Neidlos

Von Anatol Stefanowitsch

Vor ein paar Tagen hat ein gewiss­er „Jeeves“ — ver­mut­lich nicht sein richtiger Name — dieses Blog ent­deckt und wie fol­gt kom­men­tiert:

Huch, wohin hab’ ich mich denn hier verlaufen?

Studierte oder studierende Humor­lose sind offen­sichtlich eifer­süchtig auf einen Erfol­gre­ichen (näm­lich: Sick)?

Das mach auf mich als Außen­ste­hen­den jeden­falls diesen Eindruck.

Beson­ders gründlich kann er sich nicht umge­se­hen haben, denn über Sick reden wir hier nur sehr selten.

Aber zum Kern des Vor­wurfs: Sind Sprach­wis­senschaftler — studiert oder studierend — nei­disch auf die promi­nente Sprach­nör­gler wie Bas­t­ian Sick?

Titelseite von Galileos Istoria

Titel­seite von Galileos Istoria

Bevor ich diese Frage glaub­haft beant­worten kann, muss ich einen Punkt aus dem Weg räu­men: das Finanzielle. Für Wis­senschaftler ist Geld nor­maler­weise nicht das Wichtig­ste im Leben — die meis­ten von ihnen kön­nten außer­halb der Uni­ver­sität mehr ver­di­enen. Aber wenn sie angesichts der Mil­lio­nen, die Sick mit seinen Büch­ern, Videos und Brettspie­len ein­fährt, nicht wenig­stens ein biss­chen Neid empfind­en wür­den, müsste man sich wohl Sor­gen um ihren Real­itätssinn machen. In dieser Hin­sicht: ja, da bin ich nei­disch auf Sick — auf eine recht hypo­thetis­che Art, etwa so, wie ich auch nei­disch auf Lot­to­gewin­ner oder Mil­lionener­ben bin.

Aber ich denke nicht, dass finanzieller Neid der eigentliche Vor­wurf ist. Die Frage, um die es eigentlich geht, ist die, ob Sprach­wis­senschaftler nei­disch auf die Promi­nenz von Sprach­nör­glern wie Bas­t­ian Sick sind. Ein paar Tage vor „Jeeves“ hat Sprach­blogleser Chris­t­ian einen sehr viel dif­feren­ziert­eren Kom­men­tar hin­ter­lassen, der unter anderem auch einen dif­feren­ziert­eren Nei­d­vor­wurf enthielt:

Ein wenig spielt hier auch der Neid der Wis­senschaft eine Rolle, mit Fach­tex­ten und Fachaus­drück­en eben kein Massen­pu­bikum erre­ichen zu kön­nen. Denke ich zumindest.

Chris­t­ian, soweit ich das beurteilen kann, denken Sie da falsch. Wis­senschaftler küm­mert es nicht das kle­in­ste biss­chen, ob sie mit ihren Fach­tex­ten ein Massen­pub­likum erre­ichen. Und das ist ein­er­seits gut und ander­er­seits schlecht.

Es ist gut, weil Wis­senschaftler, die vor­rangig mit ihrer eige­nen öffentlichen Wahrnehmung beschäftigt wären, wenig Zeit und Moti­va­tion hät­ten, um ern­sthafte Forschung zu betreiben. Das Massen­pub­likum ist für die hochspezial­isierten Fragestel­lun­gen, mit denen wir uns beschäfti­gen, schw­er zu begeis­tern, und so müssten wir uns mit öffentlichkeitswirk­samen, aber wis­senschaftlich triv­ialen Din­gen beschäfti­gen, um Promi­nenz zu erlangen.

Titelseite von Darwins Origin of Species

Titel­seite von Dar­wins Ori­gin of Species

Wis­senschaftler sind grund­sät­zlich mit zwei Din­gen beschäftigt: Erstens inter­essieren sie sich für die Wahrheit. Das klingt in ein­er post­mod­er­nen, alles rel­a­tivieren­den Welt etwas antiquiert, aber es ist so. Wis­senschaftler wollen wis­sen, wie die Dinge wirk­lich funk­tion­ieren. Nicht, weil man dadurch reich oder berühmt wird, son­dern, weil es ihnen ein tiefes Gefühl der Befriedi­gung ver­schafft. Zweit­ens inter­essieren sie sich (sie sind ja trotz allem nur Men­schen) dur­chaus für Ruhm — allerd­ings auss­chließlich für den Ruhm, den sie sie mit ihren Ideen inner­halb ihres Fach­es erre­ichen können.

Das kann man nur ver­ste­hen, wenn man weiß, wie es sich anfühlt, den eige­nen Namen unter einem Beitrag in ein­er anerkan­nten Fachzeitschrift zu sehen, die eige­nen Ideen in Arbeit­en oder Vorträ­gen ander­er Wis­senschaftler zitiert zu lesen oder zu hören, eine Ein­ladung auf eine inter­na­tionale Fachkon­ferenz zu erhal­ten oder Emails von Kolleg/innen oder Studieren­den aus Japan, Aus­tralien oder den USA zu bekom­men, die man noch nie getrof­fen hat, die einen aber auf­grund von Veröf­fentlichun­gen ken­nen und die ern­sthafte und gut durch­dachte Fra­gen bezüglich dieser Veröf­fentlichun­gen haben.

Titelseite von Wundts Völkerpsychologie

Titel­seite von Wundts Völkerpsychologie

Alle diese Dinge lösen bei mir auch nach fast zehn Jahren Forschungstätigkeit immer noch einen kleinen, freudi­gen Schock aus. Das hat sich­er etwas mit einem Bedürf­nis nach Ruhm und Ehre zu tun, aber eben nach Ruhm und Ehre in der Fach­welt. Und anders als ein Bedürf­nis nach öffentlichem Ruhm treibt es mich dazu an, gute Wis­senschaft zu betreiben, denn für schlechte Wis­senschaft nimmt einen die Fach­welt nun ein­mal nicht wahr.

In gewiss­er Weise ist es also gut, dass Wis­senschaftler sich nicht um ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit scheren. Ander­er­seits über­lassen wir damit die öffentliche Diskus­sion unseres Fach­es Leuten, die nichts davon ver­ste­hen. Und das ist schlecht, denn es führt dazu, dass die Öffentlichkeit ein völ­lig verz­er­rtes Bild des jew­eili­gen Prob­lem­bere­ichs präsen­tiert bekommt. Das ist bei der Sprach­wis­senschaft so, aber ich denke, anderen Diszi­plinen erge­ht es auch nicht bess­er (beson­ders die Psy­cholo­gen tun mir leid — gegen die Über­ma­cht an Eso­terik, Schar­la­taner­ie und Pseudowis­senschaft, von der die öffentliche Diskus­sion in Fra­gen men­schlichen Ver­hal­tens und des men­schlichen Geistes beherrscht wird, ist der Kampf bere­its so gut wie verloren).

Ich würde mir deshalb wün­schen, dass Wis­senschaftler ein wenig mehr Spaß an ein­er Promi­nenz außer­halb ihres Fach­es hät­ten — ger­ade genug, um sie zu motivieren, die Fra­gen, Sichtweisen und Erken­nt­nisse ihres Fach­es ein­er bre­it­en Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Man muss ja nicht gle­ich eine monopo­lar­tige Ver­mark­tungs­maschiner­ie à la Sick aufziehen. Ein kleines Blog reicht.

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

27 Gedanken zu „Neidlos

  1. kamenin

    Erstens inter­essieren sie sich für die Wahrheit. Das klingt in ein­er post­mod­er­nen, alles rel­a­tivieren­den Welt etwas antiquiert, aber es ist so. Wis­senschaftler wollen wis­sen, wie die Dinge wirk­lich funktionieren.

    Danke! Das war erfrischend zu lesen 😉

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  2. Morgis

    Ich bin zwar kein Wis­senschaftler, doch ich denke, dass die Veröf­fentlichun­gen von Her­rn Sick dur­chaus pos­i­tiv zu beurteilen sind. Er greift damit ein — mein­er Ansicht nach — gravieren­des Prob­lem auf: Die Ver­ro­hung der deutschen Sprache. In ein­er Welt, in der nicht mal kun­de­nori­en­tierte Fir­men es schaf­fen, einzelne Wort­fet­zen mit denen Sie auf sich aufmerk­sam machen wollen, richtig zu schreiben und Anglizis­men ver­wen­det wer­den, die jedem englis­chen Mut­ter­sprach­ler zum Lachen (Body Bag -> Leichen­sack statt Ruck­sack) brin­gen oder die Nack­en­haare sträuben lässt (Back Fac­to­ry -> Rück­en­fab­rik statt Back­fab­rik), will ich gar nicht leben. Deshalb finde ich die Arbeit von Her­rn Sick sehr ver­ant­wor­tungs­be­wusst und dass er dabei einen Haufen Knete und Ruhm außer­halb der Fach­welt ernet ist dabei nur ein natür­lich­er Neben­ef­fekt. Ich fände es sog­ar trau­rig, wenn er es mit seinen Büch­ern nicht geschafft hätte.

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  3. Frank Oswalt

    Ist ja schon gut, ich übernehme Morgis.

    Ich bin zwar kein Wis­senschaftler, doch ich denke, dass die Veröf­fentlichun­gen von Her­rn Sick dur­chaus pos­i­tiv zu beurteilen sind.

    Ich repariere das mal:

    Ich bin kein Wis­senschaftler, deshalb glaube ich, dass die Veröf­fentlichun­gen von Her­rn Sick dur­chaus pos­i­tiv zu beurteilen sind.

    Ja, so macht es mehr Sinn.

    Er greift damit ein — mein­er Ansicht nach — gravieren­des Prob­lem auf: Die Ver­ro­hung der deutschen Sprache.

    Nur, weil man es hun­dert­mal wieder­holt, wird es nicht richtiger.

    …Anglizis­men ver­wen­det wer­den, die jedem englis­chen Mut­ter­sprach­ler zum Lachen (Body Bag -> Leichen­sack statt Ruck­sack) bringen…

    Ist bere­its hier ad acta gelegt worden.

    Deshalb finde ich die Arbeit von Her­rn Sick sehr verantwortungsbewusst …

    Ja, sich über ver­meintlich weniger gebildete Men­schen lustig zu machen ist immer lobenswert.

    … und dass er dabei einen Haufen Knete und Ruhm außer­halb der Fach­welt ernet ist dabei nur ein natür­lich­er Nebeneffekt.

    Inner­halb der Fach­welt beachtet ihn ja keiner.

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  4. Wolfgang Hömig-Groß

    So leid es mir tut — hier muss ich zur Vertei­di­gung Her­rn Sicks eingschre­it­en. Ich denke näm­lich — und Herr Ste­fanow­itsch hat das _auch_ nicht expliz­it gesagt -, dass wed­er Sick selb­st sich oder jemand anders ihn für einen Sprach­wis­senschaftler hält. Oder dass er, obwohl so weit ich weiß gel­ern­ter Roman­ist, das behauptet. Seine Arbeit hat mit Sprach­wis­senschaft etwa so viel zu tun wie Knigge mit Gesellschaftswis­senschaft. Schlimm finde ich da schon eher, dass öffentlich häu­fig Sprach­pflege mit Sprach­wis­senschaft ver­wech­selt wird. Und, auch Frank Oswalt deutet es an, dass diese Form der Sprach­pflege neben ihrem hier oft the­ma­tisierten Legit­i­ma­tions- und Kor­rek­theit­sprob­lem vor­wiegend zur Schichtzuge­hörigkeits­demon­stra­tion genutzt wird. Sick liefert zu vie­len Leuten hand­feste Anleitun­gen, wie sie sich anderen über­legen fühlen und dies auch demon­stri­eren kön­nen. Dass sie sich dabei ihrer­seits häu­fig irren, liegt in der Natur der Sache.

    Anson­sten auch von mir großes Kom­pli­ment für diesen Beitrag. Sehr genau beobachtet und klar aus­ge­drückt — das hat auf mich mal wieder mäeutis­che Wirkung gehabt.

    Wie zum Beispiel auch etwas — klein­er The­men­wech­sel -, was ich heute im Radio gehört habe, mir etwas klar gemacht hat, was mir vorher zwar war, aber dif­fus: Da sagte eine kluge Frau, dass in der öffentlichen Debat­te immer Aus­bil­dung und Bil­dung durcheinan­der gewor­fen wer­den. Das eine sei näm­lich bar jed­er inhaltlichen Anforderung, das andere nicht. Skills (Aus­bil­dung) wie etwa Lesen könne man genau­so gut an einem Beipackzettel eines Medika­ments ler­nen wie an Schillers Glocke; das Gle­iche ist es darum noch lange nicht.

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  5. Morgis

    Sehr geehrter Herr Oswalt,

    wie gesagt, ich bin kein Wis­senschaftler und schon gar kein Lin­guist, daher seh ich im Moment auch nicht den Unter­schied zwis­chen “… doch ich denke…” und “… jedoch glaube ich…”. Vielle­icht mag mir das ein­er mal an geeigneter Stelle erk­lären, ohne in Spitzfind­igkeit­en zu verfallen.

    Mein­er Ansicht nach macht Herr Sick sich nicht über “ver­meintlich weniger gebildete Men­schen lustig”. Das wäre das Gle­iche, als wenn ein/e Klausuren korrigierende/r Lehrer/in sich mit­tels des Kor­rigierens über den/die Schüler/in lustig macht, dessen Klausur er/sie ger­ade korrigiert.

    Die restlichen Kom­mentare lasse ich mal dahin gestellt. Unab­hängig davon ob sie einen Sinn ergeben oder nicht.

    Gruß

    Mor­gis

    P. S. Sie haben ein Kom­ma vergessen 🙂

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  6. Marta

    Ich möchte gerne dieses Blog, bloggende Sprach­wis­senschaftler UND auch Her­rn Sick in Schutz nehmen. 

    Bis vor Kurzem habe ich selb­st ein Sprach­wis­senschafts-Blog betrieben — ein­fach so, neben dem Studi­um, später mit Dok­toran­den, um ein Net­zw­erk zu begrün­den. Die Frage, wieso ich es nicht mehr tue, kön­nte aufkom­men, deshalb erk­läre ich es kurz: Das Net­zw­erk arbeit­et unab­hängig weit­er, das Blog existiert auch noch, ist jedoch vorüberge­hend nicht zugänglich. Ich warte, bis eine Zusam­me­nar­beit mit Kol­le­gen bess­er möglich ist, was nicht an irgendwelchen insti­tu­tionellen Grabenkämpfen (die es ja in allen Wis­senschaften gibt) oder dem Willen, zumin­d­est am Anfang unent­geltlich zu arbeit­en (ich glaube, ein wenig Sicher­heit in Form eines guten Konzepts reicht uns), son­dern vor Allem an der Vielfalt der Inhalte, Ziele und Per­spek­tiv­en inner­halb der Sprach­wis­senschaft liegt. Es ist schw­er, diese in einem redak­tionellen Konzept zusam­men zu fassen.

    Obwohl ich dieses Blog hier noch nicht so genau gele­sen habe, wäre ich nicht auf die Idee gekom­men, dass es aus Neid betrieben wird. Ich glaube, Bas­t­ian Sick ist auch nicht nei­disch auf den berühmten Noam Chom­sky (z.B.: Uni­ver­sal­gram­matik, unab­hängig von Einzel­sprachen) oder die ihm ähn­lichere Lynne Truss (z.B.: englis­che Zeichenset­zung). Herr Sick beschäftigt sich meines Wis­sens nach (ich habe noch nicht so viel von ihm gele­sen oder gese­hen) sehr prak­tisch mit der deutschen Sprache. Er spricht über Rechtschrei­bung, Satzstel­lung, Stil und Dialek­te. Ich höre ihm gerne zu und füh­le mich sog­ar inspiri­ert, weit­er über bes­timmte Fragestel­lun­gen nachzu­denken. Zudem finde ich, macht er Sprach­wis­senschaft, Gram­matik bzw. die deutsche Sprache als Gespräch­s­the­ma an sich zugänglich­er für alle Zuhör­er. Er zeigt, wie man fundiertes Wis­sen weniger abge­hoben und trock­en präsen­tieren kann, worüber sich die Spraw­is, Ger­man­is­ten und Deutschlehrer doch nur freuen kön­nen, da er ihnen den Weg ebnet. Zudem haben auch Forschungs­the­men eine Daseins­berech­ti­gung, wenn sie sich nicht ver­ständlich einem bre­it­en Pub­likum dar­bi­eten lassen.

    Mein let­zter Schw­er­punkt war indi­vidu­elle Mehrsprachigkeit mit prak­tis­chen und the­o­retis­chen Ele­menten — und ich freue mich gle­ich­gesin­nte, freudig bloggende Kol­le­gen zu treffen.

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  7. Marta

    @Morgis

    Ich sehe das etwas entspan­nter mit der “Ver­ro­hung”, Sprache hat sich ja schon immer verän­dert, son­st hätte es wohl nie Wörter­büch­er oder Gram­matiken gegeben.

    Ich gebe aber zu, dass einige Bere­iche sehr chao­tisch wirken kön­nen und auch die Schreibfähigkeit­en zu lei­den scheinen. Der Sprach­wan­del, den es schon immer gegeben hat, scheint viel schneller von­stat­ten zu gehen. Ver­mut­lich ist es das, worauf wir uns in Zukun­ft ein­stellen müssen. Viele Men­schen und viel Kom­mu­nika­tion brauchen viel Aufmerk­samkeit oder neue Ord­nungssys­teme. Die ganze Infor­ma­tion die auf uns ein­pras­selt, muss ein biss­chen geord­net wer­den, son­st geht sie entwed­er unter oder hin­ter­lässt nur Buch­staben­salat in unseren Köpfen.

    Das sieht man nicht nur an kreativ for­mulierten Fir­men­na­men (die sich aus zwei Sprachen bedi­enen), son­dern auch in den Medi­en (z.B.: Gänse­haut­feel­ing) und in der Schule. Die Kid­dies ler­nen nun mal ungern, was Dröge ist. Auch die Aufmerk­samkeit der Erwach­se­nen lässt sich nicht mehr so leicht gewin­nen. Zudem sind heutige Jobs und der All­t­ag immer stärk­er auch mit der geschriebe­nen Sprache ver­bun­den (Chats, Foren, Blogs). Da fällt es umso stärk­er auf, wie viele Men­schen nicht gut schreiben können.

    Wenn Herr Sick seine Gram­matikregeln vie­len Men­schen verkaufen kann, dann hat er ver­standen, wie man sich mit lang­weili­gen Mate­r­i­al durch die Infor­ma­tions­flut zu unser­er Aufmerk­samkeit dur­char­beit­et. Und ein biss­chen Unruhe über den Sprachver­fall steigert nur die Verkauf­szahlen. Ich glaube aber nicht, dass wir Angst bekom­men müssen, dass die Sprache verroht. 

    Wenn die Regeln durch den Spass­fak­tor nicht zu ein­seit­ig präsen­tiert wer­den, dann sehe ich auch das recht lock­er. Dass man nach der Lek­türe einiger witziger Artikel über Rechtschrei­bung noch ein wenig sel­ber üben muss, ist ver­mut­lich allen klar.

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  8. Andreas H.

    Ich meine, dass Sprachkri­tik­er (genauer: Sprachge­brauchkri­tik­er) wie Herr Sick ein­er­seits und Sprach­wis­senschaftler ander­er­seits keine Konkur­renz darstellen, da sie unter­schiedliche Felder ‘beack­ern’. Da, wo sich Sprach­wis­senschaftler wegen ihres Berufsver­ständ­niss­es aus der Debat­te her­aushal­ten (müssen), sprin­gen Kri­tik­er wie Herr Sick ein, denn unzweifel­haft beste­ht ein großer Bedarf in der Bevölkerung nach Sprachge­brauchssicher­heit, den Lin­guis­ten nicht deck­en kön­nen (oder dür­fen). Auch Herr Ste­fanow­itsch ver­steigt sich gele­gentlich in all zu akademis­che Höhen, wenn er z. B. den Gebrauch von “Sinn machen” mit irrel­e­van­ten Kon­struk­ten zu legit­imieren ver­sucht (oder glaubt jemand ern­sthaft, ein Sprech­er wägt die von Her­rn Ste­fanow­itsch ange­bote­nen Vari­anten sorgsam gegeneinan­der ab, bevor er sich für ‘Sinn machen’ entscheidet?).

    Eine wun­der­bare Aus­sage find­et sich auf der let­zten Seite des Buchs “Sprache in Zeit­en ihrer Unverbesser­lichkeit” von Dieter E. Zim­mer, den ich hier zitieren möchte:

    Die Bew­er­tungs­pho­bie der Lin­guis­tik kommt zwar im Namen des wis­senschaftlichen Objek­tiv­ität­sange­bots, wert­neu­traler Ide­olo­gieab­sti­nenz daher, ist jedoch in zweier­lei Hin­sicht sel­ber hochgr­a­dig ide­ol­o­gisch kon­t­a­miniert. Zum einen entspringt sie ein­er vorge­fassten Parteinahme gegen den ela­bori­erten Code des Bürg­er­tums, den sie für ein Repres­sion­s­mit­tel hält, deren Nutzen für die sprach­lich Unter­priv­i­legierten, denen sie zugute kom­men soll, indessen höchst zweifel­haft ist.Zum anderen beruht sie auf ein­er pseudo­bi­ol­o­gis­chen The­o­rie, deren Effekt, wenn nicht Absicht es ist, kul­turelle Dif­feren­zen für uner­he­blich und ober­fläch­lich zu erk­lären, für folk­loris­tis­che Kostümierun­gen, die Sprache als unversehrbar durch irgen­deinen Sprachge­brauch hinzustellen und die tiefe sprach­liche (und damit kog­ni­tive) Gle­ich­heit aller Men­schen zu behaupten. Es dürfte sich um eine dop­pelte Illu­sion han­deln. Lass deinen Sprache nicht allein.”

    Herr Oswalt, übernehmen sie!

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  9. Morgis

    @Marta: Ok, der Begriff “Ver­ro­hung” war wohl etwas zu harsch gewählt und bei der Sache mit der Entwick­lung stimme ich Ihnen auch zu. Dass sich eine Sprache verän­dert ist selb­stver­ständlich und nicht aufzuhal­ten. Aber ein paar Grun­dregeln sollte man schon ein­hal­ten. Ich hab auch nichts gegen Anglizis­men, sie soll­ten nur zutr­e­f­fend und sparsam dosiert sein*. Doch wenn man mal so über diverse Schul­höfe schlen­dert und die Wort­fet­zen von Kindern und Jugendlichen auf­schnappt kann einem schon so manch­es verge­hen und man begin­nt sich zu fra­gen, was die da über­haupt in der Schule lernen.

    Was die Schreib­weise in Chats bet­rifft, so finde ich es dort im Grunde gar nicht so schlimm, dass dort generell viele Rechtschreibfehler und Tippfehler und wer weiß was noch alles zu find­en ist. Die meis­ten Leute kön­nen halt nicht so schnell schreiben, wie sie sprechen kön­nen, wollen auf der anderen Seite sich aber so schnell wie möglich mit­teilen. Dass da aller­hand verkürzt wird, liegt dann wohl auf der Hand. Aber das birgt dann wiederum auch ein Prob­lem für die Leute, die sehr viel in solchen Chats hock­en und nur diese Wort­stüm­mel zu lesen bekom­men und irgend­wann vergessen, wie diese Worte denn richtig geschrieben wer­den, bzw. kom­plette Gram­matikregeln schlicht verwerfen.

    Gruß

    Mor­gis

    * Ich war mal im Haupt­bahn­hof Köln auf der Suche nach der Toi­lette. Den WC-Weg­weis­ern fol­gend kam ich dann irgend­wann an einem Weg­weis­er an, der mich genau in die ent­ge­genge­set­zte Rich­tung ver­wies. Anschließend pen­delte ich ich dann zwis­chen zwei solch­er Weg­weis­er hin und her und wurde fast wahnsin­nig, bis sich der ver­meintliche Waschsa­lon als WC ent­pup­pte. Das wäre mal inter­es­sant zu wis­sen, wie vie­len Leuten das schon in Köln passiert ist 😉

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  10. Laughing Man

    Ich kann Sicks sprachkri­tis­che Gehver­suche und vor allem seine präskrip­tive Hal­tung im wis­senschaftlichen Gesamt­bild nicht für Gut heißen. Den­noch kann ich sein­er Arbeit etwas pos­i­tives abgewin­nen, denn er führt die bre­ite Masse, in sehr unter­halt­samer Weise, an ein wichtiges The­ma heran.

    Mein Prob­lem als Lin­guis­tik­studieren­der ist nun, dass ich sehr ent­täuscht bin von den habil­i­tierten oder pro­movierten Lin­guis­ten. Mein­er Mei­n­ung nach ist es eine der Auf­gaben, über Pri­or­itäten mag ich nicht sprechen, dass sich Wis­senschaftler um die Bil­dung der Masse küm­mern — im aufk­lärerischen Sinne. Im englis­chen Sprachraum ist das keine Sel­tenheit, wie man an Dawkins (Reli­gion), Pinker (Sprache), Chom­sky (Poli­tik) und anderen sieht. Über die Qual­ität der Aus­sagen von Dawkins & Co. möchte ich nicht disku­tieren an dieser Stelle, doch wenn sich Wis­senschaftler still in ihrem Käm­mer­lein ver­steck­en und nur für ihre Zun­ft schreiben, dann nehmen sich eben fach­fremde Per­so­n­en solch­er The­men an und es entste­ht eine “Sicksche Unschärfe”.

    My 2 Cent,

    Andreas Kull

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  11. kreetrapper

    Mein­er Mei­n­ung nach ist es eine der Auf­gaben, über Pri­or­itäten mag ich nicht sprechen, dass sich Wis­senschaftler um die Bil­dung der Masse küm­mern — im aufk­lärerischen Sinne.

    Dem stimme ich zu. Aber Deine Beispiele sind m.E. schlecht gewählt.

    Nur weil jemand Wis­senschaftler ist, ist er nicht gle­ich automa­tisch in allen Gebi­eten gebilde­ter als Nichtwissenschaftler. Ohne auf die Qual­ität der pop­ulär­wis­senschaftlichen Texte der von Dir ange­führten Leute einzuge­hen, ist es doch auf­fäl­lig, daß sich alle drei auf Gebi­eten beschränken, in denen sie eben ger­ade nicht wis­senschaftlich arbeit­en. Chom­sky ist kein Poli­tik­wis­senschaftler und Dawkins kein Reli­gion­swis­senschaftler. Und damit passen sie eigentlich doch eher in eine Kat­e­gorie mit Sick, der eben auch kein Sprach­wis­senschaftler ist, son­dern sich als inter­essiert­er Laie öffentlich damit auseinandersetzt.

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  12. kamenin

    Mein­er Mei­n­ung nach ist es eine der Auf­gaben, über Pri­or­itäten mag ich nicht sprechen, dass sich Wis­senschaftler um die Bil­dung der Masse küm­mern — im aufk­lärerischen Sinne.

    Ich weiß ja nicht, aber mein­er Mei­n­ung nach ist das alles schon da: in den Bib­lio­theken, in den großen Buch­hand­lun­gen. Ist das nicht eher ein Prob­lem man­gel­nder Nach­frage, wenn die Wis­senschaft nicht als Pop-Lit­er­atur und nicht vom Spiegel ver­mark­tet daherkommt?

    Außer­dem ist das, was Wis­senschaftler als ihre tat­säch­liche Arbeit machen, nicht ger­ade das, was man aufk­lärerisch so ein­fach dem Pub­likum ver­mit­teln kann. Nichts gegen Ver­suche, den nicht-wis­senschaftlichen Leser da abzu­holen, wo er ist. Aber wir sprechen da über einen Zweitjob, mit dem eigentlichen hat der wenig zu tun.

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  13. r3lite

    Es ist mit der Wis­senschaft genau wie mit der Kun­st: Das, was die Masse erre­icht ist nur Durch­schnitt, kle­in­ster gemein­samer Nen­ner, qual­i­ta­tives Mit­tel­maß. Sel­biges kön­nte man sog­ar mit Stat­stik erk­lären. Ergo: Gute Wis­senschaft und große Kun­st wer­den es nie schaf­fen, eine große Masse zu erre­ichen. Was auch gut so ist.

    Antworten
  14. NvonX

    @Laughing Man/kreetrapper: Bil­dung muss man sich aneignen, dafür ist jed­er selb­st ver­ant­wortlich — Lehrer und Wis­senschaftler helfen JEDEM, der ein ern­stes Inter­esse hat, Bil­dung zu erlangen.

    @kreetrapper: Chom­sky ist Pro­fes­sor für Linguistik/Sprachwissenschaft, da die Sprache ein Werkzeug der Poli­tik ist, sind in diesem Zusam­men­hang Über­schnei­dun­gen mit der Poli­tik­wis­senschaft wohl kaum zu ver­mei­den. Dawkins ist Zoologe und the­o­retis­ch­er Biologe, eines sein­er The­men ist Etholo­gie und die biol­o­gis­che Evo­lu­tion — anson­sten ist Dawkins ein Ver­fechter wis­senschaftlich­er Meth­o­d­en und ratio­naler Gedanken. Bezüglich der Fragestel­lung, was Reli­gio­nen berechtigt, anderen Men­schen Vorschriften zu machen und sich selb­st als unan­tast­bare Author­ität über alles andere zu stellen, ist Dawkins um Län­gen kom­pe­ten­ter als jed­er „Reli­gion­swis­senschaftler”. Sick ist Jour­nal­ist (wenn über­haupt). Mir fällt keine Kat­e­gorie ein in der die Drei irgend etwas gemein­sam haben auss­er, dass Sie alle männliche Vertreter der Fam­i­lie Hominidae sind.

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  15. buchstaeblich

    Über Sick kann man stre­it­en, es lassen, oder ein­fach mal lachen, wenn ihm Pointe gelingt. Wenn ihm eine Pointe misslingt, kann man vielle­icht auch lachen, weil Schaden­freude ja auch etwas hat.

    Dass Sprach­wis­senschaftler (ich bin keiner)scharf die Luft durch die Zähne ziehen ob des Hypes um Sick, kann ich das ein­er­seits verstehen.

    Ander­er­seits ist Sprache und deren Benutzung endlich wieder ein The­ma, und wer Sick hin­ter sich gelassen hat, weil der dann ein­fach nicht mehr reicht, ist vielle­icht ein kün­ftiger Rekrut für die Sprach­wis­senschaft, und sei es als inter­essiert­er Laie oder bemühter Katas­tro­phen­ver­mei­der (schreibt man das so?).

    Der Sprach­wis­senschaft als solch­er wün­sche ich ein biss­chen mehr öffentlich­es Inter­esse, den Men­schen all­ge­mein ein wenig mehr Inter­esse an Sprache, denn sie ist ein feines Spielzeug. Finde ich.

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  16. kreetrapper

    @NvonX Chom­sky ist Pro­fes­sor für Linguistik/Sprachwissenschaft, da die Sprache ein Werkzeug der Poli­tik ist, sind in diesem Zusam­men­hang Über­schnei­dun­gen mit der Poli­tik­wis­senschaft wohl kaum zu vermeiden.

    Sich­er gibt es Über­schnei­dun­gen zwis­chen Lin­guis­tik und Poli­tik­wis­senschaft. Aber darüber schreibt Chom­sky doch nicht (oder zumin­d­est nicht haupt­säch­lich). Er analysiert und kom­men­tiert poli­tis­che Entschei­dung­sprozesse. Der Zusam­men­hang zur Sprach­wis­senschaft erschließt sich mir hier nicht. Von Dawkins habe ich nicht viel gele­sen, glaube aber, daß er sich in seinen reli­gion­skri­tis­chen Schriften zumin­d­est auf’s Gebi­et der Sozi­olo­gie verir­rt und eher sel­ten biol­o­gisch argumentiert.

    Ich will, wie gesagt, gar keine Aus­sage über die Qual­ität dieser Schriften von Dawkins oder Chom­sky machen — man muß ja keinen akademis­chen Grad vor­weisen kön­nen, um sich in einem The­ma auszuken­nen. Aber ich halte es für falsch, sie als Beispiele dafür zitieren, daß Wis­senschaftler ihr Fachge­bi­et für die Masse auf­bere­it­en. Auch wenn Chom­sky wom­öglich mehr Ahnung von Poli­tik hat als Sick von Lin­guis­tik sind doch bei­de auf dem Papi­er erst ein­mal fach­fremd unter­wegs. Und da haben wir dann auch die Kat­e­gorie, in die man sie alle steck­en kann. Sie alle schreiben über The­men, die nicht (oder nur sehr bed­ingt) mit ihrem “Lehrberuf” zu tun haben. Vielle­icht ist Sick da sog­ar noch am näch­sten dran. Wenn er tat­säch­lich Ger­man­is­tik studiert hat (hat­te ich das hier irgend­wo gele­sen?) muß er doch auch wenig­stens ein paar Lin­guis­tikkurse besucht haben. Als Lin­guis­tikpro­fes­sor kommt man da schon eher ohne poli­tik­wis­senschaftlich­es Grund­wis­sen aus.

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  17. Christian

    Ein paar Tage vor „Jeeves“ hat Sprach­blogleser Chris­t­ian einen sehr viel dif­feren­ziert­eren Kom­men­tar hin­ter­lassen, der unter anderem auch einen dif­feren­ziert­eren Nei­d­vor­wurf enthielt …“

    Es freut mich sehr, dass Sie dieses The­ma beschäftigt, Herr Ste­fanow­itsch, und die vie­len Kom­mentare sprechen ja auch für das rege Inter­esse, auf das dieses The­ma stößt. 

    Ich wollte nie­man­dem Neid „vor­w­er­fen“, wie kön­nte ich. 

    Ich ver­suche nur eine Antwort auf die Frage zu find­en, warum Sick die Wis­senschaftswelt und auch diesen/dieses Blog so beschäftigt. Das mit dem Neid war eine Über­legung, und der Neid spielt mit Sicher­heit mit rein, auf eine gesunde Art und Weise, so wie Sie es beschrieben haben. 

    Der Neid aufs Promi­nente dürfte es tat­säch­lich weniger sein, denn Sie sind ja gewis­ser­maßen auch promi­nent, durch diesen/dieses Blog, und im Fernse­hen durften wir Sie ja auch schon sehen. Aber die meis­ten hier sind eben eher ein Fachpublikum.

    Dass es ums Fach­liche geht, das glaube ich Ihnen auch. Aber wenn dann hier so gegen Sick gewet­tert wird (und ich stimme den meis­ten Kri­tikpunk­ten, die gegen ihn vorge­bracht wer­den, zu), dann ist das wie der Kampf gegen Windmühlenflügel. 

    Sick ist nur eine Fig­ur, und im Hin­ter­grund geht es um viel Geld, das wichtiger ist als „Volk­saufk­lärung“, wobei eine gewisse Aufk­lärung dabei ja auch betrieben wird – wenn sie auch manch­mal ins Nation­al­is­tis­che hineinragt. 

    Vielle­icht ist es tat­säch­lich mehr Ide­al­is­mus als „Neid“, der dafür ver­ant­wortlich ist, Sick nicht ein­fach zu ignori­eren, son­dern ihm weit­ere Aufmerk­samkeit zu schenken. Das finde ich gut. Ich finde auch: Wis­senschaft darf und muss sich auch bei aller Ratio­nal­ität Emo­tion leisten.

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  18. la23ng

    @Wolfgang Hömig-Groß:

    Ah nein, der Knigge-Ver­gle­ich hinkt. “Über den Umgang mit Men­schen” ist wirk­lich kein Ben­imm­buch, und im Zusam­men­hang mit den Kampflinien hier im Blog (Präskripivisten/Deskriptivisten) fällt das Buch doch ziem­lich deut­lich ins deskrip­tive Lager.

    Es ist ausser­dem ein sehr schönes Buch in entzück­en­dem Deutsch.

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  19. Marta

    Ach ja, hat irgend­je­mand wirk­lich ein Prob­lem mit Her­rn Sick? Der Mann bringt Stammtis­chnör­gler, Deutschlehrer, besorgte Eltern, Schöngeis­ter und Sprach­wis­senschaftler an einen Tisch. Mich sorgt das über­haupt nicht. Ist doch super, wenn der Eine erfährt, was den Anderen wirk­lich küm­mert, da kön­nen wir doch nur Zuhören lernen.

    Ich hoffe (ein klein­er Wink mit dem Zaunpfahl), dass Herr Sick in seinen Büch­ern brav zitiert, damit die armen The­o­retik­er im Hin­ter­grund ein wenig Anerken­nung erfahren.

    Und ich hoffe auch, dass der Blick hin­ter die Wis­senschaft­skulis­sen nicht zu Panikat­tack­en an Stammtis­chen, bei Eltern­ver­samm­lun­gen etc. führt. Es ist alles gut!

    Und deskrip­tiv vs. präskrip­tiv ist doch ziem­lich alt. Wie wärs mit ein­er Synthese?

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  20. Chat Atkins

    Wahrheit­en’ und Dinge, die ‘wirk­lich passieren’, als Kern der Wis­senschaftlichkeit zu akzep­tieren, zumal im sprach­lichen Bere­ich, das macht mir Schwierigkeit­en. Der Unter­schied liegt wohl eher in der Herangehensweise: 

    Der ‘Sprach­nör­gler’ ver­fährt ‘his­torisch’ oder ‘diachron’, er greift in die Zeit zurück und ver­gle­icht das Heute mit einem Gestern. Das find­et er dann entwed­er ‘anders’ oder ‘bess­er’ resp. ’schlechter’. So bleibt der ‘Nör­gler’ immer an eine Tra­di­tion geket­tet, was ihn zum Sprachkon­ser­va­tor únd ‑kon­ser­v­a­tiv­en macht: Er hat ein Wächter­amt inne — und er hätte am lieb­sten ein lin­guis­tis­ches Polizeigesetz. 

    Der Wis­senschaftler ver­fährt dage­gen ‘diachron’, er legt einen Quer­schnitt durch die Sprach­welt — und guckt, was heute denn ertönt, wenn Leute ganz real miteinan­der kom­mu­nizieren und dabei gar nicht so regel­gerecht, gestelzt und auch antiquiert daher­par­lieren, wie es der Sprach­nör­gler von ihnen fordert. Der Wis­senschaftler ken­nt nir­gends eine ‘gute alte Zeit’. Also wertet er auch nicht, er ver­gle­icht, er rubriziert, er archiviert. So wird er zum gebore­nen ‘Lib­eralen’ — der Stre­it zwis­chen den bei­den Fig­uren ist damit eine Form von ‘Sprach­poli­tik’.

    Natür­lich ist dies ide­al­typ­is­che Bild schief, es gibt schließlich auch eine his­torische Sprach­wis­senschaft, sozusagen eine diachrone Syn­chro­niz­ität, aber ‘cum gra­no salis’ …

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  21. Anatol Stefanowitsch

    Chat Atkins, heute muss ich Ihnen — ich glaube, zum ersten Mal — wider­sprechen, zumin­d­est teil­weise. Die Diachronie des Sprach­nör­glers ist näm­lich keine echte, son­dern eine virtuelle. Der Sprach­nör­gler ver­ste­ht ja nichts von Sprachgeschichte, er erfind­et sich eine Sprachgeschichte: alles, was ihm miss­fällt, muss neu sein, und seine erfun­de­nen Regeln bilden vorge­blich den früheren, besseren Zus­tand der Sprache ab. Wer wirk­lich etwas über Sprach­wan­del und ver­schiedene Stufen ein­er Sprache erfahren möchte, der muss in der Tat den Sprach­wis­senschaftler fra­gen, und zwar den his­torischen. Und von dem wird er erfahren, dass die Sprache vor hun­dert, zwei­hun­dert oder tausend Jahren genau­so im ständi­gen Wan­del begrif­f­en war, wie heute. Der Sprach­wis­senschaftler ken­nt deshalb keine „gute alte Zeit“, weil es eine gute alte Zeit nie gab.

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  22. Chat Atkins

    Ja — es ist schon ver­trackt mit diesem elen­den Wahrheits­be­griff, der einem ständig zwis­chen den Füßen rum­läuft: Ich meinte ja nicht, dass der ‘Sprach­nör­gler’ schon deshalb recht hätte, weil er seine diachrone Sprach­wirk­lichkeit ganz wahrhaftig und aus inner­ster Überzeu­gung für wahr hält. Er hat lei­der bloß viele Spießge­sellen, die das eben­so als ihre Wahrheit sehen. Seine Sicht ist damit gruppenkonstituierend. 

    Dage­gen ging ich in meinem Beitrag bloß davon aus, dass so etwas — also ‘diachron’ vs. ’syn­chron’ — brauch­bare erken­nt­nislei­t­ende Vorstel­lun­gen für eine erste Annäherung an das Prob­lem sein kön­nten, ohne dass ich damit die jew­eilige Qual­ität der Erken­nt­nis bew­erten wollte. Die ‘gute alte Zeit’ dage­gen ist schon immer eine rück­wärts gewandte Utopie gewesen …

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  23. kreetrapper

    Der Sprach­nör­gler ver­ste­ht ja nichts von Sprachgeschichte, er erfind­et sich eine Sprachgeschichte

    Wobei es ja auch noch die Fälle gibt, bei denen Sprach­wis­senschafler und Sprach­nör­gler in der­sel­ben Per­son zusam­men­fall­en. Auch his­torische Lin­guis­ten neigten doch zumin­d­est früher dazu, sich eben­falls in die ‘gute alte Zeit’ zurück­zusehnen, als das Deutsche (bzw. Vorstufen davon) noch acht Kasus hat­te und nicht zweiein­halb so wie heute. Ich meine, mich aus meinem Studi­um daran zu erin­nern, daß auch ern­stzunehmende Sprach­wis­senschaftler wie z.B. Jacob Grimm gedacht haben, daß Sprach­wan­del immer auch Sprachver­fall bedeutet, und das mit ihren Forschun­gen bele­gen zu kön­nen glaubten. Zum Beispiel eben am Ver­schwinden gram­ma­tis­ch­er Markierungen.

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  24. Frank Oswalt

    @Andreas H (#8): Dieter Zim­mer reagiert hier wahrschein­lich auf die Art von Lin­guis­tik, die er zu Zeit­en seines Ger­man­is­tik­studi­ums ken­nen­gel­ernt hat (der Begriff “ela­bori­ert­er Code” und die impliz­it marx­is­tis­che Grund­hal­tung, die er der Lin­guis­tik unter­stellt, zeigen, dass er sich nicth auf der Höhe der Zeit befind­et). Er akzep­tiert auch nicht, dass die Lin­guis­tik eine Wis­senschaft ist, denn son­st würde er deren Objek­tiv­ität nicht als vorgeschoben empfind­en. Schade eigentlich, denn er hat dur­chaus auch kluge Dinge zum The­ma Sprache gesagt.

    @Anatol Ste­fanow­itsch: Eins wollte ich noch fra­gen: was hat die Auswahl der Titel­seit­en zu bedeuten, die diesen Beitrag illustrieren?

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  25. Anatol Stefanowitsch

    Frank, für mich gibt es drei große Mys­te­rien: das Uni­ver­sum, das Leben und das Bewusst­sein. Mit den Titel­seit­en wollte ich drei Wis­senschaftler würdi­gen, deren Arbeit am Anfang des wis­senschaftlichen Herange­hens an diese Mys­te­rien stand und die sich nicht darum geküm­mert haben, ob ihre Forschung pop­ulär war. Inter­es­san­ter­weise haben alle drei sich darum bemüht, ihre Über­legun­gen all­ge­mein­ver­ständlich darzule­gen (was bei ein­er ger­ade erst entste­hen­den wis­senschaftlichen Diszi­plin natür­lich ein­fach­er ist, als bei den weit heran­gereiften The­o­rien, die heute zumin­d­est die ersten zwei dieser Wis­sens­bere­iche beschreiben.

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  26. David Marjanović

    daher seh ich im Moment auch nicht den Unter­schied zwis­chen “… doch ich denke…” und “… jedoch glaube ich…”.

    Er hat gar nicht “jedoch” geschrieben, son­dern “deshalb”.

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