Die „Jugendsprache“ muss in den Medien oft herhalten, wenn sonst nicht viel los ist. Am Wochenende hat das St. Galler Tagblatt sich mit dem Thema beschäftigt. Der Artikel ist eigentlich nett gemeint und erkennt durchaus das kreative Potenzial und die kommunikativen Bedürfnisse an, die in besonderen Sprachformen stecken könnten. Trotzdem ist er voll von Ungenauigkeiten und falschen Behauptungen, zum Beispiel der hier:
Syntax spielt im Sprachgebrauch der Jugendlichen keine Rolle, Anglizismen werden gar nicht mehr als solche wahrgenommen, die Orientierung an der Mündlichkeit („Parlando“) hat enorm zugenommen.
Wir wollen uns hier mit der ersten Behauptung befassen — dass „Jugendsprache“ keine Syntax habe. Falls das nämlich so sein sollte, liefert der Artikel dafür keine Evidenz. Die Autorin hat sich zwar alle Mühe gegeben hat, authentische jugendsprachliche Gesprächsschnipsel zu erfinden, aber die sind aus syntaktischer Sicht alle in reinstem Hochdeutsch abgefasst (Achtung, das wird jetzt ein bisschen trocken, aber es muss sein):
Wow, das isch megahammergeil. Dä Style vo däm Pimpf isch super dick.
Beide Sätze in diesem Text haben die Struktur Subjekt + Prädikat + Artergänzung (Satzbauplan 9 in der Duden-Grammatik, siehe Duden-Grammatik, §1211). Das einzige, was hier vom Hochdeutschen abweicht, ist die Aussprache einiger Wörter. So wird das Prädikat ist als isch dargestellt, was aber nichts daran ändert, dass die Form die 3. Person Singular ist, genau wie es bei den Subjekten das und dä Style vo däm Pimpf zu erwarten ist. Ebenso ist es mit den Artikeln dä und däm, die trotz ihrer ungewöhlichen Schreibweise klar den Nominativ und den Dativ darstellen. Die Aussprache, die hier dargestellt werden soll, hat natürlich gar nichts mit Jugendsprache zu tun — es handelt sich um dialektale Variation.
Der erste Satz enthält außerdem die Interjektion Wow, die vor dem eigentlichen Satz steht — also genau da, wo sie hingehört (Duden-Grammatik, §1406.1).
Wenn an dem zweiten Satz etwas ungewöhnlich ist, dann, dass die Autorin möglicherweise die Wörter Pimpf und Pimp verwechselt. (Die interessante Bedeutungsgeschichte dieser beiden Wörter beschreibt übrigens mein Namensvetter Anatoly Liberman im OUPblog).
Komm du Softwürfel. Heute Abend gehen wir in den Fummelbunker.
Der erste Satz ist ein Aufforderungs- oder Imperativsatz (Duden-Grammatik, §1076) mit einem nachfolgenden Anredenominativ (oder Vokativ), der vor oder hinter dem Satz stehen könnte und hier eben dahintersteht (Duden-Grammatik, §1406.2). Der zweite Satz hat die Struktur Subjekt + Prädikat + Raumergänzung (Satzbauplan 7, Duden-Grammatik, §1209). Er enthält außerdem eine optionale Zeitergänzug, die am Anfang des Satzes steht. Da das Verb in deutschen Aussagesätzen immer an zweiter Stelle steht, muss das Subjekt deswegen hinter dem Verb stehen (Duden-Grammatik, §1399).
Ich werde aber nicht rumlöffeln. Und vorher muss ich noch mit dem Teppichporsche raus. Sonst bekomme ich wieder einen Einlauf.
Der erste Satz hat die Struktur Subjekt + Prädikat (Satzbauplan 1, Duden-Grammatik, §1196), mit einer Modalpartikel (oder Partikel der Abtönung), die da steht, wo sie stehen soll (Duden-Grammatik, §671) und ein Negationswort (Duden-Grammatik, §1265.2), das ebenfalls am vorgesehenen Platz steht (Duden-Grammatik, §1268). Der zweite Satz hat wieder die Struktur Subjekt + Prädikat + Raumergänzung, mit einer optionalen Zeitergänzung, die wieder an erster Stelle steht und das Subjekt hinter das Verb schiebt, einem optionalen Präpositionalobjekt und einer weiteren optionalen Zeitergänzung. Außerdem wird der Satz durch eine Konjunktion eingeleitet, die am Anfang des Satzes steht (Duden-Grammatik, §1413). Der dritte Satz hat die Struktur Subjekt + Prädikat + Akkusativobjekt (Satzbauplan 2, Duden-Grammatik, §1198), mit einer optionalen Zeitergänzung.
Nur ein bisschen rumpimmeln, sei kein Karottenrambo.
Der erste Teilsatz ist ein Infinitiv in der Funktion einer Aufforderung (Duden-Grammatik, §306). Das einzige, was hier möglicherweise erwähnenswert ist, ist, dass die Duden-Grammatik ein bisschen als Indefinitpronomen bezeichnet, auch wenn es hier eindeutig eine adverbiale Funktion hat (§609). Dafür können allerdings die Jugendlichen nichts. Dann folgt noch einmal ein Aufforderungssatz, er folgt dem Satzbauplan 6 (Subjekt + Prädikat + Prädikativer Nominativ, Duden-Grammatik, §1208).
Also, wenn die Jugendlichen in St. Gallen wirklich so sprechen, gibt es aus syntaktischer Sicht keinen Grund zur Sorge.
Allerdings sollte ihnen jemand sagen, dass die Wörter, die sie da angeblich verwenden, nur in Wörterbüchern der Jugendsprache vorkommen.
Sie nennen ‘falsch’, was ‘anders’ klingt. Die älteste Strategie der Diffamierung …