Sprachverleugnende Eliten

Von Anatol Stefanowitsch

Die Frage, ob die deutsche Sprache als Staatssprache im Grundge­setz fest­geschrieben wer­den soll, hat uns hier im Sprach­blog immer wieder beschäftigt, zulezt im Dezem­ber, als die CDU einen Parteitags­beschluss mit dieser Forderung fasste. Seit­dem ist auf der poli­tis­chen Bühne nichts weit­er geschehen und man durfte schon hof­fen, dass die Forderung der Partei (die bei der Bun­deskan­z­lerin auf wenig Gegen­liebe stieß), leise in der Versenkung ver­schwinden würde.

Doch nun ist die Debat­te neu aufge­flammt, weil der Ver­fas­sungsrichter Udo Di Fabio in einem Inter­view mit der Rheinis­chen Post dieser Forderung angeschlossen hat. Zunächst spricht er sich dage­gen aus, jed­er poli­tis­chen Mode Ver­fas­sungsrang zu geben:

Di Fabio: … Es ist lei­der ein Zug unser­er Zeit, dass manche vieles, was im poli­tis­chen Prozess ger­ade beson­ders aktuell ist, gle­ich in die Ver­fas­sung schreiben wollen. Dem häu­fig dahin­ter ste­hen­den guten Zweck kann man oft schw­er etwas ent­ge­genset­zen, ohne als Spielverder­ber zu gel­ten. Den­noch: Eine Ver­fas­sung ist eher ein all­ge­mein wert­set­zen­der Ord­nungsrah­men, in den nicht zu viele prak­tis­che poli­tis­che Ziele hineingehören.

Aber auf die Nach­frage der Rheinis­chen Post stellt er dann klar, dass die deutsche Sprache dur­chaus ins Grundge­setz gehöre — mit ein­er Begrün­dung, an der sovieles nicht stimmt, dass man gar nicht weiß, wo man anfan­gen soll:

Also auch nicht ein Satz, dass in Deutsch­land die Amtssprache Deutsch sei, weil die Bun­desre­pub­lik sich zu einem Ein­wan­derungs­land entwick­elt hat?

Di Fabio: Ein solch­er Satz wäre kein Fehler. 1949 war die deutsche Sprache in einem kul­turell ver­gle­ich­sweise homo­ge­nen Staat noch völ­lig unbe­strit­ten. Heute kön­nte das nicht nur auf­grund von Ein­wan­derung anders sein, son­dern auch wegen der Ten­denz zur Selb­stauf­gabe der deutschen Sprache durch die Eliten des Lan­des. Über die Kraft ein­er Sprache entschei­det mehr der kul­turelle All­t­ag als Verfassungsbestimmungen.

Ich weiß nicht viel über Di Fabio (außer, dass er ein „wertkon­ser­v­a­tiv­er“ Kri­tik­er aller Aspek­te der zeit­genös­sis­chen Kul­tur ist, die er nicht ver­ste­ht und dass er das tra­di­tionelle Fam­i­lien­mod­ell für ein All­heilmit­tel hält). Aber dieses Zitat sagt eigentlich auch alles, was ich über ihn wis­sen muss. Zunächst greift er das in der Frage ange­botene Motiv auf, das ich schon mehrfach hin­ter staatssprach­lichen Ansin­nen ver­mutet habe — Angst vor „Über­frem­dung“.

Aber noch erhel­len­der ist sein zweites Argu­ment: die „Eliten des Lan­des“ geben die deutsche Sprache auf! Welche „Eliten“ mögen das sein? Ich nehme an, er meint sich nicht selb­st, obwohl es einem wohl nie­mand ver­denken würde, wenn man einen zweifach pro­movierten, habil­i­tierten Ver­fas­sungsrichter (monatlich­es Grundge­halt 11.070 Euro), der gle­ichzeit­ig C4-Pro­fes­sor für Jura ist (monatlich­es Grundge­halt, nach Alter gestaffelt, zwis­chen 3883 und 6353 Euro), sowohl finanziell als auch von sein­er Aus­bil­dung und seinem gesellschaftlichen Ein­fluss her für ein gutes Beispiel eines Mit­glieds der „Eliten des Lan­des“ hal­ten würde. 

Die einzige rel­e­vante Antwort auf die Frage der Rheinis­chen Post ist ihm lei­der nicht einge­fall­en: dass „Amtssprachen“ in Geset­zten fest­gelegt wer­den müssen, in denen es um Ämter geht — also in Ver­wal­tungsver­fahrens­ge­set­zen. Und — oh Wun­der — dort ist die deutsche Sprache tat­säch­lich verbindlich vorgeschrieben, sowohl auf Bun­de­sebene als auch in den Landesgesetzen.

Frühere Beiträge zum Thema:

Sprach­lich­er Schlussverkauf bei Maischberger

Alle Sprachge­walt geht vom Volke aus

Amtssprache Deutsch

Deutsch ins Grundgesetz?

Deutsch ins Grundge­setz (Reloaded)

Noch mehr Grundgesetzliches

Dieser Beitrag wurde unter Bremer Sprachblog abgelegt am von .

Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

8 Gedanken zu „Sprachverleugnende Eliten

  1. mus

    Über die Kraft ein­er Sprache entschei­det mehr der kul­turelle All­t­ag als Verfassungsbestimmungen.”

    Man fragt sich, ob der Herr Di Fabio über­haupt ger­adeaus denken kann — denn spricht er mit diesem Satz nicht dem ach so nöti­gen Ver­fas­sungszusatz die Exis­tenzberech­ti­gung ab?

    Zudem: 1949 mag die Deutsche Sprache unbe­strit­ten gewe­sen sein. In Erman­gelung viel­er der heuti­gen Massen­me­di­en, sozialer und geografis­ch­er Mobil­ität und Glob­al­isierungsvorgän­gen möchte ich bezweifeln, dass die BRD damals “kul­turell homo­gen­er” war. Man denke nur an diverse Region­al- und Sozialkul­turen. Lieber erst­mal mit den Sozi­olo­gen schnack­en, bevor man solchen Scheiß ablässt, Herr Richter. Zumin­d­est muss man solche Aus­führun­gen bele­gen — zweifels­frei belegt ist nur meine Zunge, wenn ich am Vor­abend gesof­fen habe.

    Antworten
  2. janwo

    Es bringt nichts. Diese Forderung wird unter Igno­ranz von Fak­ten aus rein emo­tionalen Grün­den gestellt. Da kann man mit (wis­senschaftlichen) Sachar­gu­menten nichts bewirken. 

    Das ist das Dumme an der Sprach­wis­senschaft. Jed­er, der mehr oder weniger erfol­gre­ich den kindlichen Spracher­werb hin­ter sich gebracht hat, glaubt, er wüsste alles über “Sprache”.

    Manch­mal benei­de ich die Fachkol­le­gen in z.B. der Quan­ten­physik. Bei denen redet nicht jed­er daherge­laufene selb­ster­nan­nte “Experte” dazwis­chen, der irgend­wann mal in einem Schul­buch das Wort “Rel­a­tiv­ität­sthorie” gese­hen hat. Oder er wird zumin­d­est von der Fach­welt nicht annäh­ernd so ernst genom­men, wie die (para-)linguistischen Quer­schläger hier.

    Antworten
  3. David Marjanović

    Jed­er, der mehr oder weniger erfol­gre­ich den kindlichen Spracher­werb hin­ter sich gebracht hat, glaubt, er wüsste alles über “Sprache”.

    Er spricht schließlich eine. :-}

    Manch­mal benei­de ich die Fachkol­le­gen in z.B. der Quan­ten­physik. Bei denen redet nicht jed­er daherge­laufene selb­ster­nan­nte “Experte” dazwis­chen, der irgend­wann mal in einem Schul­buch das Wort “Rel­a­tiv­ität­sthorie” gese­hen hat.

    Äh… doch. Unun­ter­brochen. Es sind massen­haft Büch­er über quan­tum woo auf dem Markt, die irgendwelche Wörter hernehmen (z. B. “Bewusst­sein”), “Quan­ten-” davorset­zen, und dann behaupten, den Schlüs­sel zur Frage nach “life, the uni­verse, and every­thing” sowie einem glück­lichen Leben gefun­den zu haben.

    Und die ganzen Igno­ran­ten, die ständig ver­suchen, die Rel­a­tiv­ität­s­the­o­rie wider­legt zu haben… aber lassen wir das.

    Antworten
  4. janwo

    > Er spricht schließlich eine. :-}

    Ja und? Ich atme seit 35 Jahren erfol­gre­ich. Qual­i­fiziert mich das zum Pulmologen?

    Mein Quan­ten-Argu­ment ging wohl nach hin­ten los. Mist. Aber ich glaube nicht, dass den selb­ster­nan­nten “Experten” in irgen­deinem Physik­er-Forum ver­gle­ich­bar viel Beach­tung geschenkt wird.

    Antworten
  5. dirk

    Diese “Eliten” sind wohl ein­fach zu iden­ti­fizieren: es sind die, die eine Stimme haben, die gedruckt wer­den, im Fernse­hen auftreten, aus dem Radio tröten. Nicht ein­ma­lig im Zehn­minuten­ruhm, regelmäßig: Lehrer, auch schlecht bezahlte, Jour­nal­is­ten, Poli­tik­er, Wirtschafts­führer, Kul­tur­promi­nenz, Enter­tain­er. Also nicht die paar Fam­i­lien, von denen man nie hört, und nicht die Mil­lio­nen, die öffentlich allen­falls auf eigene Kosten sprechen.

    Heute ist das, was sie sagen, so brav, dass allein ihre Sprache zu bean­standen bleibt. “Über die Kraft ein­er Sprache entschei­det”, ob die Befehle ver­standen werden.

    Antworten
  6. David Marjanović

    (Ich muss meinen Sarkas­mus bess­er kennze­ich­nen, sog­ar, wenn er nicht auf meinem Mist gewach­sen ist.)

    (“ver­suchen, […] wider­legt zu haben” ist auch orig­inell, aber witziger­weise passt es gar nicht so schlecht.)

    Antworten
  7. Achim

    Di Fabio bringt hier die Eliten ins Spiel, die die deutsche Sprache aufgeben wür­den. Das bringt einen inter­es­san­ten Aspekt ins Spiel: Ein Argu­ment, das immer wieder gegen Anglizis­men vorge­bracht wird, ist, dass man damit ange­blich Men­schen ohne Englis­chken­nt­nisse ausgrenzt.

    Es gibt viele poren­tief anglizis­men­freie Texte, die jede Menge Men­schen aus­gren­zen, ein­fach weil sie man­gels aus­re­ichen­der Bil­dung diese Texte nicht ver­ste­hen. Ob das nun die Werke leben­der oder tot­er deutsch­er Dichter sind oder das übliche legalese (ken­nt jemand ein schönes deutsches Wort dafür?), das uns so umgibt. Solche Texte wer­den doch von den Fabio’schen Eliten ver­fasst, oder?

    Antworten
  8. ramses101

    @Achim: Im Sprach­nör­gler­fo­rum des VDZ hab ich auch schon lesen dür­fen, dass sich neben der amerikanis­chen Werbe­mafia auch die Frank­furter Schule gegen die deutsche Sprache ver­schworen hätte. Sher­locks Beweis für seine Behaup­tung: Er ver­ste­ht Adornos Texte nicht.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.