Als Langenscheidt vor ein paar Tagen das Jugendwort 2008 bekanntgab, hatte ich vor, dieses denkwürdige Ereignis unkommentiert verstreichen zu lassen. Meine Meinung zu Langenscheidts „Jugendsprache“ ist bekannt, und was hätte ich zu dieser Meldung auch schreiben sollen:
Das Jugendwort des Jahres 2008 steht fest: „Gammelfleischparty“ als provokant freche und bildhafte Übersetzung der Ü‑30-Parties fand den eindeutigen Zuspruch einer neunköpfigen Jury. […] Das deutliche Votum der äußerst heterogen zusammengesetzten Jury für das Jugendwort des Jahres 2008, „Gammelfleischparty“, wurde unter anderem so begründet: Der Begriff „Gammelfleischparty“ ist alleine schon durch seinen Ekelfaktor ein Stolperstein und somit ein Aufmerksamkeitsmagnet. Der übersetzte Gegenstand, eine Party nur für Menschen über 30 Jahre, habe es verdient, dass sich über ihn lustig gemacht wird, besonders da die Ausgrenzung von Jugendlichen von Ü‑30-Parties den Spott der Jugendlichen über diese Form des Fetentums geradezu provoziert.
Eine Party für Menschen über 30 hat es per se „verdient, dass sich über ihn lustig gemacht wird“? Ich bin sehr dafür, Jugendliche ernst zu nehmen (ich war ja selbst mal einer), aber diese Aussage ist der ungefragten Anbiederung dann vielleicht doch ein wenig zuviel. Wie wäre es, der „Ausgrenzung von Jugendlichen“ stattdessen dadurch entgegenzuwirken, dass man ihre Wortschöpfungen tatsächlich untersucht, statt diese einfach zu erfinden?
Wie dem auch sei, eigentlich wollte ich ja auch gar nichts über das Jugendwort schreiben. Aber die Bebilderung, die Welt Online für die Meldung zum Thema gewählt hat, möchte ich den Leser/innen des Bremer Sprachblogs nicht vorenthalten:
Für die Gammelfleischtruppe bei der Welt Online sehen die Nöte junger Menschen offensichtlich alle gleich aus — ganz egal, ob es sich um deutsche Jugendliche handelt, die am Besuch von Ü30-Partys gehindert werden, oder um griechische Jugendliche, die von der Polizei erschossen werden.
Konsequent geschmacklos. Passt doch.
Ich hätte auch noch ein paar dufte Vorschläge:
knorke
flotte Biene
schwoofen
Penne
das gehört für mich in die Kategorie “Jugend-Klassiker”. So reden Emil und die Detektive bzw die Lümmel aus der ersten Bank. Ob das damals wirklich gebraucht wurde, kann ich nicht sagen, ich bin einfach zu jung. Aber Generationen von jungen Lesern/Zuschauern verstehen: das ist “Jugendsprache”. Man kann solche Bücher und Filme schließlich nicht alle paar Jahre aktualisieren. Ist auch gar nicht nötig.
Was Langenscheid und Pons liefern ist Medien-Jugendsprache. Ein Teil wird von irgendwelchen Witzbolden geprägt, der Rest ist einfach erfunden. Und irgendwelche Journalisten machen daraus regelmäßig dürftige Geschichtchen über die sich dann das (hihi) Gammelflisch amüsieren darf.
Dann gibt es Begriffe wie “cool” und “geil”, die schon zu meiner Zeit (bin jetzt 43) nicht mehr ganz neu waren, aber wohl heute noch im Umlauf sind. Solche Wörte versteht auch jeder Erwachsene, viele gebrauchen sie vermutlich auch selbst.
Und schließlich gibt es, wie schon von anderen hier bemerkt, Redewendungen, die nur von ein paar Leuten verstanden werden. Wir sagten zum Beispiel in der Schule eine Zeit lang “is ja hot” für “ist ja toll” (oft als gespielte Empörung), daraus wurde später “is ja Otto” oder “is ja n’ heißer Otto”. Dann verschwand diese Wendung wieder. So etwas kann kein Lexikon der Welt einfangen.
> Solche Wörte versteht auch jeder Erwachsene, viele gebrauchen sie vermutlich auch selbst.
Dann ist es keine Jugendsprache mehr, die ja gerade dadurch definiert wird, dass nur Jugendliche sie (und nur untereinander) verwenden. Diese Wörter haben den Sprung in die Alltagssprache geschafft.
> So etwas kann kein Lexikon der Welt einfangen.
Pons hat aber den Anspruch, das zu können bzw. zu tun. Dass sie dem nicht standhalten ist eine andere Sache.
> Aber Generationen von jungen Lesern/Zuschauern verstehen: das ist “Jugendsprache”.
Nein. Das WAR (wenn überhaupt) Jugendsprache. Das IST (wenn überhaupt) historische Jugendsprache. Von den genannten vier Begriffen wird mMn höchstens noch “knorke” von Jugendlichen gebraucht — und auch das wohl eher ironisch. Insgesamt erinnern mich die Wörter eher an die Sprache meiner Großeltern als an die der mir nachfolgenden Generation.
@mus:
“…und auch das wohl eher ironisch”
Wenn ich Sie richtig verstehe, nimmt die ironische Verwendung von Wörtern wie knorke Ihrer Meinung nach etwas von deren jugendsprachlichem Charakter. Als sei knorke heute also keine “richtige” Jugendsprache.
Ich sehe das anders und würde sogar behaupten, dass ein oft kaum noch zu durchschauendes Prisma doppelter und dreifacher ironischer Brechungen ein typisches Merkmal der Gruppensprachen zumindest der 25- bis 30jährigen ist. (Ich fasse das so eng, weil ich selbst dieser Altersgruppe angehöre und in das, was drüber oder drunter so vor sich geht, weniger Einblicke habe 😉 …)
Dazu zählt m.E. auch die Verwendung von “Strombergismen” wie Wirsing (für ‘Wiedersehen’) oder bis baldrian, die man ja auch erst durch den “So blöd, dass es schon wieder gut ist”-Filter witzig finden kann — auch eine Form ironischer Brechung also.
In diesem Sinne: ’schüss! 😉
Selbst [u]wenn[/u] diese Wörter wirklich einmal authentische, gebräuchliche Jugendsprache gewesen sein sollten, sind sie spätestens mit dem Erscheinen des Wörterbuches “verbrannt” und nicht mehr [ setze beliebiges aktuelles Äquivalent zu ‘cool’ ].
Folgende Sachen waren neu für mich und habe ich in Berlin von “echten” Jugendlichen aufgeschnappt. Fand ich ganz interessant.
“ich feiere voll ab was du gesagt hast” Hat tatsächlich jemand in einer Diskussion völlig Ironiefrei gesagt. Was es bedeutet erschließt sich ja ziemlich eindeutig: “ich stimme mit dir überein”
“ist doch story” oder nur “story alda” Ist in Berlin sehr weitverbreitet, kam auch im Film Prinzessinnenbad vor. Meint sowas wie “erzähl kein scheiß”
Zumindest im weiten Teilen von Norddeutschland verabschiedet man sich gerne unter coolen Typen mit “Las dich nicht anquatschen!” Ersetzt das langsam angestaubte “Hau rein!” als Verabschiedung.
@amfenster: nein, habe ich nicht behauptet/behaupten wollen. Was ich damit ausdrücken wollte, war, dass es in der heutigen Jugendsprache eine andere Bedeutung hat als in der historischen Jugendsprache, der es ursprünglich entnommen ist.
früher: knorke = toll
heute: knorke = blöd
(keine Garantie auf Richtigkeit)
Also die entgegengesetzte Entwicklung zu der, die toll selbst genommen hat?
Als Zwanzigjähriger gehöre ich ja wohl noch zur Gruppe der Jugendsprechenden und daher kann ich sagen, dass “knorke”, wenn überhaupt, nur dann verwendet wird, wenn es explizit darum geht, die Jugendsprache vergangener Generationen auf den Arm zu nehmen. Ebenso “dufte”.
In der Bedeutung “blöd” habe ich es noch nie zu Ohren bekommen.
Jugendsprachliche Synonyme sind heutzutage die altbewährten “cool” und “geil”, sowie “krass”, “fett”, “heftig” oder seltener “übertrieben”.
Wobei “übertrieben” stark im kommen ist.
“Das war übertrieben geil!”
Ist eigentlich “das geht ja mal gar nicht” noch Jugendsprache?
“Lass Dich nicht anquatschen!” Jugendsprache? Das habe ich das erste Mal von der ü50-Generation in meinem Kollegenkreis zu mir sagen gehört, was auch bestimmt schon locker 10 Jahre her sein dürfte.
Zum Thema Jugendsprechwörterbuchwahnsinn (Sinnlosigkeit sells) möchte ich mal diesen Link hier einwerfen: http://szenesprachenwiki.de/
(Falls das Projekt hier schon bekannt ist und besprochen wurde, können Sie den Eintrag gerne löschen — ich bin die letzten Monate leider nicht mehr zum regelmäßigen Mitlesen gekommen.)