„Am Anfang war das Wort“, heißt es ja bekanntlich im Johannesevangelium — als Sprachwissenschaftler sollte mich das ja freuen. Ich weiß aber natürlich, dass am Anfang der Urknall stand, und später dann die Evolution. Christliche Fundamentalisten in den USA sehen das anders und versuchen seit vielen Jahren, den Kreationismus (die Vorstellung, dass das Universum und das Leben auf der Erde von einem „höheren Wesen“ geschaffen wurde) als legitime Alternative zur Evolutionstheorie im Biologieunterricht an staatlichen Schulen zu verankern.
Der oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten hat mehrfach entschieden, dass diese Verankerung verfassungswidrig wäre, da sie die Trennung von Staat und Kirche verletzen würde. Das hält die Kreationisten nicht davon ab, ihr Ziel weiterzuverfolgen. Lediglich die christlich gefärbte Terminologie haben sie durch pseudowissenschaftliche Begrifflichkeiten ersetzt, statt von Kreationismus sprechen sie jetzt von „Intelligent Design“.
In einem Aufsehen erregenden Fall im Jahr 2004 versuchten zwei fundamentalistisch-christliche Mitglieder des Schulausschusses in der kleinen Stadt Dover in Pennsylvania, die kreationistische Lehre vom „Intelligent Design“ per Handstreich an der örtlichen High School zu etablieren. Dies führte zu einem Gerichtsverfahren vor einem Bundesgericht.
Wie dieses Verfahren ausgegangen ist, verrate ich hier nicht, denn die Filmproduktionsgesellschaft Nova hat über diesen Fall die Dokumentation „Judgment Day“ gedreht, die vor ein paar Wochen im größten Teil der USA vom Fernsehsender PBS ausgestrahlt wurde und die heftige Kontroversen ausgelöst hat. Diese Dokumentation kann man nun hier im Internet ansehen (im Quicktime- oder Windows-Media-Format), PBS hat außerdem die nicht weniger interessanten Zuschauerreaktionen hier festgehalten.
Ich kann diese Dokumentation nur wärmstens empfehlen. Erstens, weil sie einen Ausschnitt der amerikanischen Gesellschaft in ihrer ganzen Komplexität zeigt und damit nicht nur Vorurteile bestätigt, sondern auch Vorurteile widerlegt. Zweitens, weil es auch in Deutschland seit einiger Zeit Versuche gibt, die kreationistische Lehre vom „Intelligent Design“ an die Schulen zu bringen. Das zu verhindern sollte allen aufgeklärten Menschen (Atheisten ebenso wie Gläubigen aller Religionen) ein dringliches Anliegen sein und der Film „Judgment Day“ liefert einen kleinen Vorgeschmack auf das, was da auf uns zu kommt.
Guter Beitrag. Aber “Intelligent Design” ist keine kreationistische Lehre. Hier muss konsequent getrennt werden. Insofern ist diese Aussage hier im Blog falsch. Kreationistische Auffassungen vom Enstehen des Lebens sind fundamentalistisch. So gehen die Young Earth Creationists von einer Erde aus, die ca. 6–10.000 Jahre alt ist, Saurier haben mit Adam und Eva das Paradies besiedelt, die Saurier waren zu diesem Zeitpunkt noch Vegetarier, zu besichtigen im Kreationisten ‑Museum in Kentucky. Es gibt noch eine Fülle von kreationistischen Ansichten zum Thema, allein mit Intelligent Design haben diese nichts zu tun. ID setzt viel diffizieler an, es geht in die mangelhaften Erkenntnisse von Geno-und Phänotyp, dort wo die moderne Forschung Lücken hat, schlagen die IDler zu, insbesondere in der Evolutionsbiologie, Genetik usw. Die IDler halten strikt den Gottesbegriff aus ihrer Argumentationn heraus, schließlich will man ja in die Schulen mit seiner Interpretation. ID ist geschickter in der Argumentation, nervtötender in der Diskussion und reine Zeitverschwendung, auf der Grundlage der Wedge-Strategie jedoch sehr gefährlich. Vertreter von ID in Deutschland, wort+wissen, Prof. Scherer und Junker.
Das hier ist ganz grob. Steht auf dem Brightsblog ausführlicher. Sorry für die Eigenwerbung. 🙂
nickpol, Eigenwerbung ist hier nicht verboten! Wenn Sie mit „Kreationisten“ nur Anhänger des christlichen Sechs-Tage-Kreationismus meinen, haben Sie natürlich Recht. Aber wenn man der Lehre vom „Intelligent Design“ ihr pseudowissenschaftliche Terminologie und ihre überholten Scheinargumente wegnimmt, bleibt doch wieder nur eine klar an die Bibel angelehte Schöpfungslehre übrig — die Dokumentation zeigt übrigens sehr schön, wie das „Intelligent Design“ ganz direkt aus dem Kreationismus hervorgegangen ist, nachdem der Supreme Court den Kreationismus aus den staatlichen Schulen verbannt hatte. Es ist ja sicher auch kein Zufall, dass das Brightsblog ein gemeinsames Tag für Kreationismus/ID verwendet…
Die 6‑Tage Kreationisten sind ja nur eine Partei der ganzen Bewegung. Die Kreationisten werfen unter anderem den IDlern vor, Gott und den Glauben verraten zu haben, na klar wer sich über die Entstehung von Flagellaten bei Einzellern streitet und nach Design-Hinweisen sucht, spricht nicht über Gott. Darüber hinaus gibt es neben den christlichen Kreazzis noch die islamischen (Harun Yahya), die Neognostiker, deren außerirdische Intelligenz (Yaldaboath) Eva vergewaltigen wollte, worauf Noah mitttels Raumschiff(Arche) diese rettete. Weiter gibt es die Planetentheorie von Velikowsky, Rael und jede Menge andere Ideen, die kreationistisch sind, aber mit ID nichts am Hut haben und vice versa.
Kreationismus läuft bei uns unter Fundamentalismus, ID nicht. Also der gemeinsame Tag ist schon OK, dann kommt zur weiteren Spezifizierung noch das Fundamentalismus-Tag.
Das moderne ID ist natürlich als pseudo-wissenschaftliche Tarnung für den Kreationismus entwickelt worden, und insofern mit diesem verbunden. Identisch sind die beiden Positionen aber nicht — nicht nur nicht von Begriffs wegen, sondern auch inhaltlich nicht.
Es wird nicht nur andere Terminologie verwendet, sondern es werden teilweise auch explizit andere Positionen vertreten (Beispiel Alter der Erde). Diesen Leuten ist durchaus klar, daß sich die Entscheider, also im konkreten Fall der USA die Gerichte, nicht bloß durch begriffliches Blendwerk verschaukeln lassen — daher versuchen sie, soviel Metaphysik zu subtrahieren, bis eine vermeintlich naturwissenschaftliche Position übrig bleibt. Judge John E. Jones III (US-amerikanische Namensgebung könnte auch ein interessantes sprachwissenschaftliches Thema sein, wie mir gerade auffällt…) hat glücklicherweise deutlich gemacht, daß diese Strategie auf ganz grundsätzlicher Ebene scheitern muß.
Kurz gesagt: Kreationismus und ID gehören in die gleiche Schublade, sollten aber nicht durcheinander geworfen werden.
@nickpol & Thomas Müller: Intelligent Design ist eine Spielart des Kreationismus wie alle anderen, da beißt die Maus keinen Faden ab. Die angebliche „Wissenschaftlichkeit“ der ID-Lehre ist eine sehr dünne Lackschicht, durch die hindurch man die fundamentalistischen Positionen deutlichst erkennt. Wer da ernsthaft differenziert, der ist bereits auf die Propaganda der ID-Kreationisten hereingefallen.
Ich stelle mal den folgenden Artikel zur Disposition.Wie naturwissenschaftlich ist “Intelligent Design”
Bei uns ist keiner auf den Kreationisten und ID Kram reingefallen. Im Gegenteil, die Evolutionsbiologen und Genetiker haber jahrelang die Auffassung vertreten, wir haben die Evolutionstheorie im Sack und musste sich eines besseren belehren lassen. Den Phänotypen hat man überhaupt nicht beachtet und jetzt gräbt man Heckel aus und macht seine Hausaufgaben. Die Unwissenschaftlichkeit von ID ist nicht die Frage, da gehen wir alle konform und solange die Wissenschaften die Deutungshoheit behalten sollte niemanden bange sein. Die Konsequenzen wenn nicht, dürften unangenehm werden.
@Frank Oswalt
Indem Sie ID eine “angebliche ‘Wissenschaftlichkeit’ ” attestieren, durch die “hindurch” man etwas erkennen kann, differenzieren sie ID und Kreationismus doch schon.
Da knabbert die Maus eben doch schon am Faden — und das ist auch wichtig: Will man gegen ID’ler argumentieren, muß man das sehr präzise mache, denn auf den Mund gefallen sind die nicht. In aufgeklärter Gesellschaft kann man beides wohl vermengen, aber kommt der erste Zweifler dazu, dann sieht man damit alt aus. Der Kampf ID vs Evolution ist ja keiner, in dem es nur um Fundamentalisten und Wissenschaftler geht, sondern einer, der auf die wissenschaftlich wenig bewanderte, leicht zu manipulierende Masse zielt. ID und Kreationismus einfach zu identifizieren ist der beste Angriffspunkt, den man ID’lern liefern kann — daran ansetzend packen sie geübte, fein ziselierte Rethorik aus, der man kaum noch adäquat begegnen kann. Folge: Man ist in der Defensive, der ID’ler in der Offensive.
Den Zustand sollte man vermeiden, daher ist die Differenzierung, so unsinnig sie uns erscheinen mag, enorm wichtig, und keinesfalls ein Hereinfallen auf deren Propaganda.
Der beste Einwand gegen das ID ist immer noch (paläo-)historischer Natur: Es lässt sich nämlich nachweisen, dass am Anfang, also am ’schöpfungsnähesten’ Punkt, immer auch das ‘primitivste Design’ zu finden ist. Fast alle Pflanzen waren Farne, alle Tiere dämliche Einzeller usw. Das ‘intelligentere Design’ entstand regelhaft erst bei zunehmender Schöpfer- bzw. Schöpfungsferne. Anders ausgedrückt: Das Prinzip ‘Darwin’ musste das Anfangsdesign gewaltig verbessern, damit es irgendwann halbwegs intelligent wirken konnte …
Was mich hier wie sonst bei ID (nicht beim Kreationismus, da ist es klar) bewegt, ist: Was wollen die eigentlich? Was versuchen sie zu beweisen? Und warum? Bei der Beantwortung dieser Frage stößt man sehr schnell auf das, was unser Blogmaster hier immer “Hidden Agenda” nennt. Es “macht” keinen Sinn, auf die Notwendigkeit des Uhr- oder Knopfmachers hinzuarbeiten, wenn seine Etablierung als causa prima nicht das eigentliche Ziel ist. Sonst kann man einfach alles so lassen wie es ist. Für mein Gefühl hat man ID dann im Sack, mit den Einzelargumenten braucht man sich für die Generalwiderlegung nicht mehr zu befassen. Gute Fragen, die dann noch übrig bleiben bedenke ich natürlich gern sorgfältig.
In einem anderen Zusammenhang bin ich auf dieses passende Zitat gestoßen:
(Aus: LEITER, Brian und Michael WEISBERG (2007): Why Evolutionary Biology is (so Far) Irrelevant to Law. Public Law and Legal Theory Research Paper No. 89, The University Of Texas School Of Law.)
Ansonsten stimme ich im Prinzip Chat Atkins und Herrn Hömig-Groß zu — sowohl die Evidenz für die Evolution als auch die Motive der ID-Kreationisten sind zu offensichtlich, um letzteren auch noch den Gefallen zu tun, auf ihre Scheinargumente einzugehen. In der Praxis kann es aber in der Tat problematisch sein, die ID’ler einfach zu ignorieren, denn es könnte bei weniger informierten Mitmenschen der Eindruck entstehen, dass man ihnen nichts entgegenzusetzen hat. Und die scheinbare Wissenschaftlichkeit der ID’ler macht sie in diesem Zusammenhang gefährlicher als andere Kreationisten. Ich denke also, eine Doppelstrategie ist hier nicht schlecht: Motive aufdecken und die Einzelargumente widerlegen (zum Glück ist beides nicht besonders schwer…).
Mal ’ne Frage zum Schluss: Kann mir jemand der offensichtlich gebildeter als ich seienden von den hier Mitdiskutierenden mal die Sache mit dem Phänotyp erklären? Warum ist das für die Evolutionsbiologie ein Problem, warum ist es eines, das IDlern in die Hände spielt? Link genügt notfalls und besten Dank im Voraus!
Doch. Das einzige, was die IDiots tun, um sich als etwas anderes auszugeben, ist, dass sie peinlich vermeiden, das Wort “Gott” zu verwenden. Das geht so weit, dass der oben erwähnte Prozess nachgewiesen hat, dass ein ID-Schulbuch aus einem kreationistischen Schulbuch entstanden ist, indem das Discovery Institute “creationists” durch “design proponents” ersetzt hat, und zwar per Hand — an einer Stelle is cdesign proponentsists übriggeblieben und hat als Übergangsfossil Berühmtheit erlangt.
Ich habe vor ein paar Monaten auf einem Blog mit einem cdesign proponentsist diskutiert. Eines meiner Argumente war Stupid Design: diejenigen Dummheiten in der menschlichen (und meistens auch anderen) Anatomie, die sich nur als Ergebnis von Evolution oder von Dummheit erklären lassen (z. B. die Tatsache, dass Wirbeltieraugen verkehrt herum aufgebaut sind, was keinen zwingenden Grund hat, wie die Kopffüßer zeigen). Seine Antwort? Wir können nicht einfach sagen, das sei dumm. Schließlich wissen wir nicht, was sich der Designer dabei gedacht hat. Die Wege des Designers sind unergründlich.
Und das nennt sich Wissenschaft. LOL.
Mittlerweile scheint das DI dazu überzugehen, Fälle, in denen cdesign proponentsists an Universitäten in Probleme geraten, als religiöse Diskriminierung darzustellen.
Übrigens: Es gibt YEC (Young Earth Creationists — 6 Tage) und OEC (Old Earth Creationists — 6 metaphorische Tage, radiometrische Datierung wird anerkannt). ID ist nur eine weitere Sorte von Kreationismus; über das Alter der Erde/des Universums halten sich die meisten cdesign proponentsists bedeckt, vermutlich absichtlich.
Dokumentation für den Ursprung von cdesign proponentsists (YouTube-Video).
Ich weiß nicht, warum man auf einen anderen Kontinent schauen muss, um verkustete engstirnige Strukturen zufinden. Als ich den Artikel gelesen habe, musste irgendwie an die Zeugen Jehovas denken. Eine Mitschülerin und später auch ein Arbeitskollege gehörten dieser Kirche an. Wenn man das Thema Religion nicht angeschnitten hätte, wäre man der Ansicht, es handelt sich um normale Menschen wie jeder andere. Ich möchte jetzt beide Gruppen nicht in eine Schublade stecken, aber wenn man sich bei uns genauer umschaut findet man bereits an vielen Stellen das Böse.