Ein kleiner Nachtrag zur Silbenjagd, die ich hier kommentiert habe. Kurz vor Schluss kramt Welt-Online-Textchef Sönke Krüger dort noch diese olle Kamelle hervor:
Und dann ist da noch der Amtskollege, der von dpa über „Welt am Sonntag“ bis zum „Spiegel“ flächendeckend vertreten ist, obwohl er eine Tautologie, eine Doppelmoppelung ist: Denn „Kollege“ heißt schon „Amtsbruder“, also ist der „Amtskollege“ ein „Amtsamtsbruder“. Weniger wäre auch hier mehr.
Diese Behauptung habe ich schon öfter gelesen — wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, ist sie mir zum ersten Mal 1982 in Wolf Schneiders „Deutsch für Profis“ begegnet. Sie ist aber, wie eigentlich alles, das die Sprachnörgler so von sich geben, kompletter Blödsinn.
Kollege bedeutet keineswegs „Amtsbruder“, es bedeutet schlicht „jemand, mit dem man zusammen arbeitet“. Das weiß jeder Sprecher der deutschen Sprache, aber befragen wir zur Sicherheit ein Wörterbuch. Richtig, das Bertelsmann-Wörterbuch gibt die Definition „Berufsgenosse, Mitarbeiter“.
Wie kommt Krüger auf die absurde Übersetzung? Nun, vermutlich hat er ein etymologisches Wörterbuch befragt (oder er hat von jemandem abgeschrieben, der ein etymologisches Wörterbuch befragt hat). In solchen Wörterbüchern wird die ursprüngliche, lateinische Bedeutung häufig mit „Amtsgenosse“ oder „Amtsgehilfe“ und wahrscheinlich auch mal „Amtsbruder“ angegeben.
Aber spielt diese ursprüngliche Bedeutung, zumal aus einer anderen Sprache, heute noch eine Rolle? Natürlich nicht, vor allem, da sie sich nicht aus der Struktur des Wortes selbst ergibt: com- „mit“ und legare „(aus)wählen“, „ernennen“, also „jemand, der mit jemanden zusammen ausgewählt/ernannt wurde“. Das Wort Amt bildet also keinen Teil des Wortes Kollege und deshalb spricht nichts dagegen, die beiden Wörter zu kombinieren.
Überhaupt muss man sich wieder einmal über die ignorante Selbstsicherheit der Sprachnörgler wundern — wie Krüger selbst beobachtet, wird das Wort Amtskollege von der dpa über die Welt am Sonntag bis zum Spiegel verwendet — von lauter journalistischen Schwergewichten also. Kann es tatsächlich sein, dass die alle nur von ihrer Lust an langen Wörtern getrieben werden?
Nein. Sie werden von einem klar nachvollziehbaren kommunikativen Bedürfnis geleitet: es ist manchmal nötig, von Menschen zu sprechen, die zwar nicht „Kollegen“ im normalen Sinne des Wortes sind, die aber von Zeit zu Zeit zusammen arbeiten, weil sie dasselbe Amt bekleiden (etwa in verschiedenen Parteien oder in verschiedenen Ländern). Die österreichische Außenministerin Ursula Plassnik und der deutsche Außenminister Frank Walter Steinmeier, zum Beispiel, sind keine „Kollegen“ — sie leiten unterschiedliche Außenministerien in unterschiedlichen Ländern. Trotzdem besteht zwischen den beiden aufgrund ihres Amtes eine besondere Beziehung, und was wäre logischer, als diese Beziehung mit dem Wort Amtskollege zu bezeichnen. Auch etymologisch ist diese Wortbildung einwandfrei: „jemand, der für dasselbe Amt gewählt wurde“ — treffender geht es doch gar nicht.
Aber um Logik oder Etymologie geht es den Sprachnörglern ja nicht. Es geht ihnen ums Nörgeln.
Schön! Danke.
Und wenn wir schon bei Ämtern sind, frage ich mich, ob ich noch ungeniert vom Postamt sprechen darf, so es doch nach AMTierender Meinung keines mehr ist.
Viele Grüße, Ulf Runge
Donnerwetter — wenn du jetzt den Wolf Schneider in das Sick’sche Sprachratatouille mit hineinziehst, dann greifst du gewissermaßen Deutschlands Journalisten an die Kronjuwelen!
Journalisten: Leute, die von vielem wenig wissen.
Wissenschaftlicher: Leute, die von wenigem viel wissen. 😉
Chat Atkins, ob sich da gleich alle Journalisten Deutschlands angegriffen fühlen? Bei vielen dürfte doch auch heimliche Freude herrschen…
Und ich will Wolf Schneider gar nicht grundsätzlich angreifen. Anders als Sick hat er ja ein ernsthaftes Anliegen: verständliches Schriftdeutsch. Viele seiner Vorschläge dazu sind ja auch recht nützlich (wenigstens für Leute, die gerne solche Vorschläge hören).
Wenn man ihm etwas vorwerfen möchte, dann könnte man darauf hinweisen, dass sein Wissen über sprachliche Strukturen sich fast ausschließlich aus seiner journalistischen Erfahrung zu speisen scheint und damit an bestimmten Stellen perspektivisch etwas eingegrenzt ist. Seine guten Absichten schießen deshalb manchmal über das Ziel hinaus — so dürften seine Ratschläge zum Abhacken von Präfixen oder sein Problem mit dem Amtskollegen zustande gekommen sein.
Ob ich mich mit Schneiders Ideen einmal direkt und grundsätzlich auseinandersetzen möchte, werde ich mir noch in Ruhe überlegen. Es wäre auf jeden Fall interessanter Stoff fürs Sprachblog. Solange aber andere Leute seine Ideen in sprachpflegerischen Kolumnen drittverwerten, kann ich meine Energie ja auf die konzentrieren…
Karsten, na ja. Ich kenne zwar solche Journalisten und auch solche Wissenschaftler, aber ob die jeweils die Mehrheit ihrer Zunft darstellen…
Meines Wissens hat Schneider aber seinen Erfahrungshorizont und sein Ziel — Journalistendeutsch zu verbessern bzw. zu präzisieren — stets deutlich benannt. So hat er in seiner Kritik etwa klar zwischen Werbetextern und Journalisten unterschieden. Die Abhackerei ist also möglicherweise seinem Hang zur kürzestmöglichen und dabei immer noch prägnanten Überschrift zu verdanken. Seit um Seit in seinem Werk “Die Überschrift” nachzuprüfen.
Gegenrede, Wolfgang, ein Werbetexter zählt auch die Buchstaben, wenn er einen ‘Claim’ für seinen Kunden entwickelt. In dem Punkt gibt es also gar keinen Unterschied zwischen den Berufsgruppen …
At Chat (he, das reimt sich): So sah das auch Schneider; er hat den Journalisten die Werbetexter als gutes Beispiel ans Herz gelegt, weil sie in die Kürze mehr Würze legen. Und weil sie, häufig im Gegensatz zu Journalisten, darauf angewiesen sind, schnell und richtig verstanden zu werden.