Im Blog Paper Cuts der New York Times fragt sich Steve Coates, ob Kennedys berühmter Satz „Ich bin ein Berliner“ zwingend so etwas bedeutet wie „Ich bin ein mit Marmelade gefüllter Krapfen/Pfannkuchen“, und ob er nicht eigentlich hätte sagen müssen Ich bin Berliner. Anscheinend ist dies eine Frage, die schon seit langem diskutiert wird — Coates zitiert den Verfasser von Kennedys Rede, Ted Sorensen, wie folgt:
The last line of the … speech, in which the American president identified himself with the citizens of Berlin, was its most famous and beloved. It set off a 15-minute ovation, despite the fact that it contained — I have been repeatedly told — an unintentionally humorous grammatical error, for which I take responsibility. “Ich bin Berliner” means “I am a Berliner.” Inserting the word “ein” before “Berliner” (I presumably thought it was necessary to include the article “a”) means, in common German parlance, “I am a jelly doughnut.” … It was not long before mail began to pour into my office pointing out my mistake, and it has not entirely stopped.
Die letzte Zeile der Rede, in der der [U.S.-]amerikanische Präsident sich mit den Bürgern Berlins identifizierte, war die berühmteste und beliebteste. Sie führte zu fünfzehnminütigen Ovationen, ob wohl sie — worauf man mich immer wieder hinweist — einen unabsichtlich komischen grammatischen Fehler enthielt, für den ich die Verantwortung übernehme. „Ich bin Berliner“ bedeutet „I am a Berliner“. Wenn man das Wort „ein“ vor „Berliner“ einfügt (ich dachte wohl, es sei notwendig, einen Artikel zu verwenden), bedeutet der Satz im deutschen Sprachgebrauch „I am a jelly doughnut“ („Ich bin ein Marmeladenpfannkuchen“). … Es hat nicht lange gedauert, bis mein Büro mit Briefen überflutet wurde, in denen man mich auf meinen Fehler aufmerksam machte, und das hat bis heute nicht völlig aufgehört.
Steve Coates versucht nun, hreauszufinden, ob der Satz tatsächlich einen „grammatischen Fehler“ enthält und in dieser Form nur die Bedeutung „Ich bin ein Marmeladenpfannkuchen“ haben kann. Er interviewt dazu den amerikanischen Germanisten Michael Jennings von der Universität Princeton, der zunächst darauf hinweist, dass Äußerungen normalerweise mehrdeutig sind. Dann kommt er zur eigentlichen Frage:
After you wrote to me, I did a bit of informal research myself — talking to lots of friends in Berlin. And their responses were all over the map. Certainly the most common and accepted way to say “I’m a resident of Berlin” is “Ich bin Berliner,” i.e. without the indefinite article. But, for many speakers, it is by no means incorrect or ungrammatical to say “Ich bin ein Berliner.” Some of my respondents in fact applauded Kennedy on his nuanced use of German, since for them the sentence without the indefinite article implies that the speaker is a native Berliner, while the sentence with “ein” suggests either more recent residence in Berlin or even solidarity with its inhabitants (which was clearly Kennedy/Sorenson’s intention).
Nachdem Sie mir geschrieben haben, habe ich ein wenig informelle Forschung betrieben — ich habe mit vielen Freunden in Berlin gesprochen. Und deren Antworten waren breit gestreut. Die üblichere und akzeptierte Art auszudrücken, dass man ein Einwohner Berlins sei, ist „Ich bin Berliner“, ohne den indefiniten Artikel. Aber für viele Sprecher ist es keineswegs falsch oder ungrammatisch, „Ich bin ein Berliner“ zu sagen. Einige meiner Gesprächspartner haben Kennedy sogar für seine nuancierte Ausdrucksweise im Deutschen gelobt, da für sie der Satz ohne indefiniten Artikel impliziert, dass der Sprecher gebürtiger Berliner ist, während der Satz mit „ein“ entweder suggeriert, dass der Sprecher erst seit kurzem in Berlin wohnt oder soar, dass er nur Solidarität mit den Einwohnern ausdrücken will (was ja klar Kennedys/Sorensons Absicht war).
Dann weist er noch darauf hin, dass in Berlin selbst der Begriff Berliner „nicht notwendigerweise“ im Sinne von „marmeladengefüllte Teigware“ verwendet wird. Da ich selbst gebürtiger Berliner bin, kann ich hier einen Schritt weiter gehen — der Begriff Berliner wird in Berlin überhaupt nicht auf Teigwaren angewendet — Berliner heißen dort Pfannkuchen. Die anwesenden Berliner konnten Kennedys Satz also unmöglich falsch verstehen.
Aber interessanter ist die Frage, was der Unterschied zwischen den beiden Sätzen in (1) und (2) ist:
(1) Ich bin Berliner
(2) Ich bin ein Berliner
Zunächst ein wenig Terminologie: diesen Satztyp bezeichnet man als Kopulasatz, die Nominalphrase, die der Kopula (dem „Hilfsverb“ sein) folgt, nennt sich Prädikatsnomen. Ein ist ein indefiniter Artikel.
Es ist wohl unstrittig, dass (1) die „normale“ Art ist, sich als Bürger Berlins zu klassifizieren. Die Duden-Grammatik beschreibt die Verwendungsbedingungen dieser artikellosen Variante des Kopulasatzes wie folgt:
Gleichsetzungsnominative, mit deren die Zugehörigkeit zu einer sozial etablierten und anerkannten Gruppe (Nationalität, Herkunft, Beruf, Funktion, Weltanschauung, Religion, gesellschaftlicher Status usw.) angegeben wird, werden vor allem nach den Verben sein, werden und bleiben ohne Artikel angeschlossen: Er ist Engländer. Er ist Berliner. Sie wird Lehrerin. Er bleibt Junggeselle. [Duden-Grammatik, §561]
Damit ist auch klar, dass (1) sich nur in außergewöhnlichen Situationen auf Pfannkuchen beziehen kann, da Pfannkuchen im allgemeinen keine etablierte oder anerkannte Gruppe sind. Wenn ich aber zum Beispiel in einem Theaterstück mitspielen würde, in dem Pfannkuchen und Laugenbrezeln sich eine apokalyptische Schlacht um die Frage „Süß oder Salzig“ liefern, könnte ich natürlich sagen Ich bin Pfannkuchen, denn Pfannkuchen wäre im Kontext dieses Theaterstücks zu einer Bezeichnung für eine etablierte Gruppe geworden.
Aber was ist mit (2)? Ich stimme Jennings’ Informanten zu, dass der Satz zwar (außerhalb seines historischen Zusammenhangs) ungewöhnlich aber nicht ungrammatisch ist, egal, ob damit Pfannkuchen oder Bürger unserer Hauptstadt gemeint sind. Aber in den Fällen, wo er sich auf letztere bezieht, müsste er eine andere Bedeutung haben als (1). Den Unterschied zwischen „gebürtigen“ und „kürzlich zugezogenen“ Berlinern, den Jennings’ Berliner Freunde sehen, finde ich interessant, aber nicht ganz überzeugend. Meinem Sprachgefühl nach kann ich von mir durchaus sagen: Ich bin Bremer, obwohl ich erst seit ein paar Jahren und auch nur unter der Woche in Bremen wohne. Ich kann eine multiple regionale Identität ausdrücken, indem ich sage: Ich bin Berliner, Hamburger und Bremer. Wenn die artikellose Variante auf gebürtige Bürger einer Stadt beschränkt wäre, wäre das unmöglich.
Es muss mit (2) also etwas anderes (oder mehr) auf sich haben. In der Literatur habe ich dazu nicht viel gefunden (obwohl ich vermute, dass da etwas zu finden wäre). Der Potsdamer Sprachwissenschaftler Peter Eisenberg schreibt in seinem legendären Grundriss der deutschen Grammatik dazu folgendes:
In [der artikellosen Variante] liegt die vom Prädikatsnomen bezeichnete Klasse objektiv fest, sie ist vom Umfang her nicht infrage zu stellen. Damit hat der Kopulasatz die Funktion, die Zugehörigkeit von Karl zu dieser Klasse festzustellen. In [der Variante mit Artikel] hat er eher die Funktion, Karl einer Klasse zuzuordnen und damit den Umfang dieser Klasse, der nicht in gleicher Weise festgelegt ist wie in [der artikellosen Variante], mit zu bestimmen. [Eisenberg, Grundriss, S. 463]
Diese Passage ist aufgrund ihrer Kürze nicht ganz leicht zu erschließen, ich würde sie aber wie folgt interpretieren: In „normalen“ Kopulasätzen, in denen dem Prädikatsnomen ein Artikel vorangestellt ist, wird der Referent des Subjekts einer Klasse zugeordnet, die sich über bestimmte Eigenschaften definiert. Diese Zuordnung geschieht, weil der Referent diese Eigenschaften teilt. In diesem Sinne kann die Klasse anhand ihrer Mitglieder bestimmt werden. Wenn ich von mir sagen würde: Ich bin ein Pfannkuchen, würde ich damit ausdrücken, dass ich die Eigenschaften eines Pfannkuchens habe — entweder im übertragenen Sinne, oder, wenn ich tatsächlich ein sprechender Pfannkuchen wäre, wortwörtlich. Wenn ich aber von mir sage: Ich bin Pfannkuchen, drücke ich damit, wie oben gesagt, aus, dass ich zu einer Gruppe gehöre, die nicht über ihre Eigenschaften definiert ist, sondern über die Tatsache, dass ihre Mitglieder etablierterweise zu dieser Gruppe gehören.
Um das noch einmal zu illustrieren, bevor wir zu den Berlinern zurückkehren: ich kann sagen: Ich bin Professor, weil das Land Bremen mich in diesen Stand erhoben hat. Mit Eigenschaften hat das nur bedingt zu tun: ich habe viele Kollegen, die dieselben Eigenschaften haben, wie ich (sie forschen, lehren und prüfen, sie beteiligen sich an der akademischen Selbstverwaltung, sie haben die gleichen Qualifikationen, usw.), die aber keine Professoren sind, da sie noch nicht auf eine Professur berufen wurden.
Was bedeutet das für den Satz in (2)? Wir sehen nun, dass das Merkwürdige an diesem Satz die Tatsache ist, dass Berliner eine Kategorie ist, die sich nicht über gemeinsame Eigenschaften definiert, sondern über eine konventionelle Mitgliedschaft (man muss in Berlin wohnen oder dort geboren sein, um zu dieser Kategorie zu gehören). Wenn ich sage: Ich bin ein Berliner, tue ich aber plötzlich so, als sei Berliner eine Kategorie, die sich über bestimmte Eigenschaften definiert, die ich teile. Solche Eigenschaften gibt es ja in der Alltagsmythologie auch: man sagt den Berlinern beispielsweise eine raue Schlagfertigkeit nach (die „Berliner Schnauze“). Diese Eigenschaften stellt der Satz Ich bin ein Berliner in den Vordergrund.
Das will ich nicht einfach so behaupten, und deshalb habe ich mich auf die Suche nach Belegen gemacht: ich habe bei Google nach verschiedenen Adjektiven gesucht, die in den Suchmustern “ich bin ein _____ Berliner/Hamburger/Münchner” bzw. “ich bin _____ Berliner/Hamburger/Münchner” vorkommen. Einigie dieser Adjektive bezogen sich auf die bloße Kategoriezugehörikeit (gebürtig, zugezogen und zugereist) andere bezogen sich auf die „typischen“ Eigenschaften dieser Kategorie (waschecht, echt, typisch):
Adjektiv | mit Artikel | ohne Artikel |
waschecht | 237 | 80 |
echt | 200 | 10 |
typisch | 11 | 1 |
gebürtig | 57 | 7300 |
zugezogen | 13 | 12 |
zugereist | 4 | 4 |
Die Ergebnisse sind eindeutig, was „typische“ und „gebürtige“ Einwohner angeht: erstere bevorzugen die Variante mit Artikel, letztere die ohne. Das stützt meine Vermutung. Interessant ist aber auch, dass bei den „zugezogenen“ Einwohnern keine der beiden Varianten klar bevorzugt wird. Das könnte dafür sprechen, dass Zugezogene sich alternativ als zugehörig über etablierte Mitgliedschaft oder als zugehörig über gemeinsame Eigenschaften betrachten.
Auf jeden Fall aber hat Kennedy, wie Jennings andeutet, genau die richtige Variante gewählt, denn ihm ging es tatsächlich darum, eine typische Berliner Eigenschaft hervorzuheben, über die sich jeder Mensch auf der Welt als zur Klasse der Berliner zugehörig definieren könne. Hier ist das berühmte Zitat im Zusammenhang:
Freedom is indivisible, and when one man is enslaved, all are not free. When all are free, then we can look forward to that day when this city will be joined as one and this country and this great Continent of Europe in a peaceful and hopeful globe. When that day finally comes, as it will, the people of West Berlin can take sober satisfaction in the fact that they were in the front lines for almost two decades. All free men, wherever they may live, are citizens of Berlin, and, therefore, as a free man, I take pride in the words “Ich bin ein Berliner.”
Freiheit ist unteilbar, und wenn auch nur ein Mensch versklavt ist, dann sind alle nicht frei. Wenn alle frei sind, dann können wir dem Tag entgegen sehen, an dem diese Stadt und dieses Land und dieser große Kontinent Europa in einer friedlichen und hoffnungsvollen Welt geeint sein werden. Wenn dieser Tag endlich gekommen ist, und er wird kommen, dann können die Bürger West-Berlins nüchterne Zufriedenheit daraus gewinnen, dass sie zwanzig Jahre lang an der Front gestanden haben. Alle freien Menschen, wo auch immer sie leben mögen, sind Bürger Berlins, und deshalb bin ich als freier Mann stolz darauf, sagen zu können: „Ich bin ein Berliner“.
(Via Paperpools)
EISENBERG, P., H. GELHAUS, H. HENNE, H. SITTA und H. WELLMANN (1998): Grammatik der deutschen Gegenwartssprache (6. Auflage), Mannheim: Dudenverlag.
EISENBERG, P. (2006): Grundriss der deutschen Grammatik: Der Satz (3. Auflage). Stuttgart: J.B. Metzler.
Ich bin ein Schwabe. Und der Schwabe sagt ja auch “der Peter” und “die Maria” und “der Helga ihre Mutter”. Die Schwaben lieben eben die Artikel. Was, wenn Kennedy im Herzen mehr Schwabe als Berliner war? 😉
Meine persönliche Intuition ist allerdings, dass man auch im Süddeutschen Raum “Professor” und nicht “ein Professor” ist. Bei Zugehörigkeiten zu Wohnorten aber sehr oft “ein Tübinger”, “ein Münsinger”, etc. Mangels Verfügbarkeit größerer Korpora des Schwäbischen bleibt es bei einer Intuition.
Google als Korpus ist übrigens auch nicht ungefährlich. Die Trefferzahlen sind äußerst grobe Abschätzugen und tagesformabhängig.
Was die Pfannkuchen angeht: Der schwäbische Berliner ist rautenförmig und heißt Fasnetsküchle. Er wird, wie der Name sagt, in der Zeit der schwäbisch-allemanischen Fastnacht (Fasnet) verspeist.
Die Ergebnisse sind eindeutig, was „typische“ und „gebürtige“ Einwohner angeht: erstere bevorzugen die Variante mit Artikel, letztere die ohne. Das stützt meine Vermutung. Interessant ist aber auch, dass bei den „zugezogenen“ Einwohnern keine der beiden Varianten klar bevorzugt wird. Das könnte dafür sprechen, dass Zugezogene sich alternativ als zugehörig über etablierte Mitgliedschaft oder als zugehörig über gemeinsame Eigenschaften betrachten.
Das halte ich für zu kurz gedacht. Ich denke eher, dass es sich hier eher um eingebürgerte Redewendungen handelt. “Ich bin gebürtiger…” oder “Ich bin ein waschechter…” sind einfach etablierte Konstrukte, welche relativ häufig verwendet werden. Die Sätze “Ich bin (ein) zugezogener …” und “Ich bin (eine) zugezogene …” sind zu selten, als dass sich eine Variante wirklich hervorheben kann. Daher ist man sich unsicher welche Version man nun verwenden will. Welche Variante nun verwendet wird schieb ich jetzt mal regionalen Gepflogenheiten zu. Aber aus dieser Sprachnuance etwas über das Zugehörigkeitsgefühl von Zugezogenen zu schließen halte ich für schlichtweg abstrus und nicht wirklich haltbar.
Das gilt für den gesamten oberdeutschen Sprachraum, falls ich nicht aufgrund der späten Stunde Hoch- und Oberdeutsch verwechselt habe. In meinem Dialekt z. B. sind solche Artikel obligatorisch, sogar mit nicht zählbaren Nomen.
Hat den keiner in Betracht gezogen, dass Kennedy möglicherweise genau darauf hinaus wollte? Vielleicht war es Selbstironie. Er war ja auch ein ziemlich aufgeblasener Pfannkuchen. Wie die Kuba-Krise historisch verklärt wurde… einfach nur traurig.
@Paul Wix: “Ich denke eher, dass es sich hier eher um eingebürgerte Redewendungen handelt.”
Diese Sätze als “eingebürgerte Redewendungen” zu bezeichnen setzt aber eine recht eigenwillige Definition von “Redewendung” voraus. Aber selbst, wenn es so wäre — die Frage ist doch, warum sich diese Variante eingebürgert hat. Und das erklärt man nicht mit Allgemeinplätzen wie “das sind einfach etablierte Konstrukte, welche relativ häufig verwendet werden” sondern mit plausiblen, nachvollziehbaren Analysen. Haben Sie eine, die besser ist, als die hier vorgeschlagene?
Nicht?
Dachte ich mir.
@ Frank Oswalt
Sie haben Recht. Ich habe keine bessere Erklärung. Ich bin auch kein Sprachwissenschaftler, lediglich jemand, der an Sprache interressiert ist. Ich finde die These, warum sich diese Sätze durchgesetzt haben auch völlig plausibel und in Ordnung. Meine Kritik setzt eher an der darauffolgenden Schlussfolgerung an, dass Menschen, die in eine Stadt gezogen sind und sich entweder auf Grund gemeinsamer Eigenschaften oder des bloßen Wohnortes der Stadt verbunden fühlen, aus diesem einen Grund den Artikel verwenden oder nicht. Ich glaube aber, dass der Effekt, dass man in seiner alltäglichen Sprache eher dazu neigt auf oft Gehörtes zurückzugreifen, als neue Konstruktionen zu bastelt, hier eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. Vielleicht haben sich Konstruktionen wie “Ich bin ein waschechter…” etabliert, da der Artikel im Satz genau seine Bedeutung unterstreicht. Das halte ich für möglich. Allerdings glaube ich auch, das diese Konstruktion auch zu einem gewissen Teil zum Selbstläufer geworden ist, die man schon so oft gehört hat, sodass es einem schwer fällt den Satz ohne Artikel zu sprechen. Dies ist meiner Meinung nach bei den Sätzen mit “zugegzogenen” noch nicht der Fall, da, wie ich glaube, sie zu selten benutzt werden, als dass man sich an ihren Klang richtig gewöhnen könnte. Da der Faktor des Selbstläufers fehlt, fehlt auch die sprachliche Dominanz eines bestimmten Falls. Dieses Fehlen der Dominanz einer Konstruktion der anderen gegenüber, würde ich nicht dahingehend deuten, dass speziell die Zugezogenen sich wahlweise auf die eine oder die andere Art einer Stadt verbunden fühlen, denn ich denke, dass es diesen Unterschied im Zugehörigkeitsgefühl bei allen Menschen in einer Stadt gibt, nicht nur bei den Zugezogenen. Nicht zu Unrecht steht die Fomulierung im Text auch im Konjuktiv. Ich würde mich auch davor hüten einem Sprecher den einen oder den anderen Fall zu unterstellen, nur weil er einen Artikel benutzt oder nicht. Solche Überlegungen kann man vielleicht in der Masse anstellen, aber am Einzelfall betrachtet mutet man dem Sprecher doch sehr viel sprachliches Feingefühl zu, wenn man daraus wirklich etwas aus seinem Zugehörigkeitsgefühl schließen will.
Mein erster Gedanke war der von DrNI — ich stamme aus dem Rhein-Main-Gebiet und fand bislang überhaupt nichts Seltsames an dem Satz “Ich bin ein Berliner”. Vielleicht gibt es also auch in diesem Fall regionale Unterschiede, ähnlich der Verwendung des bestimmten Artikels vor Vornamen. Dennoch kann ich die unterstellten (hochsprachlichen) Bedeutungsnuancen gut nachvollziehen, danke für die interessante Abhandlung.
Berliner.
Amerikaner.
Hm… Liegt es daran dass ich Schweizer bin, dass mir Kennedys Satz eher sogar geläufiger vorkommt als die die Variante ohne Artikel? Ich sage von mir spontan eher ich sei “ein” Schaffhauser, als Schaffhauser… Ich glaube, auf Schweizerdeutsch wäre das die Regel und das andere eher die Ausnahme… Aber sicher bin ich mir nicht. Verwirrende Sprache 🙂
Thank you for the through discussion of this topic! As an American learning German in the 1980s, I was taught that saying “Ich bin ein Amerikaner” was a grave grammatical error, with the “jelly doughnut” story as “proof”. Looking back on this now, I wonder who inflicted this silliness upon all of us American German learners.
In English, I would say that the expression “I am an American”, as compared to omitting the “an”, is a bit more emphatic along the lines of the argument here: I identify with the values of America and am proud of the U.S. In this respect, German and English seem fairly common.
Using the much loved Google method, “I am an American” is twice as popular as “I am American”. Could it be that this has to do with identity politics and nationalism? I am currently reading Winnetou II, and Karl May writes repeatedly in the voice of Old Shatterhand: “Ich bin ein Deutscher.” May was clearly very proud of his “Germanness” and what it represented to him (being educated, against slavery, being honest) in a way that I think would be almost hard to imagine today.
Nachdem ich meinen anderen Beitrag geschrieben hatte, dachte ich, dass vielleicht diese Dudenregel in Bezuf auf das Weglassen des Artikels was relativ neues in der Geschichte der deutschen Sprache ist. Zumindest im Wörterbuch der Brüder Grimm gibt es keine Regel wie im Duden. Im Eintrag für das Wort “ein” (Bd. 3, Sp. 132) betrachten sie eine Formulierung ohne Artikel als “dringlicher, mahnender”. Aber es steht auch da, dass Lessing den Artikel bevorzugt hat.
.…
du bist edelmann, geistlicher! scheint dringlicher, mahnender gesprochen, es fällt stärkeres gewicht auf den gehalt des wortes als wenn ihn der beigefügte artikel verallgemeinert: du bist ein edelmann, ein geistlicher.
8) fast wie vor jenem edelmann beurtheile man den stehenden oder fehlenden artikel vor volksnamen. es heiszt sowol er ist Engländer, Spanier, Franzose, Jude als er ist ein Engländer u. s. w., französisch läszt sich nur sagen il est Anglais, Français, ohne un, wogegen stehen musz c’est un Français, Anglais, wie nach unserm es ist nothwendig ein Franzose, Engländer, eben weil durch ce und es die vorstellung etwas unpersönliches und allgemeines annimmt. die gewöhnliche nachdrucklose bezeichnung hat immer ich bin ein Hesse, Sachse, Schwab, doch im pl. wir sind Hessen, Sachsen. auch LESSING pflegt überall den artikel vorausgehen zu lassen:
ein Jude wie ein Jude.
2, 270;
dasz Recha eine Christin ist.
294;
dasz sie eine Christin geboren sei.
Dem Wort “Berliner” für ein in Fett schwimmend gebackenes und anschliessend mit Marmelade gefülltes ballförmiges Gebäck bin ich erst in der Schweiz begegnet. In Bayern hiess das gleiche Gebäck Krapfen. Allerdings kannte ich ein “Amerikaner” genanntes Kleingebäck (Dr. Oetker Schulkochbuch 1951) etwa handtellergross, in der Mitte leicht erhaben und das ganze mit Zuckerguss bestrichen.
In Österreich auch.