Unwissenheit ist Stärke

Von Anatol Stefanowitsch

Fran­co Frat­ti­ni ist der Vizepräsi­dent der Europäis­chen Union. „Ich bin ver­ant­wortlich für Frei­heit, Sicher­heit und Recht“, teilt er den Besuch­ern sein­er Web­seite mit. Allerd­ings scheint er es mit seinem jüng­sten Vorschlag wed­er mit der Frei­heit noch mit dem Recht beson­ders ernst zu meinen — und mit der Sicher­heit eigentlich auch nicht.

Frat­ti­ni möchte näm­lich ver­hin­dern, dass Ter­ror­is­ten im Inter­net Anleitun­gen zum Bauen von Bomben find­en. Das will er aber nicht etwa erre­ichen, indem er ver­sucht, den Zugang zu diesen Seit­en zu block­ieren. Nein, die Inter­net­nutzer sollen gar nicht erst nach solchen Seit­en suchen kön­nen:

I do intend to car­ry out a clear explor­ing exer­cise with the pri­vate sec­tor … on how it is pos­si­ble to use tech­nol­o­gy to pre­vent peo­ple from using or search­ing dan­ger­ous words like bomb, kill, geno­cide or ter­ror­ism,” Frat­ti­ni told Reuters.

Ich plane, gemein­sam mit der Pri­vatwirtschaft eine klare unter­suchende Übung dahinge­hend durchzuführen, wie es möglich wäre, die Men­schen daran zu hin­dern, gefährliche Wörter wie Bombe, töten, Genozid oder Ter­ror­is­mus zu ver­wen­den oder danach zu suchen“, sagte Frat­ti­ni Reuters.

Ich möchte auch nicht, dass Ter­ror­is­ten Bomben bauen, aber ich ver­mute, sie wer­den das mit oder ohne Inter­net tun. Wörter zu ver­bi­eten wird sie auf jeden Fall nicht davon abhal­ten. Es wird nur die freien und fried­lieben­den Bürg­er der Europäis­chen Union daran hin­dern, sich über Krieg, Ter­ror­is­mus und Genozid zu informieren und auszu­tauschen. Denn Frat­ti­ni behauptet zwar folgendes:

Frat­ti­ni said there would be no bar on opin­ion, analy­sis or his­tor­i­cal infor­ma­tion but oper­a­tional instruc­tions use­ful to ter­ror­ists should be blocked.

Frat­ti­ni sagte, es werde keine Zen­sur von Mei­n­un­gen, Analy­sen oder his­torischen Infor­ma­tio­nen geben, aber funk­tions­fähige Anweisun­gen, die für Ter­ror­is­ten nüt­zlich sein kön­nten, soll­ten block­iert werden.

Aber genau das geht nicht, indem man Men­schen ihre Sprache wegnimmt.

Das Bre­mer Sprach­blog will aber gar nicht in den poli­tis­chen Diskurs ein­greifen, son­dern sprach­liche Ratschläge für alle Lebensla­gen bere­i­thal­ten. Hier deshalb ein Vorschlag für die Fehler­mel­dung, die wir kün­ftig zu sehen bekom­men kön­nten, wenn wir nach ver­bote­nen Wörtern suchen:

Error 101: Dou­ble­plusun­good Request

You have tried to use old­speak words indi­cat­ing a high poten­tial for crimethink.

You will be redi­rect­ed to the web pages of the Min­istry of Truth for instruc­tion on how to return to good­think and bellyfeel.

A repeat­ed attempt to search for dou­ble­plusun­good words will result in friend­wise invi­ta­tion to a joycamp.

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

3 Gedanken zu „Unwissenheit ist Stärke

  1. corax

    Hal­lo Herr Stefanowitsch,

    ich habe Ihren Artikel gestern nach­mit­tag gele­sen und er find­et auch meine Zus­tim­mung. Gestern spät abends stieß ich dann auf diesen Artikel:

    http://www.coffeeandtv.de/2007/09/11/unwissenheit-ist-starke/#comment-2583

    und war zunächst wegen der Übere­in­stim­mungen ver­wun­dert und glaubte zunächst reflex­haft an “Con­tentk­lau” wovon ich aber wieder abgerückt bin.

    Mea cul­pa mea max­i­ma culpa.

    Schön fände ich es wenn Sie als Sprach­wis­senschaftler sich zu diesem “Phänomen”* ein­mal äußern wür­den und in diesem Fall auch mal in dem Cof­fee and TV Blog.

    * Ger­ade hat in einem Blog eine Blog­gerin zu Eva Her­manns Abgang “Backe backe Kuchen” zitiert und fand das später auf N‑TV, Spree­blick hat zur Olympiade in Chi­na, eine Col­lage aus Hand­schellen die die fünf Ringe sym­bol­isieren sollen erstellt, welch­es bere­its ähn­lich von “Reportern ohne Gren­zen” und auch anderen “erfun­den” wurde.

    Also jedes­mal ein Ereig­nis und mehrere ver­schiedene Per­so­n­en haben den sel­ben Ein­fall dazu. 

    Pax

  2. Anatol Stefanowitsch

    Corax, danke für den Hin­weis. Als Sprach­wis­senschaftler kön­nte ich etwas zur maschinellen Erken­nung von Pla­giat­en schreiben, aber da brauche ich etwas Vor­lauf. Ich werde mir das als The­ma fürs Sprach­blog vormerken.

    Bei den Beiträ­gen von Lukas und mir han­delt es sich tat­säch­lich um das Phänomen „Zwei See­len, ein Gedanke“, oder bess­er „Viele See­len, ein Gedanke“, denn die Assozi­a­tion zwis­chen Frat­ti­ni und Orwells Dystopie ist nicht nur uns gekommen:

    http://blog.1407.org/2007/09/11/comissario-europeu-da-justica-e-seguranca-quer-impor-censura/

    http://www.samizdata.net/blog/archives/2007/09/euronewspeak.html

    http://www.spitzel.net/Spitzel/zensur/eu-will-internet-zensieren/

    http://dravenstales.blogspot.com/2007/09/eu-will-zensieren.html

    http://chinchillart.blogspot.com/2007/09/frattini-e-la-censura-preventiva.html

    Orwells Slo­gans sind eben sehr erfol­gre­iche Meme gewor­den. Frat­ti­nis aktueller Vorstoß ist auch nicht seine erste orwell’sche Anwand­lung. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass schon sein Titel „Kom­mis­sar für Frei­heit, Sicher­heit und Recht“ irgend­wie orwell’sch klingt (allein bei der Idee, Frei­heit und Sicher­heit dem sel­ben Ressort zuzuord­nen, bekomme ich ein bek­lem­mendes Gefühl), aber der Mann macht ständig solche Vorschläge und das Dystopis­che daran fällt (glück­licher­weise) vie­len Men­schen auf.

    Eigentlich bin ich ein­er der weni­gen Men­schen, die ich kenne, die die EU vor­be­halt­los für eine gute Sache hal­ten. Aber lei­der kommt mir in let­zter Zeit immer häu­figer Orwell in den Sinn, wenn ich Nachricht­en aus Brüs­sel höre.

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