Presseschau

Von Anatol Stefanowitsch

Vor ein paar Wochen haben wir uns mit der „Bibel in gerechter Sprache“ beschäftigt, die beim Über­set­zen gle­ich eine mod­erne Geschlechterg­erechtigkeit in den Orig­inal­text hineindichtet. Ich habe meine Mei­n­ung geäußert, dass es „die Auf­gabe des Über­set­zers [ist], einen ziel­sprach­lichen Text zu schaf­fen, der den Inhalt des Orig­i­nals möglichst genau wiedergibt“. Das hat man im Vatikan wohl zum Anlass genom­men, über die Über­set­zung­sprob­lematik noch ein­mal grund­sät­zlich nachzu­denken, und dabei hat man zu ein­er radikalen Lösung gefun­den: die Messe, die seit 1969 nur noch in ein­er mod­ernisierten Über­set­zung gele­sen wer­den durfte, kann jet­zt — wenn die Gläu­bi­gen es wün­schen — auch wieder im lateinis­chen Orig­i­nal zele­bri­ert wer­den. Die Katholis­chen Nachricht­en sind erle­ichtert, dass mit dieser Bekan­nt­gabe andere Speku­la­tio­nen vom Tisch sind:

Mel­dun­gen ver­gan­gener Wochen, der Vatikan habe das Fege­feuer abgeschafft oder Papst plane ein neues Marien­dog­ma, zeugten vom nicht immer zure­ichen­den Sachver­stand in Nachrichtenredaktionen. 

Gut, das Fege­feuer gibt es also noch. Aber wenig­stens ver­ste­hen wir den Priester nicht mehr, wenn er uns davon erzählt.

Aber das Ein­tauchen in Orig­inal­texte kann manch­mal auch sehr erhel­lend sein. Das find­en laut net-tribune.de jeden­falls in Stock­holm sta­tion­ierte Diplo­mat­en:

Abba ist out, die sin­gen­den Botschafter sind der let­zte Schrei in Schwe­dens Haupt­stadt Stock­holm. Diplo­mat­en aus aller Her­ren Län­der tre­f­fen sich regelmäßig zum Schmettern schwedis­ch­er Volk­slieder — das beste Mit­tel, um die Seele der Schwe­den zu ver­ste­hen, ver­sichert der Chor-Grün­der und Botschafter Japans, Sei­ichi­ro Otsu­ka. Die “Singing Ambas­sadors” geben hin und wieder sog­ar Konz­erte — wenn auch bis­lang nur auf lokaler Ebene.

Ich hoffe, Ihre Exzel­len­zen kom­men nicht auf die Idee, die Seele der Europäer anhand des Euro­vi­sion Song Con­test ver­ste­hen zu wollen — davon kön­nte sich die Europäis­che Union nicht so leicht erholen, wie von der Verfassungskrise.

Manch­mal haben sowohl Orig­i­nal als auch Über­set­zung ihre Tück­en. Der Begriff „Parmi­giano Reg­giano“ ist europaweit geschützt und darf nur für Hartkäse aus den Regio­nen Par­ma, Mod­e­na und Reg­gio Emil­ia ver­wen­det wer­den. Die EU möchte deutschen Käsereien am lieb­sten auch die Ver­wen­dung der Ein­deutschung Parme­san ver­beit­en, doch die lassen sich darauf nicht ein:

Parme­san ist nicht die Über­set­zung von Parmi­giano Reg­giano, son­dern hat sich längst zu ein­er all­ge­meinen Gat­tungs­beze­ich­nung wie Edamer oder Gou­da entwick­elt“, argu­men­tiert Jörg Rieke, Geschäfts­führer des deutschen Milchindustrie-Verbandes.

Da ich ohne­hin ein grund­sät­zlich­er Geg­n­er des Marken­rechts bin, unter­stütze ich die deutsche Milchin­dus­trie zunächst, indem ich ab heute nur noch deutschen Parme­san kaufen und oft und deut­lich als „Parme­san“ beze­ichen werde. In roman­tis­chen Augen­blick­en werde ich mich sog­ar zu einem „Schatz, reichst du mir mal den parmi­giano“ ver­steigen und wenn die EU damit ein Prob­lem hat, dann kann sie mir ja null Punk­te dafür geben.

Dieser Beitrag wurde unter Bremer Sprachblog abgelegt am von .

Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.