Die Frage, ob die deutsche Sprache als Staatssprache im Grundgesetz festgeschrieben werden soll, hat uns hier im Sprachblog immer wieder beschäftigt, zulezt im Dezember, als die CDU einen Parteitagsbeschluss mit dieser Forderung fasste. Seitdem ist auf der politischen Bühne nichts weiter geschehen und man durfte schon hoffen, dass die Forderung der Partei (die bei der Bundeskanzlerin auf wenig Gegenliebe stieß), leise in der Versenkung verschwinden würde.
Doch nun ist die Debatte neu aufgeflammt, weil der Verfassungsrichter Udo Di Fabio in einem Interview mit der Rheinischen Post dieser Forderung angeschlossen hat. Zunächst spricht er sich dagegen aus, jeder politischen Mode Verfassungsrang zu geben:
Di Fabio: … Es ist leider ein Zug unserer Zeit, dass manche vieles, was im politischen Prozess gerade besonders aktuell ist, gleich in die Verfassung schreiben wollen. Dem häufig dahinter stehenden guten Zweck kann man oft schwer etwas entgegensetzen, ohne als Spielverderber zu gelten. Dennoch: Eine Verfassung ist eher ein allgemein wertsetzender Ordnungsrahmen, in den nicht zu viele praktische politische Ziele hineingehören.
Aber auf die Nachfrage der Rheinischen Post stellt er dann klar, dass die deutsche Sprache durchaus ins Grundgesetz gehöre — mit einer Begründung, an der sovieles nicht stimmt, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll:
Also auch nicht ein Satz, dass in Deutschland die Amtssprache Deutsch sei, weil die Bundesrepublik sich zu einem Einwanderungsland entwickelt hat?
Di Fabio: Ein solcher Satz wäre kein Fehler. 1949 war die deutsche Sprache in einem kulturell vergleichsweise homogenen Staat noch völlig unbestritten. Heute könnte das nicht nur aufgrund von Einwanderung anders sein, sondern auch wegen der Tendenz zur Selbstaufgabe der deutschen Sprache durch die Eliten des Landes. Über die Kraft einer Sprache entscheidet mehr der kulturelle Alltag als Verfassungsbestimmungen.
Ich weiß nicht viel über Di Fabio (außer, dass er ein „wertkonservativer“ Kritiker aller Aspekte der zeitgenössischen Kultur ist, die er nicht versteht und dass er das traditionelle Familienmodell für ein Allheilmittel hält). Aber dieses Zitat sagt eigentlich auch alles, was ich über ihn wissen muss. Zunächst greift er das in der Frage angebotene Motiv auf, das ich schon mehrfach hinter staatssprachlichen Ansinnen vermutet habe — Angst vor „Überfremdung“.
Aber noch erhellender ist sein zweites Argument: die „Eliten des Landes“ geben die deutsche Sprache auf! Welche „Eliten“ mögen das sein? Ich nehme an, er meint sich nicht selbst, obwohl es einem wohl niemand verdenken würde, wenn man einen zweifach promovierten, habilitierten Verfassungsrichter (monatliches Grundgehalt 11.070 Euro), der gleichzeitig C4-Professor für Jura ist (monatliches Grundgehalt, nach Alter gestaffelt, zwischen 3883 und 6353 Euro), sowohl finanziell als auch von seiner Ausbildung und seinem gesellschaftlichen Einfluss her für ein gutes Beispiel eines Mitglieds der „Eliten des Landes“ halten würde.
Die einzige relevante Antwort auf die Frage der Rheinischen Post ist ihm leider nicht eingefallen: dass „Amtssprachen“ in Gesetzten festgelegt werden müssen, in denen es um Ämter geht — also in Verwaltungsverfahrensgesetzen. Und — oh Wunder — dort ist die deutsche Sprache tatsächlich verbindlich vorgeschrieben, sowohl auf Bundesebene als auch in den Landesgesetzen.
Frühere Beiträge zum Thema:
Sprachlicher Schlussverkauf bei Maischberger
Alle Sprachgewalt geht vom Volke aus
“Über die Kraft einer Sprache entscheidet mehr der kulturelle Alltag als Verfassungsbestimmungen.”
Man fragt sich, ob der Herr Di Fabio überhaupt geradeaus denken kann — denn spricht er mit diesem Satz nicht dem ach so nötigen Verfassungszusatz die Existenzberechtigung ab?
Zudem: 1949 mag die Deutsche Sprache unbestritten gewesen sein. In Ermangelung vieler der heutigen Massenmedien, sozialer und geografischer Mobilität und Globalisierungsvorgängen möchte ich bezweifeln, dass die BRD damals “kulturell homogener” war. Man denke nur an diverse Regional- und Sozialkulturen. Lieber erstmal mit den Soziologen schnacken, bevor man solchen Scheiß ablässt, Herr Richter. Zumindest muss man solche Ausführungen belegen — zweifelsfrei belegt ist nur meine Zunge, wenn ich am Vorabend gesoffen habe.
Es bringt nichts. Diese Forderung wird unter Ignoranz von Fakten aus rein emotionalen Gründen gestellt. Da kann man mit (wissenschaftlichen) Sachargumenten nichts bewirken.
Das ist das Dumme an der Sprachwissenschaft. Jeder, der mehr oder weniger erfolgreich den kindlichen Spracherwerb hinter sich gebracht hat, glaubt, er wüsste alles über “Sprache”.
Manchmal beneide ich die Fachkollegen in z.B. der Quantenphysik. Bei denen redet nicht jeder dahergelaufene selbsternannte “Experte” dazwischen, der irgendwann mal in einem Schulbuch das Wort “Relativitätsthorie” gesehen hat. Oder er wird zumindest von der Fachwelt nicht annähernd so ernst genommen, wie die (para-)linguistischen Querschläger hier.
Er spricht schließlich eine. :-}
Äh… doch. Ununterbrochen. Es sind massenhaft Bücher über quantum woo auf dem Markt, die irgendwelche Wörter hernehmen (z. B. “Bewusstsein”), “Quanten-” davorsetzen, und dann behaupten, den Schlüssel zur Frage nach “life, the universe, and everything” sowie einem glücklichen Leben gefunden zu haben.
Und die ganzen Ignoranten, die ständig versuchen, die Relativitätstheorie widerlegt zu haben… aber lassen wir das.
> Er spricht schließlich eine. :-}
Ja und? Ich atme seit 35 Jahren erfolgreich. Qualifiziert mich das zum Pulmologen?
Mein Quanten-Argument ging wohl nach hinten los. Mist. Aber ich glaube nicht, dass den selbsternannten “Experten” in irgendeinem Physiker-Forum vergleichbar viel Beachtung geschenkt wird.
Diese “Eliten” sind wohl einfach zu identifizieren: es sind die, die eine Stimme haben, die gedruckt werden, im Fernsehen auftreten, aus dem Radio tröten. Nicht einmalig im Zehnminutenruhm, regelmäßig: Lehrer, auch schlecht bezahlte, Journalisten, Politiker, Wirtschaftsführer, Kulturprominenz, Entertainer. Also nicht die paar Familien, von denen man nie hört, und nicht die Millionen, die öffentlich allenfalls auf eigene Kosten sprechen.
Heute ist das, was sie sagen, so brav, dass allein ihre Sprache zu beanstanden bleibt. “Über die Kraft einer Sprache entscheidet”, ob die Befehle verstanden werden.
(Ich muss meinen Sarkasmus besser kennzeichnen, sogar, wenn er nicht auf meinem Mist gewachsen ist.)
(“versuchen, […] widerlegt zu haben” ist auch originell, aber witzigerweise passt es gar nicht so schlecht.)
Di Fabio bringt hier die Eliten ins Spiel, die die deutsche Sprache aufgeben würden. Das bringt einen interessanten Aspekt ins Spiel: Ein Argument, das immer wieder gegen Anglizismen vorgebracht wird, ist, dass man damit angeblich Menschen ohne Englischkenntnisse ausgrenzt.
Es gibt viele porentief anglizismenfreie Texte, die jede Menge Menschen ausgrenzen, einfach weil sie mangels ausreichender Bildung diese Texte nicht verstehen. Ob das nun die Werke lebender oder toter deutscher Dichter sind oder das übliche legalese (kennt jemand ein schönes deutsches Wort dafür?), das uns so umgibt. Solche Texte werden doch von den Fabio’schen Eliten verfasst, oder?
@Achim: Im Sprachnörglerforum des VDZ hab ich auch schon lesen dürfen, dass sich neben der amerikanischen Werbemafia auch die Frankfurter Schule gegen die deutsche Sprache verschworen hätte. Sherlocks Beweis für seine Behauptung: Er versteht Adornos Texte nicht.