Den Menschen, die über die „Anglizismen“ jammern, denen die deutsche Sprache angeblich hilflos ausgeliefert ist, antworte ich manchmal (wenn ich lang genug wachbleiben kann), dass es sich bei der Entlehnung von Wörtern um einen sehr aktiven Prozess handelt. Die Sprecher, die sich ein Wort aus einer anderen Sprache entlehnen, machen damit dann meistens, was sie wollen. Vor allem passen sie es den eigenen Bedürfnissen an.
Diese Anpassung kann relativ subtil sein — z.B., in dem von mehreren Bedeutungen, die ein Wort in der Ursprungssprache hat, nur eine entlehnt wird. Auf Englisch bedeutet to check z.B. unter anderem „überprüfen“, „Schach setzen“, „aufhalten“ und „abhaken“. Das deutsche Wort checken hat nur die erste Bedeutung übernommen. Die Anpassung kann aber auch stärker sein, z.B. wenn ein Wort wie checken im Deutschen dann die zusätzliche Bedeutung „verstehen“ erhält, die es im Englischen nicht hat, oder wenn das Lehnwort Flatrate im Deutschen zu Flat verkürzt wird, was im Englischen nicht möglich ist, da flat dort schon „platt“ und „kaputter Reifen“ (und im britischen Englisch außerdem noch „Wohnung“) bedeutet. Im extremsten Fall basteln Sprecher der entlehnenden Sprache Wörter aus dem Sprachmaterial einer anderen Sprache, die dann aussehen wie Lehnwörter, es aber gar nicht sind — das berühmteste Beispiel ist vielleicht das Wort Handy.
Das kann natürlich zu Problemen führen, wenn die Sprecher der entlehnenden Sprache sich der Tatsache nicht bewusst sind, dass diese Wörter gar keine Lehnwörter sind. Die Gegner von „Anglizismen“ regen sich deshalb über solche Wortschöpfungen oft noch mehr auf als über echte Lehnwörter.
Aber ist das ein unlösbares Problem? Am Freitag habe ich in meiner Lieblingsbuchhandlung folgendes Gespräch mitbekommen. Ein Kunde wollte, wissen, ob ein Buch eines belgischen Journalisten zum Thema „Doping im Radsport“ auch auf Englisch erhältlich sei. Er wusste aber den Titel des Buches nicht.
Kunde: Können Sie mal bei den englischen Neuerscheinungen unter dem Stichwort „Doping“ suchen.
Buchhändlerin: Klar.
[Pause, die Buchhändlerin denkt nach]
Buchhändlerin: Heißt das denn auf Englisch auch „Doping“?
Kunde: Na klar!
[Wird unsicher]
Kunde: Oder?
Buchhändlerin: Ja, muss ja nicht. Das weiß man ja nie.
Kunde: Stimmt. Haben Sie ein Wörterbuch?
Den beiden war also offensichtlich klar, dass ein deutsches Wort, das Englisch klingt, nicht unbedingt Englisch sein muss (im konkreten Fall von Doping hätten sie sich übrigens keine Sorgen machen müssen). Wenn dieses Bewusstsein auf breiter Ebene vorhanden wäre, würde von den sogenannten Scheinlehnwörtern keine besondere Gefahr ausgehen. Ein Deutscher, der im Deutschen das Wort Handy benutzt, wüsste dann eben, dass er das im englischen Sprachraum nicht tun darf — genauso, wie er wissen muss, dass er bekommen nicht mit become übersetzen kann oder wie ein Engländer wissen muss, dass eine Wohnung in Amerika nicht flat heißt.
Was mich stört, sind nicht die Anglizismen per se – egal, ob real oder pseudo –, sondern der quälend langsame Prozess der Eindeutschung ihrer Schreibung (mit Ausnahme der Initialmajuskel bei Substantiven) und, weniger schlimm, ihrer Aussprache. Das gilt aber für die Gallizismen(?) der vergangenen Jahrhunderte ebenso und in geringerem Maße auch für die griechischen und lateinischen Fremdwörter – solitäres c und y sowie die Digraphen ph, rh und th gibt es in germanisch-deutschen Wörtern ja nicht (bzw. im letzten Falle nicht mehr). Werden aber nun gräko-romanische Wörter aus Sprachen wie Englisch oder Französisch, die andere phonologische, aber nicht unbedingt literale Entwicklungen genommen haben, ins Deutsche portiert, kommt es zu Konflikten, die das Schreiben und vor allem Lesen erschweren. (Natürlich kann es auch bei anderer Etymologie zu Konflikten kommen.)
Kurzum, ich schreibe Händi und Frisör, habe aber (bisher) nicht den Ehrgeiz, mich schrift- wie lautsprachlich zu rezykl(ier)en oder gar reseikeln bzw. wiederverwerten zu zwingen.
Etymologietreue um ihrer selbst willen ist Bildungselitarismus.
[Hinweis des IAAS-Administratorenteams: Nach einem Datenbankfehler wurde dieser Kommentar am 24. Juni 2007 aus dem Googlecache wiederhergestellt.]
Herr Päper, meine Unterstützung haben Sie für Ihre Rechtschreibreform. Aus meiner Sicht gibt es nur ein Gütekriterium für eine Orthografie: maximale Systematik. Da stören die englischen und französischen Lehnwörter der letzten zweihundert Jahre ebenso, wie die griechischen, lateinischen und neoklassischen. Ich würde auf jeden Fall auch rieseikeln mit einschließen, ebenso wie ich Filosofie und Sümfonie schreiben würde. Allerdings sind es die selben Menschen, die sich über englisches Lehngut aufregen, die auch jeder Diskussion um eine ernsthafte Rechtschreibreform mit einem Geschrei begegnen, als stünde der Weltuntergang bevor.
[Nachtrag (9:32): Ach, und Ihrer Bemerkung dass „Etymologietreue um ihrer selbst willen … Bildungselitarismus“ ist, kann ich ebenfalls voll zustimmen — schlimmer noch, es ist Bildungselitarismus, der noch nicht einmal zur Bildung einer echten Elite beiträgt. Außerdem ist diese Etymologietreue ohnehin eine Illusion — oder verwenden wir etwa das griechische oder kyrillische Alphabet, um griechische und russische Lehnwörter zu schreiben?]
[Hinweis des IAAS-Administratorenteams: Nach einem Datenbankfehler wurde dieser Kommentar am 24. Juni 2007 aus dem Googlecache wiederhergestellt.]
“Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch”, scheint auch schon Hölderlin über Google, Datenverlust und Datenkrakentum geweissagt zu haben…
Meinen “verlorenen Kommentar” rekonstruiere ich durch Zugriff auf meinen persönlichen Datenserver (konventionell: Erinnerung) wie folgt:
Es war der etwas ketzerische Gedanke, dass eine Orthographie, die den fremden Ursprung des Fremd-/Lehnworts berücksichtigt, durchaus hilfreich sein kann, das von Anatol Stefanowitsch geforderte Bewusstsein für Wörter-Importe zu unterstützen — und weiter, dass dazu möglicherweise auch andere Schrifttypen beitragen können, denn bis weit ins 19. oder sogar ins 20. Jahrhundert hinein wurden im deutschen Schrift-Raum etwa französische oder lateinische Fremdwörter auch in der Schrifttype markiert (Lateinisch im Gegensatz zur “echt deutschen” Text vorbehaltenen deutschen Fraktur). Letzteres geht natürlich nur, wenn LeserInnen mit beiden Schriften und ihren Konventionen umgehen können, was für Kyrillisch, Griechisch oder noch Exotischeres sicherlich kaum mehr zutrifft.
Aber wie ist das eigentlich in (Schrift-)Kulturen, in denen grundsätzlich mit mehreren Schriften geschrieben wird?
[Hinweis des IAAS-Administratorenteams: Der ursprüngliche Kommentar vom 20. Juni 2007 konnte nach einem Datenbankfehler nicht wiederhergestellt werden. Uwe Spörl hat deshalb am 22. Juni diese eigene Rekonstruktion eingeschickt.]
(Please excuse me for writing in English — I don’t want to expose my terrible German to the Bremer Sprachblog)
Is is really elitist to spell foreign words the way they appear on their native soil? Many of my young German friends have picked up their English from the lyrics of Frank Zappa, Kurt Cobain, Eminem (and so many others). If they can just spell the word the way it started out (‘bitch’, ‘homie’) it’s both easy to get right and easy for others to recognize. (Since English has not one but two nasty little ‘th’ sounds, any attempt to achieve Rechtschreibung is surely likely to cause nothing but hopeless confusion.)
Ich halte mich für einigermaßen gut des Englischen mächtig – vor allem passiv –, aber sobald es von Musik unterlegt ist, muss ich mich sehr konzentrieren, um nicht nur einzelne Wörter zu verstehen. (In geringerem Maß trifft das auch auf meine Muttersprache zu.) Ich denke, das geht vielen so und die wenigsten lesen die Texte nach. Eine literale Fremdsprachfähigkeit wird so jedenfalls nicht erworben, bestenfalls unterstützt.
Davon abgesehen verändert sich die Jugendsprache i.d.R. viel zu schnell, um von der trägen Schriftsprache beachtet zu werden. Es geht mir so auch nicht um oft kurzlebige Schlagwörter wie die genannten Beispiele, sondern um etablierte Fremd- bzw. Lehnwörter (oft mit gewandelter oder spezialisierter Bedeutung), die ihre Schreibung unverhältnismäßig lange bewahren.
Bevor sie nicht als deutsche Wörter wahrgenommen werden kann Etymologietreue durchaus nützlich sein, was ich mit „um ihrer selbst willen“ ausgedrückt haben wollte.
Die Zahl der Anglizismen mit th ist übrigens rein subjektiv betrachtet äußerst gering; würden wir aber Worte aus dem Griechische, die dort mit Theta geschrieben werden, mit t wiedergeben, wäre der Digraph frei für moderne Einbürgerungen.