Einer Reihe von Firmen und öffentlichen Institutionen in den USA ist aufgefallen, dass man in der heutigen Zeit noch nicht einmal mehr in den Vereinigten Staaten automatisch davon ausgehen kann, es bei seinem Gegenüber mit einem Christen zu tun zu haben, und dass es deshalb angemessen wäre, die Floskel Merry Christmas („Fröhliche Weihnachten“) durch eine neutralere Formulierung zu ersetzen — etwa Happy Holidays (Fröhliche Ferien) oder Season’s Greetings („Jahreszeitliche Grüße“) zu ersetzen.
Was für einen neutralen Beobachter wie eine vernünftige und gerechte Entscheidung wirkt, ist für die fundamentalistische christliche Rechte in den USA ein Grund, sich einen Krieg gegen Weihnachten zusammenzufantasieren. Man hat den leisen Verdacht, dass es sich bei diesem eingebildeten Krieg um ein medial inszeniertes Spiegelgefecht handeln könnte, um von den sehr realen Kriegen abzulenken, die die USA in den letzten Jahren geführt hat, aber darum soll es hier heute nicht gehen. Stattdessen würde ich mir wünschen, dass die christlichen Fundamentalisten wenigstens ihre eigene Religion und deren Traditionen kennen würden.
Tun sie aber nicht. Vor ein paar Tagen gab zum Beispiel Roland S. Martin, CNN-Kommentator und Student des Faches „Christian Communication“ an der nicht akkreditierten Louisiana Baptist University folgendes Juwel christlicher Kommunikation von sich:
Because of all the politically correct idiots, we are being encouraged to stop saying “Merry Christmas” for the more palatable “Happy Holidays.” What the heck are “Seasons Greetings”? Can someone tell me what season we are greeting folks about? A Christmas tree? Oh, no! It’s now a holiday tree. Any Christmas song that even remotely mentions Christ or has a religious undertone is being axed for being overtly religious. And I’m sorry, forget X‑M-A‑S. Malcolm X? Yes. X replacing Christ? No.
Wegen all der politisch korrekten Idioten ermutigt man uns, nicht länger Merry Christmas zu sagen, sondern das appetitlichere Happy Holidays. Was zum Kuckuck sind Seasons Greetings? Kann mir jemand sagen, auf welche Jahreszeit sich das bezieht? Ein Christmas tree („Weihnachtsbaum“)? Oh, nein! Der heißt jetzt holiday tree („Ferienbaum“). Jedes Weihnachtslied, das sich auch nur entfernt auf Christus bezieht oder religiöse Untertöne hat, wird wegen offener Religiösität abgelehnt. Und, entschuldigen Sie, aber vergessen Sie den Begriff X‑M-A‑S. Malcolm X? Ja. X als Ersatz für Christus? Nein. [CNN.com]
Ich will hier gar nicht weiter auf Herrn Martins verschrobenes und verschobenes Weltbild eingehen (z.B. auf seine Verwunderung darüber, dass man die Erwähnung der Figur des Christus als religiöse Aussage interpretieren könnte). Ich will auch die Christlichkeit seiner kommunikativen Fähigkeiten dahingestellt sein lassen („politisch korrekte Idioten“). Nein, mir geht es um Martins abstruse Gleichsetzung des X in X‑mas und in Malcolm X, die nur eines zeigt: Martin muss noch viel über seinen Glauben lernen, bevor seine nicht-akkreditierte „Universität“ ihm einen Abschluss verleihen kann.
Malcolm X war ein schwarzer Bürgerrechtler in den USA, der eine Zeitlang Mitglied in der Nation of Islam war. Wie andere Mitglieder dieser Organisation legte er seinen Geburtsnamen ab (er hieß eigentlich Malcolm Little) und nahm stattdessen den Nachnamen X an. Er begründete diesen Schritt so:
The ‘X’ is meant to symbolize the rejection of ‘slave names’ and the absence of an inherited African name to take its place. The ‘X’ is also the brand that many slaves received on their upper arm.
Das X soll die Ablehnung unserer Sklavennamen symbolisieren, und das Fehlen eines ererbten afrikanischen Namens, der an ihre Stelle treten könnte. Das X ist auch ein Brandzeichen, dass viele Sklaven auf ihren Oberarm erhielten. [en.wikipedia.org]
Das X steht hier also für etwas, das bewusst (und nachvollziehbar) ungenannt bleiben soll — im Prinzip wie in der Algebra. Im alltäglichen Sprachgebrauch verwenden wir das X ja sowohl im Deutschen als auch im Englischen auf diese Weise (z.B. in Aktenzeichen XY ungelöst).
Der christliche Kommunikationsstudent Martin geht nun offensichtlich davon aus, dass in der Kurzform X‑mas (mit der uns zu dieser Jahreszeit ja auch viele Geschäfte im deutschsprachigen Raum beglücken) das X ebenfalls diese Funktion hat, dass es also den von den „politisch korrekten Idioten“ unerwünschten Namen (bzw. Titel) Christ aus dem Wort Christmas fernhalten soll.
Aber das ist natürlich Blödsinn, das weiß selbst ein konfessionsloser Atheist wie ich. Das X in X‑mas soll den Titel Christ(us) nicht ersetzen, es soll ihn symbolisieren. Es handelt sich nämlich gar nicht um ein X, sondern um den griechischen Buchstaben Chi. Gemeinsam mit dem griechischen Rho wird das schon seit dem 2. Jahrhundert nach Christus als Abkürzung für dessen Namen (bzw. Titel) verwendet — unter anderem von Kaiser Konstantin, der es auf die Standarten seiner Armee sticken ließ (siehe Bild rechts). Dieses Symbol ist so weit verbreitet, dass es seinen eigenen Platz im Unicode-System hat, man kann es also direkt in einen Text einfügen: ☧). Aber das kann Martin natürlich nicht wissen — dazu müsste er schon auf eine echte Universität gehen. Oder bei Wikipedia nachsehen.
Ich wünsche jetzt auf jeden Fall allen Leserinnen und Lesern des Bremer Sprachblogs ein frohes Fest — egal, was Sie feiern und wie sie es nennen.
(Via Greg Laden)
Ohne da jetzt besonders kleinlich sein zu wollen, aber wie wäre es mit “[…]Malcolm X war ein farbiger Bürgerrechtler[…]”, wenn Sie schon vom politisch korrekt Sein reden?
MfG
Felix, welche Farbe hatte Malcolm X denn? Ich empfinde den Begriff farbig als wesentlich schlimmer als den Begriff schwarz, denn er zieht eine allgemeine Grenze zwischen „Weißen“ und allen anderen! Ich glaube, der Begriff „Schwarzer“ ist in den meisten Zusammenhängen akzeptabel (siehe auch diesen Beitrag und vor allem den Kommentar #2 dort).
Meiner Meinung nach geht es nicht darum, dass der Begriff farbig diese von Ihnen beschriebene Grenze zwischen der “weißen” und der restlichen Bevölkerung zieht (was wohl so ist, das will ich nicht abstreiten), sondern eher darum, wie der Begriff verstanden wird, nicht? Ich persönlich halte es für wesentlich eher beleidigend, einen “farbigen” Menschen als schwarz zu bezeichnen, weil der Begriff schon sehr lange eine negative Konnotation besitzt, im Gegensatz zu farbig.
So viel zu meinem Sprachverständnis, ich kann Ihre Argumentation aber sehr gut nachvollziehen und würde, auch wenn sie nicht mit meiner übereinstimmt, Ihnen dann zustimmen können.
Aber Menschen mit afrikanischer Abstammung sind nicht schwarz, sondern braun.
»Farbig« hat mittlerweile eine viel negativere Konnotation als »schwarz«.
Frank Oswalt, das ist meiner Ansicht nach ein sinnloser Einwand, denn Farbbegriffe müssen immer relativ zu dem konkreten Bereich betrachtet werden, in dem sie verwendet werden. Wenn ich von „roten Haaren“ spreche, ist das eine völlig andere Farbe als bei einem „roten Feuerwehrauto”, wenn ich von dem „goldenen Fell“ eines Retrievers spreche, ist das eine andere Farbe als bei einem „goldenen Armband“, und wenn ich sage, dass jemand „vor Kälte ganz blau im Gesicht“ ist, ist das eine völlig andere Farbe als beim „blauen Himmel“. Wenn wir also Begriffe wie Weiß, Rot, Gelb und Schwarz auf Menschen anwenden, dann ist doch klar, dass sie sich auf die uns allen bekannten, wunderbar vielfältigen Schattierungen menschlicher Hautfarben beziehen. Und häufig nicht einmal das — sie stehen oft metonymisch für die Hautfarbe entfernter Vorfahren. So hatte ich vor einigen Jahren eine Studentin in einem Seminar, deren Haut deutlich heller war, als meine es zumindest im Sommer ist, und die sich aufgrund eines Großvaters afro-amerikanischer Herkunft als „schwarze Deutsche“ bezeichnet hat.
Felix, die Konnotationen von Farbig und Schwarz (in ihrer Anwendung auf Menschen) nehmen sich für mein Empfinden nicht viel — beide Wörter können in einem entsprechenden Kontext wohl sehr negativ klingen. Die Problematik hier liegt nicht in den Wörtern, sondern in dem, was Pinker (den ich in dem oben verlinkten Artikel zitiere) die „Euphemismus-Tretmühle“ nenn: egal, mit welchem Wort wir etwas bezeichnen — solange wir negative Gedanken dabei denken, werden diese zu einem Teil der Wortbedeutung und wir brauchen dann ein frisches Wort. Dieser Prozess kann aber unterbrochen werden, indem wir aufhören, negative Gedanken zu dem Bezeichneten zu haben. Schwarz ist für mich kein Wort, dass bereits untrennbar mit rassistischen Vorurteilen verbunden ist (anders als etwa Neger), und ich glaube, man kann es ohne negative Untertöne verwenden. Ich lasse mich gerne eines besseren belehren — wenn mir schwarze Mitbürger sagten, dass sie sich durch diese Bezeichnung beleidigt fühlen, würde ich sofort ein anderes Wort verwenden. Aber solange das nicht der Fall ist, steige ich an dieser Stelle aus der Euphemismus-Tretmühle aus.
Wenn ich so ab und zu hier in diesen Blog reinblinzle, so bin ich über die Brillanz mancher Argumentation immer wieder ebenso überrascht wie über die Themen — und die für beide aufgewendete Energie.
Aber … ich schließe mich der Argumentation von AS an, nach der es doch “nicht wirklich” darum gehen kann, ob ich “farbig” oder “schwarz” sage, sondern vielmehr, wie ich Menschen dieser oder anderer Hautfarbe behandle.
Jaaa, werden nun einige mit Tucholsky antworten “Sprache ist Gesinnung”! Unser Denken bestimmt unser Handeln usw.
Sehnse, das hat mich schon vor 30 Jahren im Zusammenhang mit der “-innen”-Diskussion angekotzt. Als ob dadurch die Diskriminierung des weiblichen Geschlechts einen Deut abgefedert würde,
liebe Bloggerinnen und Blogger!
Dieser Prozess kann aber unterbrochen werden, indem wir aufhören, negative Gedanken zu dem Bezeichneten zu haben. Schwarz ist für mich kein Wort, dass bereits untrennbar mit rassistischen Vorurteilen verbunden ist
Genau, genau, genau.
Ich gehe sogar noch weiter und sage, daß gar kein Wort mit irgendeinem Vorurteil “untrennbar” verbunden ist. Nicht einmal … »Autobahn«.
Und noch weiter möchte ich gehen und behaupten, daß es nicht nur albern ist, bei jeder Gelegenheit »Er hat Jehova gesagt!« zu rufen — sondern auch völlig kontraproduktiv, sich Konnotationen und (Begriffs-)Implikationen ausgerechnet von Verbrechern und Arschlöchern diktieren zu lassen.
Im Englischen bezeichnen sich schwarze Menschen auch selbst als “black”, von daher empfinde ich es auch als in Ordnung im Deutschen die Bezeichnung “schwarz” zu verwenden…
(PS: Wenn es schon um Schwarze und den Kampf gegen die Diskriminierung des weiblichen Geschlechts geht, dann muß das jetzt aber wirklich sein:
Der feine Unterschied »
Ebenfalls ein frohes Fest!)
Was an dem Wort “farbig” nun irgendwie besser sein soll als an dem Wort “schwarz”, erschließt sich mir auch nicht. Der diskriminierende Kontext entsteht in dem Moment, wo man die Hautfarbe von Menschen thematisiert, wo dies nichts zur Sache tut, und ist unabhängig vom verwendeten Wort. Das ist so, als würde man biologisch weibliche Ärzte abgrenzend als “Ärztin” bezeichnen, als ob sie etwas Anderes, vielleicht gar noch Schlechteres, wären als ihre biologisch männlichen Kollegen.
In der Hoffnung, daß wir alle unabhängig von der Hautfarbe der ärztlichen Hilfe nicht bedürfen, wünsche ich Euch und Ihnen allen weiterhin ein schönes Geschenkefest, wie auch genannt.
Darf ich ganz vorsichtig darauf hinweisen, dass Weihnachten nicht das Problem, sondern die politisch korrekte Lösung für die jahreszeitlichen Grüße sein könnte?
Es enthält schließlich anders als etwa Christmas oder Navidad keinen expliziten Hinweis auf Jesus oder Christus oder dessen Geburt — eine geweihte Nacht kann ja wohl jeder feiern, ob Christ oder nicht.
vgl. http://taz.de/blogs/wortistik/2006/12/24/weihnachten/
Diejenigen, die bei uns Weihnachten feiern, sind ja auch nur zum geringsten Teil Christen, oder?
Noch eine Marginalie zum X: Das X ist ja auch als Andreaskreuz bekannt, weil der heilige Andreas auf einem solchen Kreuz sein Ende fand. Es ist also eine vollgültige Variante der christlichen Kreuzsymbolik. Aber zuviel Wissen ist sowieso nur hinderlich, es nährt eher die Zweifel und zeigt die eigenen Grenzen. Nichts also für unsere fundamentalistischen Brüder und Schwestern …
Es mag ja sein, dass vor allem in den USA die political correctness einen derartigen Umgang mit Weihnachten gebietet.
Als aufgeschlossener und toleranter Mitteleuropäer bin ich sehr wohl der Meinung, dass wir allen (!) sagen dürfen, dass wir Christen Weihnachten feiern, und zwar am liebsten mit unseren Nachbarn und Mitmenschen, egal welcher Konfession sie angehören.
Und dass wir gerne auch die Feste anderer Religionen respektieren und mitfeiern.
Ich finde es sehr wichtig, dass wir sagen, warum wir etwas feiern. Und dass wir andere das ebenso tun lassen. Konkret ist besser als wischiwaschi.
Und Toleranz (die die Intoleranz allerdings nicht duldet) ist die Voraussetzung für ein weltweites, friedliches Miteinander.
Danke für diesen Artikel.
Herzliche Grüße, Ulf Runge