Vor ein paar Tagen hat ein gewisser „Jeeves“ — vermutlich nicht sein richtiger Name — dieses Blog entdeckt und wie folgt kommentiert:
Huch, wohin hab’ ich mich denn hier verlaufen?
Studierte oder studierende Humorlose sind offensichtlich eifersüchtig auf einen Erfolgreichen (nämlich: Sick)?
Das mach auf mich als Außenstehenden jedenfalls diesen Eindruck.
Besonders gründlich kann er sich nicht umgesehen haben, denn über Sick reden wir hier nur sehr selten.
Aber zum Kern des Vorwurfs: Sind Sprachwissenschaftler — studiert oder studierend — neidisch auf die prominente Sprachnörgler wie Bastian Sick?
Bevor ich diese Frage glaubhaft beantworten kann, muss ich einen Punkt aus dem Weg räumen: das Finanzielle. Für Wissenschaftler ist Geld normalerweise nicht das Wichtigste im Leben — die meisten von ihnen könnten außerhalb der Universität mehr verdienen. Aber wenn sie angesichts der Millionen, die Sick mit seinen Büchern, Videos und Brettspielen einfährt, nicht wenigstens ein bisschen Neid empfinden würden, müsste man sich wohl Sorgen um ihren Realitätssinn machen. In dieser Hinsicht: ja, da bin ich neidisch auf Sick — auf eine recht hypothetische Art, etwa so, wie ich auch neidisch auf Lottogewinner oder Millionenerben bin.
Aber ich denke nicht, dass finanzieller Neid der eigentliche Vorwurf ist. Die Frage, um die es eigentlich geht, ist die, ob Sprachwissenschaftler neidisch auf die Prominenz von Sprachnörglern wie Bastian Sick sind. Ein paar Tage vor „Jeeves“ hat Sprachblogleser Christian einen sehr viel differenzierteren Kommentar hinterlassen, der unter anderem auch einen differenzierteren Neidvorwurf enthielt:
Ein wenig spielt hier auch der Neid der Wissenschaft eine Rolle, mit Fachtexten und Fachausdrücken eben kein Massenpubikum erreichen zu können. Denke ich zumindest.
Christian, soweit ich das beurteilen kann, denken Sie da falsch. Wissenschaftler kümmert es nicht das kleinste bisschen, ob sie mit ihren Fachtexten ein Massenpublikum erreichen. Und das ist einerseits gut und andererseits schlecht.
Es ist gut, weil Wissenschaftler, die vorrangig mit ihrer eigenen öffentlichen Wahrnehmung beschäftigt wären, wenig Zeit und Motivation hätten, um ernsthafte Forschung zu betreiben. Das Massenpublikum ist für die hochspezialisierten Fragestellungen, mit denen wir uns beschäftigen, schwer zu begeistern, und so müssten wir uns mit öffentlichkeitswirksamen, aber wissenschaftlich trivialen Dingen beschäftigen, um Prominenz zu erlangen.
Wissenschaftler sind grundsätzlich mit zwei Dingen beschäftigt: Erstens interessieren sie sich für die Wahrheit. Das klingt in einer postmodernen, alles relativierenden Welt etwas antiquiert, aber es ist so. Wissenschaftler wollen wissen, wie die Dinge wirklich funktionieren. Nicht, weil man dadurch reich oder berühmt wird, sondern, weil es ihnen ein tiefes Gefühl der Befriedigung verschafft. Zweitens interessieren sie sich (sie sind ja trotz allem nur Menschen) durchaus für Ruhm — allerdings ausschließlich für den Ruhm, den sie sie mit ihren Ideen innerhalb ihres Faches erreichen können.
Das kann man nur verstehen, wenn man weiß, wie es sich anfühlt, den eigenen Namen unter einem Beitrag in einer anerkannten Fachzeitschrift zu sehen, die eigenen Ideen in Arbeiten oder Vorträgen anderer Wissenschaftler zitiert zu lesen oder zu hören, eine Einladung auf eine internationale Fachkonferenz zu erhalten oder Emails von Kolleg/innen oder Studierenden aus Japan, Australien oder den USA zu bekommen, die man noch nie getroffen hat, die einen aber aufgrund von Veröffentlichungen kennen und die ernsthafte und gut durchdachte Fragen bezüglich dieser Veröffentlichungen haben.
Alle diese Dinge lösen bei mir auch nach fast zehn Jahren Forschungstätigkeit immer noch einen kleinen, freudigen Schock aus. Das hat sicher etwas mit einem Bedürfnis nach Ruhm und Ehre zu tun, aber eben nach Ruhm und Ehre in der Fachwelt. Und anders als ein Bedürfnis nach öffentlichem Ruhm treibt es mich dazu an, gute Wissenschaft zu betreiben, denn für schlechte Wissenschaft nimmt einen die Fachwelt nun einmal nicht wahr.
In gewisser Weise ist es also gut, dass Wissenschaftler sich nicht um ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit scheren. Andererseits überlassen wir damit die öffentliche Diskussion unseres Faches Leuten, die nichts davon verstehen. Und das ist schlecht, denn es führt dazu, dass die Öffentlichkeit ein völlig verzerrtes Bild des jeweiligen Problembereichs präsentiert bekommt. Das ist bei der Sprachwissenschaft so, aber ich denke, anderen Disziplinen ergeht es auch nicht besser (besonders die Psychologen tun mir leid — gegen die Übermacht an Esoterik, Scharlatanerie und Pseudowissenschaft, von der die öffentliche Diskussion in Fragen menschlichen Verhaltens und des menschlichen Geistes beherrscht wird, ist der Kampf bereits so gut wie verloren).
Ich würde mir deshalb wünschen, dass Wissenschaftler ein wenig mehr Spaß an einer Prominenz außerhalb ihres Faches hätten — gerade genug, um sie zu motivieren, die Fragen, Sichtweisen und Erkenntnisse ihres Faches einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Man muss ja nicht gleich eine monopolartige Vermarktungsmaschinerie à la Sick aufziehen. Ein kleines Blog reicht.
Erstens interessieren sie sich für die Wahrheit. Das klingt in einer postmodernen, alles relativierenden Welt etwas antiquiert, aber es ist so. Wissenschaftler wollen wissen, wie die Dinge wirklich funktionieren.
Danke! Das war erfrischend zu lesen 😉
Ich bin zwar kein Wissenschaftler, doch ich denke, dass die Veröffentlichungen von Herrn Sick durchaus positiv zu beurteilen sind. Er greift damit ein — meiner Ansicht nach — gravierendes Problem auf: Die Verrohung der deutschen Sprache. In einer Welt, in der nicht mal kundenorientierte Firmen es schaffen, einzelne Wortfetzen mit denen Sie auf sich aufmerksam machen wollen, richtig zu schreiben und Anglizismen verwendet werden, die jedem englischen Muttersprachler zum Lachen (Body Bag -> Leichensack statt Rucksack) bringen oder die Nackenhaare sträuben lässt (Back Factory -> Rückenfabrik statt Backfabrik), will ich gar nicht leben. Deshalb finde ich die Arbeit von Herrn Sick sehr verantwortungsbewusst und dass er dabei einen Haufen Knete und Ruhm außerhalb der Fachwelt ernet ist dabei nur ein natürlicher Nebeneffekt. Ich fände es sogar traurig, wenn er es mit seinen Büchern nicht geschafft hätte.
Ist ja schon gut, ich übernehme Morgis.
Ich repariere das mal:
Ja, so macht es mehr Sinn.
Nur, weil man es hundertmal wiederholt, wird es nicht richtiger.
Ist bereits hier ad acta gelegt worden.
Ja, sich über vermeintlich weniger gebildete Menschen lustig zu machen ist immer lobenswert.
Innerhalb der Fachwelt beachtet ihn ja keiner.
So leid es mir tut — hier muss ich zur Verteidigung Herrn Sicks eingschreiten. Ich denke nämlich — und Herr Stefanowitsch hat das _auch_ nicht explizit gesagt -, dass weder Sick selbst sich oder jemand anders ihn für einen Sprachwissenschaftler hält. Oder dass er, obwohl so weit ich weiß gelernter Romanist, das behauptet. Seine Arbeit hat mit Sprachwissenschaft etwa so viel zu tun wie Knigge mit Gesellschaftswissenschaft. Schlimm finde ich da schon eher, dass öffentlich häufig Sprachpflege mit Sprachwissenschaft verwechselt wird. Und, auch Frank Oswalt deutet es an, dass diese Form der Sprachpflege neben ihrem hier oft thematisierten Legitimations- und Korrektheitsproblem vorwiegend zur Schichtzugehörigkeitsdemonstration genutzt wird. Sick liefert zu vielen Leuten handfeste Anleitungen, wie sie sich anderen überlegen fühlen und dies auch demonstrieren können. Dass sie sich dabei ihrerseits häufig irren, liegt in der Natur der Sache.
Ansonsten auch von mir großes Kompliment für diesen Beitrag. Sehr genau beobachtet und klar ausgedrückt — das hat auf mich mal wieder mäeutische Wirkung gehabt.
Wie zum Beispiel auch etwas — kleiner Themenwechsel -, was ich heute im Radio gehört habe, mir etwas klar gemacht hat, was mir vorher zwar war, aber diffus: Da sagte eine kluge Frau, dass in der öffentlichen Debatte immer Ausbildung und Bildung durcheinander geworfen werden. Das eine sei nämlich bar jeder inhaltlichen Anforderung, das andere nicht. Skills (Ausbildung) wie etwa Lesen könne man genauso gut an einem Beipackzettel eines Medikaments lernen wie an Schillers Glocke; das Gleiche ist es darum noch lange nicht.
Sehr geehrter Herr Oswalt,
wie gesagt, ich bin kein Wissenschaftler und schon gar kein Linguist, daher seh ich im Moment auch nicht den Unterschied zwischen “… doch ich denke…” und “… jedoch glaube ich…”. Vielleicht mag mir das einer mal an geeigneter Stelle erklären, ohne in Spitzfindigkeiten zu verfallen.
Meiner Ansicht nach macht Herr Sick sich nicht über “vermeintlich weniger gebildete Menschen lustig”. Das wäre das Gleiche, als wenn ein/e Klausuren korrigierende/r Lehrer/in sich mittels des Korrigierens über den/die Schüler/in lustig macht, dessen Klausur er/sie gerade korrigiert.
Die restlichen Kommentare lasse ich mal dahin gestellt. Unabhängig davon ob sie einen Sinn ergeben oder nicht.
Gruß
Morgis
P. S. Sie haben ein Komma vergessen 🙂
Ich möchte gerne dieses Blog, bloggende Sprachwissenschaftler UND auch Herrn Sick in Schutz nehmen.
Bis vor Kurzem habe ich selbst ein Sprachwissenschafts-Blog betrieben — einfach so, neben dem Studium, später mit Doktoranden, um ein Netzwerk zu begründen. Die Frage, wieso ich es nicht mehr tue, könnte aufkommen, deshalb erkläre ich es kurz: Das Netzwerk arbeitet unabhängig weiter, das Blog existiert auch noch, ist jedoch vorübergehend nicht zugänglich. Ich warte, bis eine Zusammenarbeit mit Kollegen besser möglich ist, was nicht an irgendwelchen institutionellen Grabenkämpfen (die es ja in allen Wissenschaften gibt) oder dem Willen, zumindest am Anfang unentgeltlich zu arbeiten (ich glaube, ein wenig Sicherheit in Form eines guten Konzepts reicht uns), sondern vor Allem an der Vielfalt der Inhalte, Ziele und Perspektiven innerhalb der Sprachwissenschaft liegt. Es ist schwer, diese in einem redaktionellen Konzept zusammen zu fassen.
Obwohl ich dieses Blog hier noch nicht so genau gelesen habe, wäre ich nicht auf die Idee gekommen, dass es aus Neid betrieben wird. Ich glaube, Bastian Sick ist auch nicht neidisch auf den berühmten Noam Chomsky (z.B.: Universalgrammatik, unabhängig von Einzelsprachen) oder die ihm ähnlichere Lynne Truss (z.B.: englische Zeichensetzung). Herr Sick beschäftigt sich meines Wissens nach (ich habe noch nicht so viel von ihm gelesen oder gesehen) sehr praktisch mit der deutschen Sprache. Er spricht über Rechtschreibung, Satzstellung, Stil und Dialekte. Ich höre ihm gerne zu und fühle mich sogar inspiriert, weiter über bestimmte Fragestellungen nachzudenken. Zudem finde ich, macht er Sprachwissenschaft, Grammatik bzw. die deutsche Sprache als Gesprächsthema an sich zugänglicher für alle Zuhörer. Er zeigt, wie man fundiertes Wissen weniger abgehoben und trocken präsentieren kann, worüber sich die Sprawis, Germanisten und Deutschlehrer doch nur freuen können, da er ihnen den Weg ebnet. Zudem haben auch Forschungsthemen eine Daseinsberechtigung, wenn sie sich nicht verständlich einem breiten Publikum darbieten lassen.
Mein letzter Schwerpunkt war individuelle Mehrsprachigkeit mit praktischen und theoretischen Elementen — und ich freue mich gleichgesinnte, freudig bloggende Kollegen zu treffen.
@Morgis
Ich sehe das etwas entspannter mit der “Verrohung”, Sprache hat sich ja schon immer verändert, sonst hätte es wohl nie Wörterbücher oder Grammatiken gegeben.
Ich gebe aber zu, dass einige Bereiche sehr chaotisch wirken können und auch die Schreibfähigkeiten zu leiden scheinen. Der Sprachwandel, den es schon immer gegeben hat, scheint viel schneller vonstatten zu gehen. Vermutlich ist es das, worauf wir uns in Zukunft einstellen müssen. Viele Menschen und viel Kommunikation brauchen viel Aufmerksamkeit oder neue Ordnungssysteme. Die ganze Information die auf uns einprasselt, muss ein bisschen geordnet werden, sonst geht sie entweder unter oder hinterlässt nur Buchstabensalat in unseren Köpfen.
Das sieht man nicht nur an kreativ formulierten Firmennamen (die sich aus zwei Sprachen bedienen), sondern auch in den Medien (z.B.: Gänsehautfeeling) und in der Schule. Die Kiddies lernen nun mal ungern, was Dröge ist. Auch die Aufmerksamkeit der Erwachsenen lässt sich nicht mehr so leicht gewinnen. Zudem sind heutige Jobs und der Alltag immer stärker auch mit der geschriebenen Sprache verbunden (Chats, Foren, Blogs). Da fällt es umso stärker auf, wie viele Menschen nicht gut schreiben können.
Wenn Herr Sick seine Grammatikregeln vielen Menschen verkaufen kann, dann hat er verstanden, wie man sich mit langweiligen Material durch die Informationsflut zu unserer Aufmerksamkeit durcharbeitet. Und ein bisschen Unruhe über den Sprachverfall steigert nur die Verkaufszahlen. Ich glaube aber nicht, dass wir Angst bekommen müssen, dass die Sprache verroht.
Wenn die Regeln durch den Spassfaktor nicht zu einseitig präsentiert werden, dann sehe ich auch das recht locker. Dass man nach der Lektüre einiger witziger Artikel über Rechtschreibung noch ein wenig selber üben muss, ist vermutlich allen klar.
Ich meine, dass Sprachkritiker (genauer: Sprachgebrauchkritiker) wie Herr Sick einerseits und Sprachwissenschaftler andererseits keine Konkurrenz darstellen, da sie unterschiedliche Felder ‘beackern’. Da, wo sich Sprachwissenschaftler wegen ihres Berufsverständnisses aus der Debatte heraushalten (müssen), springen Kritiker wie Herr Sick ein, denn unzweifelhaft besteht ein großer Bedarf in der Bevölkerung nach Sprachgebrauchssicherheit, den Linguisten nicht decken können (oder dürfen). Auch Herr Stefanowitsch versteigt sich gelegentlich in all zu akademische Höhen, wenn er z. B. den Gebrauch von “Sinn machen” mit irrelevanten Konstrukten zu legitimieren versucht (oder glaubt jemand ernsthaft, ein Sprecher wägt die von Herrn Stefanowitsch angebotenen Varianten sorgsam gegeneinander ab, bevor er sich für ‘Sinn machen’ entscheidet?).
Eine wunderbare Aussage findet sich auf der letzten Seite des Buchs “Sprache in Zeiten ihrer Unverbesserlichkeit” von Dieter E. Zimmer, den ich hier zitieren möchte:
“Die Bewertungsphobie der Linguistik kommt zwar im Namen des wissenschaftlichen Objektivitätsangebots, wertneutraler Ideologieabstinenz daher, ist jedoch in zweierlei Hinsicht selber hochgradig ideologisch kontaminiert. Zum einen entspringt sie einer vorgefassten Parteinahme gegen den elaborierten Code des Bürgertums, den sie für ein Repressionsmittel hält, deren Nutzen für die sprachlich Unterprivilegierten, denen sie zugute kommen soll, indessen höchst zweifelhaft ist.Zum anderen beruht sie auf einer pseudobiologischen Theorie, deren Effekt, wenn nicht Absicht es ist, kulturelle Differenzen für unerheblich und oberflächlich zu erklären, für folkloristische Kostümierungen, die Sprache als unversehrbar durch irgendeinen Sprachgebrauch hinzustellen und die tiefe sprachliche (und damit kognitive) Gleichheit aller Menschen zu behaupten. Es dürfte sich um eine doppelte Illusion handeln. Lass deinen Sprache nicht allein.”
Herr Oswalt, übernehmen sie!
@Marta: Ok, der Begriff “Verrohung” war wohl etwas zu harsch gewählt und bei der Sache mit der Entwicklung stimme ich Ihnen auch zu. Dass sich eine Sprache verändert ist selbstverständlich und nicht aufzuhalten. Aber ein paar Grundregeln sollte man schon einhalten. Ich hab auch nichts gegen Anglizismen, sie sollten nur zutreffend und sparsam dosiert sein*. Doch wenn man mal so über diverse Schulhöfe schlendert und die Wortfetzen von Kindern und Jugendlichen aufschnappt kann einem schon so manches vergehen und man beginnt sich zu fragen, was die da überhaupt in der Schule lernen.
Was die Schreibweise in Chats betrifft, so finde ich es dort im Grunde gar nicht so schlimm, dass dort generell viele Rechtschreibfehler und Tippfehler und wer weiß was noch alles zu finden ist. Die meisten Leute können halt nicht so schnell schreiben, wie sie sprechen können, wollen auf der anderen Seite sich aber so schnell wie möglich mitteilen. Dass da allerhand verkürzt wird, liegt dann wohl auf der Hand. Aber das birgt dann wiederum auch ein Problem für die Leute, die sehr viel in solchen Chats hocken und nur diese Wortstümmel zu lesen bekommen und irgendwann vergessen, wie diese Worte denn richtig geschrieben werden, bzw. komplette Grammatikregeln schlicht verwerfen.
Gruß
Morgis
* Ich war mal im Hauptbahnhof Köln auf der Suche nach der Toilette. Den WC-Wegweisern folgend kam ich dann irgendwann an einem Wegweiser an, der mich genau in die entgegengesetzte Richtung verwies. Anschließend pendelte ich ich dann zwischen zwei solcher Wegweiser hin und her und wurde fast wahnsinnig, bis sich der vermeintliche Waschsalon als WC entpuppte. Das wäre mal interessant zu wissen, wie vielen Leuten das schon in Köln passiert ist 😉
Ich kann Sicks sprachkritische Gehversuche und vor allem seine präskriptive Haltung im wissenschaftlichen Gesamtbild nicht für Gut heißen. Dennoch kann ich seiner Arbeit etwas positives abgewinnen, denn er führt die breite Masse, in sehr unterhaltsamer Weise, an ein wichtiges Thema heran.
Mein Problem als Linguistikstudierender ist nun, dass ich sehr enttäuscht bin von den habilitierten oder promovierten Linguisten. Meiner Meinung nach ist es eine der Aufgaben, über Prioritäten mag ich nicht sprechen, dass sich Wissenschaftler um die Bildung der Masse kümmern — im aufklärerischen Sinne. Im englischen Sprachraum ist das keine Seltenheit, wie man an Dawkins (Religion), Pinker (Sprache), Chomsky (Politik) und anderen sieht. Über die Qualität der Aussagen von Dawkins & Co. möchte ich nicht diskutieren an dieser Stelle, doch wenn sich Wissenschaftler still in ihrem Kämmerlein verstecken und nur für ihre Zunft schreiben, dann nehmen sich eben fachfremde Personen solcher Themen an und es entsteht eine “Sicksche Unschärfe”.
My 2 Cent,
Andreas Kull
Meiner Meinung nach ist es eine der Aufgaben, über Prioritäten mag ich nicht sprechen, dass sich Wissenschaftler um die Bildung der Masse kümmern — im aufklärerischen Sinne.
Dem stimme ich zu. Aber Deine Beispiele sind m.E. schlecht gewählt.
Nur weil jemand Wissenschaftler ist, ist er nicht gleich automatisch in allen Gebieten gebildeter als Nichtwissenschaftler. Ohne auf die Qualität der populärwissenschaftlichen Texte der von Dir angeführten Leute einzugehen, ist es doch auffällig, daß sich alle drei auf Gebieten beschränken, in denen sie eben gerade nicht wissenschaftlich arbeiten. Chomsky ist kein Politikwissenschaftler und Dawkins kein Religionswissenschaftler. Und damit passen sie eigentlich doch eher in eine Kategorie mit Sick, der eben auch kein Sprachwissenschaftler ist, sondern sich als interessierter Laie öffentlich damit auseinandersetzt.
Meiner Meinung nach ist es eine der Aufgaben, über Prioritäten mag ich nicht sprechen, dass sich Wissenschaftler um die Bildung der Masse kümmern — im aufklärerischen Sinne.
Ich weiß ja nicht, aber meiner Meinung nach ist das alles schon da: in den Bibliotheken, in den großen Buchhandlungen. Ist das nicht eher ein Problem mangelnder Nachfrage, wenn die Wissenschaft nicht als Pop-Literatur und nicht vom Spiegel vermarktet daherkommt?
Außerdem ist das, was Wissenschaftler als ihre tatsächliche Arbeit machen, nicht gerade das, was man aufklärerisch so einfach dem Publikum vermitteln kann. Nichts gegen Versuche, den nicht-wissenschaftlichen Leser da abzuholen, wo er ist. Aber wir sprechen da über einen Zweitjob, mit dem eigentlichen hat der wenig zu tun.
Es ist mit der Wissenschaft genau wie mit der Kunst: Das, was die Masse erreicht ist nur Durchschnitt, kleinster gemeinsamer Nenner, qualitatives Mittelmaß. Selbiges könnte man sogar mit Statstik erklären. Ergo: Gute Wissenschaft und große Kunst werden es nie schaffen, eine große Masse zu erreichen. Was auch gut so ist.
@Laughing Man/kreetrapper: Bildung muss man sich aneignen, dafür ist jeder selbst verantwortlich — Lehrer und Wissenschaftler helfen JEDEM, der ein ernstes Interesse hat, Bildung zu erlangen.
@kreetrapper: Chomsky ist Professor für Linguistik/Sprachwissenschaft, da die Sprache ein Werkzeug der Politik ist, sind in diesem Zusammenhang Überschneidungen mit der Politikwissenschaft wohl kaum zu vermeiden. Dawkins ist Zoologe und theoretischer Biologe, eines seiner Themen ist Ethologie und die biologische Evolution — ansonsten ist Dawkins ein Verfechter wissenschaftlicher Methoden und rationaler Gedanken. Bezüglich der Fragestellung, was Religionen berechtigt, anderen Menschen Vorschriften zu machen und sich selbst als unantastbare Authorität über alles andere zu stellen, ist Dawkins um Längen kompetenter als jeder „Religionswissenschaftler”. Sick ist Journalist (wenn überhaupt). Mir fällt keine Kategorie ein in der die Drei irgend etwas gemeinsam haben ausser, dass Sie alle männliche Vertreter der Familie Hominidae sind.
Über Sick kann man streiten, es lassen, oder einfach mal lachen, wenn ihm Pointe gelingt. Wenn ihm eine Pointe misslingt, kann man vielleicht auch lachen, weil Schadenfreude ja auch etwas hat.
Dass Sprachwissenschaftler (ich bin keiner)scharf die Luft durch die Zähne ziehen ob des Hypes um Sick, kann ich das einerseits verstehen.
Andererseits ist Sprache und deren Benutzung endlich wieder ein Thema, und wer Sick hinter sich gelassen hat, weil der dann einfach nicht mehr reicht, ist vielleicht ein künftiger Rekrut für die Sprachwissenschaft, und sei es als interessierter Laie oder bemühter Katastrophenvermeider (schreibt man das so?).
Der Sprachwissenschaft als solcher wünsche ich ein bisschen mehr öffentliches Interesse, den Menschen allgemein ein wenig mehr Interesse an Sprache, denn sie ist ein feines Spielzeug. Finde ich.
@NvonX Chomsky ist Professor für Linguistik/Sprachwissenschaft, da die Sprache ein Werkzeug der Politik ist, sind in diesem Zusammenhang Überschneidungen mit der Politikwissenschaft wohl kaum zu vermeiden.
Sicher gibt es Überschneidungen zwischen Linguistik und Politikwissenschaft. Aber darüber schreibt Chomsky doch nicht (oder zumindest nicht hauptsächlich). Er analysiert und kommentiert politische Entscheidungsprozesse. Der Zusammenhang zur Sprachwissenschaft erschließt sich mir hier nicht. Von Dawkins habe ich nicht viel gelesen, glaube aber, daß er sich in seinen religionskritischen Schriften zumindest auf’s Gebiet der Soziologie verirrt und eher selten biologisch argumentiert.
Ich will, wie gesagt, gar keine Aussage über die Qualität dieser Schriften von Dawkins oder Chomsky machen — man muß ja keinen akademischen Grad vorweisen können, um sich in einem Thema auszukennen. Aber ich halte es für falsch, sie als Beispiele dafür zitieren, daß Wissenschaftler ihr Fachgebiet für die Masse aufbereiten. Auch wenn Chomsky womöglich mehr Ahnung von Politik hat als Sick von Linguistik sind doch beide auf dem Papier erst einmal fachfremd unterwegs. Und da haben wir dann auch die Kategorie, in die man sie alle stecken kann. Sie alle schreiben über Themen, die nicht (oder nur sehr bedingt) mit ihrem “Lehrberuf” zu tun haben. Vielleicht ist Sick da sogar noch am nächsten dran. Wenn er tatsächlich Germanistik studiert hat (hatte ich das hier irgendwo gelesen?) muß er doch auch wenigstens ein paar Linguistikkurse besucht haben. Als Linguistikprofessor kommt man da schon eher ohne politikwissenschaftliches Grundwissen aus.
„Ein paar Tage vor „Jeeves“ hat Sprachblogleser Christian einen sehr viel differenzierteren Kommentar hinterlassen, der unter anderem auch einen differenzierteren Neidvorwurf enthielt …“
Es freut mich sehr, dass Sie dieses Thema beschäftigt, Herr Stefanowitsch, und die vielen Kommentare sprechen ja auch für das rege Interesse, auf das dieses Thema stößt.
Ich wollte niemandem Neid „vorwerfen“, wie könnte ich.
Ich versuche nur eine Antwort auf die Frage zu finden, warum Sick die Wissenschaftswelt und auch diesen/dieses Blog so beschäftigt. Das mit dem Neid war eine Überlegung, und der Neid spielt mit Sicherheit mit rein, auf eine gesunde Art und Weise, so wie Sie es beschrieben haben.
Der Neid aufs Prominente dürfte es tatsächlich weniger sein, denn Sie sind ja gewissermaßen auch prominent, durch diesen/dieses Blog, und im Fernsehen durften wir Sie ja auch schon sehen. Aber die meisten hier sind eben eher ein Fachpublikum.
Dass es ums Fachliche geht, das glaube ich Ihnen auch. Aber wenn dann hier so gegen Sick gewettert wird (und ich stimme den meisten Kritikpunkten, die gegen ihn vorgebracht werden, zu), dann ist das wie der Kampf gegen Windmühlenflügel.
Sick ist nur eine Figur, und im Hintergrund geht es um viel Geld, das wichtiger ist als „Volksaufklärung“, wobei eine gewisse Aufklärung dabei ja auch betrieben wird – wenn sie auch manchmal ins Nationalistische hineinragt.
Vielleicht ist es tatsächlich mehr Idealismus als „Neid“, der dafür verantwortlich ist, Sick nicht einfach zu ignorieren, sondern ihm weitere Aufmerksamkeit zu schenken. Das finde ich gut. Ich finde auch: Wissenschaft darf und muss sich auch bei aller Rationalität Emotion leisten.
@Wolfgang Hömig-Groß:
Ah nein, der Knigge-Vergleich hinkt. “Über den Umgang mit Menschen” ist wirklich kein Benimmbuch, und im Zusammenhang mit den Kampflinien hier im Blog (Präskripivisten/Deskriptivisten) fällt das Buch doch ziemlich deutlich ins deskriptive Lager.
Es ist ausserdem ein sehr schönes Buch in entzückendem Deutsch.
Ach ja, hat irgendjemand wirklich ein Problem mit Herrn Sick? Der Mann bringt Stammtischnörgler, Deutschlehrer, besorgte Eltern, Schöngeister und Sprachwissenschaftler an einen Tisch. Mich sorgt das überhaupt nicht. Ist doch super, wenn der Eine erfährt, was den Anderen wirklich kümmert, da können wir doch nur Zuhören lernen.
Ich hoffe (ein kleiner Wink mit dem Zaunpfahl), dass Herr Sick in seinen Büchern brav zitiert, damit die armen Theoretiker im Hintergrund ein wenig Anerkennung erfahren.
Und ich hoffe auch, dass der Blick hinter die Wissenschaftskulissen nicht zu Panikattacken an Stammtischen, bei Elternversammlungen etc. führt. Es ist alles gut!
Und deskriptiv vs. präskriptiv ist doch ziemlich alt. Wie wärs mit einer Synthese?
‘Wahrheiten’ und Dinge, die ‘wirklich passieren’, als Kern der Wissenschaftlichkeit zu akzeptieren, zumal im sprachlichen Bereich, das macht mir Schwierigkeiten. Der Unterschied liegt wohl eher in der Herangehensweise:
Der ‘Sprachnörgler’ verfährt ‘historisch’ oder ‘diachron’, er greift in die Zeit zurück und vergleicht das Heute mit einem Gestern. Das findet er dann entweder ‘anders’ oder ‘besser’ resp. ’schlechter’. So bleibt der ‘Nörgler’ immer an eine Tradition gekettet, was ihn zum Sprachkonservator únd ‑konservativen macht: Er hat ein Wächteramt inne — und er hätte am liebsten ein linguistisches Polizeigesetz.
Der Wissenschaftler verfährt dagegen ‘diachron’, er legt einen Querschnitt durch die Sprachwelt — und guckt, was heute denn ertönt, wenn Leute ganz real miteinander kommunizieren und dabei gar nicht so regelgerecht, gestelzt und auch antiquiert daherparlieren, wie es der Sprachnörgler von ihnen fordert. Der Wissenschaftler kennt nirgends eine ‘gute alte Zeit’. Also wertet er auch nicht, er vergleicht, er rubriziert, er archiviert. So wird er zum geborenen ‘Liberalen’ — der Streit zwischen den beiden Figuren ist damit eine Form von ‘Sprachpolitik’.
Natürlich ist dies idealtypische Bild schief, es gibt schließlich auch eine historische Sprachwissenschaft, sozusagen eine diachrone Synchronizität, aber ‘cum grano salis’ …
Chat Atkins, heute muss ich Ihnen — ich glaube, zum ersten Mal — widersprechen, zumindest teilweise. Die Diachronie des Sprachnörglers ist nämlich keine echte, sondern eine virtuelle. Der Sprachnörgler versteht ja nichts von Sprachgeschichte, er erfindet sich eine Sprachgeschichte: alles, was ihm missfällt, muss neu sein, und seine erfundenen Regeln bilden vorgeblich den früheren, besseren Zustand der Sprache ab. Wer wirklich etwas über Sprachwandel und verschiedene Stufen einer Sprache erfahren möchte, der muss in der Tat den Sprachwissenschaftler fragen, und zwar den historischen. Und von dem wird er erfahren, dass die Sprache vor hundert, zweihundert oder tausend Jahren genauso im ständigen Wandel begriffen war, wie heute. Der Sprachwissenschaftler kennt deshalb keine „gute alte Zeit“, weil es eine gute alte Zeit nie gab.
Ja — es ist schon vertrackt mit diesem elenden Wahrheitsbegriff, der einem ständig zwischen den Füßen rumläuft: Ich meinte ja nicht, dass der ‘Sprachnörgler’ schon deshalb recht hätte, weil er seine diachrone Sprachwirklichkeit ganz wahrhaftig und aus innerster Überzeugung für wahr hält. Er hat leider bloß viele Spießgesellen, die das ebenso als ihre Wahrheit sehen. Seine Sicht ist damit gruppenkonstituierend.
Dagegen ging ich in meinem Beitrag bloß davon aus, dass so etwas — also ‘diachron’ vs. ’synchron’ — brauchbare erkenntnisleitende Vorstellungen für eine erste Annäherung an das Problem sein könnten, ohne dass ich damit die jeweilige Qualität der Erkenntnis bewerten wollte. Die ‘gute alte Zeit’ dagegen ist schon immer eine rückwärts gewandte Utopie gewesen …
Der Sprachnörgler versteht ja nichts von Sprachgeschichte, er erfindet sich eine Sprachgeschichte
Wobei es ja auch noch die Fälle gibt, bei denen Sprachwissenschafler und Sprachnörgler in derselben Person zusammenfallen. Auch historische Linguisten neigten doch zumindest früher dazu, sich ebenfalls in die ‘gute alte Zeit’ zurückzusehnen, als das Deutsche (bzw. Vorstufen davon) noch acht Kasus hatte und nicht zweieinhalb so wie heute. Ich meine, mich aus meinem Studium daran zu erinnern, daß auch ernstzunehmende Sprachwissenschaftler wie z.B. Jacob Grimm gedacht haben, daß Sprachwandel immer auch Sprachverfall bedeutet, und das mit ihren Forschungen belegen zu können glaubten. Zum Beispiel eben am Verschwinden grammatischer Markierungen.
@Andreas H (#8): Dieter Zimmer reagiert hier wahrscheinlich auf die Art von Linguistik, die er zu Zeiten seines Germanistikstudiums kennengelernt hat (der Begriff “elaborierter Code” und die implizit marxistische Grundhaltung, die er der Linguistik unterstellt, zeigen, dass er sich nicth auf der Höhe der Zeit befindet). Er akzeptiert auch nicht, dass die Linguistik eine Wissenschaft ist, denn sonst würde er deren Objektivität nicht als vorgeschoben empfinden. Schade eigentlich, denn er hat durchaus auch kluge Dinge zum Thema Sprache gesagt.
@Anatol Stefanowitsch: Eins wollte ich noch fragen: was hat die Auswahl der Titelseiten zu bedeuten, die diesen Beitrag illustrieren?
Frank, für mich gibt es drei große Mysterien: das Universum, das Leben und das Bewusstsein. Mit den Titelseiten wollte ich drei Wissenschaftler würdigen, deren Arbeit am Anfang des wissenschaftlichen Herangehens an diese Mysterien stand und die sich nicht darum gekümmert haben, ob ihre Forschung populär war. Interessanterweise haben alle drei sich darum bemüht, ihre Überlegungen allgemeinverständlich darzulegen (was bei einer gerade erst entstehenden wissenschaftlichen Disziplin natürlich einfacher ist, als bei den weit herangereiften Theorien, die heute zumindest die ersten zwei dieser Wissensbereiche beschreiben.
Na bitte. Hat doch geholfen, mein launiger Einwand.
Danke, gerne geschehen.
Er hat gar nicht “jedoch” geschrieben, sondern “deshalb”.