Die Ostthüringer Zeitung glaubt, dass Anglizismen „nötig“ sind, wenn Produkte international verkauft werden, und das Anglizismen „besser klingen“ können als ihre deutsche Entsprechungen. In einem Artikel über einen Hersteller von Christbaumkugeln schreibt man dort:
Als Modekracher 2008 gilt in Schmückerkreisen auch die Linie „Chocolate Frost“. Der Anglizismus ist nötig, weil das Produkt ein internationaler Schlager ist und weil er irgendwie besser klingt als „Gefrorene Schokolade“. Aber so oder so — die Bezeichnung ist treffend. Ein kühles Aqua spielt mit Weißtönen, gemischt mit warmem Schokobraun.
Um das klarzustellen: Englischsprachige Bezeichnungen sind auch in einem deutschsprachigen Kontext häufig praktisch (deshalb werden sie ja verwendet), aber „nötig“ sind sie nie. Was spricht dagegen, Christbaumkugeln in jedem Land mit Farbbezeichnungen in der Landessprache zu verkaufen? Und englischsprachige Bezeichnungen können auch in einem deutschsprachigen Kontext witzig, klangvoll oder sonstwie attraktiv sein (auch deshalb werden sie verwendet), aber ob sie „besser klingen“, liegt ausschließlich im Ohr des Zuhörers. Und mutwillig schlechte Übersetzungen beweisen gar nichts. Chocolate Frost heißt auf Deutsch „Schokoladenreif“ oder von mir aus auch „Schokoladenfrost“. Beides klingt für mich eigentlich ganz gut, auch wenn ich mir keins davon an den Weihnachtsbaum hängen werde.
Bei der Münchner Abendzeitung dagegen herrscht in Bezug auf den Begriff „Anglizismus“ vollständige Verwirrung:
Die Kanzlerin spricht nicht von Weltschmerz, dem schönen Begriff des bayerischen Dichters Jean Paul. Sie wählt statt des Germanismus’ den Anglizismus „Herausforderung“. Alles, was für den Deutschen ein Problem ist, nennt der US-Amerikaner Herausforderung. Das ist die Wurzel des „Yes-we-can“-Optimismus’ eines Barack Obama. Der Deutsche stellt sich naturgemäß der Herausforderung, die ihm ebenso natürlich zur Herkulesaufgabe gerät. Das ist die Wurzel des „No we can’t“-Pessimismus’ der deutschen Kanzlerin
Herausforderung ist ein Anglizismus, weil Amerikaner Herausforderungen sehen, wo Deutsche Probleme vermuten? Und Problem ist ein Germanismus, obwohl es aus dem Griechischen kommt? Und wenn der Amerikaner sich einer Herausforderung stellt, ist das ein Zeichen für Optimismus, beim Deutschen ist es dagegen ein Zeichen für Pessimismus?
Ohne klugscheißen zu wollen: Ich würde “chocolate frost” eher als “Schokoladenglasur” übersetzen, so wird der Begriff meines Wissens nach auch verwendet.
Herr Freydenberge, nein, Sie denken hier an Chocolate Frosting.
Hier ein Bild des schokoladig-frostigen Weihnachtsschmucks, um den es geht.
Auf der deutschen Seite heißt das Produkt aber “Schokolade auf Eis”…oder ist die Verwirrung jetzt komplett!? 🙂
… und Jean Paul ist natürlich kein bayerischer Dichter, sondern, wenn schon kein deutscher, ein fränkischer: Er ist geboren in Wunsiedel, aufgewachsen in Schwarzenbach/Saale, Joditz/Saale und Hof/Saale und lebte im Alter in Bayreuth, alles Orte, die im ausgehenden 18. Jahrhundert und ganz frühen 19.Jahrhundert noch nicht zu Bayern gehörten, sondern zum (familiär Preußen nahe stehenden und dementsprechend lutherischen) Markgrafentum Bayreuth. Aber aus der Münchner Sicht (der AZ) stellt sich so manches halt anders dar.
Und Problem ist ein Germanismus…?
Ich glaube mit “Germanismus” war in diesem Absatz “Weltschmerz” gemeint, ein Wort über dessen Vorkommen in englischsprachigen Texten ich mich immer wieder freuen kann.
Frau Seidenberger (#3), tatsächlich. Das macht den ganzen Absatz in der Zeitungsgeschichte unverständlich.
Uwe (#4), ein Bayer mit Weltschmerz hätte auch gar nicht gepasst.
kreetraper (#5), Sie haben Recht. Hier habe ich der Abendzeitung zuviel Verwirrung vorgeworfen. Allerdings verstehe ich auch nach mehrmaligem Lesen der Glosse nicht, was der Weltschmerz dort überhaupt zu suchen hat.
Macht nix, die haben ja auch ein Problem [sorry], ‘Problem’ richtig zu verstehen, weil sie ‘den Deutschen’ lieber als pessimistisch sehen. Zuerst einmal ist ein Problem — nicht nur im Englischen — eine Aufgabe. Daher ist sie lösbar. Ein ‘mathematical problem’ ist weder eine mathematische Herausforderung noch eine mathematische Schwierigkeit, gar eine unlösbare.
Allerdings gestehe ich zu, dass ‘Problem’ im Deutschen fast immer als ‘[unlösbare] Schwierigkeit’, als ‘unüberwindbares Hindernis’ verstanden wird. Für mich war es immer schon einfach eine Aufgabe, die angegangen werden muss. Führt gerade bei Vorgesetzten [seltsamerweise besonders in der Werbung] immer zu Mißverständnissen und Verstimmungen.
Möglicherweise versucht die Abendzeitung eben jenen angeblichen Charakter-Unterschied zwischen dem pragmatischen Amerikaner und dem grübelnden Deutschen heraus zu stellen: wo der Ami lenkt, da versinkt der Deutsche in weltschmerzendem Denken.
Tja, was mag wohl dagegen sprechen “Christbaumkugeln in jedem Land mit Farbbezeichnungen in der Landessprache zu verkaufen”, dafür x verschiedene Verpackungen zu produzieren und in der Lagerhaltung dann statt einer Sorte ein Dutzend lokalisierte Varianten zu verwalten? Mir fällt da auch absolut kein Grund ein.
Daniel (#8), der betreffenden Firma (die übrigens den schönen vielsprachigen Namen „Lauscha Glas Creation“ trägt) ist offensichtlich kein Grund eingefallen. Wie Frau Seidenberger (#3) richtig beobachtet hat (siehe auch den Link in #6), bietet man dort den Weihnachtsschmuck in Deutschland unter der Bezeichnung „Schokolade auf Eis“ und international unter der Bezeichnung „Chocolate Frost“ an. Die Lagerverwalter der Lauscha Glas Creation lassen sich durch „lokalisierte“ Varianten offensichtlich weniger stark verwirren als die Journalisten der Ostthüringer Zeitung.
Und “Herausforderung” ist ein Synonym von “Weltschmerz”, oder zumindest seien die Wörter austauschbar? Ich muss wohl mein Deutsch hier im Ausland langsam verlieren.
Wie soll man klare Gedanken von einem Schreiber erwarten, der meint, den Genitiv von »Germanismus« mit einem Apostroph beschmutzen zu müssen?
(Okay, der war billig.)
Die meisten Leute, die Deutsch und Englisch sprechen, würden wohl, gefragt nach der Übersetzung von “Problem” zuerst auf “problem” kommen und von “challenge” auf “Herausforderung”. In einem Zusammenhang, in dem für “Problem” “challenge” besser wäre und trotzdem “problem” verwendet wird, kann man von einem Germanismus sprechen. In einem Zusammenhang, in dem für “challenge” “Problem” besser wäre und trotzdem “Herausforderung” verwendet wird, kann man von einem Anglizismus sprechen. Des weiteren bedeutet der genannte Unterschied zwischen der deutschen und der englischen Sprache, dass von Deutsch Sprechenden etwas eher in einen sprachlichen Topf mit den “problems” geworfen werden wird als von Englisch Sprechenden, die wiederum eher als Deutsch Sprechende etwas in einen sprachlichen Topf mit den “Herausforderungen” werfen werden. Zumindest dieser Kern der MAZ-Überlegungen ist gar nicht völlig falsch. Ob diese sprachlichen Töpfe nun auch gedankliche Töpfe sind, steht auf einem anderen Blatt…
Dierk (#7): Das hängt aber dann wohl einfach damit zusammen, daß der Begriff “problem” im Deutschen und im Englischen jeweils etwas anderes bedeutet, nicht damit, daß Leute, die Deutsch sprechen, Aufgaben generell für unlösbar halten. Wo im Englischen von einem “problem set” gesprochen wird, reden wir halt von einem “Aufgabenblatt”.
Und vielleicht ist der Deutsche sogar ein Pessimist (kann man ja alles behaupten), aber nicht nur Deutsche sprechen Deutsch. Schweizern unterstellt jetzt jedenfalls traditionell niemand Pessimismus und die verwenden das Wort “Problem” ebenfalls mit negativer Konnotation.
Wer sich einer ‘Herausforderung’ stellt, der ist gewissermaßen ein ‘Krieger’: Er geht mit dem Anderen, mit dem, der ihm ‘widersteht’, vor die Tür und klärt die Sache da. So wie man das unter Männern macht.
Wer aber ein ‘Problem’ löst, der stützt eher gedankenschwer den Kopf in die Hände und sucht im stillen Kämmerlein nach einer ‘geistigen Antwort’. Dazu muss man aber zunächst einmal einen Kopf haben — und noch so mancherlei. Dieses Selbstbild liegt daher unseren Gelfrisuren, die gern ‘Herausforderungen’ im Maul führen, meines Erachtens nicht so.
Mit ‘Anglizismus’ und ‘Germanismus’ hat das also wenig zu tun, es ist eine Frage der Bildlichkeit, letztlich der Persönlichkeit — whatever that is …
Da wird mir viel zu viel reininterpretiert. “Houston, we have a problem”: Die Vögel bei Apollo 13 hatten tatsächlich ein Problem, das aber auch von deutschen Raumfahrtmenschen ähnlich pragmatisch gelöst worden wäre wie von amerikanischen. War halt eine Herausforderung. Unabhängig von Pass und/oder Sozialisation.
Falsche Abstraktionsebene. Da ist schon was dran: Wo wir Deutschen ein Problem (eine Schwierigkeit, ein Hindernis, um das griechischstämmige Wort zu vermeiden) sehen, sieht der Amerikaner eine Herausforderung (a challenge). Das ist kein linguistischer, sondern eher ein kultureller Unterschied.
Ich hätte bei “chocolate frost” zunächst auch auf “Schokoladenglasur” o.ä. getippt, aber das wäre wirklich ein “frosting”. Ist wohl eher die selbstgestrickte Übersetzung von “Schokolade auf Eis” — wobei ich anhand des Bildes nicht ganz verstehe, wo das Eis herkommt, die Kugeln sind doch einfarbig?
Ein Problem ist meinem Verständnis nach eine im jeweiligen Zusammenhang unvorhergesehene Schwierigkeit, die das ganze Vorhaben gefährdet und zusätzliche Anstrengungen — ob nun materieller oder geistiger Natur — erfordert. Ein Problem als Herausforderung zu deuten, ist eine Frage der Einstellung. Und für mich ist das auch im Englischen so.