Presseschau

Von Anatol Stefanowitsch

Die taz berichtet über die Bibel in gerechter Sprache, die im let­zten Jahr erschienen ist und deren vierte Auflage bevorste­ht. Press­eschauwürdig ist das Über­set­zungskonzept der gerecht­en Bibel:

Die „Bibel in gerechter Sprache“ hat drei fun­da­men­tale Über­set­zung­sprinzip­i­en: Sie soll geschlechterg­erecht for­muliert sein, die Ergeb­nisse des jüdisch-christlichen Dialogs berück­sichti­gen und soziale Gerechtigkeit voranbringen.

Das ist schon ein sehr offen­herziger Fall von „Was nicht passt, wird passend gemacht“. Eigentlich ist es ja die Auf­gabe des Über­set­zers, einen ziel­sprach­lichen Text zu schaf­fen, der den Inhalt des Orig­i­nals möglichst genau wiedergibt. Damit das gelin­gen kann, müssen natür­lich unter­schiedliche Rah­menbe­din­gun­gen in der Ursprungs- und der Zielkul­tur berück­sichtigt wer­den: wenn es Hin­ter­grund­wis­sen gibt, das bei den Lesern des Orig­i­nals als selb­stver­ständlich voraus­ge­set­zt wer­den kann, das aber von den Lesern der Zielkul­tur nicht geteilt wird, muss dieses Wis­sen in der Über­set­zung mit ver­mit­telt wer­den. Dadurch ist jede Über­set­zung natür­lich ein Stück weit auch eine Inter­pre­ta­tion des Orig­i­nals. Trotz­dem: die Anpas­sung an die Bedürfnisse der Zielkul­tur darf nicht so weit gehen, dass Unter­schiede zwis­chen Ursprungs- und Zielkul­tur ein­fach weggewis­cht wer­den. Son­st müsste man aus den Sklaven in „Onkel Toms Hütte“ tar­ifver­traglich bezahlte Angestellte machen und aus den Frauen in der „Geschichte der Diener­in“ Leih­müt­ter, die aus Ide­al­is­mus kinder­losen Paaren helfen wollen.

Obwohl — der Wech­sel zu ein­er anderen Sprache scheint manch­mal uner­wartete Wun­der zu bewirken. Wie der Gießen­er Anzeiger berichtet, hat die Ein­führung des Deutschen als Pflicht­sprache auf dem Schul­hof der Her­bert-Hoover-Schule vor anderthalb Jahren nicht nur zur Verbesserung der sprach­lichen Kom­pe­ten­zen geführt (was ja zu erwarten war). Nein, auch „die Zahl der Gewalt­tat­en ist deut­lich gesunken“, sagt Schullei­t­erin Jut­ta Steinkamp. Erk­lärt wird dieser unver­mutete Zusam­men­hang so:

Tat­säch­lich aber sind von den 370 Schülern nur wenige deutsch­er Herkun­ft — die anderen sprechen zu Hause eher Türkisch oder Ara­bisch. „Das hat früher zu vie­len Kon­flik­ten geführt, weil jede Gruppe auf dem Schul­hof die eigene Sprache gesprochen hat und es so zu Missver­ständ­nis­sen kam“, erzählt der ser­bis­chstäm­mige Schul­sprech­er Nezir Asanovic.

Die Auf­fas­sung, dass eine gemein­same Sprache ein besseres gegen­seit­iges Ver­ständ­nis bewirkt während Sprachvielfalt zu Kon­flik­ten führt, ist zwar sehr weit ver­bre­it­et, aber ich kann sie nicht teilen. Dazu fall­en mir zuviele Beispiele für Bürg­erkriege ein, in denen alle Beteiligten dieselbe Sprache sprechen. Der Rück­gang der Gewalt an der Hoover-Schule ist natür­lich dur­chaus begrüßenswert, aber er dürfte eher dem Hawthorne-Effekt als dem sprach­planer­ischen Eifer der Schulleitung zuzuschreiben sein.

Aufk­lärung rund um das The­ma „Sprache“ soll eine Wan­der­ausstel­lung leis­ten, die diese Woche von Annette Scha­van im Rah­men des Jahres der Geis­teswis­senschaften eröffnet wurde: das Muse­umss­chiff „MS Wis­senschaft“ läuft mit dem The­ma „Sprache ist mehr als Worte“ in den kom­menden Monat­en 34 Häfen an, darunter lei­der nicht Bre­men. Die Ausstel­lung klingt der Beschrei­bung nach äußerst span­nend, und auch das Berufs­bild des Sprach­wis­senschaftlers wird darin geradegerückt:

Lin­guis­ten stellt man sich oft am Bücher­re­gal vor, am Schreibtisch. Unsere Lin­guis­ten sind auch auf der ganzen Welt unter­wegs und leben in Dör­fern, sprechen mit Ein­heimis­chen und zeich­nen dann Sprach­doku­mente auf, um Sprachen, die vom Ausster­ben bedro­ht sind, auch für die Nach­welt zu erhal­ten als wichtiges Kulturgut.

(Wen so etwas inter­essiert, der kann übri­gens ab Okto­ber in Bre­men in unserem brand­neuen BA-Stu­di­en­gang Linguistik/Language Sci­ences das Handw­erk­szeug dazu erwer­ben). Die schwim­mende Ausstel­lung ist nicht ger­ade gün­stig — 1.6 Mil­lio­nen Euro wird sie ins­ge­samt kosten. Das Bre­mer Sprach­blog wird Sie dage­gen auch in der zweit­en Hälfte des Jahres der Geis­teswis­senschaften kosten­los und zuver­läs­sig mit Infor­ma­tio­nen rund um das The­ma Sprache versorgen.

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

8 Gedanken zu „Presseschau

  1. Frank Oswalt

    Der Satz „Sprache ist mehr als Worte“ klingt für mich dop­pelt komisch: Erstens, müsste es nicht Wörter heißen? Zweit­ens, das Sub­jekt im Sin­gu­lar und das Prädikat­snomen im Plur­al — passt für micht irgend­wie nicht zusammen.

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  2. Jens

    Die Geschichte der Diener­in“? Nicht eher „Der Report der Magd“? Das Buch ist doch etwa fünf Jahre älter als der Film …

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  3. Anatol Stefanowitsch

    Jens, ein inter­es­san­ter Hin­weis, da ich dieser Tage ohne­hin vorhat­te, etwas über das Wort tale zu schreiben und da passt die grauen­hafte Über­set­zung mit „Report“ sehr schön hinein.

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  4. Jens

    Zu mein­er Vertei­di­gung (also gegebe­nen­falls, daß das den übri­gen Kom­men­tar­lesern nicht bekan­nt ist) muß ich sagen, daß ich es nicht selb­st so über­set­zt, son­dern mich nur an den Titel der Über­set­zung von Hel­ga Pfetsch gehal­ten hab.

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  5. Anatol Stefanowitsch

    Ja, das ist natür­lich der Titel der offiziellen Über­set­zung (wenn die von Ihnen wäre, Jens, dann hätte ich mir die Bew­er­tung mit „grauen­haft“ erspart). Wer Atwoods Roman nicht schon in der Schule lesen musste, der sollte das übri­gens unbe­d­ingt nach­holen (ich habe ihn trotz mein­er lit­er­arischen Leseschwäche von Anfang bis Ende gele­sen). Sicher­heit­shal­ber empfehle ich aber das Orig­i­nal.

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  6. Laura

    Lausige Über­set­zun­gen lassen sich nach mein­er Erfahrung vor­wiegend in Fil­men find­en, wo schon mal poten­zielle Kult­sprüche von schlecht­en Über­set­zern bru­tal in Stücke gehauen wer­den. In Büch­ern ist mir das wirk­lich schmerzhaft bish­er nur bei Alice im Wun­der­land aufge­fall­en, das aber dank Car­rolls Genie in sämtlichen Über­set­zun­gen unweiger­lich abschmieren muss… In diesem Zusam­men­hang kom­men wir auch wieder auf tale bzw. tail zu sprechen 🙂

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  7. corax

    Lausige Über­set­zun­gen Nachtrag:

    http://www.stefan-niggemeier.de/blog/chronologie-einer-falschmeldung-ii/

    http://www.stefan-niggemeier.de/blog/chronologie-einer-falschmeldung-iii/

    http://www.spiegelfechter.com/wordpress/66/sprechen-sie-farsi-nein-unsere-medien-auch-nicht

    Cui bono?

    Kön­nte man das Fen­ster hier zum Kom­men­tieren vielle­icht etwas größer gestal­ten? Es ist äußerst müh­sam in so einem begren­zten Auss­chnitt vernün­ftig zu schreiben.

    Pax

    [Hin­weis des IAAS-Admin­is­tra­torenteams: Nach einem Daten­bank­fehler wurde dieser Kom­men­tar am 24. Juni 2007 aus dem Google­cache wiederhergestellt.]

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