Vor ein paar Wochen habe ich mir gewünscht, dass meine Bücher eines Tages bei Forbidden Planet neben denen von Noam Chomsky in der Abteilung „Counter Culture“ stehen mögen. Dies brachte mir folgenden Kommentar von Sprachblogleser/in „Morphologiemolch“ ein:
Schönes Foto, nur hätte ich gedacht, dass gerade hier im Sprachblog auffallen würde, dass das obere Schildchen sich eher für einen ganz anderen Gag anbietet. Hier hat man doch mal einen Fall, wo im Englischen die Getrennt- oder Zusammenschreibung wirklich bedeutungsunterscheidend ist. Und die richtige Bedeutung wurde da gerade verfehlt!
Das getrennt geschriebene “counter culture” würde im Englischen THEKENKULTUR bedeuten! Jedenfalls gemäß der in diesem Zusammenhang schönsten Übersetzung des Nomens “counter”.
Das englische Wort für GEGENKULTUR schreibt sich “counterculture”.
In diesem Kommentar stecken mehrere Annahmen, die aus der Perspektive der deutschen Orthografie zwar gerechtfertigt sind, die aber für das Englische nicht gelten und deren Richtigstellung einen schönen Anlass bietet, den Zusammenhang zwischen einer Orthografie und der Sprache, die sie repräsentiert, zu diskutieren.
Dieser Zusammenhang ist selbst bei großzügiger Betrachtung grundsätzlich recht locker. Das gilt vor allem für die Frage der Zusammen- oder Getrenntschreibung und es gilt für das Englische noch viel mehr als für das Deutsche.
Zunächst einmal ist die Frage zu klären, woran man (im Englischen, um das es hier ja geht) erkennt, ob man es mit einem zusammengesetzten Wort (einem Kompositum) zu tun hat, oder mit zwei einzelnen Wörtern, die zwar in einem grammatischen Zusammenhang stehen, aber trotzdem eigenständig bleiben. In den meisten Fällen ist das einfach: Komposita werden überwiegend nach dem für die germanischen Sprachen typischen Muster auf der ersten Silbe betont, was zur Folge hat, dass das zweite Wort im Kompositum seine eigenständige Betonung verliert. Bei Wörtern, die nur grammatisch aufeinander Bezogen sind, ist das nicht der Fall — sie behalten ihre eigenständige Betonung.
Ein beliebtes Beispiel ist das Wort blackboard („Tafel“): es spricht sich [BLACK board], wobei Großbuchstaben die betonte Silbe kennzeichnen. Hört man dagegen [BLACK BOARD], weiß man, dass es sich hier nicht um ein Kompositum handelt. Das hat in diesem Fall Konsequenzen für die Bedeutung: die ist beim [BLACK board], der Tafel, nicht transparent — eine Tafel ist mehr als ein schwarzlackiertes Brett (häufig ist sie nicht einmal schwarz). Sprecher müssen das Kompositum zusammen mit seiner Bedeutung in ihrem mentalen Lexikon speichern. Das ist beim [BLACK BOARD], das aus zwei unabhängigen Wörtern besteht, nicht der Fall: hier ergibt sich die Bedeutung aus den Bedeutungen der einzelnen Teile (Sprachwissenschaftler sagen: die Bedeutung ist „kompositionell“). Ein [BLACK BOARD] ist wirklich nur ein Brett, das schwarz ist.
Nun könnte man glauben, der Unterschied habe etwas mit der Orthografie zu tun: schließlich wird das blackboard („Tafel“) zusammen geschrieben, das black board („schwarzes Brett“) aber nicht. Das ist aber Zufall: andere Komposita werden getrennt geschrieben (z.B. dead end „Sackgasse“), bei wieder anderen ist beides möglich oder verschiedene Varietäten bevorzugen unterschiedliche Schreibweisen (z.B. lowlife [amerik. Englisch] und low life [brit. Englisch], „Abschaum“).
Zusammen- und Getrenntschreibung ist bei englischen Komposita also grundsätzlich nicht bedeutungsunterscheidend — im Gegensatz zur Betonung (einer von vielen Gründen, warum Sprachwissenschaftler Betonung interessanter finden als Rechtschreibung).
Man könnte auch vermuten, dass die Zusammen-/Getrenntschreibung etwas mit der Art des Kompositums zu tun hat. Die Beispiele oben bestanden alle aus einem Adjektiv und einem Substantiv. Vielleicht ist die Schreibung bei Substantiv-Substantiv-Komposita klarer geregelt?
Nein. Auch hier findet sich eine bunte Mischung von Zusammen- und Getrenntschreibung. Selbst, wenn wir uns auf das britische Englisch beschränken finden wir im Cambridge Online Dictionary teapot („Teekessel“), tea-house („Teehaus“) und tea bag („Teebeutel“). Was man an diesen Wörtern außerdem sieht, ist, dass auch Komposita relativ kompositionelle Bedeutungen haben können — auch das unabhängig von ihrer Schreibweise.
Mit diesem Hintergrundwissen können wir uns nun wieder dem Kommentar von Morphologiemolch zuwenden: die Bedeutung „Thekenkultur“, die er für counter culture vorschlägt, lässt sich tatsächlich ableiten: sie ergibt sich kompositionell aus den Substantiven counter („Theke“) und culture („Kultur“). Das gleiche würde aber für die Schreibweise counterculture gelten, wenn wir counter als Substantiv interpretieren — weder die Kompositionalität eines Kompositums noch die Wortarten der beteiligten Wörter haben ja etwas mit der Schreibweise zu tun.
Der Bedeutungsunterschied „Thekenkultur“/„Gegenkultur“ ergibt sich aus der Wortart des ersten Gliedes: wenn wir counter als Adjektiv (mit der Bedeutung „entgegengesetzt“) interpretieren, erhalten wir die gewünschte Lesart „Gegenkultur“ — wiederum unabhängig davon, ob wir das Wort zusammen oder getrennt schreiben, denn auch Adjektiv-Substantiv-Komposita folgen ja hier, wie wir oben gesehen haben, keiner festen Regel.
Aber wie ist es nun mit der Gegenkultur? Sie könnte im Englischen sowohl getrennt als auch zusammen geschrieben werden, aber wie wird sie denn tatsächlich geschrieben?
Es kommt darauf an. Amerikanische Wörterbücher bevorzugen mehrheitlich die von Morphologiemolch genannte Schreibweise counterculture: Merriam-Webster, Heinle, MSN Encarta und das American Heritage Dictionary sind sich hier einig. Britische Wörterbücher bevorzugen dagegen mehrheitlich die Schreibweise counter-culture. Das hat aber wiederum nichts mit einer allgemeinen britischen Vorliebe für Bindestriche bei Wörtern mit counter zu tun: während das Cambridge Online Dictionary counter-argument, counter-culture, counter-espionage, counter-revolution und counter-suit mit Bindestrich geschrieben sehen möchte, sollen counterattack, counterattraction, counterblast, counterinsurgency und counterintelligence darauf verzichten.
Die Getrenntschreibung ohne Bindestrich findet sich weder in britischen noch in amerikanischen Wörterbüchern, sie ist aber, wenn man Google glaubt, in Großbritannien weit verbreitet: nach meiner Schätzung (eine genaue Zählung ist technisch nicht möglich) führt counter culture auf .uk-Webseiten mit 44 Prozent vor counterculture mit 42 Prozent. Das von den Wörterbüchern gewünschte counter-culture muss sich mit 15 Prozent begnügen. Auf amerikanischen Webseiten (.us) führt dagegen klar counterculture mit 67 Prozent vor counter-culture mit 17 und counter culture mit 15 Prozent.
Was die Schreibweise des Wortes counterculture angeht, bestätigt sich wieder einmal Oscar Wildes Bemerkung, dass Großbritannien und die USA durch ihre gemeinsame Sprache getrennt sind.
Aus sprachwissenschaftlicher Perspektive gibt es übrigens einen klaren Ratschlag für die Regelung der Zusammen- und Getrenntschreibung: es sollte orthografisch zusammenwachsen, was morphologisch zusammen gehört — so, wie es im Deutschen wenigstens bei substantivischen Komposita durchgängig der Fall ist.
In diesem Sinne: einen schönen Tag der deutschen Einheit.
WordPress versteht keine regulären Ausdrücke und hat in der URL aus “counter[- ]?culture” einfach “counter-culture” gemacht. So kann man die Sache natürlich auch entscheiden.
@ Frank Oswald: Die Erklärung ist falsch. WordPress entfernt aus der URL Zeichen, die dort nicht auftauchen dürfen. Dazu zählen auch [ , ] und ?.
Den Trend, das auf die Verben zu verallgemeinern, hat es ja auch gegeben, aber bizarrerweise mag die neue Rechtschreibung das nicht. Ich wäre z. B. nie auf die Idee gekommen, “zusammengehören” auseinanderzuschreiben; oder betont das wirklich jemand auf der fünften statt auf der zweiten Silbe?
um ganz genau zu sein: sie können nicht “einfach so” verwendet werden. Das Fragezeichen leitet z.B. angehängte Variablen ein. An anderer Stelle darf es nicht auftauchen.
Obwohl ich natuerlich wusste, was Sie meinten, muss ich Ihnen doch sagen das der Begriff Thekenkultur beim Lesen mir sofort in den Sinn kam, wegen der unerwarteten Trennung. Ich wohne seit 50 Jahren in USA. Das koennen Sie wohl von meiner Ausdruckweise sehen.
Was soll eigentlich die Aussage “Zusammen- und Getrenntschreibung ist bei englischen Komposita also grundsätzlich nicht bedeutungsunterscheidend” bedeuten? Be dem erwähnten Beispiel blackbird/black bird ist sie doch offenkundig bedeuungsunterscheidend. Ist vielleicht “Zusammen- und Getrenntschreibung ist bei englischen Komposita also nicht grundsätzlich bedeutungsunterscheidend” gemeint?
Nörgler (#6), wer ernsthaft glaubt, der Bedeutungsunterschied zwischen blackbird und black bird habe etwas mit der Zusammen-/Getrenntschreibung zu tun, hat den Beitrag offensichtlich nicht besonders aufmerksam gelesen.
Axel Stefanowitsch (#7):
Sie wollen doch nicht etwa ernsthaft behaupten, die unterschiedlichen Schreibungen blackbird und black bird hätten nichts mit ihrer unterschiedlichen Bedeutung zu tun? Warum schreibt man diese Ausdrücke denn sonst unterschiedlich?
@ Nörgler: Ich vermute ja fast, du erlaubst dir hier einen Scherz.
Es geht darum, wie Komposita im Englischen geschrieben werden. “black bird” ist gar kein Kompositum. Es gilt das selbe, wie für “black board”.
Aus Tradition. Aus demselben Grund also, weshalb man teapot, tea-house und tea bag schreibt.
Das Englische hat schon Rechtschreibregeln, aber sie treffen nicht viel öfter als in 85 % aller Fälle zu.
@chodo:
Ihre Vermutung ist falsch. Mir ist vollkommen ernst.
Durch die unterschiedlichen Schreibungen blackbird und black bird wird verdeutlicht, daß beide Ausdrücke unterschiedlich ausgesprochen werden und zugleich Unterschiedliches bedeuten. Es gibt sehr viele Fälle dieser Art im Englischen. Daß diese alle auf einem bloßen “Zufall” beruhen, ist prima facie doch höchst unwahrscheinlich.
@David Marjanović:
Tradition ist schon besser als reiner Zufall. Aber woher stammt denn wohl diese Tradition? Die große Zahl vergleichbarer Fälle im Englischen legt doch die Vermutung nahe, daß hier eine starke Regelmäßigkeit vorliegt und daß diese unterschiedlichen Schreibungen der Bedeutungsunterscheidung dienen.
Das Beispiel “tea bag” ist nicht einschlägig, da hier überhaupt kein Bedeutungsunterschied erkennbar ist. Auch “teabag” würde genau das gleiche bedeuten. Entsprechend könnte man ohne weiteres “tea pot” schreiben, ohne irgend ein Mißverständnis befürchten zu müssen. Dies legt den Schluß nahe, daß die Zusammenschreibung bei blackbird und den vielen vergleichbaren Fällen nicht der Kennzeichnung der Betonung oder des kompositionalen Charakters dient, sondern eben der Kennzeichnung der Bedeutung.
Im übrigen sind Sie anscheinend sehr optimistisch, was die Regelmäßigkeit der englischen Orthographie betrifft. Ich hätte auf sehr viel weniger als 85% getippt.
Deswegen habe ich eine Quelle angegeben, die allen Ernstes nachrechnet. Einfach draufklicken. Es gibt viele Regeln, die auf sehr wenige Fälle überhaupt zutreffen könnten und die wahrscheinlich den meisten Muttersprachlern nicht nur nicht bewusst, sondern völlig unbekannt sind, aber es gibt sie.
Schon, aber eben keine auch nur annähernd vollständige Regelmäßigkeit.
@David Marjanović (#12)
Ich hatte schon “draufgeklickt”. Allerdings befaßt sich diese Quelle ausschließlich mit der Laut-Buchstaben-Zuordnung und nicht mit der noch viel unklareren Zusammen-Getrennt-Bindestrichschreibung im Englischen. Hierbei unterscheiden sich nicht nur englische und amerikanische sondern auch die jeweiligen Wörterbücher untereinander. Ein amerikanisches Stilbuch empfiehlt deshalb, darüber gar nicht erst nachzudenken, sondern im Wörterbuch nachzuschlagen.
Die genannten Beispiele von Zusammensetzungen (oder Nicht-Zusammensetzungen) von Adjektiv und Substantiv erscheinen mir nicht ohne weiteres einschlägig. Dead end wird z.B. auf dem zweiten Bestandteil betont, ist also bei Zugrundelegung des Betonungskriteriums gar kein Kompositum, wie z.B. auch blue jeans. Bei lowlife/low life müßte zunächst die tatsächliche Betonung untersucht werden. Es wäre ja durchaus denkbar, daß der beobachtete Unterschied in der Schreibung auf einen Unterschied in der Betonung zurückzuführen ist. Übrigens führt das Oxford Concise Dictionary beide Schreibungen, allerdings mit unterschiedlichr Bedeutung, an.
Ein einschlägiges Beispiel wäre m.E. dagegen blue jay, das trotz Betonung auf dem Erstglied getrennt geschrieben wird. Ich will jetzt — der genannten Empfehlung folgend — nicht darüber spekulieren, warum das so ist.
Jedenfalls ist bei derartigen Zusammensetzungen von Adjektiv und Substantiv im Englischen durchaus eine Regelmäßigkeit zu beobachten. Auch wenn diese Regelmäßigkeit nicht “annähernd vollständig” ist, so erscheint es mir stark übertrieben, von bloßem “Zufall” zu sprechen.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie man zwischen Zusammensetzung und fester, idiomatischer Verbindung unterscheiden soll. Im Deutschen gibt es das orthographische Mittel, solche Verbindungen durch Großschreibung zu kennzeichnen: Roter Milan oder Schneller Brüter. Im Englischen gibt es diese Möglichkeit nicht ohne weiteres. Im Deutschen könnte man dafür an sich auch Zusammensetzungen bilden: Rotmilan und Schnellbrüter. Wegen weitgehend fehlender Flexion wäre eine Unterscheidung dieser Fälle im Englischen — außer durch die Betonung — nicht möglich.
Vlelleicht liegt darin einer der Gründe dafür, daß die Getrennt- und Zusammenschreibung im Deutschen — trotz aller Unklarheiten und (scheinbaren?) Ausnahmen — klarer geregelt erscheint als im Englischen.
Dann sind wir uns ja einig. Ich rede nicht von Zufall, sondern von Tradition.
Sicher.
@David Marjanović (#14):
Ich freue mich, daß wir uns auch einmal einig sind.
Allerdings lege ich doch Wert auf die Feststellung, daß ich mir das Wort “Zufall” nicht aus den Fingern gesogen habe.
In Ihrem einleitenden Beitrag haben Sie geschrieben:
“Nun könnte man glauben, der Unterschied habe etwas mit der Orthografie zu tun: schließlich wird das blackboard („Tafel“) zusammen geschrieben, das black board („schwarzes Brett“) aber nicht. Das ist aber Zufall: andere Komposita werden getrennt geschrieben (z.B. dead end „Sackgasse“).….”.
In Ihrem Beitrag #10 sprechen Sie von Tradition. Damit wird die Frage aber nur in die Vergangenheit verlagert, zu der Frage nämlich, ob diese Tradition bloß auf historischen Zufällen beruht, oder ob es einsichtige Gründe dafür gibt.