Als der Schriftsteller Martin Mosebach kürzlich den Büchner-Preis der Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung erhielt, haben wir das überhaupt nur erwähnt, weil der Vorsitzende der Akademie in der selben Woche mal wieder die alte, aber deswegen nicht weniger falsche Vorstellung hervorgekramt hat, dass der frühe Erwerb einer Fremdsprache irgendwie den Erwerb der Muttersprache oder einer Zweitsprache behindere.
Jetzt ist mir auch der Preisträger selbst durch eine merkwürdige Äußerung zum Thema „Sprache“ aufgefallen. Die Esslinger Zeitung fasst ein Interview zusammen, dass der SWR mit Mosebach geführt hat und in dem es um dessen jüngsten Roman geht:
Gehuldigt wird dabei dem Ideal einer schlanken, ausdrucksvollen Sprache, die Mosebach bewusst gegen den grassierenden Sprachverfall pflegt. „Kein Mensch ist dazu verpflichtet, eine verarmte Sprache zu haben“, meinte Mosebach zum Schluss, als sein Gesprächspartner ein „durchleuchtetes Knie“ antiquiert findet gegenüber dem Röntgen eines solchen.
Wenn ich das richtig verstehe (und ich hoffe, dass ich das nicht tue), dann hält Mosebach das durch und durch deutsche Wort röntgen für ein Zeichen von sprachlicher Verarmung. Das ließe das allgegenwärtige Gejammer über die „Anglizismen“ ja fast wie eine analytische Meisterleistung dastehen. Der Fehler, den Mosebach in diesem Fall machen würde, wäre aber aber derselbe, den wir auch bei anderen Sprachpuristen schon beobachtet haben: er hielte etwas, das eine Ausdifferenzierung (und damit eine klare Bereicherung der Sprache) darstellt, aus subjektiven ästhetischen Gründen für eine Verarmung. Durchleuchten ist ein sehr schönes Wort, aber es Bedeutet „mit Licht oder Röntgenstrahlen durchdringen und untersuchen“ (Bertelsmann-Wörterbuch). Wenn mir mein Arzt sagt, dass er irgendeinen Körperteil von mir durchleuchten will, weiß ich also nicht genau, ob ich eine Sonnenbrille brauche, oder eine Bleischürze. Diese Doppeldeutigkeit dürfte der Grund sein, warum sich für das Röntgen das Wort röntgen durchgesetzt hat.
Mosebachs Kritik an einer „veramten“ Sprache passt übrigens nicht zu der Einstellung zum Leben im Großen und Ganzen, wie er sie vorher im selben Interview darstellt:
Doch nun betonte der Autor, er sei vor allem Romanschriftsteller und „ein überzeugter Feind aller art engagé.“ Daher will er die Welt auch so schildern, wie sie ist und nicht, wie er sie gern hätte. In ihrer ganzen Vielfalt also, von der er so fasziniert ist wie von seiner Heimatstadt Frankfurt, die er „eine der verdorbensten und hässlichsten Städte“ nennt — für ihn dennoch oder gerade deshalb „eine Version Deutschlands, die mir bekommt.“
Ja, Herr Mosebach, dann verwenden sie doch auch die deutsche Sprache so, wie sie ist und nicht, wie Sie sie gern hätten. In ihrer ganzen Vielfalt also. Und mal ehrlich: wer an Frankfurt (gemeint ist hier das am Main) das Schöne entdecken kann, dem müsste das doch auch bei der „verarmten“ Gegenwartssprache gelingen…
Der gute Mosebach wird in diesen Tagen stark gefordert. Er wurde wohl aus der stillen Dichterhütte ins grelle Scheinwerferlicht gerissen. Da sind Aussetzer verzeihlich, auch bei jenem Halbsatz, wonach ‘kein Mensch verpflichtet’ usw. sei. So redet ein neureicher Sprachprotz, der eins gewiss weiß, dass er zumindest keine ‘verarmte Sprache’ besitzt, anders als so manch anderer …