In vielen asiatischen Ländern dient die englische Sprache rein dekorativen Zwecken. Das lateinische Alphabet und die englische Orthografie scheinen dort ein ähnliches ästhetisches Empfinden anzusprechen, wie es chinesische Schriftzeichen bei uns tun. Der Inhalt spielt dabei keine Rolle. Die Macher von T‑Shirts, Taschen und Postern werfen oft mit völlig beliebige Wörter und Pseudowörter um sich, oder sie klauen Absätze aus verschiedenen Quellen und kombinieren sie zu inkongruenten Textcollagen. Etwa „Get ready for judgment. It is probably to stimulate your five senses with the intense impact” [hier], oder „20th century boy. I wanna be your boy. Yes, I’m your boy” [hier] oder auch
Go skating. Would you agree to participate in a nationwide scientific experiment in mind and mood expansion? Just stand there. Don’t fire back. It took us 15 minutes to tax shelter $4,000. Emigrant makes IRAs that easy. That’s why we Emigrated. Thomas Jefferson, Jerry Falwell, Benjamin Franklin, et al. Funny Boy“ [hier].
Ich habe Bekannte aus China, die mir glaubhaft versichern, dass die chinesischen Schriftzeichen, die wir auf T‑Shirts oder als Modeschmuck oder sogar als Tätowierung spazieren tragen, auch nicht sinnhafter sind.
Aber auch die englische Sprache dient in Deutschland weitestgehend als schmückendes Beiwerk. Besonders offensichtlich ist das bei Unternehmensberatern, die dafür bezahlt werden, dem Unternehmer das zu sagen, was er ohnehin schon weiß, nur eben garniert mit Buzzwords wie Business Excellence, Total Flow Management und Customer Satisfaction.
Auch in anderen Bereichen wird deutlich, dass es selten um den Inhalt geht, wenn das Englische zur Verwendung kommt. Vor einigen Tagen ist mir ein Werbespot der Telekom aufgefallen, in dem ein Produkt namens „T‑Home“ beworben wird. Der Spot präsentiert einen Protagonisten, der von einer Situation in die nächste springt. Er öffnet zum Beispiel seinen Kühlschrank und findet sich in einem Supermarkt wieder. Dann läuft er in ein Fußballstadion, in dem sein Sofa steht, von dem aus er das Fußballspiel angucken kann. Dann tanzt er ein bisschen vor sich hin und spielt plötzlich mit einer Band vor einem tobenden Publikum. Dann sitzt er mit seiner Freundin auf dem Sofa, geht an sein Bücherregal und steht unvermittelt in einer riesigien Bibliothek. Und so weiter.
Das alles wäre nicht berichtenswert, wenn die Werbeagentur nicht eine äußerst aparte Auswahl bezüglich der Musik getroffen hätte, die dieses wirre Abenteuer begleitet: Es ist der Rolling-Stones-Song „Paint It, Black“ (1966, vom Album Aftermath). Nun ist das ein fantastisches Stück, vielleicht eins der stärkstern Werke von Jagger und Richards überhaupt. Man sollte sich eigentlich freuen, wenn das mal wieder regelmäßig im Fernsehen gespielt wird und der Jugend von Heute® beweist, dass die Stones mal eine großartige Band waren. Aber es handelt nun einmal von einem jungen Mann, der den Tod seiner Freundin betrauert!
Haben die Creativen das nicht gemerkt als sie diese Zeilen gehört haben (den komplette Text kann man sich hier durchlesen):
I see a line of cars and they’re all painted black,
With flowers and my love both never to come back.
Oder die hier:
Maybe then I’ll fade away and not have to face the facts.
It’s not easy facing up when your whole world is black.
Oder spätestens bei diesen hier:
No more will my green sea go turn a deeper blue.
I could not foresee this thing happening to you.
If I look hard enough into the setting sun
My love will laugh with me before the morning comes.
Oder war das am Ende sogar Absicht? Soll den potenziellen Kunden suggeriert werden, dass „T‑Home“ (was auch immer das sein mag) ein hervorragender Ersatz für eine Freundin ist? Oder war ihnen völlig egal, wovon der Song eigentlich handelt? Hauptsache, den Kunden wird die Gute Alte Zeit ins Gedächtnis gerufen? Oder — und das halte ich für am wahrscheinlichsten — haben sie den Text schlicht nicht verstanden?
Wer mich kennt, der weiß, dass ich immer versuche, in allem das Positive zu sehen. Also: eigentlich ist es ja beruhigend, dass ein globaler Medien- und Kommunikationsgigant wie die Telekom es sich leisten kann, eine beschwingte Lifestyle-Werbung mit einem Text über Tod, Trauer und Verzweiflung zu unterlegen. Wenn das den Kunden nicht auffällt, kann es mit dem Einfluss des Englischen auf die deutsche Sprache ja doch noch nicht so weit her sein, wie die Propheten der Apokalypse uns glauben machen wollen.
[Nachtrag (15:38): Für diejenigen, die die Kommentare gerne überspringen — beachten Sie unbedingt den Link zum Slate Magazine, auf den Herr Kehoe hinweist! Die Beispiele, die dort aufgeführt sind, deuten darauf hin, dass hinter einer unpassenden Musikauswahl mehr stecken kann als schlechte Englischkenntnisse…]
Vorsicht mit der Verlinkung urherberrechtlich geschützten Materials! Ich glaube kaum, daß Stones-Texte gemeinfrei sind. Da kann es leicht zu Post vom Anwalt kommen.
Herr Ibert, danke für den Hinweis! Die Verlinkung urheberrechtlich geschützten Materials an sich ist wohl unproblematisch, sonst müsste man Links ja ganz abschaffen. Hier ging es wohl eher darum, dass die ursprünglich verlinkte Seite möglicherweise eine Urheberrechtsverletzung darstellen könnte (da es eine amerikanische Seite war, könnte sie aber durchaus unter die „Fair Use“-Klausel des amerikanischen Copyrights fallen). Zur Sicherheit habe ich den Link nun auf die offizielle Seite der Rolling Stones gesetzt — mit dem zusätzlichen Vorteil, dass dort der korrekte Text steht…
„Oder — und das halte ich für am wahrscheinlichsten — haben sie den Text schlicht nicht verstanden?“
Denke ich auch. Aber dies kann auch passieren, ohne irgendeine Fremdsprache-Barriere …
Das ist eine japanische Firma, die für ihre Kleider-Aufdrucke mit westlichen Zeichen bekannt ist:
http://www.graniph.com/product/
Beim durchblättern des Produktkatalogs kann man auch etwas erahnen, welche deutschen Wörter in Japan cool wirken. Mir scheint, “z”, k”, “ch/ck” und Umlaute sind besonders hip. — Orthographie, Grammatik und Semantik sind bei diesen Aufdrucken einfach nicht von Bedeutung. Es geht nur ums Schriftbild.
in meiner Familie gibt es die Überlieferung, daß im 19. Jahrhundert in den aus China importierten Teedosen kleine, in chinesischer Schrift bedruckte Zettel lagen.
Diese wurden als “exotisch-authentisch” geschätzt.
Bis dann jemand auf die Idee kam, den Text zu übersetzen:
“Dreimal ausgelaugter Tee für die verfluchten Christenhunde!”
Es geht nur ums Schriftbild.
Ist das bei uns nicht anders?
Dazu braucht es keine fremden Schriftzeichen, dazu braucht es nur Rezipienten, die auf der Oberfläche bleiben und nicht den Gehalt wahrnehmen (können)
siehe Werbe-Manager von T‑Com/T‑Home/T‑Mist…
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Mensch bin ich froh, dass ich nicht der einzige Sechziger-Liebhaber & Telekom-Nichtversteher bin, dem dieses Rätsel ebenso auffiel wie ‑stieß. Unser größtes Kommunikationsunternehmen versteht nun mal nicht viel von Kommunikation, wie jeder Kunde & Exkunde weiß. Werbung funktioniert erst dann wirklich, wenn jeder die Produkte boykottiert, deren TV Spots nerven oder den ungläubigen Verstand herausfordern. Kommt irgendjemand außer mir bei der Erwähnung von “meiner German Kleinigkeit” das Naschwerk hoch?
Spike, erinnern Sie sich an die unsäglichen Werbespots von Schokobons, in denen reimende Kinder die Nerven der Bevölkerung strapazierten. Ich bin zwar im Augenblick nicht auf dem Laufenden, aber ich glaube, diese Folter wird einem mittlerweile erspart…