Über Ines Balcik bin ich auf ein Interview im Deutschlandfunk aufmerksam geworden, in dem der Potsdamer Sprachwissenschaftler Peter Eisenberg über den Zustand der deutschen Sprache spricht. Sein Urteil, dem ich mich nur anschließen kann: das deutsche Sprachsystem „ist so groß und so umfangreich und so differenziert wie es noch nie war“. Eisenberg muss es wissen — er hat unter anderem an der Dudengrammatik mitgearbeitet und sein Grundriss der deutschen Grammatik ist lesenswerte Pflichtlektüre für jeden, der sich mit der deutschen Sprache beschäftigen will (oder muss). Für sein Lebenswerk ist er gestern mit dem Konrad-Duden-Preis geehrt worden. Er gehört wahrscheinlich zu den zehn profiliertesten deutschen Sprachwissenschaftlern weltweit, und von all den spannenden Dingen, die man ihn Fragen könnte, entscheidet sich die Moderatorin für — gar keins. Stattdessen befragt sie ihn ausführlich zu Bastian Sick. Hier nur ein kleines Appetithäppchen:
Der Schaden könnte dadurch entstehen, dass Herr Sick den Leuten einfach sagt, wie es richtig ist und wie es falsch ist. Das was er ihnen sagt, das stimmt in vielen Fällen nicht mit ihrem Sprachgefühl und auch nicht mit dem Zustand des gegenwärtigen Deutschen überein, sondern das sind Meinungen, die irgendwo herkommen. Niemand weiß genau, woher sie kommen, Herr Sick schon gar nicht. Die werden so unter die Leute gebracht nach dem Motto: Das ist richtig, das ist falsch — richte dich danach, etwas anderes gibt es nicht. So funktioniert eine natürliche Sprache wie das Deutsche nicht.
Ha, „Grundriss der deutschen Grammatik“ — das habe ich auch während meines Studiums gelesen!
Lustig finde ich die Unterüberschrift (gibt es das Wort?) von dem Radiointerview: „Experte bezeichnet Autor Bastian Sick als Entertainer“. Ja, als was denn sonst? Ich glaube, selbst Sick würde sich so bezeichnen.
Unterüberschrift
Das heißt “Subline” 😉
“[…] von all den spannenden Dingen, die man ihn Fragen könnte, entscheidet sich die Moderatorin für — gar keins. Stattdessen befragt sie ihn ausführlich zu Bastian Sick.”
Da gehen die Interessen eines Sprachwissenschaftlers und der übrigen Bevölkerung wohl entschieden auseinander… 😉
Tja, warum man solch einen Kenner der Materie zu einem kleinen, von egomanen Ambitionen getriebenen Hobby-Deutschlehrer befragen muss, wird wohl das Geheimnis der Moderatoren bleiben. Obwohl mir die Art, über das rechte Maß von Dingen ausführlich nachzudenken und in langwierige Diskussionen einzutreten, manchmal ein sehr deutsches Phänomen zu sein scheint, finde ich das hinsichtlich der Frage “wohin geht die deutsche Sprache” nur zu berechtigt. Das allerdings ausgerechnet Pappnase Sick in seiner unerträglich schulmeisterlichen Art als das Aushängeschild dieses Prozesses wahrgenommen wird, scheint einem aktuellen Bedürfniss nach Normen und Regeln in der Bevölkerung zu entsprechen. Er steht damit in einer Reihe mit all den “Wie mache ich etwas richtig”-Fernsehsendungen a la “Das perfekte Dinner”, “Das perfekte Date” etc.
Ich kann mir für Peter Eisenberg nur wünschen, dass seine Grammatik mindestens eine so starke Verbreitung erfährt wie die Schwarten von S. Prosit!
Ist mir schon oft untergekommen, und Google findet es 34500mal…
In dem Interview sind aber einige Tippfehler, oder?
Zum Beispiel soll es doch wohl “Nominalphrase” und nicht “Nominalphase” heißen!?
Diesen Abwehrkampf musste Eisenberg auch auf der Jahrestagung des Instituts für deutsche Sprache führen, nachdem Lutz Götze den Zustand des Deutschen beklagte.
Lustigerweise redeten beide komplett aneinander vorbei: Götze sprach von Schülern (also Einzelpersonen), deren “Sprachkmpetenz erschreckend” sei, Eisenberg meinte, das Deutsche habe z.B. noch nie so viele Wörter gehabt wie heute. Wo er natürlich recht hat, was aber mit individueller Kompetenz schlicht mal goar nix zu tun hat…