Heute geht das Festival Die Macht der Sprache zu Ende, das das Goethe-Institut in Berlin ausgerichtet hat und das diese Woche die sprachwissenschaftliche Berichterstattung in den Online-Medien dominiert hat.
Die Berliner Literaturkritik berichtet zum Beispiel über den Fortschritte bei der sprachlichen Gleichberechtigung:
Nicht nur im Deutschen wird wenn 99 Sängerinnen und ein Sänger sich zusammentun von 100 Sängern gesprochen. Der grammatikalische Grund dafür ist das „generische Maskulinum“. Um dies zu ändern wurden 1980 zum ersten Mal deutschen Richtlinien für einen „nicht-sexistischen Sprachgebrauch“ veröffentlicht. … Heute sei „Gendersensible Sprache“ selbstverständlich geworden, meint die die Sprachwissenschaftlerin Stephanie Thieme von der Gesellschaft für deutsche Sprache e.V.
Ich sehe das etwas weniger optimistisch. Es ist richtig, dass Gesetzestexte und Stellenausschreibungen heute im Normalfall geschlechtsneutral formuliert sind. Aber in der Alltagssprache hat das bislang keinen großen Eindruck hinterlassen. Zwar verursacht das generische Maskulinum inzwischen vielen Menschen Bauchschmerzen (ich zucke jedes Mal zusammen, wenn ich es hier im Sprachblog verwende), aber eine echte Alternative gibt es in vielen Fällen nicht, wenn man nicht klingen möchte wie — nun ja, wie ein Gesetzestext oder eine Stellenanzeige.
Eröffnet hat die Veranstaltung übrigens unergründlicherweise ein Kunsthistoriker und Religionsphilosoph (der ehemalige rumänische Kultur- und Außenminister Andrei Plesu) mit einer Rede im Deutschen Bundestag. Die WELT ONLINE hat die Rede Auszugsweise abgedruckt. Ein kleiner Auszug:
Die Macht des Wortes ist umfassender als sein linguistischer Wert — sie ist trans-linguistisch. Das Wort ist nicht nur signifikant, sondern auch erbaulich und stärkend. Es kann das Unkommunizierbare kommunizieren, eine Tatsache, die von der Forschung eher selten berücksichtigt wird, aber von den Schriftstellern aller Zeiten als eine Offenkundigkeit. …
Ja, den Schuh müssen wir uns wohl anziehen. Die Kommunikation des Unkommunizierbaren kommt in unserer Forschung nicht vor. Woran das liegt, weiß ich auch nicht. Vielleicht daran, dass alles, was man kommuniziert, per Definition nicht Unkommunizierbar ist und wir für verquaste Pseudoparadoxien keine Zeit haben?
Wahrscheinlich habe ich diese Woche einfach stressbedingt schlechte Laune (die Universität Bremen hat vor einigen Jahren die Pfingstferien abgeschafft, so dass Lehrenden und Studierenden im Sommersemester eine dringend benötigte Atempause fehlt). Aber trotzdem: Warum muss eine Veranstaltung zum Thema Sprache von jemandem eröffnet werden, der schon von Amts wegen keine Ahnung davon hat?
Später in seiner Rede sagt Plesu noch:
Wir leiden auf planetarischer Ebene an einer Inflation der Wörter. Es wird enorm viel geredet. … Die verbale Askese, die restaurierende Disziplin des Schweigens, der hygienische Rückzug aus dem inkontinenten Fluss des alltäglichen Geschwätzes könnte uns möglicherweise helfen, die ursprüngliche Frische des Ausdrucks, den wahren Wert eines jeden gesprochenen Wortes wiederzufinden…
Ein wahres Wort! Hätte er sich nur selbst daran gehalten. Ich folge seinem Rat und melde mich für das Wochenende ins hygienische Schweigen ab.
Ich finde es mit der Geschlechtergerechtigkeit in der Sprache auch schwierig. Viele meiner Kunden (vor allem älteren Jahrgangs) reagieren belustigt bis unwillig auf den Versuch, überall gerecht zu sein. Und der/die Kunde/-in ist nun mal König/in.
[Hinweis des IAAS-Administratorenteams: Nach einem Datenbankfehler wurde dieser Kommentar am 24. Juni 2007 aus dem Googlecache wiederhergestellt.]