Rich-List-Linguistik

Von Anatol Stefanowitsch

Vio­la weist mich auf diese beein­druck­ende (und teil­weise vergnügliche) Liste der „most com­mon 263 mis­takes in Eng­lish made by Ger­man speak­ers“ hin. Ob es wirk­lich die häu­fig­sten 263 Fehler sind, bezwei­fle ich ein­fach mal (das zu beweisen oder zu wider­legen würde einen Aufwand erfordern, der sich schlicht nicht lohnt). Aber auf jeden Fall sind es alles Fehler, die mir selb­st auch schon oft aufge­fall­en sind. Wer die dazuge­höri­gen 263 Verbesserungsvorschläge beachtet, der kann sein Englisch mas­siv verbessern.

Aber: was für ein Alp­traum, diese 263 fast beliebig zusam­mengewür­fel­ten Ratschläge auswendig ler­nen zu müssen! Kön­nte man nicht all­ge­meinere Regeln finden?

Ich glaube nicht. Natür­lich hätte man sie sortieren kön­nen — so kön­nte man Vok­a­bel­prob­leme von Gram­matikprob­le­men tren­nen, bei den Vok­a­bel­prob­le­men Aussprachep­rob­leme und Prob­leme der Wort­wahl auseinan­der­hal­ten, bei Prob­le­men der Wort­wahl nach falschen Fre­un­den, Schein­lehn­wörtern und uner­warteten Pol­y­semien unter­schei­den, und so weiter.

Aber davon abge­se­hen ist diese Liste eine aus­geze­ich­nete Alle­gorie für das Erler­nen ein­er (Fremd-)Sprache. Natür­lich hat jede Sprache all­ge­meine Geset­zmäßigkeit­en, die Bere­iche wie Wort­stel­lung, Kasus, Tem­pus und Aspekt, usw. regeln (obwohl es auch da Aus­nah­men zur Genüge gibt). Aber der größere Teil ein­er Sprache beste­ht aus Wörtern, Redewen­dun­gen und halbpro­duk­tiv­en Satz­bil­dungsmustern, die sich so ver­hal­ten, wie sie es eben tun, ohne dass es dafür eine beson­ders ein­leuch­t­ende Erk­lärung gäbe (mod­erne Gram­matik­the­o­rien haben das übri­gens erkan­nt und ver­suchen, dem gerecht zu werden).

Und dem Lern­er ein­er Sprache bleibt nichts anderes übrig, als den Gebrauch jedes dieser sprach­lichen Ver­satzstücke einzeln zu erlere­nen. Und, ach, wenn es doch nur 263 wären!

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

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