Ich weiß nicht, ob es am Herbstwetter liegt oder daran, dass ich in diesem Semester ein Seminar zum Thema „Sprache und Denken“ gebe, auf jeden Fall denke ich wieder einmal an die Eskimowörter für Schnee, und dabei fällt mir ein, dass ich damals eine Frage offen gelassen habe.
„Sprachbloggeur“ P.J. Blumenthal hatte seinerzeit in seinem zweiten Schneeposting ein Telefonat mit einem gewissen Herrn Olsen von der grönländischen Selbstverwaltung erwähnt, der die Anzahl von Schneewörtern im Kalaallisut auf „unzählige“ schätzte (womit er natürlich Recht hatte, denn wie wir ja nun wissen, haben alle Sprachen mit produktiven Wortbildungsmechanismen unzählige Wörter für alles):
Daraufhin empfahl er mir die Lektüre des Buches ”Glossary of Snow and Ice“, geschrieben Anfang der 70. Jahre von Terrence Armstrong, Brian Roberts und Charles Swithinbank. In diesem Werk, so Herr Olsen, finde man die Kalaallisut-Begriffe mit Übersetzungen ins Dänische. Er versprach mir Genaueres darüber zu schicken, ist wohl nicht dazugekommen.
Mir ließ dieses Glossar seitdem keine Ruhe. Handelte es sich hier etwa um ein Wörterbuch des Kalaallisut oder ein anthropologisches Werk über die Schneekultur der Eskimos, das die Frage nach deren Schneevokabular in einem völlig neuen Licht erscheinen lassen würde?
Von mystischer Neugier getrieben begab ich mich also dieser Tage mitten in der Nacht hinab in die düsteren Gewölbe unserer Bibliothek. Dem Katalog entnahm ich nach einigem Suchen die Information, dass der vollständige Titel des Buches „Illustrated Glossary of Snow and Ice“ lautete. Die Katalognummer machte mich allerdings stutzig: sie begann mit den Buchstaben GEO. „Ein geologisches Wörterbuch mit Kalaallisut-Begriffen?“ dachte ich, nun noch mystifizierter. „Haben die Geologen da vielleicht vom uralten Schneewissen der Eskimos profitiert?“. Ich tastete mich also im Dämmerlicht durch lange verwinkelte Korridore zum richtigen Regal vor, nahm das kleine Büchlein vorsichtig aus dem Regal und schlug es mit zitternden Händen auf.
Und meine Illusionen zerplatzten. Mit einem Schlag fand ich mich im regentrüben 70er-Jahre Betonbau der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen wieder — mit einem Fachwörterbuch der Glazialgeologie in der Hand. Das „Illustrated Glossary of Snow and Ice“ definiert, bebildert, und benennt verschiedene Schnee- und Eisphänomene. Und zwar auf Englisch, Dänisch, Finnisch, Französisch, Deutsch, Isländisch, Norwegisch, Russisch und Spanisch. Ein typischer Eintrag sieht so aus:
Von Kalaallisut oder uralter Schneemystik also keine Spur. Und die Moral von der Geschichte? Es gibt wohl keine, außer dass man nichts glauben soll, das man nicht selbst gesehen hat.
„Aber wieviele Wörter für Schnee stehen denn nun in dem Glossar“, höre ich Sie ungeduldig rufen. Wenn ich mich in meiner Enttäuschung nicht vertan habe, sind es bei großzügiger Auslegung vierundzwanzig, davon sechs einfache und 18 zusammengesetzte: Altschnee, Barchadüne, Bruchharsch, Firn, Firnline, Frostregen, Hagel, Harsch, Lawine, Neuschnee, Regenschnee, Schnee, Schneebrei, Schneebrücke, Schneefegen, Schneefleck, Schneeflocke, Schneegrenze, Schneeschlamm, Schneetreiben, Schneewehe, Sicheldüne, Unterkühltes Nieseln und Wächte.
Für Eis stehen übrigens fast hundert Wörter im Glossar. Vielleicht der Anfang eines wunderbaren neuen Mythos…
ARMSTRONG, Terence, Brian ROBERTS und Charles SWITHINBANK (1966). Illustrated glossary of snow and ice. Cambridge: Scott Polar Research Institute.
Herr Stefanowitsch,
ich habs diesmal geahnt, und ab der Stelle mit GEO hab ichs gewusst. Ich komme aus dem Garten- u. Landschaftsbau und ein Laie könnte bei einem Gespräch mit uns auf den Gedanken kommen wir hätten hunderte von Namen für Boden also das natürliche Zeugs an der Erdoberfläche.
Tatsächlich folgen wir bloß einer Einteilung (z.Bsp. nach Korngrößen) die streng nach DIN geregelt ist. Alles was organisches Material enthält (dunkel) ist für uns Oberboden alles darunter Unterboden. Der Oberboden wird dann nach Zusammensetzung noch in Bodengruppen unterteilt. Der Unterboden besteht entweder aus Sand, Schluff, Ton oder Lehm oder häufiger einer Kombination also etwa “ansandiger Lehm”. Sandige Böden sind z.Bsp. “leichte Böden” tonige Böden sind “schwere Böden”.
Dann gibts noch geologische Bodentypen wie: Schwarzerden, Podsol, Gleye etc.
Dann gibts noch die Eigenschaften wie gar, steinig, grobkörnig, feinkörnig etc.
Das heißt es gibt allein in der Vegetationstechnik dutzende Kombinationen um einen Boden zu beschreiben (wobei nicht alle möglich sind.)
Dazu kommt noch die Bautechnik wobei es zumeist auf die Tragfähigkeit und Verdichtbarkeit ankommt. Fließend, breiig, verdichtbar, knetbar. Sowie die Einteilung nach zusammengesetzten Korngrößen und Sieblinien und deren Herkunft. Kiese und Sande rundkörnig, Schotter und Splitte gebrochen, scharfkantig oder kombiniert z. Bsp. Splittbrechsand.
Dann noch die Einteilung nach Funktion als Sauberkeitsschicht, Drainschicht, Frostschutzschicht, Tragschicht oder Deckschicht.
Gärtner kennen also hunderte unterschiedliche Begriffe für etwas das Marius Müller-Westernhagen als “Dreck” bezeichnete: “Straßen sind aus Dreck gebaut…” die aber alle bloß auf ein paar genormten Grundelementen beruhen. Und das ist nur der Landschaftsbau. Es fehlen noch z. Bsp. für den Zierpflanzenbau die ganzen Erden und Substrate also speziell angefertigte Mischungen.
Und bei vielen anderen Berufsgruppen wird es ähnliches geben.
Pax
Wenn Sie mir die Aufnahme eines Seitenaspektes (Sprache und Denken) in fragender Weise gestatten: Sind Sie auch irgendwie an dem Forum “Sprache und Denken” der HU Berlin am 30. November beteiligt? Evtl. als Vor- oder Beitragender?
»Unterkühltes Nieseln« entschädigt für alles. Finde ich.
Merke ich mir.
Wie es der Zufall will, begegnete mir eben in einem anderne Blog dies:
http://itre.cis.upenn.edu/~myl/languagelog/archives/000405.html
Herr Hömig-Groß, als Beitragender bin ich nicht beteiligt, aber ich überlege, als Zuhörer daran teilzunehmen. Wahrscheinlich wird aber wieder einmal die Zeit nicht reichen…
Blogueur!