesezt werden. Wird sie widerlegt, kann man die Hypothese fallenlassen, ersetzen oder abändern, dass sie zu den neuen Daten passt, so entwickelt sich im Laufe des Diskurses eine öangsame Annäherung an die “Wahrheit”.
Das heisst, die Hypothese „Sprachentwicklung ist kein bewusster Vorgang.“ kann man nicht beweisen, man muss nur widerlegen, dass Sprachentwicklung ein bewusster Vorgang ist. Ob das in der Formulierung widerlegbar ist, wage ich vorsichtig zu bezweifeln, zumal einige Grundvoraussetzungen nicht geklärt werden (e.g. was „Sprachentwicklung“ ist, was bewusste Vorgänge sind und was nicht, etc.). Ich will mich aber auch nicht zu weit aus dem Fenster lehnen…
Hans (#44),
seien Sie froh, dass ich nicht dem intoleranten Zerrbild entspreche, dass Sie von mir entwerfen, dass ich hier im Sprachblog eine absolut offene Kommentarkultur fördern möchte und dass ich deshalb Kommentare wie Ihren, der die Grenze zur persönlichen Beleidigung weit überschreitet, hier einfach mal so stehen lasse. Verlassen Sie sich aber nicht zu sehr auf meine Geduld.
Wenn Sie hier stänkern wollen, nehmen Sie sich ein Beispiel an Nörgler und dibbedabb, die mich offensichtlich nicht besonders mögen und die nicht gerade einen sanften Umgangston pflegen, die es aber trotzdem schaffen, irgendwo in ihren Kommentaren noch sachliche Aussagen unterzubringen (auch, wenn die meistens unbegründet, unbegründbar und/oder völlig falsch sind). Wenn Sie das auch schaffen, dürfen Sie hier weiter mitspielen, wenn nicht, sind Sie hier nicht willkommen. Ich schlage dann vor, dass Sie sich zurück ins VDS-Forum vertrollen und Ihren Hass auf mich dort auskotzen.
Ich muss gleich weg und komme erst spät am Abend wieder, daher jetzt nur soviel:
Einem Wissenschaftler Anfang des 21. Jhdts. vorzuwerfen, dass er auf Englisch veröffentlicht, ist so, als würde man einem Wissenschaftler Anfang des 18. Jhdts. vorwerfen, dass er auf Latein veröffentlicht. Aufgrund einer Reihe von historischen Ereignissen und Entwicklungen, die man mögen kann oder auch nicht, ist die internationale Hilfssprache der Wissenschaft heutzutage Englisch. Selbst die Franzosen und die Russen veröffentlichen auf Englisch, wenn sie wollen, dass die ganze Welt sie liest. Praktisch alle internationalen Kongresse werden auf englisch abgehalten. Ich war 2006 auf dem 2. Internationalen Paläontologenkongress in Peking und habe mich dort mit Chinesen, Japanern, MongolInnen und RussInnen genauso wie mit AmerikanerInnen auf englisch unterhalten; alle Vorträge waren auf englisch (meiner auch). Das hat durchaus auch Nachteile, aber die Vorteile liegen auf der Hand!
Duì le a. <heftiges Nicken>
* Arabische Wörter können auf ein ausgesprochenes [h] enden. Einen Keuchlaut sozusagen.
Ein Fakt ist zum Beispiel, dass eine Kosmetikkette ihren Werbespruch „Come in and find out“ durch „Douglas macht das Leben schöner“ ersetzt hat
Dass dieses Beispiel hier so hartnäckig angeführt wird, verwundert mich ernsthaft. Es geht hier doch um englische Lehnwörter bzw. Anglizismen (für mich besteht da kein Bedeutungsunterschied, aber darüber will ich hier jetzt nicht auch noch diskutieren) in der deutschen Sprache. Welche Wörter dieses Spruchs sind Lehnwörter?
In Großbritannien benutzt Audi übrigens stets den Spruch Vorsprung durch Technik, sowohl auf Plakaten als auch in allen Rundfunkwerbungen. Dies ist auch in diesem Falle eine Marketingstrategie und kein Germanismus im Englischen, der englische Slogans verdrängt hätte. Ergo ist das Douglas-Beispiel zwar ein Kuriosum, aber in diesem Falle am Thema vorbei.
Gareth, der Unterschied ist, Audi ist ein deutsches Unternehmen, das weltweit eine Markenidentität pfegt, die ‘deutsch’ [= gründlich, sauber, gute Verarbeitung] sein soll. Dougla sist ein deutsches Unternehmen, das in Deutschland mit fragwürdigem Englisch wirbt. Damit will Douglas selbstverständlich internationales Flair verbreiten — wie ürigens auch mit Frau Klum -, in der Mode-/Kosmetikbranche ganz verständlich.
Auch wenn die beiden Fälle somit nicht gleich zu setzen sind, so gebe ich Dir grundsätzlich recht, ausgerechnet der Claim [Ja!] eines Unternehmens ist wenig geeignet irgendetwas zu beweisen oder auch nur sinnvoll zu illustrieren.
Ich will jetzt nicht Haarspalterei betreiben, aber: Douglas mag zwar ein deutsches Unternehmen sein, ist aber keine deutsche Provinzfirma, sondern mittlerweile als Douglas Holding mit zahlreichen Filialen in 20 anderen Ländern vertreten, darunter 134 in Italien, 93 in Frankreich und sogar jetzt auch 14 in den USA (Angaben stammen von deren Homepage). In einem Großteil der Länder übrigens mit dem englischen Slogan Douglas makes life beautiful.
Das so gerne der Slogan “come in and find out” herangzogen wird um darauf rum zuhacken finde ich an sich ziemlich aufschlussreich. Es kommt wohl daher, dass es im mit Abstand der bekannteste englischsprachige Werbeslogan ist. (siehe z.B, hier: http://www.stern.de/wirtschaft/unternehmen/meldungen/:Anglizismen-Come/532208.html?id=532208)
Was aber ja eben auch nahelegt, dass der Spruch ziemlich erfolgreich ist. Und das obwohl er inhaltlich von vielen nicht exakt verstanden wird.
In der Studie die die Verständlichkeit englischer Werebsprüche untersucht hat, finden sich zahlreiche viel “bessere” Beispiele, der Douglas Claim rangiert ja sogar rehct weit vorne in der VErständlichkeit. Schön schaurig ist z.B. der RWE-Spruchversuch “One Group. Multi Utilities”. Warum führt das keiner an? Genau, weil der Spruch ein totaler Rohrkrepierer war und kein Mensch sich überhaupt daran erinnern kann.
Was lernen wir daraus? Realistisch gesehen wohl nix, man könnte allerdings auch auf die abwegige Idee kommen dass es bei Werbesprüchen ähnlich ist wie vielen anderen Aspekten des täglichen Lebens: Was gefällt, setzt sich durch, was den Leuten nicht passt, verschwindet ganz fix wieder in der Versenkung.
Ich möchte, von Daniel leicht abweichend, auf eine andere Möglichkeit hinweisen: Der Spruch von Douglas ist im öffentlichen Raum sehr präsent, weil er mit großem Druck über alle Medien verbreitet wird und wurde. Das erzeugt eine vom Verständnis zunächst unabhängige Bekanntheit. Das ist dem RWE-Spruch mit Sicherheit nicht widerfahren, weil wohl die Zielgruppe (Investitionsgüter) eine ganz andere war. Ähnlich schlimm wie Douglas treibt es — ganz auf deutsch — etwa Saitenbacher mit seinem *@/^-Müsli — kennt jeder, weil praktisch nicht zu überhören oder ‑sehen. Und in einer Fremdsprache (schwäbisch), die in Deutschland noch weniger Menschen verstehen als Englisch.
@Achim (#21)
Vielem von dem, was Sie sagen, stimme ich ja durchaus zu. Das Wort Computer ist allgemein gebräuchlich, es wird allgemein verstanden und es bietet keine besonderen Ausspracheprobleme. Ich benutze es ja auch selber. Darum ging es mir aber gar nicht, sondern ich habe nur der apodiktischen Behauptung, Rechner und Computer seien nicht synonym, widersprochen.
Weniger klar ist mir, was Sie unter “echten Synonymen” verstehen. Viele Wörter haben verschiedene Bedeutungen — spezielle und allgemeine, Haupt- und Nebenbedeutungen. Daß zwei verschiedene Wörter in allen ihren Bedeutung vollkommen übereinstimmen, dürfte selten, wenn überhaupt, auftreten. Wenn man sagt, daß zwei Wörter synonym sind, so meint man im allgemeinen, daß sie eine Teilbedeutung gemeinsam haben. Von mir aus kann man sie auch teilsynonym nenen, wenn man ganz exakt oder pedantisch sein will.
Nun ist das Wort Rechner im Deutschen als Bezeichnung eines Computers seit Jahrzehnten geläufig, wenn auch Computer>/i> inzwischen wohl deutlich häufiger ist. In dieser Bedeutung sind beide Wörter also durchaus synonym.
Ich hatte mich ursprünglich auch auf die Grundbedeutung dieser Wörter bezogen. Die Grundbedeutung von Rechner im Deutschen und von Computer im Englischen ist “alles, was rechnet”. Deshalb halte ich das Argument, die Bezeichnung Rechner sei weniger treffend als Computer, weil Computer nicht nur rechnen oder angeblich gar nicht besonders gut rechnen, für schief, denn das haargenau das Gleiche könnte man auch zum englischen Wort Computer sagen.
@Dierk (#24)
Was die von ihnen zitierten Mathematiker und Informatiker sagen wollen, ist mir nicht klar, jedenfalls kann der billigste Computer zigtausendmal besser rechnen als jeder Mensch. Viele Benutzer, die den Computer allenfalls gelegentlich benutzen, wissen wahrscheinlich nicht, wieviel der Computer tatasächlich laufend rechnet. Bei jedem Mausklick und jedem Verschieben eines Fensters stellt er Koordinatenberechnungen an. Bei der Eingabe eines Textes berechnet er laufend, wieviel Buchstaben noch auf die Zeile passen. Hinter den fast realistischen Darstellungen heutiger Computerspiele steckt eine gewaltige Rechenleistung, die die früherer, saalfüllender Großrechner (!) übertrifft.
Mal wieder einen Anglizismus dazugelernt, diesmal Claim.
Der Empfehlung Kristins folgend, habe ich versucht, mich sachkundig zu machen. In englischen Wörterbüchern habe ich es in der vermutlich gemeinten Bedeutung nicht gefunden. Aber in der deutschen Wikipedia habe ich endlich Erfolg. Claim bedeutet offenbar, wie ich schon vermutet hatte, so etwas wie einen Werbespruch und wird lt. Wikipedia “häufig synonym zu dem Begriff Slogan benutzt”. Ja, in der Werbebranche soll Claim das Wort Slogan sogar schon weitgehend verdrängt haben.
Gehe ich nun zur englischen Entsprechung dieses Artikels, stelle ich fest, daß diese unter dem Stichwort “Advertising slogan” steht. Das Wort claim taucht in dem Artikel nicht auf.
Ist Claim also ein Anglizismus, den es im Englischen überhaupt nicht gibt?
Nebenbei stoße ich noch auf Stellenanzeigen für “Claim Manager”. Inzwischen bin ich die Suche aber leid. Vielleicht treffe ich ja mal einen Personalmanager, der mir das erklären kann.
Oh nein, ein Anglizismus, den es im Englischen nicht gibt! Das sollten wir ganz schnell allen englischsprachigen Menschen und Firmen mitteilen, damit die diesen falschen Anglizismus nicht länger verwenden…
Nörgler schrieb
Dacht’ ich mir. Gab Ihnen aber auch gleich eine neue Möglichkeit das Ziel zu verschieben. Letzteres Idiom jetzt übrigens ein echter Anglizismus …
@Dierk (#60)
Was dachten sie sich denn? Wenn Sie meinen, mehr von Mathematik oder Informatik zu verstehen, dann präzisieren Sie doch bitte die von Ihnen zitierten vagen Behauptungen oder bitten Sie Ihre Gewährsleute darum.
Und in welcher Hinsicht habe ich “das Ziel verschoben”?
@Anatol Stefanowitsch (#59)
Ich bin zwar kein Sprachwissenschaftler, aber eine simple Google-Suche kann ich auch selbst durchführen.
Dementsprechend hatte ich die angeführte Suche schon durchgeführt. Das Ergebnis zeigt m.E., daß der Begriff “advertising claim” zumindest in den allermeisten Fällen im wörtlichen Sinn von “Werbebehauptung” und nicht von “Werbespruch” verwandt wird. Ein Großteil der Fundstellen befassen sich ausdrücklich mit falschen oder irreführenden Werbebehauptungen.
Ich sehe darin einen Beleg, daß die Behauptungen von Wikipedia, “Claim” und “Slogan” würden häufig synonym gebraucht, ja “Claim” habe in der Werbebranche den “Slogan” weitgehend verdrängt, im englischsprachigen Raum jedenfalls nicht zutrifft. Das hielte ich auch für unwahrscheinlich, da jedem englischen Muttersprachler der inhaltliche Unterschied zwischen einem “claim” und einem “slogan” natürlich klar ist.
Wenn ich noch etwas weitergoogle, finde ich für “advertising claim” 31.500 Fundstellen, für “advertising slogan” 161.000 Fundstellen.
Wenn die Behauptung von Wikipedia wenigstens insoweit zutrifft, daß in der deutschen Werbebranche diese Wörter gleichbedeutend gebraucht werden, dann handelt es sich tatsaächlich um einen Anglizismus, der im Englischen in diesem Sinn zumindest wenig gebräuchlich ist.
ahoj,
muss auch noch meinen senf dazu geben… ich glaube man muss unterscheiden zwischen allgemeiner fremdwortfeindlichkeit, die heutzutage wahrscheinlich sehr selten zu finden ist, und der relativ verbreiteten anglizismenfeindlichkeit, die stark oder auch nur schwach ausgeprägt sein kann. kaum ein anglizismenfeind wird durchgehend ‘lichtstreifen’ für film sagen, die meisten werden wahrscheinlich tag ein tag aus computer sagen, aber viele von ihnen haben vermutlich was dagegen, dass jemand sich in deutschland ’sales accountant’ bezeichnet, oder dass auf einer speisekarte ’sandwich mit cheese und bacon’ steht. anglizismen mögen wie andere fremdwörter eine bereicherung sein, aber ‘cheese’ statt ‘käse’ is glaub ich keine bereicherung.
bin gegen sprachpolizei, wir haben sie schon bei der political correctness, aber anglizismen haben zwei negative effekte: erstens machen sie die sprache schwieriger in dem sinne, dass die relative regelmäßigkeit der deutschen orthografie unterwandert wird — fryer könnte ein deutscher einem deutschlernenden ausländer sagen, der buchstabe A steht im deutschen fyr /a/, während er jez, um exakt zu sein, sagen muss, er kann auch ein /E/ sein (happy), ein /e:/ (baby), ein /ei/ (wie vermutlich die meisten deutschen ‘date’ sagen), ein /I/ wie in image, ein /O/ wie in city-call. könnte ma wenigstens versuchen, sie einzudeutschen, aber englische wörter lassen sich so schlecht eindeutschen, geht nur wenn ma die deutsche aussprache nimmt, und dann wer möchte schon ‘immitsch’ schreiben? im alphabet hat inzwischen jeder buchstabe zwei namen, zum beispiel kann ein I /i:/, aber auch /ai/ genannt werden, ein T kann ein /te:/ aber auch ein /ti:/ sein, wie in IT. und zweitens, wenn die deutschen aufhören, neue wörter selber zu basteln und sie nur noch vom englischen importieren, könnten sie irgendwann die fähigkeit verlieren, neue wörter zu basteln, das heisst ihre sprachfantasie — dabei is das was den ausdrucksreichtum dieser sprache ausmacht.
in japan hab ich mal ein schild bei einem gitarrenbauer geseen, da stand neben der japanischen schrift ‘constructor de guitarras’ — klar, in spanien gibts halt viel gitarrenmusik, also schreiben wir es auch auf spanisch. es is sinnfoll, das wort cricket fom englischen zu ybernemen, der sport kommt fermutlich fon england, aber is es sinnfoll, das wort ’soccer’ wie bei einer fussballausstellung fom americanischen zu ybernemen — sind di americaner wirklich so gute fussballer, das man ausgerechnet fon inen das wort nemen muss? und wenn ma das wort ‘fashion’ statt dem wort ‘mode’ nimmt, wird ma nich internazionaler sondern doitlich weniger internazional, ich glaub zimlich jede europäische sprache (ausser english) kennt das wort mode oder moda. und so elegant zin sich di americana warlich nich an, also is das kaine internazionalisirung sondan doitlich aine americanisirung.
einmal hab ich einem brasilianer (in brasilien) erzählt dass ich um die welt getrampt war, und er fragte mich “und wie is es dort? shon besser als hir, gell?” “wo, dort?” “ja, im ausland halt”. für ihn gabs offensichtlich 2 politishe einheiten in der welt: brasilien un das ausland. mögen die deutshis so was belechelen, aba bei filen deutshis hab i den eindruk, dass si nur zwei politish einheiten in der welt kennen, deutshland un die USA: “ja, deutshland is so bürokratish”. “bürokratish im verglei womit?”. “mit andren lande”. “welche lande?”. “el USA, zu beispil.” ja, el USA sin ein land, sonst gebt es noh ca. 178 lande da draussen, aba keini sit si offensichtli.
i woll aba niman maßregele, wollet nur mei meinu sag, eigentli wollet i ganz was andas, bin eigentlig auf werbetur für mei film, dafür stellet ik a par klipps vo mei sprakelastige literaturshow in die youtube: http://www.youtube.com/watch?v=u6Ew9Jxq390,
reks davo bei MEHR VON ZEDO3656 gebt es noh 2 davon un a traila. file leute meine, die dinge sin lustig, für sprakefrikis sicha noh mer…
hoffetlig is mi keini böse wegen die lang e‑mail.
@ zé do rock: Wieso soll soccer ein US-amerikanisches Wort sein?
achim,
weil die amis den fußball so nennen, sie können gar nicht anders. auch wenn das wort in england nicht unbekannt ist: die engländer die ich kenne sagen normalerweise football.
Ja, im BE-Sprachraum dürfte in der Tat (so gut wie) niemand soccer sagen.
@Patrick Schulz (#49)
Die Hypothese „Sprachentwicklung ist kein bewusster Vorgang“ ist schon deshalb nicht zu beweisen, weil sie leicht zu widerlegen ist. Dazu muß man nur zeigen, daß es mindestens eine sprachliche Wandlung gab oder gibt, die für mindestens einen Teil der Sprachgemeinschaft ein bewußter Vorgang war oder ist.
Die Arbeit der Academie francaise, die frühere gezielte Unterdrückung der Regionalsprachen und Dialekte in Frankreich, die Rechtschreibreform in Deutschland, die Bemühungen deutscher Lehrer, ihren Schülern in bestimmten Gegenden den Unterschied zwischen mir und mich einzubleuen — das alles sind keine Vorgänge, die man als “nicht bewußt” bezeichnen kann.
Sie haben natürlich recht, daß alles von der genauen Definition der gebrauchten Begriffe abhängt. Man kann jede Aussage gegen Widerlegungen immunisieren, indem man die Begriffe geeignet zurechtdefiniert. Was dann übrigbleibt, ist aber bestenfalls eine Tautologie.
Genau, und die Hypothese „Evolution ist kein bewusster Vorgang“ ist deshalb nicht zu beweisen, weil sie ebenfalls leicht zu widerlegen ist. Dazu muss man nur zeigen, dass es mindestens eine biologische Wandlung gab oder gibt, die für mindestens einen Teil einer Spezies ein bewusster Vorgang war oder ist.
Die Arbeit des Verbands deutscher Hundezüchter, die frühere gezielte Unterdrückung von Mischlingshunden in Frankreich, die Bemühung deutscher Partnervemittlungsagenturen, Menschen genetisch passende Partner zu vermitteln — das alles sind keine Vorgänge, die man als „nicht bewusst“ bezeichnen kann.
Sie haben natürlich Recht, dass man sich auch begriffsstutziger stellen kann, als man ist. Man kann auch ewig lange Blogkommenare schreiben, ohne dabei besonders viel zu sagen. Was dann übrigbleibt, ist aber bestenfalls heiße Luft.
Ganz abgesehen davon hat die Rechtschreibreform nichts mit Sprachwandel zu tun. Wie man die Wörter schreibt ist schließlich völlig willkürlich normiert und der gesprochenen Sprache ziemlich egal.
@Gareth
Da geht das Definitionsspielchen ja schon los.
@Anatol Stefanowitsch
Das ist mir aber ganz neu, daß auch Hundezüchter zur Unterart Haushund gehören.
Ansonsten will ich Sie mit sonstigen Erwiderungen nicht belästigen. Ihr Einwurf spricht für jeden unvoreingenommenen Leser für sich selbst.
Schade finde ich es schon, daß meine Bemühungen um argumentatative Klarheit Sie anscheinend langweilen oder überfordern. Mit ein paar flapsigen Bemerkungen das letzte Wort behalten zu wollen, das wäre mir aber zu billig.
@Nörgler: “Bemühungen um argumentative Klarheit”, ich lach mich tot. Junge, du bist ein Troll, sonst nichts. Da ist mir ja unser Freund dibbedepp noch lieber, der taugt wenigstens manchmal als Pausenclown.
Nörgler, das hat mit Definitionsspielchen nichts zu tun. Rechtschreibung ist ein autoritär normierter Regelsatz. Eine Reform ändert diesen Regelsatz, aber nicht die Sprache. Es würde sich am Deutschen auch nichts ändern, wenn wir es mit dem kyrillischen Alphabet schrieben.
Was übrigens ganz lustig wäre. Buchstaben für Ö und Ü sind (für Sprachen in der damaligen UdSSR) sogar mehrere erfunden worden.
<zeigt auf Kommentar 70 und lacht>
@Gareth
Die Orthographie beeinflußt aber auch die Aussprache, also die gesprochene Sprache, etwa durch sog. “hyperkorrekte” Aussprachen — besonders häufig im Englischen, im Deutschen wegen der einfacheren Orthographie seltener, was sich aber wegen der zunehmenden Zahl der Anglizismen vielleicht ändern wird.
@Frank Oswalt
Sie bleiben sich treu und ergehen sich lieber in Invektiven als in Argumenten.
@Gareth. “[…]ich verstehe überhaupt nicht, was deine Anmerkung mit der Diskussion zu tun hat.”
Mach Dir nichts draus ;o)
Nörgler, es ist zwar richtig, dass es in einigen Fällen zu einer spelling pronunciation kommt, aber gerade das ist ein langwieriger und oftmals nur schwierig kategorisierbarer Prozess, der mit Sicherheit nicht durch eine Rechtschreibreform ausgelöst wird. So geläufig ist mir das Phänomen im Englischen übrigens nicht, aber wenn es dort “besonders häufig” ist, kannst du sicher einige Beispiele nennen.
@ zé do rock (#65), gareth (#66): Tante Gugel meldet mir fast 10 Mio Treffer für soccer auf englischsprachigen Seiten im Vereinigten Königreich, dagegen 55 Mio. für football. Wieder was gelernt.
@ Hans:
Ich kenne einige deutsche Wissenschaftler, und die meisten können Englisch wenigstens so gut, dass sie wissenschaftliche Vorträge halten können, die das Publikum auch versteht. Da hat niemand den Anspruch, für einen Muttersprachler gehalten zu werden. Und viele lassen ihre schriftlichen Arbeiten vor einer Veröffentlichung von Muttersprachlern durchsehen. Aber Sie würden sicherlich nur auf Deutsch publizieren mit dem Ergebnis, dass 95% der Kollegen weltweit Ihre Arbeiten nicht zur Kenntnis nehmen.
Natürlich gibt es auch deutsche Wissenschaftler, deren Englischkenntnisse eher bescheiden sind und für die man sich auf Konferenzen schämt.
Dass die Anträge für den so.g Exzellenzwettbewerb (also ein Verfahren, wo deutsche Hochschulen sich bei einer deutschen Fördereinrichtung um deutsche Fördergelder bewerben) in englischer Sprache verfasst werden mussten, ist etwas ganz anderes — und ziemlicher Quatsch. IMHO.
Ach was. Wir sind auf lange Sicht betrachtet auch mit Fenster und Mauer glücklich geworden — Fälle, wo wir mit ein Wort übernommen haben, statt uns ein neues auszudenken. Die alten Angelsachsen hingegen haben das nicht gemacht. Ist Englisch jetzt gesünder oder krönker als Deutsch?
Achim, habe das gerade auch selbst nochmal ausprobiert. In der Tat ist die Anzahl der Treffer für soccer erstaunlich hoch. Wundert mich ehrlich gesagt, weil ich in UK noch nie jemanden etwas anderes als football habe sagen hören. Aber das sind logischerweise alles subjektive Eindrücke.
@77: Krönker. Ich bin 1deutig für krönker.
s,cnr (tml,kensl für die anglophoben)
Nein, weil die Kollegen, die die Anträge bewerten sollen, weltweit verstreut sind.
(Hoffe ich jedenfalls.)
@Gareth (#76)
Zunächst einmal habe ich nicht behauptet, daß eine spelling pronunciation durch eine Rechtschreibreform “ausgelöst” würde. “Mit Sicherheit” würde ich es aber auch nicht ausschließen. Eine einigermaßen phonetische Rechtschreibung würde jedenfalls vermutlich zu weniger spelling pronunciations führen. Ich wollte nur darauf hinweisen, daß die Rechtschreibung durchaus auch auf die gesprochene Sprache zurückwirken kann.
An Beispielen fällt mir auf Anhieb nicht viel ein. Was mir im Augenblick hier in Kanada sehr stark auffällt, ist die häufige Aussprache des t in often. Ich höre das inzwischen so häufig, daß ich befürchte, daß es womöglich die Überhand gewinnt. Gelegentlich meine ich auch, ein l in salmon zu hören, aber wohl noch sehr selten.
Weitere (tatsächliche oder vermeintliche) Beispiele sind in Wikipedia (http://en.wikipedia.org/wiki/Spelling_pronunciation) aufgeführt. Bezeichnenderweise gibt es keine entsprechende Seite in der Deutschen Wikipedia.
Ich geben Ihnen recht, daß es im Einzelfall schwer zu unterscheiden ist, ob eine spelling pronunciation oder bloß eine Aussprachevariante vorliegt.
Jedenfalls gibt es im Englischen bestimmt viel mehr Aussprachevarianten als im Deutschen. Darüber werden ja ganze Bücher geschrieben (z. B. “The Big Book of Beastly Mispronunciations” von Charles Harrington Elster). Daß dies an der chaotischen englischen Orthographie liegt, ist ja eine zumindest höchst plausible Annahme.
An Nörgler: Würde ich dann sowas nicht auch im Französischen erwarten, wenn die Orthographie tatsächlich einen so erheblichen Einfluss auf die Aussprache hat?
Im Übrigen ist könnte es auch eine Form von Oberflächendyslexie sein, wenn Wörter beim Lesen regularisiert werden.
Ein Beispiel einer spelling pronunciation im Deutschen ist die österreichische Standardaussprache Keks als /kɛks/ statt /keːks/ (übrigens ist die gesamte Morphologie diese Wortes unabhängig gebildet worden: das Keks, und die Mehrzahl bekommt keine Endung). Aber viel mehr gibt es sicher nicht.
Vielleicht ist die österreichische Standardaussprache von ob als /oːb/ statt des möglicherweise logischeren /ɔb/ ein weiteres Beispiel — in den dortigen Dialekten sind diese Vokale nämlich zusammengefallen.
(Fortes und Lenes fallen dagegen auch am Wortende nicht zusammen, also meine ich /b/ statt /p/ ernst, aber das ist eine andere Geschichte, die nichts mit der Rechtschreibung zu tun hat.)
Schon, aber dort sollte dieses Phänomen viel seltener sein, weil Französisch nämlich viel graphemischer als Englisch ist — möglicherweise sogar graphemischer als Deutsch. Soll heißen, wenn man die geschriebene Form vor sich hat, kann man die Aussprache daraus fehlerfrei und eindeutig rekonstruieren (mit Ausnahme von einigen Eigennamen und ein paar kleinen häufigen Wörtern wie eu).
Unter den 399 Angeboten für das Suchwort des Vormonats „spelling pronunciation“ hat sich die Aktion für „Schriftsprache“ entschieden — mit Sympathie-Punkten für „schreibsprecheln“ und „ausschrache“, sowie das bedeutungsgleiche “Schröpfkopf”.
Nörgler: point taken. Ausschließen kann ich es zugegebenermaßen auch nicht. Tatsache ist, dass sich Veränderungen in der Aussprache, die auf Schreibweisen zurückzuführen sind, über Jahrzehnte oder Jahrhunderte hinziehen. Wenn sie denn, wie schon gesagt, überhaupt wirklich daherrühren und keine regionalen Varianten sind. Die letzte deutsche Rechtschreibreform dürfte jedenfalls keinerlei Auswirkungen auf die Sprache haben.
Der Wikipedia-Artikel zitiert zwar einige Beispiele, aber die scheinen doch vorwiegend im AE aufzutreten. In meinem Dialekt reimen sich figure und bigger noch, medicine ist /mɛdsən/, also zweisilbig etc. Lediglich waistcoat kenne ich nur als /weɪskəʊt/, hier scheint sich also wirklich die Schreibweise durchgesetzt zu haben.
Vielleicht können die anwesenden Anglisten bzw. Amerikanisten bei zwei Fragen weiterhelfen, die ich bezüglich AE habe, womit ich mich abseits vom Standardwissen zur Aussprache nicht gut auskenne:
1. Anscheinend (s. Wikipedia) treten spelling pronunciations im AE häufiger auf als im BE. Weiß jemand woran das liegen könnte?
2. Zum Thema often würde ich vermuten, dass das eher eine regionale Variante ist. Kann jemand sagen ob diese vermeintliche spelling pronunciation auch bei analogen Wörtern (z.B. soften) auftritt?
Im Tatarischen gibt es zwei Konsonanten, die an der Vokalharmonie teilnehmen: vor vorderen Vokalen werden sie [k g] ausgesprochen, vor hinteren [q ʁ]. Obwohl zahlreiche Fremdwörter — z. B. aus dem Arabischen, das bekanntlich ein /q/ und ein /ʁ/ hat — diese Regel verletzen, wird dieser Unterschied in der kyrillischen Orthographie nicht geschrieben. Es heißt, die jüngeren Generationen verwenden nur noch [k g].
Im Russischen gibt es fast alle Konsonanten doppelt, palatalisiert und nicht palatalisiert. Die Palatalisierung eines Konsonanten schlägt auf ein davorstehendes /s/ durch, und das wird nicht geschrieben. Auch hier heißt es, die jüngeren Generationen hören damit auf.
Quellen: Weiß ich leider nicht mehr. Vielleicht Wikipedia.
@David Marjanović
Die Beeinflussung der Aussprache von Konsonanten durch Vokale bezeichnet man im allgemeinen nicht als Vokalharmonie.
Die Palatalisierung der Konsonanten im Russischen wird allgemein nicht geschrieben (Ausnahme: das Weichheitszeichen).
gareth,
kann noch zwei beispiele fyr spelling pronunciation nennen, oder mindestens 1 1/2: das wort ‘quay’ wird im BE /ki:/ ausgesprochen, im amerikanischen /ki:/, /kei/ und /kwei/. die zwei lezten sind sicher spelling pronunciations.
das wort deity kommt vom franz. deité, war vermutlich von den normannen /dei’te/ ausgesprochen, wurde /deiti/, mit dem grate vowel shift zu /di:iti/. aber es is ja ein seltenes wort, und ein angelsaxe der das wort nie gehört hat (kommt sicher oft vor, viele wörter kennt man fast nur von der geschriebenen sprache) muss raten wie die aussprache von ‘ei’ is, und da es da kein klares ‘pattern’ gibt (/E/ in their, /i:I/ in being, /ai/ oder /i:/ in either, /ei/ in eight, /I/ oder /@/ in foreign, /i:/ in receive), versucht ma halt sein glyk, so gibt es auch die aussprache /deiti/ und /daiti/ — die lezte hab ich nie in einem wörterbuch gesehen, aber manche schwören das es sie gibt.
und natyrlich das ausgesprochene ‘h’ in ‘wh’ /hw/. ob es aber eine parallele aussprache, die immer stur weiter existiert hat, oder eine wiederauferstandene aussprache is, weiss ich nich.
ich nehm mal an, in AE kommen solche spelling pronunciations viel öfters vor weil es viel mehr nichtmuttersprachler gab, die das wort gesehen haben und es nach ihrem aussehen ausgesprochen haben. “falsche” aussprache von wörtern kommt im englischen auch dauernd vor, auch bei alten professoren (ich kann mich an vielen solchen fällen in der SSS — simplified spelling society — erinnern), aber in den USA bei den vielen nichtmuttersprachlern konnten sie sich leichter ausbreiten.
in sydbrasilien is die ganze sprache eine einzige spelling pronunciation: die bevölkerung besteht aus italienern, die sowieso portugiesisch ausgesprochen wie italienisch (sehr nah an der schrift), deutschen und osteuropäern. in den 30er jahren mussten die tausenden von schulen, die auf deutsch unterrichtet haben, ybernacht auf portugiesisch unterrichten, und die lehrer konnten kaum mehr portugiesisch als die schyler. das war dann eine sprache, die sie direkt aus den bychern gelernt haben, und keiner war da um ihnen zu sagen, wie diese geschriebenen wörter im ybrigen brasilien ausgesprochen werden. heutzutage werden aber die unterschiede durch das fernsehen immer kleiner.
Bist du dir da sicher? Ich bin kein Amerikaner und kenne auch nicht so viele, dass ich im Zweifelsfalle auf eine bestimmte Aussprache schwören könnte, aber meinen BE-Ohren käme es sehr seltsam vor, wenn jemand für quay /kwei/ sagen würde statt /ki:/.
Eh nicht. “Konsonanten, die an der Vokalharmonie teilnehmen” soll heißen, dass jedes Erbwort entweder nur vordere oder nur hintere Vokale hat und (wenn überhaupt) entweder nur /k g/ oder /q ʁ/ — das Paar /k q/ verhält sich genauso wie das Paar /æ ɑ/.
Doch, als Teil des folgenden Vokals, oder (wenn kein Vokal folgt) eben als Weichheitszeichen. Einzige Ausnahmen: 1) и (/i/ bzw. /ʲi/) und ы (/ɨ/) werden tatsächlich verschieden ausgesprochen; 2) wie erwähnt schreibt man vor palatalisierten Konsonanten с (/s/) statt сь (/sʲ/), obwohl man dort traditionell immer letzteres ausspricht; 3) aus offensichtlichen historischen Gründen gilt der Buchstabe е (/ʲɛ/) als “normaler” als э (/ɛ/) und wird daher oft in Fremdwörtern verwendet, wenn keine Palatalisierung vorliegt, z. B. телефон statt *тэлефон trotz der Aussprache /tɛlʲɛˈfon/.
Das ist sicher original — mir ist z. B. die Aussprache [xʷ] untergekommen!
gareth,
selber gehört hab ich’s vermutlich nie, ich verbringe nich viel zeit an americanischen ‘quays’. aber so sagen es die ami-reformer und es steht ja auch im webster (www.m‑w.com). sie werden ja die aussprache nich erfinden, vermut ich.
Ich glaube eher, hier liegt eine Lehnübersetzung aus dem Englischen vor, wo dieser Unterschied nicht gemacht wird und beide Kategorien loanword (oder nur loan) genannt werden.
@David Marjanović (#92)
Dem “Online Etymology Dictionary” zufolge ist es, wie zu erwarten war, genau umgekehrt. Danach sind “loan word” und “loan-translation” (warum wohl diese unterschiedliche Setzung des Bindestrichs?) Lehnübersetzungen aus dem Deutschen.
Von einem Sprachwissenschaftler kann man erwarten, daß er die in Deutschland seit langem gängige Unterscheidung zwischen Lehn- und Fremdwort kennt. Deshalb vermute ich in der durchgängigen Verwendung das Wortes “Lehnwort” eine bewußte terminologische Absicht.
@David Marjanović (#90)
Nachträglich tut es mir ja leid, eine terminologische Diskussion losgetreten zu haben. Das ist ja in den allermeisten Fällen unfruchtbar.
Wenn man will, kann mit sicherlich von “Konsonanten, die an der Vokalharmonie teilnehmen” sprechen. Falls das tatsächlich unter Experten der tatarischen Sprache oder der Turksprachen so üblich sein sollte, ziehe ich meinen Einwand zurück. Dennoch meine ich, daß damit unterschiedliche Phänomene zusammengefaßt werden, nämlich die Vokalharmonie im engeren Sinne und die Assimilation bestimmter Konsonanten. Ähnliche Assimilationen gibt es ja in vielen Sprachen, die ansonsten keine Vokalharmonie kennen, z. B. im Deutschen (ich — ach).
Ob diese Assimilation in der Schreibung zum Ausdruck kommt, hängt davon ab, welches Alphabet im Tatarischen benutzt wird. Im Kyrillischen Alphabet kommt es nicht zum Ausdruck, im lateinischen oder arabischen schon.
All das deutet darauf hin, daß die Unterscheidung der Konsonanten nicht phonemischer, sondern rein phonetischer Art ist — ähnlich wie im Deutschen die Auslautverhärtung. Wenn es im Tatarischen die von Ihnen genannte Ausspracheveränderung gibt, dann erschiene es mir am naheliegendsten, den Einfluß des Russischen dahinter zu vermuten.
Ähnlich ist die Palatalisierung bestimmter Laute vor palatalem Konsonanten im Russischen eine rein phonetische Assimilation, die zu unterscheiden ist von der phonemischen Funktion des сь. Insofern ist die Aussage, es werde “с statt сь” geschrieben etwas irreführend.
Laut http://www.philol.msu.ru/~fonetica/index1.htm ist die palatale Assimilation im Russischen überhaupt uneinheitlich. Dort heißt es, “einige Phonetikwissenschaftler” behaupteten, es gebe eine “zunehmende Tendenz”, diese palatale Assimilation zu unterlassen.
Und von einem wissenschaftlich denkenden Menschen kann man im Gegensatz zu einem naseweisen Nörgler erwarten, dass er weiß, dass jegliche Terminologie Definitionssache ist.
Ich habe mich nie näher mit Wortentlehnungen beschäftigt, und das Dickicht aus Fremd- und Lehnwörtern, Lehnprägungen, ‑bildungen, ‑bedeutungen, ‑schöpfungen und ‑formungen, das König in seinem dtv-Atlas bietet, wollte sich nie so recht auf Dauer in meinem Hirn konfigurieren. Ich gehe aber davon aus, dass in der einschlägigen Literatur sowohl für die Gleichbehandlung als auch für die klare Unterscheidung von Lehnwort und Fremdwort zumindest nachvollziehbare Argumente zu finden wären.