Da lasse ich mich einmal zu einer halbnormativen Aussage hinreißen und sofort gerate ich in Schwierigkeiten. Am Ende des letzten Beitrags habe ich, inspiriert durch den Tag der deutschen Einheit, folgende Weisheit mit meinen Lesern geteilt:
Aus sprachwissenschaftlicher Perspektive gibt es übrigens einen klaren Ratschlag für die Regelung der Zusammen- und Getrenntschreibung: es sollte orthografisch zusammenwachsen, was morphologisch zusammen gehört — so, wie es im Deutschen wenigstens bei substantivischen Komposita durchgängig der Fall ist.
Ich hatte gehofft, dass in der allgemeinen patriotischen Hochstimmung keiner auf die Formulierung „wenigstens bei substantivischen Komposita“ anspringen würde. Aber ich hätte natürlich mit David Marjanović rechnen müssen, der als Österreicher auch am 3. Oktober einen kühlen Kopf behalten hat und der einem ohnehin keine Ungenauigkeiten durchgehen lässt. Sein unsentimentaler aber nicht ganz von der Hand zu weisender Kommentar:
Den Trend, das auf die Verben zu verallgemeinern, hat es ja auch gegeben, aber bizarrerweise mag die neue Rechtschreibung das nicht. Ich wäre z. B. nie auf die Idee gekommen, “zusammengehören” auseinanderzuschreiben; oder betont das wirklich jemand auf der fünften statt auf der zweiten Silbe?
Ja, die Verben. Das Problem bei den Verben ist, dass es aus sprachwissenschaftlicher Sicht mindestens vier Kriterien gibt, um einer Abfolge von Morphemen (den kleinsten bedeutungstragenden Einheiten der Sprache) Wortstatus zuzugestehen, und diese vier Kriterien lassen sich bei morphologisch komplexen Verben erstens häufig nicht alle eindeutig anwenden, und zweites widersprechen sie sich auch gerne. Wenn man der Meinung ist, dass orthografische Wörter (also Sequenzen aus Buchstaben und Bindestrichen, die nicht durch andere Interpunktionszeichen oder Leerzeichen unterbrochen sind) immer tatsächlichen Wörtern der Sprache entsprechen sollten, ist das natürlich ein Problem.
Aber zunächst einmal die vier Kriterien:
- Semantik (Bedeutung): Eine Abfolge von Morphemen, deren Gesamtbedeutung sich nicht aus den Einzelbedeutungen der Morpheme ergibt, ist ein Wort. Dieses Kriterium habe ich gestern auch nebenbei erwähnt.
- Morphologie (Wortstruktur): Ein Wort kann aus einem Morphem oder aus mehreren Morphemen bestehen, aber dieses Morphem/diese Abfolge von Morphemen darf nicht durch Flexionsaffixe unterbrochen werden.
- Phonologie (Lautstruktur): Ein Wort hat nur einen Hauptakzent (also nur eine stark betonte Silbe). Eine germanisierte Variante dieses Kriteriums habe ich gestern verwendet, um Nominalkomposita im Englischen unabhängig von ihrer Schreibweise zu definieren.
- Syntax (Satzstruktur): Ein Wort kann niemals durch syntaktische Regeln getrennt werden (seine Einzelteile dürfen in der Satzstruktur nie an unterschiedlichen Stellen stehen.
Die Kriterien sind nicht alle gleich gut.
Das erste Kriterium (Semantik) ist in dieser Form nur von sehr eingeschränktem Nutzen, denn es gibt tausende von Redewendungen, die (nach den ersten drei Kriterien) klar erkennbar aus mehreren Wörtern bestehen und deren Bedeutung sich trotzdem nicht aus der Bedeutung der Einzelteile ergibt — Idiome wie ins Gras beißen oder ein Fass aufmachen sind hier nur die Spitze eines Eisbergs, der aus der Sicht einiger Sprachwissenschaftler aus der Mehrzahl aller sprachlichen Ausdrücke besteht. Umgekehrt gibt es Morphemgruppen, die nach den anderen drei Kriterien eindeutig Wortstatus haben, deren Bedeutung sich aber relativ transparent aus den Einzelbedeutungen ergibt (ich habe gestern teapot, tea-house und tea bag erwähnt). Schließlich ist dieses Kriterium, anders als die anderen drei, relativ subjektiv.
Das zweite Kriterium (Morphologie) ist auch nur begrenzt anwendbar, da Sprachen außer Präfixen (≈„Vorsilben“) und Suffixen (≈„Nachsilben“) auch Infixe haben können, die genau dadurch charakterisiert werden, dass sie eben doch innerhalb von Wörtern stehen können.
Das dritte Kriterium (Phonologie) ist schon deutlich besser, aber es ist nicht ganz klar, ob es eine notwendige Bedingung ist („Wenn eine Gruppe von Morphemen ein Wort sein soll, darf sie nur einen Hauptakzent haben“) oder tatsächlich eine hinreichende („Wenn eine Gruppe von Morphemen nur einen Hauptakzent hat, ist sie ein Wort“). Letztere Fassung würde unserer Alltagsvorstellung von Wörtern stark widersprechen: Artikel (der, die das, ein, eine, usw), die fast in allen Kontexten unbetont sind, wären beispielsweise grundsätzlich Teil des Wortes, neben dem sie stehen (Dermann, eineschöne Frau oder sogar Eineschönefrau).
Das vierte Kriterium (Syntax) ist das Beste (als Grammatiker bin ich da vielleicht etwas voreingenommen), es entspricht meiner Meinung nach aber auch am ehesten dem, was wir im Alltagsverständnis unter Wörtern verstehen (die Sprachwissenschaft insgesamt entscheidet sich übrigens nicht einfach für eins der Kriterien, sondern erkennt stattdessen verschieden Arten von Wörtern an: phonologische Wörter, morphologische Wörter, syntaktische Wörter und semantische Wörter).
Lassen wir die Semantik und die Flexionsmorphologie einmal außer Acht und konzentrieren uns auf das dritte und vierte Kriterium. Das phonologische Kriterium ist noch relativ eindeutig: David Marjanović weist ja schon darauf hin, dass diese Wortkomplexe typischerweise nur einen Hauptakzent haben (der nicht auf dem Verb sondern auf dem anderen Morphem liegt). In sofern erfüllen diese Wortkomplexe die phonologische Voraussetzung für den Wortstatus, aber das heißt eben noch nicht, dass sie diesen Status auch wirklich erhalten müssen.
In manchen Fällen zeigt auch das syntaktische Kriterium in Richtung Wortstatus, nämlich dann, wenn die potenziellen Wortteile in der Satzstruktur immer zusammenstehenz.B. bei widersprechen:
(1a) Ich widerspreche dieser Behauptung.
(1b) *Ich spreche dieser Behauptung wider.
Hier ist klar, dass widersprechen zwar aus zwei Morphemen besteht (wider und sprechen, dass es sich aber um ein einziges Wort handelt, das deshalb auch zusammengeschrieben werden solle.
Wenn die beiden Morpheme nicht immer zusammenstehen, erfüllen sie das syntaktische Kriterium nicht, also sollten sie auch nicht zusammen geschrieben werden:
(2a) *Ich zusammensschreibe dieses Wort.
(2b) Ich schreibe dieses Wort zusammen.
Dass man nicht einfach dieser klaren Regel folgt, liegt daran, dass das syntaktische Kriterium zwar in sich stimmig ist, aber häufig zu unklaren Ergebnissen führt, wenn man es auf den Sprachgebrauch einer Sprachgemeinschaft anwendet.
• Es gibt Fälle, bei denen es deutliche Variation zwischen Sprechern gibt — z.B. bei dem von den Sprachnörglern so verhassten downloaden, bei dem manche Sprecher (3a) bevorzugen, und andere (3b):
(3a) Ich staubsauge.
(3b) Ich sauge staub.
• Es gibt sogar Fälle, bei denen es Variation innerhalb von Sprechern gibt — für mich klingen (3a) und (3b) gleich gut und ich würde beide benutzen, wenn ich Teppichboden und einen Staubsauger hätte.
• Es gibt Fälle, bei denen ein Wortkomplex manchmal strikt beienander steht und manchmal nicht. Bei einer transitiven Verwendung von staub saugen klingt auch für Sprecher, die (3b) bevorzugen, die getrennt stehende Variante deutlich schlechter:
(3a’) Ich staubsauge die Wohnung.
(3b’) ?Ich sauge die Wohnung staub.
• Es gibt Fälle, bei denen in potenziell trennenden Kontexten sowohl die zusammen stehende als auch die getrennt stehende Variante merkwürdig klingen:
(4a) ?Ich notlande das Flugzeug.
(4b) ?Ich lande das Flungzeug not.
Diese Variation zwischen und innerhalb von Sprechern und die Existenz von Wörtern, die irgendwo zwischen die beiden eindeutigen Kategorien fallen, ist für Orthografieschöpfer durchaus ernst zu nehmen. Sprache variiert immer regional, sozial, situational, usw. und Sprache ist auch immer im Wandel. Eine Orthografie hat zwei Möglickeiten: Sie kann diese Variation entweder anerkennen und auch in der Schreibung zulassen, oder sie kann Regeln wie „Im Zweifelsfall immer zusammen“ oder „Im Zweifelsfall immer getrennt“ erlassen. Wenn ich eine Meinung zu einer festen Regeln abgeben müsste, würde ich letztere für konsequenter halten.
Stattdessen hat man sich in der deutschen Ortografie dafür entschieden, das phonologische Kriterium zugrunde zu legen (das aber, wie ich hier argumentiert habe, nur eine Voraussetzung formuliert) und es dann mit einer halbherzigen Anwendung des syntaktischen Kriteriums und, zu allem Überfluss auch noch mit dem semantischen Kriterium zu vermischen. Daraus ist, wie nicht anders zu erwarten, ein extrem komplexes und relativ inkonsistentes Regelwerk entstanden (in dem z.B. zusammenschreiben zusammen und getrennt schreiben getrennt geschrieben werden soll). Immerhin lässt es in vielen Fällen Variation zu.
Aber eigentlich ist es völlig egal, wie diese Verben oder Verbkomplexe geschrieben werden. Das eigentlich spannende an ihnen ist ja gerade ihr vielschichtiges und verwirrendes phonologisches, morphologisches, syntaktisches und semantisches Verhalten. Sie sind in dieser verwirrenden Vielschichtigkeit ein Sinnbild für die Sprache insgesamt.
Und der Versuch, ihnen eine orthografische Logik aufzustülpen, ist ein Sinnbild für den Jahrtausende alten Wunsch, die unbändige und wildgewachsene Sprache einzufangen, vermeintliche Löcher darin zu stopfen, das ganze in Klarlack zu gießen und anderen Menschen über den Schädel zu schlagen.
Hm, ich hab irgendwie grade Probleme, der Definition von “morphologisches Wort” zu folgen… Heisst das, dass Flexionsendungen nicht zum “morphologischen Wort” gehören? Was ist mit derivationellen Morphemen? Sind “morphologische Wörter” dann einfach lexikalische Stämme und/oder Wurzeln? Was wäre dann ein “morphologisches Wort” in semitischen Sprachen wie Arabisch oder Hebräisch?
Oder anders gefragt: aus wie vielen und welchen “morphologischen Wörtern” würde “Kindergarten” bestehen?
Patrick Schulz (#1), ich habe keine Definition für „morphologisches Wort“ genannt, ich habe nur darauf hingewiesen, dass Sprachwissenschaftler „Wörter“ auf unterschiedlichen sprachlichen Ebenen definieren. Eine Definition, die mir als Ausgangspunkt relativ wenig kontrovers scheint, ist „ein Lexem mit allen seinen Flexionsffixen“ (formaler vielleicht etwas in der Richtung wie „ein freies Morphem plus alle ihm durch derivationelle und morphosyntaktische Operationen zugewiesenenen Merkmale“ o.ä.) — ungefähr so etwas wie eine Wortform. Das Wort aus typologischer Perspektive wird z.B. diskutiert in Dixon, R.M.W. und A.Y. Aikhenvald (Hgg., 2002). Word: A Cross-Linguistic Typology. Cambridge: Cambridge University Press.
Das -er- in Kindergarten ist möglicherweise kein Flexionssuffix, sondern ein Fugenelement, das aus einem Flexionssuffix entstanden ist.
David Konietzko (#3), es ist relativ unstrittig, dass -er- in Kindergarten ein Fugenelement und kein Flexionsaffix ist. Ach, und Patrick, Kindergarten ist EIN morphologisches Wort, ebenso wie Kindergärten und Kindergartens.
Was soll eigentlich “relativ inkonsistent” bedeuten?
Nörgler (#5), relativ bedeutet in diesem Zusammenhang, wie es das Bertelsmann-Wörterbuch so treffend formuliert, „im Verhältnis zur möglichen Gesamtmenge“. Die Gesamtmenge, um Ihnen die Nachfrage zu ersparen, ist dabei die Menge der auf der Grundlage der hier diskutierten Kriterien möglichen Regelwerke. Inkonsistent bedeutet, wiederum laut Wörterbuch, soviel wie „widersprüchlich“. Die Bedeutung der Phrase relativ inkonsistent ergibt sich kompositionell aus den Bedeutungen dieser beiden Wörter unter Berücksichtigung des Kontextes, sie bedeutet also etwa „im Verhältnis zur möglichen Gesamtmenge aller auf der Grundlage der hier diskutierten Kriterien möglichen Regelwerke eher widersprüchlich (aber nicht völlig widersprüchlich)“. Wer auf das rote Wort mit dem Strich darunter (einen sogenannten „Hyperlink“) geklickt hätte, hätte das Regelwerk übrigens selbst lesen und sich eine Meinung dazu machen können.
Irgendwie steh ich auf’m Schlauch… Wenn ein morphologisches Wort „ein freies Morphem plus alle ihm durch derivationelle und morphosyntaktische Operationen zugewiesenenen Merkmale“ ist, wie kann dann “Kindergarten” ein morphologisches Wort sein, besteht es doch aus zwei l‑morphemen (die zwar in dieser Kombination idiomatisch, also nicht semantisch kompositionell, verbunden, aber dennoch zwei eigenständige Lexeme sind, wegen mir durch ein Fugenelement ‑er verbunden)… Hängt das davon ab, ob man “Kindergarten” als exozentrisches Kompositum oder als Lexem betrachtet? Oder schließt “morphosyntaktische Operation” die Kompositumbildung mit ein? Ich glaube mein Problem ist, dass ich nicht so wirklich einen Unterschied zwischen morphologischem und syntakischem Wort sehen will…
Ah, schön. Aber zusammengehören wird auch reformiert nicht getrennt. Und lande ich wirklich ein Objekt not? Ich weiß nich …
Haben nicht in der Regel beide Schreibweisen ihre Berechtigung, weil sie zumeist auch zwei Bedeutungen realisieren? 1. ‘Er hat diesen Text dahingeschmiert’ (wie ich es jetzt stilistisch gerade tat) und 2. ‘Er hat diesen Text dahin geschmiert’ (in dieses schöne Blog nämlich). Also gehört doch nur ein gerüttelt Maß an ’sprachlicher Alltagsvernunft’ dazu, zwischen der Getrennt- und Zusammenschreibung bei den Verben sinnhaft zu unterscheiden, ohne dass deshalb jemals eine Schreibweise ‘falsch’ wäre: ‘Sie diese Wörter zusammen geschrieben’ vs. ‘Sie haben diese Wörter zusammengeschrieben’ …
#9
Habe ich jetzt irgendwelche Ironietags oder Tüttelchen übersehen? Spricht mein Redundanzator zu leicht an? — Na, dann setze ich mich doch lieber an mein wohl temperiertes Klavier!
Offtopic:
“Wir wandeln a copy of your email attachment für die Nutzung in Google Text & Tabellen um.”
Das sagte mir Google Mail gerade. Was für ein Spaß, das schicke ich sofort an die Freunde von der Aktion totes Deutsch. Jubel. Freu. Die werden Google zur Hölle fluchen :D…
Axel Stefanowitsch (#6):
Umgangssprachlich kann man alles mögliche sagen, etwa auch “einzigst”.
Legt man etwas höhere Maßstäbe der Logik an, so ist z.B. eine Regel entweder widersprüchlich oder sie ist es nicht. Sie kann aber nicht widersprüchlicher als eine andere sein.
Und wo liegt denn der Widerspruch zwischen zusammenschreiben und getrennt schreiben? Beide Fälle sind zwar ähnlich, aber doch unterschiedlich. Allenfalls eine oberflächliche Analogiebetrachtung kann dazu verleiten, hier einen “Widerspruch” zu sehen.
Noch etwas:
Seit jeher hat der Duden den Grundsatz vertreten: “In Zweifelsfällen schreibe man getrennt.”
Leider taugt das nichts als “feste Regel”, denn was ein Zweifelsfall ist, ist ja genauso unklar wie die Frage der Getrennt- oder Zusammenschreibung.
Ein Sammelwerk von Regeln kann aber selbstverständlich mehr oder weniger widersprüchlich sein, da wir über mehrere Einzelfälle quantifizieren *pfeif
Was ich damit sagen will — macht Ihnen das eigentlich Spaß?
Daß natürliche Sprache nur sehr bedingt etwas mit mathematisch genauer Logik zu tun hat, da es viel eher um kommunikative Kontexte als um absolute Wahrheiten geht — ja, das wird bei Ihnen wohl nicht ankommen.
P.Frasa (#13), ich war mir bislang nie ganz sicher, aber Nörglers aktuelle Kommentare haben meinen Verdacht bestätigt: er ist ein Troll, der nicht lesen kann/will, nichts zu sagen hat und dem das alles in der Tat Spaß macht. Er wäre ein perfekter Kandidat für ein Hausverbot, wenn es hier im Bremer Sprachblog so etwas gäbe.
Klaus Jarchow (#9), die bedeutungsunterscheidende Funktion der Getrenntschreibung bei Wörtern wie zusammenschreiben ist nicht viel mehr als ein orthografischer Zufall, der durch eine merkwürdige Tradition der Zusammenschreibung verursacht wird. Nach der allgemein anerkannten Auslegung der aktuellen Regeln ist es in der Tat so, dass die von Ihnen genannte Beispiele
(1a) Sie haben diese Wörter zusammen geschrieben, und
(1b) Sie haben diese Wörter zusammengeschrieben
signalisieren, dass in (1a) zwei (oder mehr) Menschen gemeinsam bestimmte Wörter geschrieben haben, während in (2b) ein (oder mehr) Mensch/en bestimmte Wörter ohne trennende Leerzeichen geschrieben haben.
Zufall ist das deshalb, weil (i) diese scheinbar bedeutungsunterscheidende Funktion schon dann verschwindet, wenn man den Satz syntaktisch umformt:
(2a) Zusammen sollten Sie diese Wörter nicht schreiben.
(2b) Schreiben Sie diese Wörter zusammen?
(2c) Wir schreiben alle Wörter zusammen.
(2d) Wie haben Sie diese Wörter geschrieben? Zusammen?
Und so weiter. Alle diese Sätze haben zwei Bedeutungen, die denen in (1a) und (1b) entsprechen, ohne dass sich diese Bedeutungen orthografisch niederschlagen. Genau diese Satzstellungsvarianten sind ja mein Argument dafür, dass zusammenschreiben nicht ein Wort ist, sondern zwei, und das es deshalb nie zusammen geschrieben werden sollte.
Hinzu kommt (ii), dass auch bei der von Ihnen verwendeten Satzstellung der Bedeutungsunterschied nur bei manchen Verben durch die Orthografie signalisiert wird:
(3a) Sie haben diese Wörter getrennt geschrieben (sie verwenden eben gerne Leerzeichen).
(3b) Sie haben diese Wörter getrennt geschrieben (sie saßen in verschiedenen Räumen).
Der Unterschied ist hier derselbe, wie in (1a) und (1b): getrennt bezieht sich einmal auf die Wörter, einmal auf die Schreiber. Trotzdem soll getrennt schreiben in beiden Fällen getrenntgeschrieben (Pardon: getrennt geschrieben) werden. Der Bedeutungsunterschied steckt also offensichtlich nicht in der Schreibweise, sondern in der syntaktischen/semantischen Struktur, die die Sprecher diesen Sätzen zuweisen.
Dirk (#8), aber zusammengehören sollte getrennt geschrieben werden, denn die Wörter gehören eben nicht — und das sieht man daran, dass ich beliebig viele andere Wörter dazwischen schreiben kann, begrenzt nur durch die Grenzen meiner Fantasie und die Aufmerksamkeit meiner geneigten Leser, die langsam wahrscheinlich genug vom Thema der Zusammen- und Getrenntschreibung haben — zusammen. Ob ich ein Objekt notlanden kann, oder nicht, ist noch nicht einmal entscheidend: die Merkwürdigkeit beider Stellungsvarianten lässt sich auch bei intransitiver Verwendung erzeugen:
(4) Wir müssen notlanden (unproblematisch, notlanden scheint ein ganz normales verbales Kompositium zu sein).
(5a) ? Wann notlanden wir?
(5b) ? Wann landen wir not?
Klingen beide nicht so richtig rund, und für keine der Varianten gibt es echte Googletreffer.
Auch aufgehen ist wegen der Trennbarkeit kein Wort im syntaktischen Sinne (Die Sonne geht jeden Tag frühmorgens auf). Wollen Sie wirklich, daß man Die Sonne ist auf gegangen schreibt?
Sie setzen stillschweigend voraus, daß man im Deutschen Zusammensetzungen zusammen und Wortgruppen getrennt schreibt. Das ist aber keineswegs selbstverständlich; in der Tat ist es einfach falsch, wie unzählige obligatorisch oder fakultativ zusammengeschriebene (zusammen geschriebene) Verbzusatztkonstruktionen beweisen. Theodor Ickler schreibt in seinem Kritischen Kommentar zur ›Neuregelung der deutschen Rechtschreibung‹:
(S. 48 dieser PDF-Datei)
Wenn man die Getrennt- und Zusammenschreibung nicht weitgehend freigibt (frei gibt), wie Theodor Ickler es in seinem Rechtschreibwörterbuch getan hat, dann verfängt man sich in einem Gestrüpp wirklichkeitsfremder Vorschreibereien, die dann doch keiner befolgt.
Genau!
@14 (Anatol Stefanowitsch) Diese rein syntaktische Argumentation würde ja bedeuten, alle Partikelverben (heißen doch so, oder?), die vielen finiten Formen getrennt werden, auseinanderzuschreiben, also z.B. beitreten, vorgehen, absagen usw. Halte ich so erstmal für nicht so gut (als ein Leser und Schreiber, der inituitiv auch irgendwelche semantischen Kriterien zu haben scheint). Oder sie sind einfach ein Zeichen, daß auch das syntaktische Kriterium nicht allein hinreichend ist, um eine adäquate Leerzeichensetzung zu motivieren.
David Konietzko (#15), stillschweigend setze ich das nicht voraus — Ich schreibe doch eindeutig zu Beginn meines Beitrags: „Wenn man der Meinung ist, dass orthografische Wörter (also Sequenzen aus Buchstaben und Bindestrichen, die nicht durch andere Interpunktionszeichen oder Leerzeichen unterbrochen sind) immer tatsächlichen Wörtern der Sprache entsprechen sollten…“. Wenn man dieser Meinung nicht ist, dann erübrigt sich der Rest der Diskussion — es gibt dann keinen besonderen Grund, sich über Zusammen-/Getrenntschreibung Gedanken zu machen. Dass es in der Orthografie des Deutschen derzeit kein solches Prinzip gibt, ist doch ebenso klar: wenn es das gäbe, hätte ich mir diesen Beitrag sparen können. Das Zitat des Kollegen Ickler beschreibt den Ist-Zustand, der sich auf nichts stützt außer auf orthografische Traditionen. Sicher, Wortgruppen werden im Deutschen oft zusammen geschrieben. Das heißt aber nicht, dass das sinnvoll sein muss. Das gilt (dies auch an derBert [#16]) natürlich auch für Partikelverben. Ich will ja die Rechtschreibung gar nicht reformieren, sie ist mir im Prinzip völlig egal — aber wenn man ernsthaft linguistische Kriterien anlegt, sehe ich keinen vernünftigen Grund dafür, Verben und Verbzusätze irgendeiner Art zusammen zu schreiben (außer in den Fällen, in denen sie sich morphosyntaktisch als Einheiten verhalten). Ich kenne auch niemanden, der so einen Grund nennen kann. Ickler kommt dem in dem von Ihnen zitierten Papier nahe, wenn er schreibt:
Er spricht hier eine „Intuition der Schreibenden“ an. Wenn es eine solche Intuition gäbe, wäre sie ein ernstzunehmender Faktor in der Diskussion. Ich sehe aber keine Evidenz für eine solche Intuition. Kennen Sie eine Studie, die diese Intuition belegt? Das wäre wirklich interessant. Solange die Annahme einer solchen Intuition aber auf persönlichen Eindrücken beruht, kann ich auch den gegenteiligen Eindruck vertreten, dass es eine „Intuition der Schreibenden“ gibt, Nominalkomposita getrennt zu schreiben (sonst gäbe es kaum das Wort „Deppenleerzeichen“). Meine kleine Tochter, die noch mitten im Erwerb schriftsprachlicher Normen steckt, zeigt auf jeden Fall keine natürliche Tendenz, Wörter wie hochspringen oder weglaufen zusammen zu schreiben. Wenn es eine solche Intuition wirklich gäbe, würde die Zusammen- und Getrenntschreibung sich ohnehin von alleine Regeln — so wie es keine Rechtschreibregel braucht, die besagt, dass das Verb in deutschen Hauptsätzen an zweiter und in Nebensätzen an letzter Stelle steht, bräuchte es auch für die Zusammen- und Getrenntschreibung keine Regel, da jeder Muttersprachler des Deutschen die Regeln unbewusst kennen würde. Hier geht es m.E. nicht um sprachliche Intuitionen, sondern um Lesegewohnheiten. Und Gewohnheiten sind keine Argumente.
P.Frasa (#13):
Man sollte besser nicht über Dinge spekulieren, über die man nichts weiß. Ich glaube kaum, daß Sie beurteilen können, was bei mir ankommt oder nicht.
Ich bin allerdings der Meinung, daß an diejenigen, die ständig die Monstranz der Sprachwissenschaft vor sich hertragen, die anderen vorwerfen. “ein sehr verkümmertes Verständnis von Bedeutung” zu haben, die sich auf Gottlob Frege und die Unterscheidung von Sinn und Referenz berufen, schon etwas höhere Maßstäbe sprachlicher und logischer Präzision gestellt werden dürfen. Einige maßgebliche Teilnehmer an diesem Forum sind offenbar sehr stark im Austeilen, aber sehr schwach im Einstecken.
ARGH! Ich bin ja schon ruhig! 😀
Natürlich kann sie — wenn sie mehr innere Widersprüche enthält als eine andere.
Dem stimme ich sogar zu (…obwohl ich es nicht so arrogant formuliert hätte, um ehrlich zu sein). Zusammenschreiben sollte man mit auseinanderschreiben vergleichen, nicht mit getrennt schreiben, und zwar deswegen, weil — für mich jedenfalls! — auseinander trotz seiner vier Silben ein Präfix ist, getrennt dagegen nicht. Ich habe allerdings keine Ahnung, ob das z. B. bis hinauf nach Bremen gilt…
Moment…
Völliger Blödsinn, siehe unten.
Die Beispiele 1a und 1b spreche ich aber trotzdem nicht gleich aus, und 3a und 3b auch nicht. (Ich schaffe es also doch, getrennt als Präfix zu verwenden; ich bin es nur nicht gewöhnt. Bin ich froh, dass ich Deutsch als Muttersprache habe und es daher nicht lernen muss — es ist so schon verwirrend genug!!!) Darüber stolpere ich beim Lesen rechtschreibreformierter Texte regelmäßig.
Erlösung: Wann tun wir notlanden! Ja, ich weiß, “tun” tut man nicht tun 😉
Aber “tun wir notlanden” wird von Google auch nicht gefunden. 🙁
Müssen wir wohl dabei bleiben, eine Notlandung zu machen.
…
Ich meine, eine Notlandung machen zu tun :-p .
David Marjanović:
Aus der Logik weiß man, daß aus einem Widerspruch alles folgt — also auch beliebig viele weitere Widersprüche. Daraus ergibt sich, daß eine Menge von Aussagen nur entweder widerspsruchsfrei oder widersprüchlich sein kann, aber eben nicht “widersprüchlicher” als anderes.
Nun weiß ich natürlich, daß man umgangssprachlich von Widersprüchen spricht, wo man eher so etwas wie Ungereimtheiten meint. Ich habe ja auch nichts dagegen, sich so auszudrücken, solange man nicht gleichzeitig den Anspruch hoher Wissenschaftlichkeit erhebt.
Worum es mir eigentlich geht, ist davor zu warnen, vorschnell (oder, wenn Sie so wollen, “arrogant”) Ungereimtheiten oder “Widersprüche” anzunehmen, wo vielleicht ein tieferer Sinn herrscht, den man nur nicht sofort versteht. Ein solcher Fall scheint mir eben die unterschiedliche Schreibung von “zusammenschreiben” und “getrennt schreiben” zu sein.
Ähnlich steht es mit Bildungen mit “aneinander” oder “auseinander”. Zwei enge Freunde können “aneinander hängen” oder ständig “aneinander denken”, zwei Kettenglieder können üblicherweise nur “aneinanderhängen”.
Zum Verb “notlanden”:
Jeder, der sich auch nur oberflächlich mit diesem Gegenstand befaßt hat, weiß, daß es im Deutschen Verben gibt, die nur in bestimmtem Zeitformen auftreten. Dazu gehören “notlanden”, “seiltanzen”, “bauchtanzen” usw., usw. Eine Google-Suche ergibt schnell Belege für “notlanden”, “notgelandet” und “notzulanden”, aber kaum für “ich lande not” oder ähnliches. Woran das genau liegt, weiß ich ich auch nicht, jedenfalls ist es so. Das hat mit der Rechtschreibung nichts zu tun; das ist eine Tatsache der gesprochenen Sprache.
> […]aber kaum für “ich lande not” oder ähnliches. Woran das genau liegt, weiß ich ich auch nicht, […]
Das dürfte auch mit der Äußerungssituation zu tun haben. Wer gerade am notlanden ist, denkt vermutlich an andere Dinge, als dies googlebar schriftlich festzuhalten. 😉
Man kann aber problemlos quantifizieren wieviele Elemente aus der Menge der Aussagen entfernt werden müssen, damit diese Aussagen widerspruchsfrei werden. Durch diese Quantifizierung macht das Wort “widersprüchlicher” sofort Sinn — die Formulierung “macht Sinn” ist Absicht — und es wird normalerweise auch in diesem Sinne verwendet.
An sich lässt sich sich ihre Argumentation auf beliebige Adjektive anwenden:
Etwas kann “grün” oder “nicht grün” sein, aber nicht “grüner”.
Etwas kann “schmerzhaft” oder “nicht schmerzhaft” sein, aber nicht “schmerzhafter”.
Etwas kann “groß” oder “nicht groß” sein, aber nicht “größer”.
Damit habe ich kein Problem — ich spreche das nicht gleich aus.
PWND!
@Anatol Stefanowitsch (#17):
Daß kleine Kinder das Schreiben erst lernen müssen und dabei anfangs viele Fehler machen, versteht sich von selbst und ist kein Gegenargument gegen die Existenz einer “Intuition der Schreibenden”. Auch diese Intuition muß eben erlernt werden. Das ist bei der gesprochenen Sprache und der Grammatik nicht anders. Kleine Kinder müssen das Sprechen auch erst lernen und machen dabei anfangs viele Fehler, z.B. bei den unregelmäßigen Verben.
Warum in aller Welt sollte man Unterscheidungen, die man beim Sprechen macht, nicht auch beim Schreiben machen? Jeder versteht sehr klar den Unterschied zwischen “ZUSAMMENarbeiten” und “zusammen ARBEITEN”. In der gesprochenen Sprache wird die Unterscheidung durch die Betonung, in der Schrift durch Zusammen- oder Getrenntschreibung verdeutlicht. Wenn “Lesegewohnheiten” kein Argument sind, warum sollten Sprechgewohnheiten eines sein?
Es ist richtig, daß diese Bedeutungsunterscheidung bei anderer Wortstellung im Satz nicht möglich ist. Das gilt gleichermaßen für die gesprochene wie für die geschriebene Sprache. Daß eine solche Bedeutungsunterscheidung in bestimmten Fällen — schriftlich wie mündlich — nicht möglich ist, ist aber kein hinreichendes Argument dafür, diese Unterscheidung dort, wo sie möglich ist, nicht zu machen.
Es wäre ja wohl zu schön um wahr zu sein, wenn “die Sprachwissenschaft” sich darüber einig wäre, was ein “Wort” ist und welche “linguistischen Kriterien” dabei anzulegen wären. Daher erscheint es mir sehr mutig, auf Grund eines von verschiedenen denkbaren Kriterien darüber zu urteilen, was in der Rechtschreibung sinnvoll ist oder nicht. Daß man “keinen vernünftigen Grund sieht” heißt noch lange nicht, daß es keinen gibt.
Soso. ymmd
Korax koraki philos
@Nörgler (25): Und στου κουφού την πόρτα όσο θέλεις βρόντα. Ich hoffe aber, der Blogmeister versucht es trotzdem weiterhin. Vielleicht verstehen Sie es ja irgendwann doch noch…
Dem stimme ich zu, aber da sollte ich erwähnen, dass es bereits solche Fälle gibt. Ein Beispiel ist [‘]umgehen — ein Gespenst geht um — im Unterschied zu um[‘]gehen — ich umgehe ein Hindernis.
Qualitativ ist die deutsche Rechtschreibung genauso blödsinnig wie die englische, obwohl sie quantitativ um Größenordnungen gnädiger ist.
Es wäre ein interessanter Versuch, einmal herauszufinden, inwiefern Maschinen die Rechtschreibung beeinflussen, siehe z.B. Googles Empfehlungen zur Zusammenschreibung von Ausdrücken wie “Auto fahren” ( Verbgefüge/Substantivierung ) . Wenn wir davon ausgehen, dass Maschinen keine Intuition haben, aber Menschen beeinflussen, was ist dann von der sinnstiftenden Funktion menschlicher Intuition zu halten?
@Frank Oswalt (#28):
Was denn eigentlich?