Sprachen sterben mit weniger Klamauk, als man glauben könnte, wenn man mit den apokalyptischen Fantastereien der Anglizismenjäger konfrontiert wird. Wie ich hier beschrieben habe, sterben Sprachen in drei Phasen, von denen keine etwas damit zu tun hat, dass Informationsschalter in Service Point umbenannt werden. Phase 1: Eine Sprachgemeinschaft wird massiv mit einer wirtschaftlich oder politisch dominanten fremden Sprache konfrontiert. Phase 2: Es entsteht eine mehrsprachige Gesellschaft, die die neue Sprache im öffentlichen und die ursprüngliche im privaten Raum verwendet. Phase 3: Die neue Sprache dringt auch in den privaten Raum vor, die Sprecher geben die ursprüngliche Sprache auf. Eine Generation wächst auf, die die ursprüngliche Sprache nicht mehr lernt. Diejenigen, die sie noch gelernt haben, werden älter und sterben, einer nach dem anderen, bis ein einziger Sprecher übrig bleibt. Und wenn dieser Sprecher stirbt, geht die Sprache unwiederbringlich verloren. Selbst, wenn es Linguisten gelingt, Wortschatz und Grammatik der Sprache rechtzeitig festzuhalten, retten sie damit nur einen Bruchteil dessen, was im Kopf selbst eines einzigen Sprechers an sprachlichem Wissen vorhanden ist. Man kann eine Sprache theoretisch wiederbeleben, aber sie wird nie wieder so sein, wie sie vor ihrem Aussterben war.
Am vergangenen Montag ist eine Sprache für immer verloren gegangen. Wie Associated Press meldet, starb die Eyak-Indianerin Marie Smith Jones im Alter von 89 Jahren im Schlaf in ihrer Wohnung in Anchorage (Alaska). Die Sprache ihres Stammes starb mit ihr, denn sie war deren letzte Muttersprachlerin. Die Sprache war übrigens die letzte eines ganzen Zweigs der Na-Dené-Sprachen. Der nächste verwandte Zweig ist der der derzeit noch etwa vierzig athapaskischen Sprachen, die von etwa 180.000 Sprechern zwischen Nordalaska und Arizona gesprochen werden (auch die Sprachen der Apachen, dem Stamm des fiktionalen Winnetou, gehören zu dieser Familie).
Der amerikanische Sprachwissenschaftler Michael Krauss arbeitete in den letzten Jahren mit Jones daran, Wortschatz, Grammatik und mündlich überlieferte Geschichten der Eyak zu dokumentieren. Seine Aufzeichnungen sind alles, was bleibt. Die feinen Bedeutungsschattierungen, die subtilen grammatischen Unterscheidungen und die einzigartige Weltsicht einer lebendigen Sprache können sie nicht ersetzen.
Wie ist das mit dem Geborenwerden von Sprachen? Ich denke beispielsweise an das, was Zeridun Zaimoglu als ‘Kanaksprak’ beschreibt, als eine eigene Sprache von Jugendlichen (inzwischen auch Erwachsenen) in unseren Vorstädten, die eben kein ‘defizitäres Deutsch’ ist, sondern ein eigener Soziolekt mit eigenen grammatischen Regeln und Wortprägungen. Eine ‘Lehnsprache’ gewissermaßen, so wie das Jiddische ‘eijne Art von Deitsch’ war …
mir fehlt noch das andere Szenario, wie eine Sprache sterben kann: Die Sprecher werden systematisch gemeuchelt bis keiner mehr übrig ist, der die Sprache spricht… Beispiel Tasmanien