Zu den letzten paar Beiträgen hier im Sprachblog haben sich interessante Diskussionen entsponnen, an der sich neue und alte Sprachblogleser rege beteiligen. Das freut mich natürlich und ich werde über die nächsten Wochen verschiedene Aspekte dieser Diskussionen aufgreifen und genauer diskutieren um (noch) deutlicher zu machen, wo aus meiner Sicht die Unterschiede zwischen einem sachlichen und einem sprachnörglerischen Umgang mit Sprache liegen (ein „sachlicher“ Umgang muss dabei übrigens nicht unbedingt sprachwissenschaftlich sein — es gibt ja eine Reihe von Disziplinen und Berufsgruppen, die sich professionell mit Sprache beschäftigen).
Aus zwei Kommentaren zum letzten Beitrag möchte ich hier aber kurz schon einmal einen Aspekt aufgreifen.
Andreas schlägt eine Theorie der nicht-überlappenden Wissensbereiche (eine Art sprachnörglerische Version von Gould’s NOMA) vor:
Ich meine, dass Sprachkritiker (genauer: Sprachgebrauchkritiker) wie Herr Sick einerseits und Sprachwissenschaftler andererseits keine Konkurrenz darstellen, da sie unterschiedliche Felder ‘beackern’. Da, wo sich Sprachwissenschaftler wegen ihres Berufsverständnisses aus der Debatte heraushalten (müssen), springen Kritiker wie Herr Sick ein, denn unzweifelhaft besteht ein großer Bedarf in der Bevölkerung nach Sprachgebrauchssicherheit, den Linguisten nicht decken können (oder dürfen).
Natürlich stehen Sprachwissenschaftler und Sprachnörgler nicht in Konkurrenz zueinander: erstere beschreiben und erklären, wie Sprache funktioniert, letztere denken sich „Regeln“ aus (oder klauen sie von anderen Sprachnörglern), reden den Mitgliedern ihrer Sprachgemeinschaft sprachliche Minderwertigkeitskomplexe ein und verkaufen ihnen ihre ausgedachten „Regeln“ dann als Lösung. Da gibt es in der Tat keine Überschneidung. (Andreas greift einen weiteren interessanten Aspekt auf, den ich mir für einen zukünftigen Beitrag aufhebe).
Sprachgebrauchssicherheit ist in den meisten Funktionsbereichen der Sprache eine reine Fiktion (Wolfgang Hömig-Groß hat hier ganz richtig die Benimmregeln, die wir mit dem Namen Knigge assoziieren, in die Diskussion gebracht). Die Sprachnörgler bedienen sich dieser Fiktion, aber tatsächlich haben sie nichts zum Thema beizutragen. Es gibt tatsächlich ein paar sprachliche Funktionsbereiche, in denen gewisse gesellschaftliche Konventionen herrschen, die sich unter anderem auch auf den Sprachgebrauch auswirken — man denke an förmliche schriftliche Sprache, z.B. in Bewerbungsschreiben, in Sachtexten, in Verträgen, in Bedienungsanleitungen, usw. Diese Konventionen stellen einen komplexen Wissensbereich dar, in dem es viele Regeln gibt, von denen wenige absolut sind. Zum Glück gibt es Profis (Fachautorinnen und Texter, Fachlektoren und Fachübersetzerinnen, usw.) auf deren Wissen und Erfahrung man hier zurückgreifen kann — auf einen Sprachnörgler würde man sich hier wohl nicht verlassen wollen.
Und Marta fand:
Ach ja, hat irgendjemand wirklich ein Problem mit Herrn Sick? Der Mann bringt Stammtischnörgler, Deutschlehrer, besorgte Eltern, Schöngeister und Sprachwissenschaftler an einen Tisch. Mich sorgt das überhaupt nicht. Ist doch super, wenn der Eine erfährt, was den Anderen wirklich kümmert, da können wir doch nur Zuhören lernen.
Ja, warum können wir nicht alle Freunde sein? Ach ja, jetzt fällt es mir wieder ein: weil wir uns nichts zu sagen haben. Mich interessieren die vorgeblichen „Sorgen“ der Sprachnörgler nicht — ich nehme an, dass ihre Motive eigentlich mit Sprache nichts zu tun haben und habe das hier im Blog ja auch immer wieder ausführlich dargelegt. Ebenso interessiert es die Sprachnörgler vermutlich nicht, was ich hier zu sagen habe — es würde bei ihren kulturpessimistischen Untergangsphantasien ja ohnehin nur stören. Sick bringt deshalb mit Sicherheit keine Sprachwissenschaftler an irgendeinen Tisch. Aber Sie haben teilweise Recht, Marta: er schafft es tatsächlich, Schöngeister und Stammtischnörgler gleichermaßen zu begeistern — an sich schon eine beeindruckende Leistung, über die sowohl die Schöngeister als auch die Stammtischnörgler einmal nachdenken sollten.
Und deskriptiv vs. präskriptiv ist doch ziemlich alt. Wie wärs mit einer Synthese?
Eine Synthese zwischen rationaler Wissenschaft und bildungsbürgerlicher Benimmwut? Die Idee lässt sich ausbauen: wie wäre es mit einer Synthese aus Teilchenphysik und Gesellschaftstanz? Oder aus Geologie und Landschaftsgärtnerei? Oder aus Evolutionsbiologie und der Kunst, einen Pudel zu frisieren?
Herr Stefanowitsch,
bis zur vorletzten Zeile hab ich gelacht, dann fiel mir die Kinnlade runter. Bodenkunde ist eines der wichtigsten Fächer eines Landschaftsgärtners, sowohl in der Ausbildung als auch im Beruf oder in der Fortbildung zum Meister, Techniker oder Dipl.-Ing. Der gesamte Garten- u. Landschaftsbau ist ohne Kenntnisse über geologische Sachverhalte schlicht undenkbar.
Oder anders gesagt: der Beruf eines Landschaftsgärtners ist beeits eine Synthese aus Geologie und Landschaftsgärtnerei.
Glück auf!
Sehr schön. Wie überhaupt das ganze Blog, auf das ich erst jetz gestoßen bin und seither begeistert kreuz & quer lese. Ein schönes Antidot gegen den groben Unfug von Sick, VDS, Sprachwelt & Co.
Wenn die Aussage »Mich interessieren die vorgeblichen „Sorgen“ der Sprachnörgler nicht« in ihrer Allgemeinheit stimmen würde, wäre die Diskussion ja eigentlich erledigt. Es ginge schlicht und einfach um verschiedene Dinge. Die Krux ist aber nun, dass die Sprachnörglerfraktion die öffentliche Debatte um den Gegenstand »Sprache« in weiten Teilen bestimmt und damit in das Terrain der (leider wenig sichtbaren) wissenschaftlichen Disziplin Linguistik hineinspielt.
Das wäre an sich nicht schlimm, schließlich führt die Tatsache, dass es kartenlegende Wahrsager und lebensberaterbücherschreibende Dale Carnegies gibt, auch nicht dazu, dass unserer Gesellschaft der Nachwuchs an guten Psychologen ausgeht. Allerdings gibt es mindestens zweieinhalb Bereiche, in denen linguistisch fundierte Anliegen und sprachnörglerische Öffentlichkeitsarbeit die gleichen Ohren zu erreichen versuchen:
1. Sprachdidaktik — Was wird unseren Kindern im Fach Deutsch (oder anderem Sprachunterricht) versucht beizubringen? Platz und Bedeutung der Linguistik in der Deutschlehrerausbildung zu sichern und — so ist zu hoffen — auszuweiten, ist eine Aufgabe, die nicht einfacher wird, wenn die tatsächlich Anklang findenden »Lehrbücher« den Autorenvermerk »Sick« führen. Die Deutschdidaktik ist im Begriff, sich darauf zu versteifen, »SMS-Deutsch« zu verteufeln und den Kindern auszutreiben, anstatt die eigentliche, d.h. kommunikative und situationsangemessene Funktion von Sprache zu thematisieren. So erleben Kinder Deutschunterricht als »da will mir jemand was verbieten« anstatt als »da hilft mir jemand, angemessene Ausdrucksformen zu entdecken und zu entwickeln«.
2. Rechtschreibung — In der Rechtschreibreformdebatte ist spätestens mit dem Ausstieg des einzigen Sprachwissenschaftlers Peter Eisenberg aus der Reformkommission das Licht der Linguistik erloschen. Öfentlichkeitswirksam war diese sehr verständliche Protesthandlung nicht. Die Spätfolgen der als oktroyiert wahrgenommenen Reform sind m.E. noch nicht richtig absehbar. Negativ müssen sie nicht sein (übertrainierte Rechtschreibkompetenzen sind eben kein Ausweis allgemeiner Arbeitsmarkttauglichkeit), aber sprachwissenschaftliche Argumente sind in der öffentlichen Diskussion quasi unsichtbar.
3. (und das ist der halbe Bereich, weil weniger formalisiert) Geschlechtsneutrale Sprachverwendung — Erhebliche Unsicherheit im Sprachgebrauch besteht bei »politisch korrekter« Verwendung geschlechtsneutraler Formen. Auch hier gibt es eine gestrüppartige Gemengelage von Interessen und normativen Versuchen, die nur marginal aus dem Interesse am Gegenstand Sprache an sich herrühren. Dass nun aber eine (oder auch mehrere) sprachwissenschaftlich motivierte Argumentationslinien in der Debatte erkennbar wären, kann man nicht wirklich behaupten.
Drei Beispiele, bei denen sich meines Erachtens der Großteil der Sprachwissenschaftler vorschnell aus der Diskussion zurückzieht. Die Teilchenphysiker würden es wohl nicht dulden, wenn im Physikunterricht Gesellschaftstanz als Hauptmethode der Veranschaulichung von Elektronenkonstellationen Einzug halten würde oder Pudelfrisurmoden fast alles wären, was die Biologie zum Thema »Tiere« in die Öffentlichkeit tragen könnte.
Insofern ist Ihr Blog wahre und dringend notwendige Pionierarbeit. Sonst könnte nämlich auch die (allgemeine) Sprachwissenschaft als eigenständige Disziplin untergehen, weil ihr Sinn nicht verstanden wird — so geschehen gerade an der Universität Osnabrück, wo jetzt allerdings die linguistischen Teile anderer Disziplinen beherzt in die Bresche springen.
Solche Blog-Kommentare sind ja durchaus ein Ort, an dem man auch nicht hundertprozentig durchdachtes zum besten geben kann, deshalb möchte ich auch ein bißchen über die mögliche oder unmögliche Synthese aus “deskriptiv” und “präskriptiv” spintisieren.
Relativ klar ist bestimmt die Unterscheidung in Hinblick auf die wissenschaftliche Methodik (wenn man so etwas beim Präskriptivismus überhaupt sagen kann). Aber der Unterschied zwischen dem Beschreiben und dem Vorschreiben ist ja an anderer Stelle schon deutlich verschwommener. Grammatikhandbücher und Wörterbücher, die mit deskriptivem Selbstverständnis erstellt wurden, werden in den Händen der (vieler) Nachschlagenden dann eben doch zur Autorität: Das ist falsch, weil das steht so nicht in Wörterbuch oder Grammatik (mittlerweile tut es das ja). Aber man muß ja nicht einmal irgendwo nachschlagen: Konventionalisierte soziale Sprachnormen bestimmen, seien wir uns dessen bewußt oder nicht, einen großen Teil dessen, was wir von uns geben. Die Gesellschaft, von der wir ein Teil sind, schreibt uns somit durchaus vor, wie wir zu reden haben. Und wie haben wir zu reden? Richtig ist das, was alle sagen würden; was wir so (in einer vergleichbaren Situation) schon gehört haben o.ä. — also ziemlich “deskriptiv”, wenn man so will.
Und das ist doch auch für die Sprachwissenschaft interessant. Kann man erklären, warum wir aus dem “System der Möglichkeiten” gerade diese oder jene Konstruktion wählen? Warum sich eine neue Konstruktion durchsetzt, eine andere aber nicht? Läßt sich daraus etwas für den Schul- und Sprachunterricht gewinnen?
Wie gesagt, präskriptives Denken hat in der Wissenschaft (wenig bis) nichts zu suchen. Und bei den meisten Sprachnörglern dürfte Hopfen und Malz verloren sein. Aber die Sprachwissenschaft ist wahrscheinlich auch nicht gut beraten, sich in ihren Elfenbeinturm zurückzuziehen und das offensichtliche Bedürfnis vieler nach Rat oder Vorschriften in Sprachfragen vor der Tür zu lassen. Dort, wo mit Sprache praktisch gearbeitet wird, hat sich ja in gewisser Weise schon eine Synthese aus deskriptiver Methodik und präskriptiven Ansätzen herausgebildet — etwa, wenn in Wörterbüchern Angaben zur Verwendung wie “selten” gegeben werden und dem Benutzer dadurch signalisiert wird: Wenn Du so reden willst, wie das alle tun, dann solltest Du besser ein anderes Wort benutzen; wenn Du aber stilistisch auffallen willst, wäre dieses Wort eine Möglichkeit.
Aber damit erst einmal genug für diese frühen Stunden.
Klasse. Als langjähriger Aficionado der monatlichen Chicago Q&A und des Language Logs (und insbesondere der Beiträge Geoff Pullums) hätte ich nicht zu hoffen gewagt, daß sich irgendwann ein so erhellendes wie erheiterndes akademisches Blog wider die Sprachnörglerey zur deutschen Sprache findet, samt wohlwollender Leserschaft!
Das gibt Hoffnung. (NOMA, LOL!) (Synthese, ROFL!)
^_^J.
Theleprompt hat geschrieben: “In der Rechtschreibreformdebatte ist spätestens mit dem Ausstieg des einzigen Sprachwissenschaftlers Peter Eisenberg aus der Reformkommission das Licht der Linguistik erloschen.”
Was meinen Sie mit “Reformkommission”? Eisenberg ist aus der Zwischenstaatlichen Kommission für Rechtschreibung ausgetreten, aber andere Sprachwissenschaftler (z.B. Gerhard Augst und Peter Gallmann) sind geblieben. Eisenberg ist bis heute Mitglied des Rates für deutsche Rechtschreibung (der Nachfolgeinstitution der Zwischenstaatlichen Kommission), ebenso mehrere andere Linguisten.
@David Konietzko: Sie haben recht, danke für die Korrektur!
@M.Mann
Die Sprachwissenschaft sitzt mitnichten im Elfenbeinturm, wenn sie sich an der Festlegung von Regeln nicht beteiligt. Sie ist dafür einfach die falsche Disziplin.
Ich würde dafür plädieren, solche Fragen als letztlich ethische Fragen zu betrachten. Denn wir wollen uns ja nicht zum Spaß an irgendwelche Sprachregeln halten, sondern um der funktionierenden Kommunikation willen — aus diesem Grunde erwarten wir das Einhalten der Regeln auch von anderen, die mit uns kommunizieren wollen. Mit einer entsprechenden Ethik ließe sich dann etwa argumentieren, daß jemand, der schreibt, wie er will, unmoralisch handle. Wer moralisch handeln will, muß sich an die allgemein, von der Mehrheit oder von der relevanten Sprechergruppe akzeptierten Regeln halten.
Die Sprachwissenschaft kann nur als Grundlage verwendet werden. Und die Passivkonstruktion ist wichtig, denn wenn Linguistik nur zu diesem Zwecke betrieben würde, läge die Gefahr der Ideologisierung gefährlich nahe.
Adäquate Sprachregeln sind ein Ergebnis, das mithilfe linguistischer Methoden gewonnen werden kann, aber das letztendlich Postulieren dieser Regeln gehört zur Ethik, niemals zur Sprachwissenschaft. “Synthese” ist daher mMn ein völlig unpassender Begriff.
Spontan würde ich mich ja eher zu den kulturpessimistischen Sprachnörglern zählen, schon weil ich mich nie wissenschaftlich mit einer Sprache auseinander gesetzt habe, aber trotzdem immer wieder Formulierungen hinterfrage, die mir unsinnig vorkommen.
Im Grunde ärgere ich mich aber vor allem darüber, daß es mir fast nie gelingt, Texte ohne sprachliche Fehler zu verfassen.
@Thomas Müller:
Ich plädiere nicht für das “Festlegen von Regeln”, und schon gar nicht seitens der Sprachwissenschaft.
Aber die Sprachwissenschaftler sind nun mal diejenigen, die sich am besten mit dem Sprachsystem und dem Sprachgebrauch auskennen (sollten). Wenn also jemand eine Frage hat, ob eine bestimmte Formulierung geläufig ist, ein Wort eine bestimmte Konnotation hat, eine syntaktische Konstruktion als markiert empfunden wird etc. — sollten nicht auch die Sprachwissenschaftler hierauf eine Antwort geben, oder sollten sie das Feld den “Sprachnörglern” räumen?
Alles andere wäre doch, als würde man etwa Gestaltung und Inhalt der in der Diskussion befindlichen Ernährungshinweise auf Lebensmitteln (“Ampel”) den Lebensmittelkonzernen überlassen, während Lebensmittelchemiker und andere Ernährungswissenschaftler sich zwar ihre Gedanken machten, sich aber außerhalb von speziellen Blogs oder Fachzeitschriften nicht dazu äußerten. Oder als würde man ein Gesetz verabschieden, nachdem man vorher die Lobbyisten, nicht aber unabhängige Fachwissenschaftler angehört hat. Die Vergleiche mögen an der einen oder anderen Stelle hinken, aber die (durchaus sehr ethische) Entscheidung über Regeln, die Folgen für den Sprachgebrauch der ganzen Sprachgemeinschaft haben, ausschließlich in den Bereich der Ethik zu schieben (wer soll dann überhaupt dafür zuständig sein? die Politik? eine Ethikkommission?) und die Sprachwissenschaft vollständig außen vor zu lassen, halte ich doch für zu kurz gegriffen. (Es erinnert mich ein bißchen an einen Kommentar eines Bekannten von mir, einem Soziologen, der meinte, der Untersuchungsgegenstand der Soziolinguistik sei nicht linguistisch sondern nur soziologisch — ich mußte natürlich auch hier widersprechen.)
Um meinen früheren Kommentar und damit vielleicht auch die Kritik daran etwas zu entschärfen: Vielleicht habe ich eine weitere Auffassung von “Rat oder Vorschriften” (wie ich das genannt habe), als das den Anschein gemacht hat. Ich meine, wie gesagt, nicht, daß die Sprachwissenschaft ein festes Regelwerk, sozusagen ein Gesetzbuch der Sprache aufstellen solle (nach meinen Ausflügen — nicht nur — in die Computerlinguistik bin ich der Auffassung, daß das gar nicht geht). Aber “Vorschriften” im weitesten Sinne sind eben schon etwa das (Unter-)bewußtsein der Griceschen Konversationsmaximen (Stichwort “funktionierende Kommunikation”) oder das Entstehen von Normen aus Konventionen, wie es etwa Coseriu beschrieben hat. Und es gehört, nicht nur aber auch, in den Bereich der Sprachwissenschaft, sich mit solchen Maximen, Normen, Konventionen zu beschäftigen — und meiner Meinung nach auch, Rat zu geben, wenn jemand unsicher ist, was diese Normen angeht.
De facto ist es ja durchaus so, daß Sprachwissenschaftler an Grammatiken und Wörterbüchern mitarbeiten oder sie eigenhändig erstellen — das ist nicht ganz so “präskriptiv” wie zu sagen: “das Wort Airbag ist böse und muß duch Prallsack ersetzt werden”, aber diese Werke enthalten eben auch Ratschläge für die nachschlagenden Benutzer. Und Sprachwissenschaftler könnten meiner Ansicht nach durchaus sagen: “Wer Fremdwörter benutzt, sollte darauf achten, daß sie von der Zielgruppe verstanden (und evtl. auch akzeptiert) werden”. Das gehört eigentlich zum gesunden Menschenverstand, aber manchmal muß so etwas eben auch gesagt werden.
Schließlich gehört es etwa auch zur Aufgabe der Sprachwissenschaftler, den Deutschlehrern Entscheidungshilfen zu geben, welche sprachlichen Phänomene (noch) als stilistisch markiert (am Heftrand ein rotes “A”) oder mittlerweile als standardsprachlich gelten. Diese Entscheidungshilfen müssen natürlich den Sprachgebrauch als Grundlage haben.
Und diese Weiterführung der unvoreingenommenen Beobachtung des Sprachgebrauchs (das deskriptive Element) hin zu einem darauf basierenden Rat an Hilfesuchende (das im weitesten Sinne präskriptive Element) habe ich hier mit aller Vorsicht als Synthese dieser beiden Ansätze bezeichnet.
Ich würde nicht so weit gehen, jemanden, der schreibt, wie er will, als unmoralisch zu bezeichnen. Unmoralisch ist, wer durch sprachliche Verschleierungen etwas vortäuscht. Die anderen sind im besten Falle kreativ, im schlechteren Falle werden ihre Anliegen nicht ernst genommen (da oft korrekte Orthographie oder Grammatik noch vor der inhaltlichen Problematik rangieren).
Wenn es darum geht, tatsächliche Regeln vorzuschreiben, wie etwa bei der Rechtschreibregelung, sind sicherlich auch Sprachwissenschaftler gefragt — aber nicht nur, soweit gebe ich Ihnen natürlich recht. Wäre es rein nach den Sprachwissenschaftlern gegangen, hätte es wohl den Versuch gegeben, auch in Deutschland die Kleinschreibung einzuführen — ohne Rücksicht auf das bisherige “schriftliche Leben” der Gesellschaft, also relativ “unethisch”. Aber dies ist eine sehr enge Auffassung von sprachlichen “Regeln”, die ich bei meinem Kommentar nicht im Sinne hatte. Ich denke, unsere Auffassungen sind gar nicht so weit entfernt. Trotzdem darf mir natürlich auch weiterhin gerne widersprochen werden …
Sind Sie sich denn sicher, zu wem SIE gehören? Nörgler oder Wissenschaftler? Vorschreibend oder beschreibend? 😉 Unter präskriptiven Ansätzen verstehe ich nicht unbedingt gleich ‘Unterdrückung’ sondern auch Elemente wie Normung und Grammatikunterricht, der nicht gleich alle Verwendungsformen (u.a. Slang etc.) beibringen will.
Wenn man an einem Tisch sitzt und dazu kommt über verschiedene Perspektiven eines Gegenstandes bzw. einer Idee zu reden, muss man nicht gleich eine Friedenspfeife rauchen und die rosarote Brille auspacken.
Dass es Menschen gibt, die sich aus politischen (und anderen, nur nicht sprachwissenschaftlichen Gründen) in diese Thematik einmischen, ist mir durchaus bewusst. Es gibt doch überall Leute, die mitreden, mitmischen wollen, obwohl sie nicht viel von der Materie verstehen. Es ist ihr Blog, unqualifizierte Kommentare, die sich im Ton vergreifen, kann man immer löschen.
Marta (#11), ich bin Wissenschaftler und Sprachnörgler-Nörgler. Sprachnormung und präskriptiver Grammatikunterricht können zwar von den Ergebnissen der Sprachwissenschaft profitieren (wenn sie wollen) aber sie sind selbst keine Sprachwissenschaft (sie sind linguistische Landschaftsgärtnerei). Dabei kann Grammatikunterricht durchaus von einem wissenschaftlichen (also deskriptiven, um Verstehen bemühten) Geist durchdrungen sein sein, und so ein Grammatikunterricht ist mir der liebere (ich empfehle in diesem Zusammenhang einmal Franziska Schröders Blog thoitsch, das so gar nicht präskriptiv daherkommt (und außerdem liebevoll mit meinen fälschlicherweise verachteten Geburtsort Berlin-Neukölln umgeht).
In der Tat muss man sich nicht in allem einig sein, um an einem Tisch zu sitzen — man kann durchaus unterschiedliche Perspektiven haben, aber man muss einen gemeinsamen Referenzrahmen haben. Den haben Sick und die Sprachwissenschaftler nicht. In vielerlei Hinsicht erinnert mich das Verhältnis zwischen Präskriptivisten und Sprachwissenschaftlern an das zwischen Kreationisten und Biologen — natürlich könnten die sich an einen Tisch setzen, aber das wäre für die Kreationisten existenzbedrohend und für die Biologen sterbenslangweilig.
Und unqualifizierte Kommentare oder solche, die sich im Ton vergreifen, lösche ich grundsätzlich nicht, solange sie keine potenziell strafbaren Äußerungen enthalten. Es wäre ein langweiliges Blog, wenn ich das täte, und Langeweile hasse ich noch mehr, als Sprachnörgelei.
Ich wollte Sie übrigens nicht persönlich angreifen, ich habe Ihren Kommentar herausgegriffen, weil er eine kontroverse Meinung vertreten hat (ganz, ohne sich im Ton zu vergreifen). Ihre Perspektive auf Sprache und Sprachen ist hier ebenso wilkommen, wie meine eigene!
Falls sich nach zehn Tagen noch jemand in diese Diskussion verirrt: Im Language Log wird gerade ebenfalls über Prescriptivist Science geschrieben.
Halli Hallo,
erstmal schöne Grüße an euch alle. Mein Name ist Thomas Beyer und ich bin Redakteur einer Webseite die sich mit den Einstellungstests beschäftigt. Auf meiner suche nach kontroversen Ansichten zum Thema Rechtschreibung bin ich auf diesen tollen Blog gekommen. Viele Firmen testen gerade die Schüler nach der neuen deutschen Rechtschreibung. Die durchfallsquote ist recht hoch in diesem Bereich. Wer einen Einstellungstest zum Thema Rechtschreibung http://www.einstellungstest-fragen.de/einstellungstest-rechtschreibung/ gemacht hat, der weiß von was ich spreche.
@fellowpassenger Was meinst Du mit kulturpessimistischen Sprachnörglern? So würde ich aber auch nicht alle in einem Boot werfen.
Schöne Grüße
Thomas Beyer
Eben entdeckt: Wenn man nach “Sprachnörgler” googelt, erhält man als achten Treffer — die Startseite des VDS! Gibts dafür eine technische Erklärung, oder darf ich das etwa als ersten Schritt zur Selbsterkenntnis seitens des Vereins verstehen?
@D.A.: die Erklärung ist technisch, sagt aber etwas aus: Google wertet die Webseiten u.a. nach der Anzahl der zu ihnen weisenden Links. Außderdem werden die Worte die als Text in dem Link zu lesen sind (also vom Verweisenden und nicht vom Autor der Zielseite geschrieben werden) als Suchbegriffe der Seite zugeordnet.
Ihre Beobachtung belegt v.a. daß die öffentliche Wahrnehmung des VDS nicht seinem Selbstverständnis entspricht. Unter PR-Gesichtspunkten ist so ein Google-Ergebnis eine Katastrophe.
(Ähnliches gab es vor Jahren mit G. W. Bush und “miserable failure”, allerdings entstand dies aufgrund einer riesigen Welle politischer Frustration.)
Ah, danke für die Aufklärung. So etwas Ähnliches hatte ich vermutet. Jetzt weiß ich auch endlich, was mir der Hinweis “Diese Begriffe erscheinen nur in Links, die auf diese Seite verweisen” im Google Cache View sagen will …
Wann immer ich also das Bedürfnis verspüren sollte, die Seite des VDS zu besuchen (das Forum ist ja zumindest ganz interessant), werde ich das ab sofort über die Google-Suche “Sprachnörgler” tun — daraus können sie ja dann ihre Schlüsse ziehen. (Mittlerweile ist die VDS-Seite übrigens schon der siebte Treffer …)
Ach ja, übrigens…
Ich nehme jetzt einfach einmal an, dass man irgendwo in Deutschland tatsächlich “das sorgt mich” sagt. (Ist mir noch nie untergekommen. Sorge selbst ist für mich ein rein literarisches Wort.) Aber falls Herr Sick das nicht weiß, wird er es sofort für eine Lehnübersetzung von “that worries me” halten und daher verbieten… wie ist das, wenn es einen selbst trifft?
Und wie ist das mit den Worten “scheinbar” oder “anscheinend”? Hat dieser so genannte Herr Sick hierfür auch eine Lösung parat? Ich denke dass die Entwicklung der deutschen Rechtschreibung nicht das Resultat einiger Herrn hinter den Schreibtischen sein wird. Es ist eher anzunehmen dass die kulturelle Entwicklung und die damit verbundene Sprache den eigenen Weg gehen werden. Die Herren hinter den Schreibtischen müssen sich dem beugen. Es ist wie die Evolution…
Relativ klar ist bestimmt die Unterscheidung in Hinblick auf die wissenschaftliche Methodik (wenn man so etwas beim Präskriptivismus überhaupt sagen kann). Aber der Unterschied zwischen dem Beschreiben und dem Vorschreiben ist ja an anderer Stelle schon deutlich verschwommener. Grammatikhandbücher und Wörterbücher, die mit deskriptivem Selbstverständnis erstellt wurden, werden in den Händen der (vieler) Nachschlagenden dann eben doch zur Autorität: Das ist falsch, weil das steht so nicht in Wörterbuch oder Grammatik (mittlerweile tut es das ja). Aber man muß ja nicht einmal irgendwo nachschlagen: Konventionalisierte soziale Sprachnormen bestimmen, seien wir uns dessen bewußt oder nicht, einen großen Teil dessen, was wir von uns geben.