Herzlich Wilkommen im Bremer Sprachblog. Wenn das kurze Interview im Morgenmagazin Sie neugierig auf die Eskimowörter für Schnee gemacht hat, finden Sie hier zwei längere Blogbeiträge dazu:
Natürlich sind Sie herzlich eingeladen, sich auch darüberhinaus auf den Seiten des Bremer Sprachblogs umzusehen. Der Link „Favoriten“ im Menü rechts ist ein guter Einstiegspunkt in unser Archiv.
Nachtrag I: Im Interview wollte ich mich aufgrund der Kürze der Zeit und der (verständlichen) Anweisung der WDR-Redaktion, nicht allzu ausführlich über Dinge wie „Morphologie“ und „abgeleite Wörter“ zu reden, nicht auf eine unterschiedliche Bedeutung der Wortstämme aput und qanik festlegen. Wie im Blogbeitrag „Schneeschmelze“ erwähnt, wird allgemein (und vermutlich korrekt) berichtet, dass im Westgrönländischen aput „liegender Schnee“ und qanik „fallender Schnee“ bedeutet. Das Deutsche hat hier ja auch zwei Wörter: Schneeflocke(n) und Schneedecke. Im Deutschen sind nun aber beide Wörter transparent mit dem Wort Schnee verwandt, im Westgrönländischen nicht. Daraus haben manche Multiplikatoren des Schneemythos geschlossen, dass die Eskimos die Welt völlig anders wahrnehmen als wir — dass sie nämlich Schneeflocken und eine Schneedecke für völlig unterschiedliche, nicht miteinander in Bezug stehende Phänomene halten. Der Anthropologe und Sprachwissenschaftler Benjamin Lee Whorf, der als einer der ersten von den Eskimowörtern für Schnee berichtete, hat zu dieser Vorstellung beigetragen, in dem er folgende, missverständliche Passage formulierte:
Die Hopis nennen Insekten, Flugzeuge und Flieger alle mit dem gleichen Wort und sehen darin keine Schwierigkeit. Uns erscheint diese Klasse zu groß und umfassend, aber nicht anders erscheint den Eskimos unsere Klasse “Schnee”. Wir haben nur ein Wort für fallenden Schnee, Schnee auf dem Boden, Schnee, der zu eisartiger Masse zusammengedrückt ist, wässrigen Schnee, windgetriebenen, fliegenden Schnee usw. Für einen Eskimo wäre dieses allumfassende Wort nahezu undenkbar. Er würde sagen, fallender Schnee, wässriger Schnee etc. sind wahrnehmungsmäßig und verhaltensmäßig verschieden, d.h. sie stellen verschiedene Anforderungen an unser Umgehen mit ihnen. Er benützt daher für sie und andere Arten von Schnee verschiedene Wörter. (Benjamin Lee Whorf, Sprache — Denken — Wirklichkeit, Rohwolt, €9,95)
Nun ist es natürlich völlig unvorstellbar, dass die Eskimos wirklich so denken: sie sehen ja, dass der Schnee erst in der Luft und dann auf dem Boden ist. Vor allem aber, und hier kommen eben doch abgeleitete Wörter ins Spiel, lässt sich aus „fallendem Schnee“ durch Hinzufügen eines Suffixes „liegender Schnee“ machen: qanikcaq (eine Liste einfacher und abgeleiteter Eskimowörter für Schnee hat der Sprachwissenschaftler Tony Woodbury zusammengestellt).
Falls ich noch nie darauf verlinkt habe: eine der interessantesten Verwendungen der Geschichte von den Eskimowörtern für Schnee ist für mich Kathrin Passigs preisgekrönte Kurzgeschichte Sie befinden sich hier.
Nachtrag II: Das sehr kurze Interview ist jetzt auch online zu hören, und zwar unter http://www.wdr.de/radio/wdr2/moma/502301.phtml (zum Ende der Seite scrollen). Ich musste beim nochmaligen Hören feststellen, dass ich mich bezüglich eines Bedeutungsunterschiedes der Wörter aput und qanik nicht nur nicht festlegen wollte, sondern dass ich behauptet habe, es gäbe keinen. Das ist natürlich falsch (ich hatte mir das Interview in meiner Erinnerung bereits schöngedacht).
Bei der BBC habe ich kürzlich einen Artikel zu dem Thema gefunden:
In the Yup’ik Eskimo Dictionary published by the Native Language Centre at the University of Alaska, and found in schools throughout Alaska’s Yukon Delta, there are 37 ways of referring to [snow]. http://news.bbc.co.uk/2/hi/americas/7671137.stm
Für mich bleiben zwei offene Probleme:
1. wir sprechen immer von ‘Eskimo-Sprache’, es gibt aber meines Wissens in dieser Volksgruppe diverse Sprachen, das ist, als würden die Amerikaner von ‘Europäisch’ sprechen und damit in einer Untersuchung Schwedisch und in der andern Spanisch meinen.
2. was wird in den einzelnen Untersuchungen als ‘Wort’ bezeichnet? Geht es hier um Lemas oder ist jedes Kompositum ein Wort?
Simone (#1), der BBC-Artikel ist ein gutes Beispiel für die gedankenlose Verbreitung des Mythos und für die jämmerliche Qualität der BBC insgesamt. Erstens werden dort in der Tat morphologisch komplexe Wörter genannt — wenn man die mitzählt, haben alle Sprachen beliebig viele Wörter für Schnee (und in den Eskimo-Aleut-Sprachen gibt es eine besondere Situation bezüglich der Ableitung von Wörtern, siehe meinen Beitrag „Schneeschmelze“). Zweitens werden auch munter Wörter für verschiedene Arten von Eis und für verschiedene Jahreszeiten dazwischengemischt. Drittens werden unterschiedliche Dialekte zu einer „Sprache“ zusammengefass Das ganze wird garniert mit ein paar stereotypen Trivialitäten über die Kälte, den Fischfang und die Gefahr von morschem Eis.
Nachtrag: Nach nochmaligem Lesen fand ich die BBC-Geschichte so bescheuert, dass ich mich entschieden habe, folgende Adaption zu verfassen:
Den Beitrag kann man sich übrigens auf der WDR2-Website anhören.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um auf diesen tollen Cartoon von Ralph Ruthe zum Thema zu verweisen.
Bezeichnend, daß ich zuerst an dieses Blog denken mußte, als ich ihn sah.