Ich habe gerade im Deutschlandradio Kultur ein Interview mit dem britischen Journalisten Andrew Jennings gehört, dessen Spezialität Korruption im internationalen Sport ist. Jennings hatte viel Interessantes — und wenig Nettes — über das Internationale Olympische Kommitee zu sagen. Unter anderem sprach er darüber, dass nach dem letzten großen Korruptionsskandal hauptsächlich IOC-Mitglieder mit dunkler Hautfarbe ihrer Ämter enthoben wurden. Und dann sagte der Sprecher, der Jennings’ Worte ins Deutsche übersetzte, etwas Merkwürdiges:
Viele mächtige IOC-Mitglieder, zum Beispiel aus dem Kaukasus, blieben dagegen verschont.
Ich bin überrascht. Ich wusste nicht, dass das IOC von Mitgliedern aus dem Kaukasus dominiert wird. Ich vermute deshalb, dass es sich um einen Übersetzungsfehler handelt (das Interview war voll davon): ich nehme an, Jennings sprach von Caucasian IOC members, und damit meinte er mitnichten Menschen aus dem Kaukasus. Nein, Caucasian ist in der englischsprachigen Welt die politisch korrekte Bezeichnung für „Weiße“.
Eigentlich schade. Eine kaukasische Verschwörung hätte den schon aufgrund ihres Austragungsortes skandalösen Olympischen Spielen noch mehr politischen Unterhaltungswert verliehen. So ist es wieder nur eine Verschwörung alter, weißer Männer. Wie langweilig.
Hinsichtlich des “politischen Unterhaltungswertes” und irgendwelcher Kaukasus-Konspirations-Konstrukte wirst Du angesichts der anstehenden Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi ganz sicher auch ohne Übersetzungsfehler noch auf Deine Kosten kommen. 😉
Apropos weiße Verschwörung, neulich bin ich auf ein Interview mit Lothar Bisky gestoßen, wo ich folgenden Abschnitt vernahm:
“Ist zum Beispiel die Talksendung von Sabine Christiansen Zerstreuung?
Bisky: Aber selbstverständlich. Das ist Politik so wie früher die White-Colour-Society: der Angestellte in Berlin, der redlich seine Ärmelschoner anhat — so kann er sich die Welt vorstellen. Wunderbar, alles angenehm, alles toll. Die Talkshow ist das bronzene Denkmal vom Ende der Aufklärung!”
Nachdem ich die Verantwortlichen darauf hinwies, dass Bisky sich wahrscheinlich nicht auf Apartheid bezieht, sondern auf die Berufsklassen, wurde “White-Colour-Society” schnell zu “White-Collar-Society” geändert.
Was ist das Problem?
Da verwendet jemand im Deutschen “kaukasisch” mit der Bedeutung “von weißer Hautfarbe”. Dies entlehnt er dem Englischen. Es handelt sich also um eine ganz normale Form von Sprachwandel, an dem das Deutsche schon nicht zugrunde gehen wird …
Schon länger her, daß dies Apercu durch das politische Berlin ging: “Erst der Tatort, dann Christiansen. Der Sonntagabend im Ersten gehört ganz dem Fiktionalen.”
Jan: Eine einzelne falsche Verwendung eines Wortes löst noch keinen Bedeutungswandel aus. Etwas anderes wäre es natürlich, wenn das Wort regelmäßig in diesem Sinne gebraucht würde, dann wäre es auch nicht mehr falsch.
@3, Jan
Du hast ansich recht (imho), soweit es um die mögliche Entlehnung von “kaukasisch” geht. Allerdings wurde das Original eben nicht mit “kaukasisch” übersetzt, sondern mit “aus dem Kaukasus”, was wohl eben keine Entlehnung ist.
@ 3: So eine Bedeutung muss ohnehin erst einmal etabliert werden. Das ist sie im Deutschen mitnichten und damit erklärungswürdig. Des weiteren besteht bei uns imo gar kein Bedürfnis, das so zu umschreiben.
Hätte gern noch gewusst, warum das eigentlich so ist? Fragte ich mich schon oft 🙂
@FB:
http://en.wikipedia.org/wiki/Caucasian_race#Origins_of_the_term
@Jan: Dein Versuch, den deskriptivistischen Ansatz durch Übertreibung ins Lächerliche zu ziehen, ist ziemlich billig… Demnach müsste auch “empholen” (8200 Google-Treffer!) oder “Emphelung” (3760) als Sprachwandel akzeptiert werden. Im Übrigen: Wieviel wollen wir darauf wetten, dass der dolmetschende Reporter tatsächlich irrtümlich angenommen hat, hier seien z.B. Georgier oder Armenier gemeint? Angesichts der Tatsache, dass er nicht (naheliegend) “Caucasian” gesagt hat, sondern “aus dem Kaukasus”, bin ich mir da ziemlich sicher — “from the Caucasus” ist mitnichten ein Synonym von “Caucasian”…
Danke 😀