Mir fällt in letzter Zeit immer häufiger ein neuer Typ des Anglizismenjägers auf, der sich vom alten Typ leider nicht etwa durch mehr Sachkenntnis oder wenigstens durch mehr gesunden Menschenverstand unterscheidet, sondern ausschließlich dadurch, dass er mit dem Anglizismenjäger alten Typs nichts zu tun haben will, sich aber trotzdem mit dessen verquasten Meinungen schmücken will.
So zum Beispiel Jens Jessen in der gestrigen ZEIT (von der ich bislang annahm, sie sei der letzte Hort feuilletonistischer Vernunft). Sein Artikel fängt an wie das durchschnittliche VdS-Pamphlet: „Die verkaufte Sprache“. Gut, für die Überschrift kann er vielleicht nichts, die könnte der Redaktionsleiter erfunden haben, um seine Existenz zu rechtfertigen. Aber im Aufmacher geht es genauso aufgeregt weiter: „Aus dem Kreis der Weltsprachen ist das Deutsche schon verschwunden. Nun wird es auch in seiner Heimat zum Sanierungsfall“. Gut, auch dafür kann er vielleicht nichts, den könnte der Textchef erfunden haben, um seine Existenz zu rechtfertigen. Aber den Artikel wird er wohl selbst geschrieben haben und der geht so los:
Es gibt einen Typus des übellaunigen, heimattümelnden Sprachschützers, dem man nicht im Dunklen begegnen möchte.
(Im Hellen übrigens auch nicht.)
Aber es gibt auch Gründe, im hellen Mittagslicht der aufgeklärten Vernunft Sorge um den Bestand der deutschen Sprache zu empfinden.
Gähn — ich meine natürlich, na, da bin ich aber mal gespannt.
Warum ist auf Bahnhöfen kein Schalter für Auskünfte, sondern ein Service Point?
Weil sich auf Bahnhöfen viele Menschen aufhalten, die dergestalt von A nach B reisen, dass entweder A oder B oder beide nicht in Deutschland sind und die dementsprechend mit dem Wort „Auskunftsschalter“ nicht viel anfangen könnten?
Was hat der englische Genitiv-Apostroph in Susi’s Häkelstudio zu suchen?
Das ist kein „englischer“ Apostroph. Aber um das herauszufinden, hätte man natürlich recherchieren müssen — oder wenigstens das Bremer Sprachblog lesen.
Welcher Teufel trieb eine deutsche Wissenschaftsministerin zu einer Kampagne mit dem Motto »Brain up«, was weder auf Deutsch noch auf Englisch Sinn ergibt?
Edelgard Bulmahn war eine der innovativsten Wissenschaftsministerinnen, die wir je hatten. Wen interessiert, welcher Teufel sie zu was trieb? Ach und bevor man behauptet, dass etwas auf Englisch keinen Sinn ergibt, sollte man vielleicht jemanden Fragen, der sich damit auskennt und einfach mal nachforscht.
Die Überflutung mit englischen Wendungen ist nur ein, wahrscheinlich der kleinste Teil des Problems. Der größere Teil besteht in ihrer kenntnislosen Aneignung zu dekorativen Zwecken.
Überflutung ist kein Problem, Dekoration aber schon?
Deutsch hat zwar schon immer Lehnwörter aufgenommen, fährt der Autor fort, und das auch gut überstanden (hier zeigt er das aufgeklärte Gesicht eines wahren Kenners der deutschen Sprache), aber die „englischen oder pseudoenglischen Ausdrücke“ sind irgendwie anders und ganz doll schlimm, weil sie „nicht nur hinzu“ kommen, sondern Deutsche Wörter ersetzen und sogar die Fähigkeit des Deutschen zur Wortbildung zerstören (hier schreibt er dann doch wieder unreflektiert und ohne die geringste Evidenz vom VdS ab).
Deutsch hat „nur“ 100 Millionen Muttersprachler (womit es immerhin die zehnthäufigst gesprochene Sprache der Welt ist), und deshalb hat es „seine Logik, wenn sich der Gebrauch des Deutschen aus der Wissenschaft zurückzieht, die auf weltweiten Austausch angewiesen ist“. Richtig! Aber, fragt der Autor dann besorgt, „muss deshalb neu gegründeten Universitäten in Deutschland gleich das Englische als Unterrichtssprache aufgezwungen werden“? Muss nicht, aber kann. Man kann sich nicht einerseits über die Benachteiligungen beschweren, die wir armen Deutschen in einer globalisierten Welt erleiden müssen, weil wir so schlecht Englisch können, und dann gleichzeitig gegen diejenigen vorgehen, die Räume schaffen, in denen wenigstens unsere Hochschulabsolventen vernünftig Englisch lernen können.
„[E]s sind ja nicht Amerikaner, die uns ihre Wörter aufzwingen“, beobachtet Jessen dann ganz richtig.
Es sind Deutsche, die in ihrer Bewunderung für alles Amerikanische mit der transatlantischen Praxis zugleich die Begriffe dafür mitbringen — wie Geschenke, die glitzernd verpackt werden müssen, damit ihrem dürftigen Inhalt Respekt gezollt werde.
Das ist wieder direkt beim VdS abgeschrieben. Belege gibt es dafür nicht. Die Forschung in diesem Bereich geht eher davon aus, dass man sich mit glitzernder Globalisierung schmücken will. Amerika hat damit wenig zu tun (um fair zu sein, Jessen führt in den nächsten drei Absätzen einen ähnlichen Gedankengang aus).
Das Deutsche wird nicht sterben, es sei denn, die Deutschen wollen es. Es sei denn, sie kapitulieren vor der Werbung, vor der Geschäftssprache, vor dem kollektiven Hass auf alles Komplizierte, den die Medien nähren.
Ja, ich denke, die Gefahr ist sehr groß. Sprachen sterben, wenn die Menschen zuviel Werbung konsumieren. Oder doch nicht? Naja, das wird man nie erfahren. Es sei denn, man recherchiert ein bisschen.
Aber selbst wenn das Deutsche stürbe – es würde als tote Sprache weiterleben, als eine Art Griechisch oder Latein der Neuzeit. Die Zahl kanonischer Autoren, von Philosophen wie Dichtern, wird den Gelehrten das Deutsche immer attraktiv erhalten.
Ganz zu schweigen vom kanonischen Feuilleton der ZEIT, das ich für die nächsten paar Wochen zur Abwechslung mal wieder durch das Feuilleton der Süddeutschen Zeitung ersetzen werde.
Dieser Artikel hat mich auch sehr enttäuscht, obwohl ich die Zeitung sonst sehr gern lese. Schlecht recherchiert ist wohl gut getroffen.
A propos Enttäuschung: auch in Bezug auf Literatur enttäuscht die Zeit, verrät sie doch beinahe das Ende des neuen Harry-Potter-Romans. Die SZ dagegen will gar nicht erst Verräter sein…sehr sympathisch!
Harry Potter? Ist das der, wo „Rosebud“ am Ende der Schlitten ist?