Corax hat vor ein paar Tagen in einem Kommentar darauf hingewiesen, aber der Anlass erfordert ein offizielles Willkommen: das deutsche Alphabet hat einen neuen Buchstaben.
Das seit über hundert Jahren diskutierte versale („große“) Eszett wurde schon Anfang April in den Unicode aufgenommen — in der Version 5.1 des internationalen Standards für Zeichensätze hat es die Position U+1E9E erhalten. Am 23. Juni hat die ISO das neue Zeichen nun auch zur internationalen Norm mit der Kennzeichnung ISO/IEC 10646 erhoben.
Eine neue Rechtschreibreform ist für das große Eszett bislang nicht geplant, die offiziellen Regeln wollen das ß in der Großschreibung nach wie vor durch SS ersetzt sehen.
Wer das neue Zeichen trotzdem schon verwenden will, dem sei der freie und kostenlose Zeichensatz Linux Libertine empfohlen, ein sehr ansehnlicher TrueType-Zeichensatz, der natürlich trotz seines Namens auch unter Max OS X, Windows und anderen TTF-fähigen Betriebssystemen läuft.
Um das neue Zeichen auch tatsächlich tippen zu können, muss man natürlich seine Tastaturbelegung anpassen oder einen entsprechenden Treiber installieren. Bei Signographie gibt es entsprechende Tastaturtreiber für Mac OS X und Windows.
Wieso hat das deutsche Alphabet einen neuen Buchstaben, nur weil die ISO irgendwas zur Norm erhebt? Hat die ISO irgendeine Legitimation, über das deutsche Alphabet zu befinden?
Das ist ja noch absurder, als würde ich mir von der KMK vorschreiben lassen, wie ich meine Muttersprache zu schreiben habe …
@Buntklicker: “Hat die ISO irgendeine Legitimation, über das deutsche Alphabet zu befinden?”
Ja.
@Frank: Aha. Welche? Das würde mich interessieren.
Ich bin ja kein Sprachwissenschaftler, deswegen verwende ich bestimmt die falsche Terminologie, aber für mich hat nur die Gemeinschaft der Sprachbenutzer die Legitimation, die Sprache (in all ihren Facettten) zu verändern. Hätte sich ein großes “ß” im Gebrauch eingebürgert, könnten und sollten Institutionen wie die ISO den veränderten Sprachgebrauch “nachmormieren”. Keineswegs aber kann und sollte Sprachnormung versuchen, den Status Quo initiativ zu verändern. (Ich glaube verstanden zu haben, daß unser Gastgeber grundsätzlich in ähnliche Richtungen denkt.)
So neu ist das nicht: Das Versal-Eszett “…wurde sogar in den 1960er Jahren auf dem Bucheinband der Duden-Ausgabe (Der große Duden) der ehemaligen DDR verwendet…” (http://www.gunnardonis.de/typografie1.html)
und ist wurde in Bleisatzschriften seit mindestens 1909 gefunden.
Sicher gibt es noch frühere Vorkommen. @ Stefanowitsch: Wie wäre es mit einem Preisausschreiben für das älteste nachgewiesene Versal-Eszett?
Buntklicker, in Bezug auf Orthografie bin ich weder Präskriptivist noch Deskriptivist, sondern Agnostiker mit gelegentlicher Tendenz zum Apathiker. Ich sehe vernünftige, praktische Gründe für eine einheitliche (von mir aus staatlich verordnete) Rechtschreibung, aber andererseits habe ich großes Vertrauen in die Macht des ungeordneten Sprachgebrauchs. Auf den aktuellen Fall bezogen muss ich aber sagen, wenn schon alle anderen Buchstaben als Majuskel und Minuskel existieren, warum sollte das Eszett eine Ausnahme sein? Insofern begrüße ich das versale Eszett und werde es verwenden, sobald mein Lieblingszeichensatz Liberation es beinhaltet.
Nochfrüher?, die Geschichte des versalen Eszett ist so gut dokumentiert, dass ich bezweifle, dass da eine neue Entdeckung kommen würde.
Ich freue mich sehr über den neuen alten Buchstaben, und mit mir sicher die typografische Welt. Wenn ein Wort, dass mit Eszett geschrieben wird, dieses in Versalien auf einmal verliert, wirkt das immer sehr seltsam und verwirrend, zumindest für mich. Maße = MASSE. @ Buntklicker: Diejenigen, die das am meisten betrifft, sind die Typografen. Viele von denen haben sich ein großes Eszett gewünscht. Jetzt haben Sie es bekommen. Mit den Sprachbenutzern hat das wohl eher weniger zu tun, insofern man die Typografen und Designer nicht auch als Sprachbenutzer bezeichnet. Zudem bleibt es ja nach wie vor dabei, dass das Doppel‑S bei Versialien geschrieben werden muss, zumindest von dem, der sich an die amtliche Regelung halten will (§ 25 E3).
Bleibt nur noch zu hoffen, dass sich die Form mit der Spitze oben rechts nicht durchsetzt. Wäääh.
@Buntklicker: die Bundesrepublik hat das Deutsche Institut für Normung damit beauftragt, deutsche Normen zu entwickeln, festzulegen und zu überwachen, diese Normen in der ISO zu vertreten und umgekehrt ISO-Normen in deutsche Normen zu überführen. Die ISO ist ein Zusammenschluss nationaler Normungsinstitutionen, erhält seine Legitimation also unter anderem vom DIN, das sie wiederum vom Bundestag hat.
Ich halte das wiedermal für eine völlig überflüssige Entscheidung! Hat sich jemand schonmal überlegt, was die Implementierung kostet? Wiedermal eine neue Version der Zeichensätze, viellicht noch neue Keyboards usw.
DAS IST SINNLOSE GELDVERSCHWENDUNG!
Die Lokalisierung ist eine der grossen Erbsünden in der IT. Kostet unendlich Geld und bringt nur bedingt was. Besser wäre gewesen alles US 7 BIT ASCII umzustellen.
Hallo,
Zitat:
Zitat Ende
Das sehe ich nicht so. Eine Norm ist kein Gesetz! Deshalb kann weder das DIN noch die ISO etwas “vorschreiben”.
Es bleibt einem frei sich an die Normen (DIN/ISO) zu halten oder nicht. Genauso wie man sich nicht an den Duden bzgl. der Rechtschreibung halte muss(!).
Natürlich wird man schwer anecken wenn man sich nicht an den Duden hält, und das nicht nur in der Schule. Aber genauso kann ich zum Beispiel Schrauben produzieren die nicht dem DIN-Standard entsprechen, nur dann hat man ein Problem seinen Käufern zu erklären, das die Schrauben trotzdem passen. Was man, wenn man DIN-gerecht produziert, nicht hat.
Es mag sein das sich der deutsche Bundestag bzgl. Alphabet an die ISO bzw. an das DIN hält, aber ist unser Alphabet eine Norm?
Sehe das so wie “Buntklicker”, Zitat: Zitat Ende
Ich denke es ist die Gesellschaft für deutsche Sprache? Sie hat doch auch die neue Rechtschreibung eingeführt?
Freundliche Grüße
Ich hätte mal eine praktische Frage: Habe Font und Treiber installiert, korrekte Tastaturbelegung und Schriftart ausgewählt (diesen Tipp brauche ich also nicht), bekomme aber ums Verrecken kein Versal‑ß zu sehen — bei mir erscheint das spanische, auf dem Kopf stehende Fragezeichen. Liegt das an Word 2003? Klappt aber (mit ALTGR-SHIFT‑ß …) auch in keinem anderen bei mir installierten Programm.
Weiß jemand Rat?
Doch nicht im Ernst.
Kann gut sein.
Äh… nein…
@Wolfgang Hörnig-Groß:
Es wäre vermutlich einen Versuch wert, den Systemzeichensatz auf UTF‑8 zu stellen.
Allerdings funktioniert es auch in Powerpoint 2007 nicht — und das ist ja der letzte Schrei von MS …
Herr Hömig-Groß,
Word 2003? Ist das so etwas ähnliches wie OpenOffice Writer?
Nein, ernsthaft: haben Sie versucht, das Eszett über “Sonderzeichen einfügen” (oder wie der entsprechende Menüpunkt bei Word heißt) einzufügen? Wenn das nicht geht, liegt es an Word oder Windows, wenn es geht, liegt es vermutlich am Treiber.
So, jetzt kommt die Auflösung:
Alles mein Fehler, denn irgendwie habe ich die falsche Schriftart installiert, Liberation statt Libertine. Obwohl ich ja eigentlich nur dem Link im Post gefolgt bin. Und mit Libertine gehts …
@papa_tj: klang interessant, aber obwohl ich meine, mit XP recht hurtig zu sein, habe ich eine solche Option nirgendwo gefunden. In einigen Editoren kann ich das verstellen, aber nicht systemweit. Egal, war ja auch was anderes …
@AS: Word 2003 ist tatsächlich so was Ähnliches wie Writer — weiß ich zufällig genau, weil ich privat auch OpenOffice benutze 😉